XXXVII. | Hannover, 3. MĂ€rz 2011: Der Bordelektroniker â Alan Mulally, Chef von Ford |
âI am a car guy, I am a car guy, I am a car guy!â Es gibt Momente, da muss Alan Mulally das dreimal sagen, schnell hintereinander, halb im SpaĂ und halb im Ernst. Das passiert dann, wenn der Vorstandsvorsitzende von Ford einmal wieder Fachbegriffe aus der Fliegerei mit solchen aus dem Automobilbau verwechselt hat. Das kann schon einmal sein, wenn man 37 Jahre seines Lebens fĂŒr den Flugzeughersteller Boeing gearbeitet hat: âIch war an der Entwicklung aller Boeing-Modelle beteiligt, die es derzeit gibt", sagt der 1945 geborene Mulally mit Stolz. Deshalb kann ihm auch heute noch der Begriff âinflight entertainmentâ herausrutschen, wenn er die Kommunikationssysteme eines modernen Automobils, aber eben keines Flugzeugs meint. Und dann ist es mal wieder Zeit fĂŒr das dreifach wiederholte Bekenntnis, dass er inzwischen natĂŒrlich lĂ€ngst zu einem Autonarren geworden sei.
Ein solcher war Mulally gewiss noch nicht, als er in schweren Zeiten, aber noch vor dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise von Boeing an die Spitze von Ford wechselte. âIch wollte eine amerikanische Ikone rettenâ, sagt er, rĂ€umt aber auch ein, dass er schockiert war, als er die Prognose fĂŒr den Verlust des Jahres 2006 sah. Dort sollten 17 Milliarden Dollar minus zu Buche stehen. âAngesichts solcher Zahlen kann einem Unternehmen schnell das Geld ausgehenâ, sagt er Rande der Cebit in Hannover. Deshalb habe er mit seinem Team schnell vier wichtige Entscheidungen treffen mĂŒssen, die die Strategie von Ford bis heute bestimmen: âerstens die Konzentration allein auf die Marke Ford, zweitens das Angebot einer vollstĂ€ndigen Fahrzeugpalette in allen von uns bedienten MĂ€rkten, drittens der Anspruch, in Kriterien wie QualitĂ€t, Sicherheit und Verbrauch fĂŒhrend zu sein, viertens die Verpflichtung, die Produktion an die tatsĂ€chliche Nachfrage anzupassen, also Fabriken zu schlieĂen.â
Diesem Programm bleibt Mulally eisern treu. Aber der wichtigste Schritt damals waren drei Tage voller Verhandlungen mit Banken im New Yorker Nobelhotel Waldorf Astoria. Am Ende stand das Ergebnis, dass Ford 23,5 Milliarden Dollar neuen Kredit bekommen wĂŒrde â und nur damit hat das Unternehmen alle Verwerfungen der Finanzkrise als einziger der drei groĂen amerikanischen Hersteller ĂŒberstanden, der nicht Insolvenz anmelden musste: âDas hat uns vor allem in Amerika einen groĂen Imagegewinn gebrachtâ, sagt Mulally. Zugleich sei es gut gewesen, den gröĂten und wichtigsten Konkurrenten General Motors mit Staatshilfe aufzufangen: âDas habe ich damals gesagt, heute wĂŒrde ich wieder so entscheiden.â Es sei darum gegangen, die gesamte amerikanische Wirtschaft vom Absturz im freien Fall abzuhalten. Das sei gelungen. âUnd gut ist auch, dass die Regierungen der Welt noch immer wissen, dass sie ein besonderes Auge auf die Entwicklung der Konjunktur haben mĂŒssen.â Auch deshalb ist Mulally davon ĂŒberzeugt, dass die Konjunktur in seiner Heimat ihre langsame Erholung fortsetzen wird. Die EnttĂ€uschung, die die Ford-Zahlen des Schlussquartals 2010 an der Börse gebracht hĂ€tten, sei nicht das Ergebnis insgesamt verschlechterter Aussichten gewesen, denn diese hĂ€tten sich im Rahmen der vorherigen Prognose bewegt. âDie ist von den MĂ€rkten leider ignoriert worden; da mĂŒssen wir in diesem Jahren besser aufpassenâ, sagt Mulally. âFĂŒr 2011 haben wir gesagt, dass sich unsere ProfitabilitĂ€t weiter verbessern wird. Und dabei bleibt es auch.â
Neben allen Anstrengungen im Rahmen seines Vierpunkteplans treibt Mulally dabei die Verbesserung des Einkaufserlebnisses beim AutohĂ€ndler um, die in Amerika traditionell âDealerâ genannt werden, was den Eindruck hinterlĂ€sst, hier wĂŒrden Autos verschleudert. Mulally möchte gerne, dass seine Kunden â zum Beispiel in Anlehnung an die Einzelhandelskette des Computerherstellers Apple â kĂŒnftig eher von einem âStoreâ, also neutral von einem Laden, sprechen, wenn sie zum Ford-HĂ€ndler gehen. Der Autokauf soll zum Erlebnis werden. Und Mulally weiĂ, dass es bis dahin hĂ€ufig noch ein weiter Weg ist.
Seinen HĂ€ndlern und VerkĂ€ufern gibt der Vater von fĂŒnf Kindern eine Familienerfahrung aus den Weihnachtsfeiertagen mit auf den Weg von einem Besuch im Apple Store: âWir hatten einen Termin, wurden ausgesucht freundlich und kompetent beraten, verlieĂen das GeschĂ€ft nach 22 Minuten mit KaufvertrĂ€gen fĂŒr drei Computer fĂŒr insgesamt 3.000 Dollar. Und das Ganze verlief so erfreulich, dass ich im Zweifel auch noch mehr Geld im Laden gelassen hĂ€tte.â Die Apple-Generation will Mulally auch mit seinem jĂŒngsten Angebot âFord Syncâ erreichen, das mithilfe des Softwarekonzerns Microsoft die unkomplizierte Integration und Sprachsteuerung jeglicher Form von Mobiltelefon, Notebook oder Taschencomputer in die Elektronik eines Autos erlaubt. Die Vorstellung von Ford Sync ist auch der Grund, warum sich Mulally in dieser Woche fĂŒr einen Besuch in Hannover entschieden hat, obwohl zur selben Zeit der Autosalon in Genf stattfindet. Am liebsten wĂŒrde Mulally wahrscheinlich sowieso von Bordelektronik sprechen. Aber er ist ja ein âcar guyâ, der inzwischen jeden Tag ein anderes Auto fĂ€hrt â und zum Vergleich jeden zweiten Tag eines von der Konkurrenz.