Rosaliens Briefe
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Rosaliens Briefe

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Rosaliens Briefe

About this book

Ein Briefroman in 120 Briefen, angeblich unter Mitwirkung von Goethe entstanden. Das E-Book Rosaliens Briefe wird angeboten von Jazzybee Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:

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Information

Year
2012
eBook ISBN
9783849618544

Sechszigster Brief

Mariane! Menschenfreundlichkeit ist in dem Herzen der Frau von Guden eine unerschöpfliche Quelle von Erfindung geworden. Sie legt einen Spaziergang an. Zu dessen Erweiterung und Unterhaltung hat sie Grundstücke für die Gemeinde der Vorstadt gekauft, wovon eine Wiese, die mit etlichen großen Bäumen geziert ist, und gleich an der Landstrasse liegt, zum Spaziergang im Grünen; das andre Stück aber, nebst einem daran stoßenden schönen Ackerfelde, dem nahe wohnenden Gärtner, wegen Unterhaltung der Bäume und Hecken, zum Genuß gelassen wird; und er hingegen darf seine Milch und Butter im Sommer niemand verkaufen, als den bürgerlichen Einwohnern, die sie im Grünen essen wollen. An dem Bache, der auf einer Seite hinläuft, hat sie, so lang die Lustwiese geht, wie ich sie nennen will, das User allmählig abhängig machen lassen, damit die Kinder im Laufen und Spielen nicht jähling hinein fallen können, und die Gehenden und Sitzenden das Vergnügen haben mögen, den Lauf des Bachs zu sehen. Gegen die Straße ist ein etwas tiefer Graben gemacht, damit reitende und fahrende Reisende den Platz nicht verwüsten möchten. Es gehen aber vier Brücken darüber, auf deren beyden Seiten Bänke sind, die sie dem Fußgänger gern gönnt. Ueber der Landstrasse, andrer Hand, ist der zweyte Theil des öffentlichen Lustplatzes, an dessen Ende, gegen die Stadt, des Gärtners Wohnung ist, welche aber mit sammt seinem Gemüsgarten, etwas tiefer liegt, und durch eine schöne, aber wildwachsende Hecke versteckt wird, so daß man nur einen Theil davon sieht. Unmerklich erhöht sich das Stück, von welchem man eine weite, schön angebaute Landschaft und den von ferne kommenden Bach sieht. Hier ließ sie steinerne Bänke setzen und an das äußerste Ende, gegen Mittag, Waldbäume hervorbringen, die schon ziemlich groß sind. Wenn diese fortkommen, so ist es vortreflich, denn sie schützen die Hälfte der Bänke vor der Mittagssonne. Wilde Rosen und einiges Gesträuch, so da war, hat sie heilig schonen lassen, damit es ruhig und in seiner angebohrnen Freyheit fortwachse. Es bekleidet auch just die scharfe Ecke der kleinen Anhöhe, an welcher der Bach dicht hinfließt, worüber die Landstraße durch eine Brücke fortgeführt wird. Etwa funfzig Schritt davon hatte sie das Glück, eine Quelle sehr guten Wassers zu finden, das immer schon aus dem Grase hervor rieselte, aber nur im Sand und Schlamm fortlief, bis sichs in den Bach goß. Sie ließ nachgraben, und man entdeckte zwey Wasserfäden, die nur eine Spanne von einander schwesterlich aus einer Steinritze fließen. Diesen Stein ließ sie unten ganz sanft etwas einwärts abhauen, und auf den Boden einen ungearbeiteten Stein legen, und nur so aushöhlen, als ob das Wasser durch die Länge der Zeit solches selbst verursacht hätte. Aus diesem läuft es in einen mit Kressen bewachsenen Graben, wie vorher in den Bach. Gegen Mittag hat sie Erde aufhäufen lassen und mit schnellwachsenden Standen besetzt; auf der andern Seite einen halben Zirkel eingegraben und auch Bänke hingebracht. Man wußte lange nicht, warum sie durch kleine Kinder, die nicht arbeiten können, eine Menge weiser, hell und dunkelgrauer Kieselsteinchen sammlen ließ. Endlich waren sie dazu bestimmt, den Stein zu kleiden, welchen sie über das Quellchen setzen ließ, um das Nachfallen der obern Erde zu verhindern. Der Stein wurde mit einer Art Kütt dicht bestrichen, und ein liegender zerbrochener Wasserkrug just über dem Ausfluß des Quellchens darauf gezeichnet, und nach der Zeichnung die kleinen Kiesel eingesteckt, die nach ihren verschiedenen Farben Licht und Schatten machen und recht artig täuschen; indem noch weiter oben, von nemlicher Arbeit, ein Stück zerfallnes Geländer und Stiege nachgeahmt ist. Auf der Seite, wo die Bänke sind, ist auch gegen das Nachfallen des Grundes eine niedrige Mauer aufgeführt, und auch diese mit Kütt überzogen, mit weißen Kieseln besteckt und mit schwarzen Steinen darin: Komm, Müder! ruhe und erquicke dich. – Allerley Kräuter sind oben und auf den Seiten gepflanzt. Da nun Raum genug für zehn bis zwölf Personen ist, so macht das Ganze einen herrlichen und freundlichen Anblick für die Vorbeyreisende, deren schon viele halten ließen und den so liebreich einladenden Brunnen betrachteten und lobten. Ich bin einigemal mit ihr und andern hier auch spatzieren gegangen. Es ist mir unendlich schätzbar, als diese Thätigkeit und dies Erschaffen in der Seele einer Person von meinem Geschlecht zu sehen. Madame van Guden hat sich einen großen Zirkel von Wirksamkeit vorgezeichnet. Ihr Bilderbuch aber, sagt sie, macht ihr die meiste Arbeit, weil sie in Allem, was Pindorfen angeht, Vollkommenheit hervorbringen möchte. –
Dieser Lustplatz hat sie sehr ergötzt, und sie hörte und sah gern, daß ich in Allem beystimmte und mit ihr genoß. Zweymal mußte ich im Mondschein mit ihr hinaus. Süßere Melancholie habe ich niemals gefühlt, als die Augenblicke, wo ich mit ihr auf einer der Steinbänke saß; und schweigend, wie sie, die schlafende Gegend betrachtete. Ihr Gesicht war voll Ausdruck einer tiefen Rührung. Mit einem halb unterdrückten Seufzer sah sie den Mond und dann mich an. Eine Thräne schwamm in ihrem Auge. Sanft umarmte sie mich, legte ihren Kopf leicht auf meine Brust, und lüßte ein Paarmal meinen Hals, aber auch nur ganz leise. In diesen Augenblicken redet man nicht durch Worte. Ich verstand sie und freute mich über den Werth, den sie auf mich legte. Wenn ein gepreßtes Herz sich an ein redliches, theilnehmendes Herz anlehnen und athmen kann: o, da ist ein Mensch viel für den Andern; da fühlen sie mit einander Wohl und Weh der Menschheit; einzeln ohnmächtig gegen Uebel, vereint aber vermögend, ihre Empfindung und Kräfte zu verstärken und fortzukommen. – Endlich erholte sie sich, küßte mich lebhafter und sagte: »Liebe Rosalia, ein eigensinniges Herz ist ein großes Gegengewicht gegen alles, was Schicksal und Natur zu meiner Glückseligkeit bestimmten. – Heute hat diese Wagschaale stark übergezogen. Gestern war ich viel glücklicher, als ich allein hier gegen Abend spatzieren ging, und in Wahrheit, zufrieden mit mir selbst, den Wunsch that, daß ich den Einwohnern der Vorstadt, wie ich ihnen mein Gold mittheile, auch das Gefühl meiner Seele möchte geben können, welches die auf-und niedergehende Sonne, Mondschein und Sternhimmel mir geben. Könnte ich doch auf dem Spatziergange, den ich anlegte, Empfindungen für die schöne Natur, mit den einfachen Blumen aufwachsen machen, damit bald die hohen, schattigten Linden, und der schöne weiße Hagedorn, bald das mannigfaltige Gras und Kräuter, so ihre Kühe nähren; der Bach, so sie beyde tränkt; reine Luft, blühende Bäume, volle Saaten, ein kühler erquickender Wind, ihnen den seligen Gedanken eines väterlichen Gottes geben möchte, der diese besten Freuden des Lebens Armen und Reichen gleich austheilt, und alle Jahre mit dem Frühling erneuert! – Ich habe deswegen den Platz auf der Seite der weitesten Aussicht erhöhet und da die Steinbänke gesetzt, damit sie Abends, mir der anfangenden Ruhe ihres Körpers, den süssen, wohlthätigen Frieden in sich saugen mögen, der auf den fruchtbaren Gefilden ihres mütterlichen Bodens herrschet. – Aber, Rosalia, dieser Wunsch wird auch nur stückweise erfüllt werden, wie meine Empfindungen auch wechselsweise stärker und schwächer sind.« –

Ein und sechszigster Brief

Frau van Guden blieb dabey, mir nicht mehr als zween Tage der Woche zu geben; und ich bleibe dabey, sie auf die Probe zu stellen, wie sie sich einst in meiner Stelle, als Frau des Herrn Cleberg, und jetzo an dem Platz zweyer unverheyratheten Freundinnen meiner lieben Julie Otte, betragen würde? Sie muß bey dieser Gelegenheit würklich aus sich selbst heraus gehen, weil sowol die Umstände, in denen ich mich befinden werde, als auch die von den vier guten Mädchen, ihr weder den willkührlichen Gang ihres Denkens, noch die Freyheit ihres Tons und ihrer Handlungen erlauben. Und da wäre es ja möglich, daß sie zu der Art Leuten gehörte, die in einem großen unbeschränkten Felde, muthige, edle Schritte und Bewegungen machen, in einem kleinen umzäunten Höfchen oder engen Zimmerchen aber, so gezwungene kleine Tritte, Beugung des Kopfs, und Uebereinanderschlagen der Arme vornehmen, daß Jedermann das Unschickliche oder Unangenehme davon in die Augen fallen müßte. Es ist mir beynah auch mehr daran gelegen, was sie für die vier guten Geschöpfe ersinnen wird, als was mich angeht; denn an meinem jetzigen Seyn und Wesen könnte und möchte ich nichts ändern. Der Himmel weiß, ob ich Clebergen jemals wieder sehe, oder ob er mein bleiben wird? Ich war freylich seine erste Liebe, wie er die meinige ist: aber seine Reisen, sein Platz als Gesandtschafts-Sekretair, müssen ihm hundert Gelegenheiten gegeben haben, liebenswürdige Frauenzimmer kennen zu lernen. Kann ich fodern, kann ich hoffen, daß mein Andenken, daß die Gesinnungen, die er für mich hatte, immer gleich wachsam für mein Glück, bald der überraschenden Gewalt einer neuen Schönheit, bald dem sanften Einnehmen der stillen Anmuth, oder den Reizen des Geistes, der Tugend und Talente, Widerstand thun werden? – O Mariane! ich schreibe selten von Cleberg, rede gar nicht von ihm. Aber denken; seine Briefe an meinen Oheim, an mich, zehnmal lesen; ausspähen, ob nicht eine kleine Anzeige von Aenderung oder Frost darinnen sey, wie eifrig geschieht das! Auch suche ich mit Sorgfalt die Spuren seines Geschmacks auf, und bitte meinen väterlichen Freund um Bücher, oder Unterricht darüber, damit der arme Cleberg nicht einst alles entbehren müsse, was er jetzt in auswärtigen Gesellschaften mit so vielem Vergnügen genießt. Mein Oheim hat mich darin aufmerksam gemacht; denn die außerordentliche Unwissenheit seiner Frau, mit welcher er niemals etwas Vernünftiges, das ihn freute, sprechen konnte, da sie an seinem Wissen und an Sachen, die ihn ganz beschäftigen, nicht den geringsten Antheil nahm, hatte ihn aus seinem Hause gejagt und herum schwärmen gemacht; worüber sie zürnte und sich grämte, dadurch aber auch ihre schwächliche Gesundheit abzehrte und ohne Kinder starb.
Dabey sagt aber mir mein Oheim oft: »Gelehrt will ich Dich nicht haben: nur den Geschmack des Wissens und ein vernünftig zuhörendes Aussehen, wenn von der Geschichte, der Physik und andern Kenntnissen gesprochen wird.« – Sprachen und Musik stünden einem Mädchen, das zur Frau eines Gelehrten oder guten Negocianten bestimmt wäre, auch wohl an; ich solle aber ja niemals anders, als in einem weiblichen Ton von alle dem reden, was ich auswendig gelernt, oder aufgehascht haben könnte; denn durchge...

Table of contents

  1. Marie Sophie von La Roche – Biografie und Bibliografie
  2. Zweiter Theil
  3. Dritter Teil