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Grundlagen fĂźr professionelles Claim Management
1 Was ist âClaim Managementâ?
Claim Management ist nicht wirklich neu. Die deutsche Bezeichnung heiĂt: âĂnderungs- und Nachforderungswesenâ. Das existiert schon seit Jahrzehnten â allerdings meistens nur halbherzig und unprofessionell. âClaim Managementâ will eine weitaus hĂśhere Professionalität und Qualität des Ănderungs- und Nachforderungswesens erreichen, denn es beinhaltet sowohl strategisches als auch taktisches Geschick und setzt ein ganzheitliches Denken voraus. Damit wird das Claim Management auch zu einem Veränderungsprozess innerhalb eines Unternehmens, denn es verändert die Unternehmenskultur.
Claim Management beschäftigt sich hauptsächlich mit:
⢠dem Durchsetzen berechtigter Ansprßche gegenßber Lieferanten und Kunden sowie
⢠der Abwehr unberechtigter Ansprßche gegenßber Lieferanten und Kunden.
Das Wort âClaimâ bezeichnet somit einen âAnspruchâ und das Wort âManagementâ, wie man mit diesen AnsprĂźchen umgeht.
Na schÜn, werden Sie sagen, letztlich läuft wieder alles auf das liebe Geld heraus. Richtig. Egal, was wir im Unternehmen tun: Es muss wertschÜpfend sein, und das muss sich in einer Zahl ausdrßcken lassen. Demnach ist Claim Management eine reine kaufmännische Angelegenheit? Falsch. Der kaufmännische Teil ist nur ein Mosaikstein, meistens der letzte, der beim Entwurf eines Claims noch fehlt.
Es reicht also bei weitem nicht aus zu meinen, mit einem effizienten Mahnsystem unbezahlte Rechnungen einzutreiben, sei auch schon ein effizientes Claim Management. Es ist ebenso ein fataler Trugschluss zu denken, dass die vielleicht kleinen finanziellen Volumina, die innerhalb des normalen Tagesgeschäftes abgewickelt werden, so einen âAufrissâ durch Claim Management nicht rechtfertigen wĂźrden.
Betrachten Sie es einfach wie einen undichten Wasserhahn: Man denkt ständig daran, dass die Dichtung gewechselt werden mĂźsste, sich aber wegen der paar Tropfen der Aufwand nicht lohnt. Stellen Sie aber ein Gefäà unter den tropfenden Wasserhahn, sind Sie mĂśglicherweise erschrocken, in welcher Zeit es gefĂźllt ist, und vor allem: wie viel Wasser (Geld) Sie schon verloren haben. Wissen Sie, wie viele tropfende Wasserhähne Sie in Ihrem Unternehmen haben? Wissen Sie es wirklich? Wissen Sie, um welchen Betrag Ihr Unternehmen âreicherâ sein kĂśnnte, wenn Sie die Dichtungen reparieren wĂźrden? KĂśnnen Sie sich das Defizit wirklich leisten?
Claim Management ist kein Allheilmittel gegen uneffiziente WertschÜpfungsketten, aber es diszipliniert Geschäftsprozesse in Richtung Genauigkeit. Es sorgt dafßr, dass weitaus weniger vergessen oder unter den Teppich gekehrt wird als vorher, und das kann sich zu einem Mehrgewinn von 5 bis 15 Prozent des Gesamtgewinns eines Unternehmens summieren.
Ineffiziente WertschĂśpfungsketten sind in den meisten Fällen hausgemachte Probleme, weil zuviel âgeschludertâ wird. Eine weitgehend optimierte WertschĂśpfungskette erreicht man aber nur durch zwei Verhaltensweisen: durch Professionalität und durch Disziplin. Darauf zielt das Claim Management ab.
Im Vertragsmanagement muss präzise gearbeitet werden. Doch was hÜre ich? Genau dafßr habe man im hektischen Tagesgeschäft keine Zeit. Oder in der verschärften Form: durch den permanenten Wandel wird ein präzises Arbeiten unmÜglich, daher werden ineffiziente WertschÜpfungsketten in Kauf genommen, sofern sie noch nicht unmittelbar die Existenz des Unternehmens bedrohen. Und so ein neumodischer Kram wie Claim Management schaffe da nur noch mehr Unruhe im Unternehmen und vor allen Dingen in den Kundenbeziehungen. Das ist, mit Verlaub gesagt, ein vÜllig falscher Ansatz. Denn: Je rasanter sich der permanente Wandel vollzieht, desto mehr tritt das Claim Management in den Vordergrund.
Claim Management hat den Vorteil, dass es keine Branche ausnimmt. Egal, ob Sie ein Dienstleistungsunternehmen haben oder aus dem produzierenden Gewerbe kommen, ob Sie ein Hotel betreiben oder Industrieanlagen, Eisenbahnen oder Flugzeuge bauen â die Methodik und Systematik gilt fĂźr alle gleichermaĂen. Das Potenzial fĂźr Claim Management ist enorm hoch, aber es wird kaum genutzt.
Beispiel:
Ein grĂśĂeres Unternehmen hat ein Problem. Es muss innerhalb der nächsten drei Tage den Prototyp einer Maschine auf eine Messe nach Berlin liefern. Der Grundrahmen der Maschine wird normalerweise von einem Lieferanten aus Tschechien geliefert, aber der hat das Unternehmen sitzen gelassen. Anfrage an ein Kleinunternehmen in der Nähe, dass sich mit Spezialmaschinenbau beschäftigt, ob sie schnell und unbĂźrokratisch helfen kĂśnnen. Sie kĂśnnen.
Am zweiten Tag wurden entsprechende Zeichnungen ßbermittelt, die in einigen Details ungenau oder fehlerhaft waren. Die offizielle Bestellung an den Auftragnehmer war eine Faxseite mit einem Zweizeiler: Hiermit bestellen wir einen Grundrahmen gemäà Zeichnung zum Preis von 0,00 Euro.
Am dritten Tag wurde der Grundrahmen nachts um 23.00 Uhr ausgeliefert, nachdem man rund um die Uhr daran gearbeitet hatte. Kurz darauf wurde die Maschine auf den Weg nach Berlin gebracht.
Als ich den Auftragnehmer am vierten Tag besuchte, erzählte er mir von dem oben genannten Auftrag. Als ich ihn fragte, was ihn diese Aktion gekostet hat, erläuterte er, dass Ding habe so viel Arbeit gekostet, dass er zum Kalkulieren noch gar nicht gekommen sei.
Lassen Sie diese Situation auf sich wirken. Dann Ăźberlegen Sie, wie der Auftragnehmer an sein Geld kommt. Welche MĂśglichkeiten hat er? Halten wir fest:
⢠Der Auftragnehmer konnte den Aufwand nicht abschätzen.
⢠Die offizielle Bestellung weist einen Auftragswert von 0,00 Euro aus.
⢠Eine Auftragsbestätigung wurde nicht geschrieben.
⢠Der Grundrahmen wurde auf Treu und Glauben ausgeliefert, ohne jegliche Sicherheiten.
Vier Tage nach Auslieferung ergab sich fĂźr den Auftragnehmer folgende Kostensituation:
Materialkosten: 1.250,â Euro
Lohnkosten: 3.750,â Euro (inkl. Ăberstundenzuschlag)
Aufschlag 15 Prozent = 750,â Euro (Overhead)
Gesamtforderung: 5.750,â Euro netto zzgl. 16 Prozent USt.
Der Auftragnehmer schrieb eine Rechnung, Zahlungsziel: innerhalb von 15 Tagen. Der Auftraggeber wies die Rechnung postwendend zurĂźck und verlangte eine âAuftragsverhandlungâ. Während dieser Verhandlung behauptete der Auftraggeber, dass er fĂźr diesen Grundrahmen an die Tschechen maximal 2.500,- Euro bezahlt, und zu mehr wäre er auch in diesem Fall nicht bereit. Der Auftragnehmer rechnete den tatsächlichen Stundenaufwand detailliert vor, doch der Auftraggeber zuckte bedauernd die Schulter: Deswegen lasse man ja in Tschechien fertigen, und er sei davon ausgegangen, dass der Auftragnehmer den Auftrag zu den tschechischen Konditionen angenommen habe. Der Auftragnehmer verwies auf seine Allgemeinen Geschäftsbeziehungen und drohte mit seinem Anwalt.
Eine Ausnahmesituation? Sie meinen, so krass käme das im wirklichen Geschäftsleben nicht vor? Weit gefehlt. Das ist eine reale Situation, und sie kommt in ähnlicher Weise jeden Tag aufs Neue 100 Prozent zu oft vor. NatĂźrlich kann der Auftragnehmer claimen, aber auf welcher Grundlage? Was hat er denn zur VerfĂźgung? Worauf kann er sich beziehen, um seinen Anspruch zu rechtfertigen? Nichts hat er! Selbst wenn er sich auf seine Allgemeinen Geschäftsbeziehungen oder das BGB beruft, hat er vor allem eines: einen Haufen Ărger, um zu seinem Geld zu kommen, und das auch noch mit zweifelhaftem Erfolg.
Also bleibt nur die Erkenntnis, solche Aufträge gar nicht erst anzunehmen? Falsch. Die Erkenntnis ist, während der Auftragsabwicklung nicht das Gehirn auszuschalten. Der Auftragnehmer, der ja auch noch einige Mitarbeiter hat, hätte nur eine Stunde nachdenken und handeln mĂźssen, um den grĂśĂten Ărger zu vermeiden. Wie?
⢠Aufgrund der Faxbestellung hätte er eine Auftragsbestätigung formulieren kÜnnen, in der er die Rahmenbedingungen, wie dieser Auftrag abgewickelt wird, frei wählen konnte.
⢠Er hätte Ausschlusstexte verwenden kĂśnnen, zum Beispiel: âZeichnungskorrekturen, Ăberstundenzuschläge etc. werden gesondert berechnetâ.
⢠Er hätte seine Stundensätze festschreiben kÜnnen mit dem Zusatz, dass dieser Auftrag nach tatsächlich geleistetem Aufwand berechnet wird.
Dass der Auftragnehmer den Aufwand anfänglich nicht vollständig abschätzen konnte, ist glaubhaft. Nicht glaubhaft ist dagegen, dass er es nicht annähernd gekonnt hätte. Da er wusste, dass der Auftraggeber unter hohem Druck stand, hätte er in seiner Auftragsbestätigung eine Abschlagszahlung verlangen kÜnnen mit der Bedingung, dass der Grundrahmen erst nach Zahlungseingang das Grundstßck verlässt.
Wie ständen die Chancen fĂźr den Auftragnehmer jetzt? Wenn er seine Auftragsbestätigung Mitte des zweiten Tages dem Auftraggeber gefaxt hätte, dann hätte er gute Chancen gehabt, mit der Abschlagszahlung zumindest seine Selbstkosten abzudecken, denn Zeit fĂźr lange Verhandlungen blieb ja nicht. Arbeiten Sie auch unter Druck präzise, denken Sie nach. Das ist Claim Management. Fragen Sie einige der 40.000 insolventen Unternehmen pro Jahr, wie gut ihr Claim Management funktioniert hatte. Ăberlegen Sie, wie viele Insolvenzen vermieden werden kĂśnnten, wenn das Claim Management effizient und professionell betrieben wird.
2 Ziele und Aufgaben des Vertragsmanagements
Das Ziel des Vertragsmanagements ist die
⢠Gestaltung
⢠der Abschluss und
⢠die Abwicklung von Verträgen.
Daraus leiten sich die Aufgaben des Vertragsmanagements ab.
In der Angebotsphase sind die Aufgaben:
⢠Erstellung der juristischen Vertragsteile
⢠Prßfung auf Vollständigkeit
⢠Prßfung auf Risiken
Die Aufgaben in der Vertragsabschlussphase sind:
⢠Prßfung auf Vollständigkeit
⢠Prßfung auf Unstimmigkeit
⢠Prßfung auf Widersprßchlichkeit
Die Aufgaben in der Abwicklungsphase sind:
⢠Vertragsanalyse
⢠Aufbereitung der Vertragsdaten
⢠Verfolgung von Ănderungen
⢠Verfolgung von Abweichungen
⢠Beweissicherung im Schadensfall
Je nach Umfang der Aufträge hat das Vertragsmanagement also eine äuÊerst hohe Priorität. Der Umfang von Aufträgen richtet sich ßbrigens nicht nur nach der Auftragssumme, sondern in den meisten Fällen nach der Komplexität. Ich habe Aufträge erlebt, deren Auftragssummen deutlich ßber 50 Millionen Euro lagen, bei denen aber bereits nach der Auftragsanalyse feststand, dass sie am Ende mit einem negativen Ergebnis abgeschlossen werden. Leider lassen sich noch zu viele Unternehmer von hohen Auftragssummen blenden, nach dem Motto: Eventuelle Unwägbarkeiten während der Abwicklung lassen sich doch locker kompensieren. Lassen sie sich eben nicht. Denken Sie immer daran: Fast 90 Prozent aller an die Wand gefahrenen Aufträge werden am Anfang an die Wand gefahren, alles Nachfolgende während der Auftragsabwicklung sind bereits Wirkungen, die meistens nicht mehr korrigierbar sind. Deshalb ist es am Anfang so wichtig, präzise und diszipliniert zu arbeiten (auch wenn Sie glauben, dafßr bei einem hektischen Auftragsstart keine Zeit zu haben).
Um fĂźr das Claim Management gerĂźstet zu sein, benĂśtigen wir beim Auftragsstart eine so genannte âReferenzkonfigurationâ. Diese besteht aus:
⢠dem Vertrag (und/oder Auftragsbestätigung) mit allen Beilagen und namhaft aufgefßhrten Protokollen, Besprechungsberichten, Notizen, Korrespondenzen, einfach alles, dessen Sie in schriftlicher Form habhaft werden kÜnnen,
⢠der technischen Dokumentation zum Vertrag,
⢠Normen, Standards, Richtlinien und sonstigen Regelwerken sowie ggf.
⢠gesetzlichen Vorschriften.
Um Sie so weit wie mĂśglich vor eventuellen bĂśsen Ăberraschungen bei der Auftragsabwicklung zu schĂźtzen, werden wir uns jetzt mit der Vertragsund Risikoanalyse beschäftigen. Hierbei kommt es mir darauf an, Ihnen nicht nur aufzuzählen, an was Sie alles denken sollten, sondern hauptsächlich, warum Sie daran denken sollten, denn hier ist das volle Potenzial des Claim Management konzentriert.
Vertrags- und Risikoanalyse
Durch die Vertrags- und Risikoanalyse werden nicht nur die gegenseitigen Verpflichtungen, sondern auch die Risiken und Chancen herausgearbeitet.
Die vier Hauptinhalte der Vertrags- und Risikoanalyse sind:
⢠die vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien,
⢠die Mitwirkungspflichten insbesondere des Auftraggebers (zum Beispiel Auflistung des Auftraggebers oder Ausschlussliste des Auftragnehmers),
⢠die Ausarbeitung und In-Beziehung-setzen der vertraglichen Regelungen zu Einzelfragen wie Ănderungen, VerzĂśgerungen, Vertragsstrafen etc.,
⢠die Beurteilung der besonderen vertraglichen Risiken.
Die durchgefĂźhrte Vertragsanalyse bietet Ihnen die MĂśglichkeit, auch Ihrem Kunden zu zeigen, dass Sie seinen Auftrag und seine Erwartungen verstanden haben, weil Sie danach den Auftrag im Detail kennen. Halten Sie sich bei der Analyse an folgende drei Schritte:
1. Lesen, Denken, A...