I
Theorie
Corporate Transparency: Erfolgreich Handeln im Glashaus
Volker Klenk
Die Rufe nach „mehr Transparenz“ werden immer lauter. Seit Jahren schon. Von Politikern, Mitarbeitern, Journalisten, Börsenaufsichten, Aktionären, Analysten, Gewerkschaften, Verbrauchern und natürlich von den unzähligen NGOs wie Transparency International, Greenpeace oder Foodwatch. Oft geht es dabei nur um Lippenbekenntnisse. Oft auch nur um Missverständnisse. Denn der gemeinte Gegenstand und die Relevanz von Transparenz für die beteiligten Akteure können dabei so unterschiedlich sein wie Offenbach und Peking.
Deshalb gilt es zunächst, das Thema Transparenz einzugrenzen. Es geht hier nicht um Transparenz der Kirchen, des politischen Systems oder des Kulturbetriebes, sondern um die Bedingungen und den Nutzen von Transparenz über das unternehmerische Handeln (Corporate Transparency). Welchem Zweck dient Transparenz von Unternehmen? Zu welchen Handlungs- und Themenfeldern sollen sie wie viel Transparenz wem gegenüber herstellen? Wo sind die Grenzen von Transparenz? Mit welchen Mitteln soll sie hergestellt werden? Wie stellt ein Unternehmen sicher, dass sich alle Mitarbeiter oder auch Lieferanten entlang der gesamten Supply Chain an die Transparenzregeln halten?
Schon diese wenigen pragmatischen Fragen zeigen: Transparenz als (Erfolgs-)Faktor für Unternehmen ist ein multidimensionales Thema. Doch Unternehmen kommen nicht umhin, sich damit gründlich auseinanderzusetzen. Denn sie sitzen im Glashaus, ob sie wollen oder nicht.
Die Richtungsentscheidungen zu Transparenz müssen auf der Ebene der Unternehmensleitung getroffen werden. Die planerische und operative Verantwortung fällt in der Regel in das Aufgabengebiet der Abteilung Unternehmenskommunikation (Corporate Communications). Die Kommunikationsverantwortlichen stehen dann im Rahmen ihrer Aufgabe, die Unternehmensreputation zu steuern, vor der Herausforderung, die Transparenzstrategie sinnvoll und effizient zu verzahnen mit Bereichen wie Risiko- und Issues Management, Corporate Social Responsibility (CSR), Corporate Governance und den Compliance-Prozessen. Transparenz ist damit ein bereichsübergreifendes Schnittstellenthema.
Transparenz ist Mittel zum Zweck
Die Probleme beginnen häufig schon mit der Frage, warum ein Unternehmen transparent sein möchte oder sein sollte. „Wir sind besonders transparent, weil Offenheit einer unserer sieben Werte ist“, argumentiert ein Unternehmen. Ein anderes: „Wir haben uns geöffnet, weil wir immer mehr Anfragen bekommen haben.“ Beide Beispiele sind Originalzitate, beide greifen zu kurz. Denn bei der Frage, ob ein Unternehmen zu bestimmten Themen Transparenz herstellen sollte oder ob nicht, darf nicht die Transparenz im Vordergrund stehen. Es geht im Kern dieser Fragestellungen nicht um Transparenz als Selbstzweck. Sondern darum, ob Transparenz ein probates Mittel ist, um Vertrauenskapital aufzubauen und darüber eine gewünschte Reputation für eine Marke oder ein Unternehmen zu erreichen. Die Kausalkette lautet wie folgt: Transparenz ist eine zunehmend wichtigere Dimension, um bei diversen Stakeholdergruppen Vertrauen zu schaffen. Vertrauen ist die Voraussetzung für eine kraftvolle Reputation, die wiederum einen messbaren Beitrag leisten muss zum Unternehmenserfolg. Nach der Clausewitzschen Strategiedefinition ist Transparenz das Mittel, Vertrauen der Weg, Reputation das Ziel und der unternehmerische Erfolg der Zweck.
Abbildung 1: Kausalkette für Transparenz als Erfolgsfaktor.
Das Mittel zum Zweck Transparenz und seine gestiegene Relevanz bei der Vertrauensbildung spielt in der Unternehmens- und Kommunikationsplanung vielfach eine noch unterentwickelte Rolle. Nur wenige Unternehmen steuern diese Wirkungszusammenhänge langfristig, strategisch. Häufig beugen sich Unternehmen lediglich situativ dem öffentlichen Druck eines Akteurs und stellen zu einem Aspekt ihres unternehmerischen Handelns Transparenz her. Ohne Überzeugung, ohne strategischen Rahmen. Und dabei verkennen sie auch noch die Wirksamkeit dieses reaktiven Handelns. Denn erzwungene Transparenz, oder Transparenz aus Unterwerfung, wirkt nicht vertrauensbildend, wie der Vertrauensforscher Guido Möllering vom Max-Planck-Institut analysiert.2 Insofern kann nur freiwillige Transparenz (Unforced Corporate Transparency) zielführend sein im Sinne eines aktiven Reputationsmanagements.
Definition Corporate Transparency
Auf diesen konzeptionellen Vorüberlegungen basierend wird hier Corporate Transparency wie folgt definiert: „Freiwillige unternehmerische Transparenz, die über gesetzliche Transparenz- und Publizitätspflichten hinausgeht, ist eine zeitgemäße strategische Option zur Konfliktreduktion und Steigerung des Unternehmenswertes, denn sie ist eine entscheidende Voraussetzung für die Gewinnung, Wiederherstellung oder Festigung von Vertrauen. Im Rahmen ihrer Transparenzstrategie stellen Unternehmen ihren Stakeholdern durch adäquate proaktive Kommunikation möglichst frühzeitig wahre, relevante, verständliche und umfassende Informationen zur Verfügung zu den strategischen Zielen und Kennzahlen, zu laufenden Vorgängen sowie zu Entscheidungen und Entscheidungsprozessen. Diese sollen die jeweiligen Stakeholder befähigen, im Rahmen ihrer Beziehungen zum Unternehmen, fundierte Entscheidungen zu treffen.“3
Naturgemäß hat Transparenz nicht für alle Unternehmen in allen Branchen und Märkten gleich hohe Relevanz. Daher ist freiwillige Transparenz eine strategische Option und kein Muss. Sie stellt kein Allheilmittel dar für die Lösung der internationalen Finanzkrise. Für Unternehmen geht es nicht darum, möglichst viele Informationen an möglichst viele Zielgruppen zu verbreiten. Denn zu viele Informationen können zu weniger Verständnis führen und damit zu einem Vertrauensverlust beitragen4 oder sie können zu einer Ermüdung des Interesses durch Übersättigung führen (Stakeholder Fatique Syndrome).5 Vielmehr besteht die Herausforderung gerade darin, relevante Informationen in einer zielgruppenadäquaten Art zum richtigen Zeitpunkt bereitzustellen. Auch die Forderung nach „totaler Transparenz“ von Unternehmen ist in vielerlei Hinsicht undurchdacht. Eine solche Transparenz wäre gar dysfunktional, weil sie bedeutende Interaktionen verhindern und Spielräume einengen würde. Unternehmen brauchen bei Themen wie Übernahmen und Neuausrichtung Phasen der Intransparenz, da sonst der Erfolg der unternehmerischen Entscheidungen gefährdet werden kann.6 Radikale Transparenz, wie sie 2005 beispielsweise in einer Titelgeschichte des US-Magazins Wired postuliert wurde, bei der Firmen Geheimnisse mit Konkurrenten teilen, über kommende Produkte bloggen und eigene Fehlschläge zugeben, wird nur in Ausnahmefällen eine erfolgversprechende Option darstellen. Aber zwischen „wir sagen gar nichts“ und einer „radikalen Transparenz“ liegt ein bedeutendes Aktionsfeld zur Konfliktreduktion und Wertsteigerung. Die Route und die Leitplanken müssen in jedem Unternehmen, abgeleitet von den übergeordneten Unternehmenszielen, analytisch herausgearbeitet und umgesetzt werden.
Viele Manager beklagen beispielsweise, dass die Kritik an ihrem Handeln ungerechtfertigt sei, dass diejenigen, die Kritik üben, die komplexen Zusammenhänge und Zielkonflikte gar nicht verstehen würden. Ziel der unternehmerischen Transparenz muss es in solchen Fällen sein, den kritischen Gruppen diese komplexen Zusammenhänge transparent zu machen, damit sie ein besseres Verständnis von den Themen, Herausforderungen und Issues des Unternehmens aufbauen können. Das kann im Einzelfall zu Vielstimmigkeit und mehr Pluralismus führen, birgt aber die Chance, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.
Bedeutung Unternehmensreputation
Jedes Unternehmen muss sich im Wettbewerb behaupten und nachhaltig profitabel wirtschaften. Eine gute Reputation hat dabei positive Auswirkungen auf allen zentralen Handlungsebenen und Märkten: dem Absatzmarkt, Personalmarkt, Lieferantenmarkt, Kapitalmarkt sowie Politik und Gesellschaft. Unter Reputation versteht man dabei die generelle Einschätzung eines Unternehmens durch die verschiedenen Stakeholder. Sie umfasst sowohl kognitive als auch emotionale Bestandteile. Wichtig dabei: Reputationsurteile basieren auf direkten Erfahrungen und auf verarbeiteten Kommunikationsbotschaften.7 Die positiven Effekte einer begehrenswerten Reputation sind in Theorie und Praxis vielfach beschrieben und dokumentiert worden.9 Viele Unternehmen gehen in ihren strategischen Planungen daher zu Recht davon aus, dass es eine direkte Korrelation gibt zwischen Unternehmensreputation und Rendite.
Abbildung 2: Positive Auswirkungen einer guten Reputation.8
Jedes Unternehmen muss daher seine Reputation aktiv gestalten und steuern. Denn eine gute Reputation ist im Sinne Michael Porters eine „Wechselbarriere“ für alle Stakeholdergruppen und stärkt so die strategische Position des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung von Markenimages und Unternehmensreputation als Wert in den Bilanzen. Diese immateriellen Werte müssen nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften längst bilanziert werden. Die Ertragswertmethode zur Ermittlung von Markenwerten macht die Relevanz von Reputation besonders deutlich, denn hierbei werden die künftig zu erwartenden Erträge aus der jeweiligen Marke berechnet. Die Aufgabe von Reputationsmanagement lautet daher: den immateriellen Firmenwert schaffen, messen und sichern durch planmäßige und nachhaltige Unternehmenskommuni-kation.
Hürde: Keine Reputation ohne Vertrauen
Um eine möglichst wertvolle, ziel- und zweckorientierte Reputation zu erlangen, muss eine ganz entscheidende Hürde überwunden werden: Es muss Vertrauen entstehen zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern. Ohne Vertrauen keine gewünschte positive Reputation. Vertrauen ist Voraussetzung für Transaktionen, Kommunikation, Kooperation und das Fundament für produktive Beziehungen. „Alle Transaktionen, deren einzelwirtschaftliche Ergebnisse von den Reaktionen anderer Menschen abhängen und die nicht vertraglich abgesichert werden können, benötigen Vertrauen oder vergleichbare Faktoren.“ Fehlt Vertrauen in Beziehungen, steigen die Transaktionskosten. Geht das Vertrauen in Unternehmen verloren, drohen signifikante wirtschaftliche Nachteile. Daher ist der Aufbau von Vertrauen als Investitionsprozess zu verstehen. In der Regel ist Vertrauensbildung eine bedeutende Teilaufgabe im Rahmen des Reputationsmanagements.
Große Unternehmerpersönlichkeiten haben den Wert von Vertrauen intuitiv erkannt, längst bevor seine Bedeutung wissenschaftlich nachgewiesen wurde. So hat beispielsweise Robert Bosch erklärt: „Immer habe ich nach dem Grundsatz gehandelt, lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir höher als ein vorübergehender Gewinn.“
Ebenso wie Transparenz ist Vertrauen ein komplexes, multidimensionales Konstrukt. Der Soziologe Niklas Luhmann hat es in den 1960er Jahren analytisch seziert und beschrieben. Danach ist Vertrauen ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“ und wird durch eine „riskante Vorleistung“ begründet. Dort wo die rationale Abwägung von Informationen nicht möglich ist, sei es aufgrund unüberschaubarer Komplexität, wegen Zeitmangels zur Auswertung oder weil Informationen gänzlich fehlen, befähigt Vertrauen dennoch zu einer auf Intuition gestützten Entscheidung.11 Eine Definition im konkreten Kontext von Vertrauen zwischen Unternehmen lautet wie folgt: „Vertrauen ist die Bereitschaft einer Partei, verletzlich zu sein gegenüber der anderen Partei, basierend auf der Zuversicht, dass die andere Partei kompetent und zuverlässig ist, Anstand besitzt und mit Wohlwollen handelt.“12
Die Notwendigkeit zu vertrauen, also riskante Vorleistungen zu erbringen, hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen. Alle am Wirtschaftsleben beteiligten Akteure sind heute in viel höherem Maße dazu verdammt, sich gegenseitig zu vertrauen. Noch vor 100 Jahren konnten sich die Menschen in ihrer Region persönliches Vertrauen gegenseitig entgegenbringen. Dem Bürgermeister, den Bauern in der Umgebung oder den Handwerkern am Ort konnte man vertrauen. Einem CEO eines internationalen Unternehmens muss man vertrauen. Distanz, Größe, Komplexität, Internationalität, Globalisierung führen dazu, dass Vertrauensbildung heute vielfach nur noch im Rahmen eines medial vermittelten Kommunikationsprozesses stattfindet. Direkte Kenntnis und Nachprüfbarkeit sind häufig unmöglich. Vertrauen wird so zur strukturellen Notwendigkeit. Menschen vertrauen nicht mehr in Menschen, sondern sie müssen ein Ersatzvertrauen in soziale Systeme ausbilden (Systemvertrauen).13 Für Unternehmen heißt das: Stakeholder bilden Vertrauen in das System Unternehmen und seine Regeln und Prozesse. Sie haben dabei zukunftsgerichtete Erwartungen, die stark von vergangenen Erfahrungen geprägt sind.14
Wichtig sind hier auch die Reputationsmechanismen und der direkte Zusammenhang zwischen den Kategorien Vertrauen und Reputation. „Reputation reflektiert den Informationsstand Dritter gegenüber, wie vertrauenswürdig sich ein Akteur in der Vergangenheit verhalten hat, und sagt somit auch etwas über seine Kreditwürdigkeit als ‚Debitor‘ sozialen Kapitals aus. Mit der Qualität seiner Reputation wächst die Wahrscheinlichkeit, dass andere Akteure ihm Vertrauen schenken sowie sein potenziell verfügbares Sozialkapital.“15
Das Dilemma: Vertrauensverlust in Wirtschaft und Unternehmen
Vertrauen ist somit eine entscheidende Größe in der beschriebenen Kausalkette. Langzeitstudien16 belegen jedoch seit Jahrzehnten einen schleichenden Vertrauensverlust in den westlichen Demokratien in die großen Institutionen unserer Gesellschaft: Kirche, Politik und Wirtschaft. In den 1980er Jahren wurden diese Phänomene mit Wertewandel auch der breiten Öffentlichkeit bekannt und viel diskutiert. Der allgemeine Negativtrend wurde seither nicht gestoppt. Eine Gallup-Umfrage in 65 Ländern im Jahr 2006 ergab, dass 61 Prozent der Befragten Politiker für unehrlich und 38 Prozent der Befragten Unternehmenslenker für unethisch halten.17 Unternehmen stellt dieses generell sinkende Vertrauen breiter Bevölkerungsschichten in die Wirtschaft vor immer größere Herausforderungen. Die Folge: Um das sinkende „Vor-Vertrauen“ zu überwinden, müssen immer höhere Investitionen getätigt werden.
Die Gründe für den Vertrauensverlust und auch den Zynismus, mit dem inzwischen viele Menschen vor allem großen Unternehmen und ihren Managern begegnen, sind nur teilweise von diesen selbst verursacht. Viele sind grenzübergreifende Metatrends, die die Unternehmen und Unternehmer nicht beeinflussen können, die sie aber verstehen und berücksichtigen müssen. Zu den Ursachen gehören Hang zu Größe und Gigantismus, der Trend zu Anonymisierung sowie die Tendenz zur Beschleunigung und ein allgemeiner Werteverlust. Besonders kritisch zu bewerten ist zweifellos der Vertrauensmissbrauch von Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft.18 Nicht ohne Grund schwingt für viele Bürger beim Begriff „Manager“ das Adjektiv „unmoralisch“ gleich mit. Ursachen sind Fälle wie die des Ex-Daimler-Chrysler-CEOs Jürgen Schrempp. Er steht für viele exemplarisch für eine Managerkaste, die ihre eigenen Vergütungen exorbitant steigern – trotz sinkendem Aktienkurs und Wertvernichtung. Oder Klaus Zumwinkel, der...