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Erzählungen
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Inhalt: Der Schneidergeselle, welcher den Herrn spieltDie misslungene VergiftungVerschiedene FreiheitskämpferDer WahltagParabelEine Nacht auf dem UtoDas GewitterDie Reise in die UnterweltFabelReisetage
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Information
Erzählungen
Gottfried Keller
Inhalt:
Gottfried Keller – Biografie und Bibliografie
Der Schneidergeselle, welcher den Herrn spielt
Die misslungene Vergiftung
Verschiedene Freiheitskämpfer
Der Wahltag
Parabel
Eine Nacht auf dem Uto
Das Gewitter
Die Reise in die Unterwelt
Fabel
Reisetage
Erzählungen, Gottfried Keller
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849618421
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Gottfried Keller – Biografie und Bibliografie
Hervorragender Dichter, geb. 19. Juli 1819 in Zürich, gest. daselbst 16. Juli 1890, widmete sich zuerst der Landschaftsmalerei und verweilte zu seiner künstlerischen Ausbildung 1840–42 in München; von bitterer Not gezwungen, kehrte er in die Heimat zurück, wo er sich bald darüber klar wurde, daß er mehr zur Poesie als zur Malerei begabt war. Die erste Sammlung seiner »Gedichte« (Heidelb. 1846) fand den Beifall berufenster Kenner, wie Varnhagen, und mit Hilfe eines Züricher Staatsstipendiums konnte K. 1848 für mehrere Jahre nach Heidelberg gehen, um an der Universität und im Verkehr mit Ludwig Feuerbach, Hermann Hettner u. a. seine Bildung zu ergänzen und zu vollenden. 1850 zog er nach Berlin, zunächst um seine Kenntnis des Theaters zu bereichern, denn er wollte Dramatiker werden. Er blieb daselbst bis Dezember 1855, gewann allerdings viel Einsicht in die dramatische Kunst, vollendete aber keinen seiner dramatischen Entwürfe; dagegen gelangen ihm zahlreiche lyrische Erzeugnisse, die er in einer zweiten Sammlung: »Neue Gedichte« (Braunschw. 1851), vereinigte, und vor allem der große autobiographische Roman: »Der grüne Heinrich« (das. 1854–55, 4 Bde.; neue Bearbeitung, Stuttg. 1879–80), mit dem er sich in die vorderste Reihe der deutschen Dichter stellte. Er hat darin die Geschichte seines eignen Irrtums in der Berufswahl sowie seiner künstlerischen und religiösen Entwickelung in ungemein gedankenreicher Weise und poetischer Fülle dargestellt. Bald darauf erschien der erste Band seiner Erzählungen »Die Leute von Seldwyla« (Braunschw. 1856; mit den Meisterstücken: »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, »Die drei gerechten Kammacher«), die wegen der Anmut ihres Humors, der Tiefe ihrer Poesie und der Kraft der Gestaltung die Bewunderung aller Einsichtigen errangen, aber nur sehr langsam den Weg zum großen Publikum fanden. 1861 wurde K. zum ersten Staatsschreiber des Kantons Zürich ernannt und blieb es bis 1876 in so reger amtlicher Tätigkeit, daß ihm dichterisches Schaffen kaum möglich war. Erst nach seinem Rücktritt konnte er alte und neue poetische Pläne ausführen, und nun erst kam die Blütezeit seines literarischen Ruhmes. Noch kurz vorher waren die reich vermehrte 2. Auflage seiner »Leute von Seldwyla« (Stuttg. 1873–74, 4 Bde.; 36. Aufl. 1904) sowie die höchst anmutigen und geistvoll heitern »Sieben Legenden« (das. 1872, 28. Aufl. 1903) erschienen, in denen ein ganz neuer Ton der Ironie gegen die Kirche angeschlagen war. Nun schrieb K. die oben erwähnte Neubearbeitung seines »Grünen Heinrich« (29. Aufl. 1903), dessen erster tragischer Schluß einem tröstlichern, kontemplativen Ende weichen mußte (vgl. Leppmann, G. Kellers »Grüner Heinrich« von 1854/55 u. 1879/80, Berliner Diss., 1902), und eine neue Sammlung: »Züricher Novellen« (Stuttg. 1878, 2 Bde.; 32. Aufl. 1903), darin die Meisterwerke: »Der Landvogt von Greifensee« und »Das Fähnlein der sieben Aufrechten«. In dem folgenden Novellenzyklus »Das Sinngedicht« (Berl. 1882, 28. Aufl. 1903) fand jene lebensfreudige Gesinnung des Dichters, die allen seinen Werken eigentümlich ist, erhöhten Ausdruck; und gegen die unerfreulichen Auswüchse der Zeit schwang er die Geißel des satirischen Humors in dem Roman »Martin Salander« (das. 1886, 24. Aufl. 1903), der sich durch Klarheit der Komposition und Schönheit der Gestaltung auszeichnet. Eine mit den im Laufe der Jahre entstandenen neuen Versen vermehrte Ausgabe seiner Lyrik veranstaltete K. in den »Gesammelten Gedichten« (Berl. 1883; 17. Aufl. 1903, 2 Bde.); hier erschien er als ein männlich herber, zur Satire geneigter, aber inniger Sänger ganz eigner Art. Kellers Poesie wurzelt tief im heimisch schweizerischen Volkscharakter, den er stets mit glühender Liebe umfaßte, auch seine Sprache behielt die schweizerische Färbung bei. Er ist ausgezeichnet durch echt männliche ideale Gesinnung, kernigen Humor, anschauliche und originelle Phantasie und durch ein großartiges Darstellungsvermögen. Als epischer Dichter gehört er zu den ersten Meistern des Jahrhunderts. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Klassiker des 19. Jahrhunderts« (in Band 11). Die Ausgabe seiner »Gesammelten Werke« (Berl. 1889–90, 10 Bde.; seitdem mehrfach aufgelegt, zuletzt Stuttg. 1904), besorgte K. noch selbst. Nach seinem Tod erschienen: »Nachgelassene Schriften und Dichtungen« (Berl. 1893) und »Gottfried Kellers Leben. Seine Briefe und Tagebücher«, herausgegeben von Jakob Bächtold (Berl. 1892–96, 3 Bde. in mehreren Auflagen; dazu als Nachtrag die »Gottfried Keller-Bibliographie«, das. 1897; kleine Ausgabe der Biographie, ohne die Briefe und Tagebücher, das. 1898); den »Briefwechsel zwischen Theodor Storm und Gottfried K.« veröffentlichte Köster (das. 1904). Vgl. F. Th. Vischer, Altes und Neues, Heft 2 (Stuttg. 1881); Brahm, Gottfried K. (Leipz. 1883); Brenning, Gottfried K. nach seinem Leben und Dichten (Brem. 1891); Kambli, Gottfried K. nach seiner Stellung zu Religion und Christentum etc. (St. Gallen 1892); Frey, Erinnerungen an Gottfried K. (2. Aufl., Leipz. 1893); Brun, Gottfried K. als Maler (Zürich 1894); E. v. Berlepsch, Gottfried K. als Maler (Leipz. 1894); H. v. Treitschke in Bd. 4 seiner »Historischen und politischen Aufsätze« (das. 1897); A. Köster, Gottfried K., sieben Vorlesungen (das. 1899); F. Baldensperger, G. K., sa vie et ses œuvres (Par. 1899); Ricarda Huch, Gottfried K. (6. Aufl., Berl. 1904).
Der Schneidergeselle, welcher den Herrn spielt
Unsern geneigten Lesern ist ohne Zweifel noch in frischer Erinnerung, daß der Sommer 1846 so heiß war, wie bei Menschengedenken keiner. Das empfand absonderlich ein Schneiderlein, welches in der kühlen Morgenfrühe aus den Toren der Bundesstadt gewandert war und nun am heißen Mittag im Staub der Heerstraße seines Leides kein End wußte. Wie gern hätte das Bürschlein sich unter einen Baum gelagert, um dem glühenden Sonnenstrahl zu entgehen, der ihm durch den magern Leib schien, als wär er eine Laterne. Allein das ging nicht; denn erstens mußte der Bruder Berliner heut unfehlbar irgendeinen Ort erreichen – ob Schaffhausen oder Basel, das weiß der Kalendermann nicht, tut auch nichts zur Sache – item einen Ort, wo ihm vom Bruder Schweinfurter, der daselbst arbeitete, durch ein wohlgesetztes Schreiben Kondition versprochen war; fürs zweite war das Geld bei ihm das wenigste – hatt er doch seinen letzten Batzen beim gestrigen »Kommersch« ausgeblecht, so daß ihm jetzt die »verflüchteste« Eile not tat, wie er sich auszudrücken beliebte. Inzwischen war, abgesehen von der unmenschlichen Hitze, unter der an selbem Tage Mensch und Vieh seufzte, das Vorwärtskommen für ihn mit absonderlichen Schwierigkeiten verbunden, sintemal er die Sohlen seiner Stiefel allbereits mit Gottes Erdboden vertauscht hatte, so daß die großen Zehen ebenso wehmütig sehnsüchtig unter dem Oberleder hervorguckten wie seine Augen unter dem »Schüchleder« seiner blutroten Studentenkappe. Indessen macht' er gute Miene zum schlechten Spiel, drehte im Gehen den Schweiß aus den sieben Haaren, welche seinen martialischen Bocksbart formierten, schwang lustig seinen Ziegenhainer – zumal wenn er jemanden daherkommen sah – ließ den Tornister mit dem Bügeleisen flott auf der linken Seite des Rückens herunterbaumeln und sang, dem Staub zum Trotz, der ihm die durstige Gurgel verbarrikadierte:
»Und in der Stadt Venedichen –
Da bin ich och jewesichen:
Ist eene große Fluß,
Worüber man schiffen muß,
Heeßt die andriantische See!
Da bin ich och jewesichen:
Ist eene große Fluß,
Worüber man schiffen muß,
Heeßt die andriantische See!
Och in dem Lande Saxichen,
Wo die schönen Mädels waxichen!
Hätt ich das jedacht,
Hätt ich mich eene mitjebracht
Und für den Meesterjesellen och eene!«
Wo die schönen Mädels waxichen!
Hätt ich das jedacht,
Hätt ich mich eene mitjebracht
Und für den Meesterjesellen och eene!«
Plötzlich hört er's rollen und klatschen hinter sich; und wie er umschaut, erblickt er erst eine dicke Staubwolke, dann, im Näherkommen, vier stolze Pferde, die eine Staatskarosse ziehen, und einen Kutscher, der die Riesenpeitsche schwingt und dann wieder, wie eine Angelrute, sie gerad ausstreckt, als wolle er im Trüben fischen. Ach, fingest du mich, denkt das Schneiderlein, wie gerne wollt ich in deinen Fischkasten! Damit nimmt er einen desperaten Sprung auf die Seite; denn die Rosse sind ihm fast auf der Ferse. Zugleich aber zieht er seine Blutmütze, um sich in der Geschwindigkeit einen Zehrpfennig zu erfechten. Allein wie rührend seine Stellung sein mag: sie trägt ihm nichts ab; denn der Wagen ist leer, wie mancher Regentenkopf, und trotzig stülpt er den roten Lappen wieder auf seinen Schneiderkopf. Aber siehe, der Kutscher hält die Pferde an und sieht sich nach dem humpelnden Berliner um: »He, guter Freund, kommt mal her. Seid Ihr ein Schneider?«
»Ich bin ein Kleidermacher, Servitör!«
»Seht, da ist mir ein vermaledeites Unglück passiert. Im Aufsteigen hat mir ein Nagel die Hosen aufgeschlitzt, daß ich sie mit dem Mantel decken muß, wenn mich die Leute nicht für den Adam ohne Feigenblatt halten sollen. Seid Ihr kapabel, mir den Riß erträglich zuzunähen? Dort im Walde läßt sich füglich haltmachen, und es kommt mir so wenig darauf an, eine Viertelstunde zu warten, als Euch zum Lohn mit Euerm schlechten Fußwerk ein paar Stunden mitzuschleppen.«
Wie bereitwillig das Schneiderlein sich einstellte! Im Walde fand sich hart an der Straße ein kommlicher Busch, in welchem der Schneider ungesehen flicken, der Kutscher unbeachtet auf seine Pferde vigilieren konnte. Innerhalb des festgesetzten Termins war der Schaden zur Zufriedenheit des letztern (nämlich des Kutschers) geheilt, und der Bruder Berliner stieg selig in den Bauch des Staatswagens, welcher am Tage vorher zwei Tagherren eingeschlossen und gen Zürich spediert hatte.
Kaum saß das Schneiderlein auf den weichen Kissen, so kam der Geist der Eitelkeit über ihn. Daß dieser Geist noch, als Nachlassenschaft der beiden Staatsmänner, in den Polstern gesteckt habe, ist nicht glaublich, sintemal er den Herren in Zürich beim Auspacken nicht fehlte. Genug, der Geist der Eitelkeit kam über den Berliner: er machte eine hübsche Rosette ans fadenscheinige Halstuch, unterdrückte mit starker Hand die schweißtriefenden, rostgelben Vatermörder und striegelte mit einem dritthalbzähnigen Kamm das Haupthaar in eine schiefliegende Scheitel; auch den Backenbart würde er gestriegelt haben, hätt er einen gehabt. Dann lehnt' er sich zurück, rundete die Unterlippe zu einer stolzen Wurst, blies die Naslöcher auf wie ein Walfisch und machte Augen, so hochmütig und unzufrieden, als wär er ein geborner Junker oder ein übersättigtes Kirchenlicht.
Unter diesen Umständen konnt es nicht fehlen, daß er von seinesgleichen häufig und dringend angebettelt wurde. Er antwortete dann mit demselben vornehmen Grunzen, womit er selber so häufig abgespiesen worden war. In einem Dorfe jedoch, in welchem die Kutsche hielt, drängten sich drei Leidensbrüder mit so unüberwindlicher Hartnäckigkeit an die Portiere – ja, ein Tuttlinger, Schuhmacher seines Handwerks, schwang sich sogar auf den Wagentritt und hielt ihm die pechgeschwärzte bettelnde Hand so nah vor die Nase, daß er plötzlich in einen Strom von reglementarischen Gesellenschimpfwörtern ausbrach, was zwar die drei Vögel erst frappierte, dann aber anzog, wie das Aas die Geier.
»Seht da den silbernen Ellstecken! das filzige Bügeleisen! den herrelenden Geißbock!« schrie der Tuttlinger, sich auf dem Wagentritt umwendend. »Der Kerl hat sich aus gestohlenem Tuch ein himmelschreiendes Vermögen zusammengeflickt und meint nun, weil sein Werktisch eine Kutsche und sein Geißenquartett ein doppeltes Roßgespann geworden, er sei des großen Hunds Götti!«
»Laß ihn gehen!« rief der Braunschweiger, ein Ledergerber. »Ich möchte trotz seines Geldes nicht in seiner Haut stecken. Zwar wollt ich sie gerben, aber trocken, mit diesem Haselstock möcht ich sie gerben – nicht, um ein Fell daraus zu machen, sondern Fetzen, blutige Fetzen, wie's einer schäbigen Bockshaut gebührt!«
»Kommt, Brüder, laßt uns weiterziehen!« brüllte der Hannoveraner, ein Pastetenbeck, »sonst nimmt er uns auf die Hörner und meckert eine Litanei, daß wir uns die Nasen zuhalten müssen statt der Ohren!«
»Ihr Tausendschwerenöter!« schnauzte das Schneiderlein aus der K...
Table of contents
- Gottfried Keller – Biografie und Bibliografie