12. September 1995
letzte Woche habe ich mit Opa Comics angeschaut. Ein Comic besteht aus kleinen Bildchen., auf denen Figuren Sachen machen. Opa sagte., dass man damit viel lernen könne. Und zwar darüber., wie Menschen sich verhalten sollten und warum sie oft trotzdem etwas anderes tun. Ich verstehe das nicht. Es ist mir auch ganz egal, was andere tun oder was sie tun sollten. Was hat das mit mir zu tun? Und außerdem: Mein Comic zeigte zwei Mäuse, wie soll man da etwas über Menschen lernen?
Die Bilder ergaben noch nicht mal einen Sinn. Auf dem ersten waren die beiden Mäuse zu sehen, wie sie eine Nuss finden. Auf dem nächsten Bild zerrt jede Maus an einem Ende der Nuss. Und noch ein Bild weiter prügeln sich die Mäuse. Eine Maus gerät dabei nah an eine Treppe und fällt auf dem vorletzten Bild die Treppe runter. Das sieht lustig aus und ich musste lachen. Auf dem letzten Bild liegt eine Maus im Bett mit vielen Pflastern und einem Bein in Gips. Die andere Maus sitzt daneben und zwischen ihnen steht ein Teller, auf dem die Nuss in viele kleine Stücke zerteilt ist.
Absolut komisch, diese Geschichte.
„Die ist blöd“, informierte ich Opa.
„Gar nicht blöd, Coline. Hast du überhaupt verstanden, worum es geht?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich verstehe nicht, was die Nuss in der Geschichte soll.“
Opa holte tief Luft. Das macht er immer, wenn er etwas Großes sagen will.
„Also, Coline, das ist so. Die beiden Mäuse finden eine Nuss. Beide finden Nüsse ganz toll und jede Maus will die Nuss für sich haben.“
„Ich würde so eine Nuss nicht haben wollen. Ich würde lieber ganz viel Moos haben.“
„Vielleicht. Die Mäuse wollen aber beide die Nuss. Und weil sie sich nicht einigen können, wer sie bekommt., streiten sie. Der Streit wird ziemlich schlimm und eine Maus fällt dabei eine Treppe runter. Dabei tut sie sich sehr weh.“
„Wie schlimm weh?“
„So schlimm, dass sie danach ganz viele Pflaster braucht und einen Gips ums Bein bekommt. Und sie muss im Bett liegen. Guck hier auf dem letzten Bild: So schlecht geht es der einen Maus nach der Prügelei.“
„Musste sie auch zum Arzt gehen?“
„Mit Sicherheit.“
„Warum sieht man das nicht auf einem der Bilder?“
„Weil das für die Geschichte unwichtig ist.“
„Warum unwichtig?“
„Weil man sie auch so versteht.“
„Ich nicht.“
Opa seufzte.
„Es geht in der Geschichte darum, dass man sich nicht streiten und schon gar nicht prügeln darf, wenn man sich uneinig ist. Man sollte immer versuchen, miteinander zu reden. Und friedlich eine Lösung zu finden.“
„Warum? Für die Maus im Bett hat sich das doch gelohnt. Sie liegt im Bett, braucht nicht in den Kindergarten zu gehen und die Nuss bekommt sie auch noch.“
Opa wollte noch was sagen, doch ich hatte keine Zeit mehr für ihn. Mir war gerade eingefallen, dass Gerda die Treppe runtergefallen war, vor kurzem erst, als ich sie Mama zum Abstauben bringen sollte. Eigentlich ist Gerda ja nur langweilig und noch langweiliger ist, dass sie so viele Kleider hat, deren Röcke aus ganz vielen Schichten bestehen. Trotzdem. Gerda musste viel Aua haben und ich musste ihr helfen. Komisch, dass Mama nicht längst mit ihr zum Arzt gegangen war.
Wahrscheinlich hatte sie dafür keine Zeit gehabt. Mama hatte ja auch ein ganzes Regal voll mit solchen Puppen. Gerda mochte sie aber am liebsten. Weil sie die älteste war. Als ich mir das jetzt so überlegte., war ich mir sicher., dass sich bei Gerda schon viel Aua angesammelt habe musste, weil sie bestimmt schon oft runtergefallen war.
Gerda musste also dringend ins Bett und brauchte viele Pflaster und einen Gips. Ich holte alle Pflastervorräte, die wir hatten., aus dem Badezimmer und klebte die ganze Puppe voller Pflaster. Auch auf den Kopf und über die Haare klebte ich welche. Danach brauchte ich nur noch einen Gips. Da ich keinen finden konnte, nahm ich einfach etwas von meiner weißen Knete und umwickelte damit Gerdas linkes Bein. Bei der Maus war es nämlich auch das linke gewesen, das kaputt gegangen war. Aber ist das immer so, wenn man eine Treppe runterfällt? Vorsichtshalber machte ich auch noch einen Gips aus Knete um das rechte Bein. Dann steckte ich Gerda in Mamas Bett und deckte sie zu.
Als Mama am Abend nach Hause kam und in ihr Schlafzimmer ging, schrie sie ganz laut.
„Wer war das?“
Sie kam in die Küche gestürmt und hatte Gerda im Arm.
„Coline!“, schrie sie.
Mamas Gesicht war ganz feucht. Warum weinte sie, wenn sie sich doch eigentlich freuen sollte, dass ich Gerda so gut versorgt hatte?
„Ich habe mich gut um Gerda gekümmert, oder? Sie hatte doch so viel Aua.“
„Wovon sprichst du, Coline? Sieh dir an, was du gemacht hast. Die Pflaster kriege ich nie mehr ab von ihren Haaren. Und die Knete hat den Seidenrock von Gerda ruiniert.“
„Dafür hat Gerda kein Aua mehr. Das ist doch viel wichtiger als so ein doofer Rock.“
„Wovon redest du? Aua? Wer hat Aua?“
„Na, Gerda! Weil sie doch die Treppe runtergefallen ist.“
„Ja, aber das tut ihr doch nicht weh.“
„Natürlich tut ihr das weh. Genauso wie der armen Maus im Comic.“
Ich erzählte Mama., wovon der Comic gehandelt hatte und dass die eine Maus am Ende im Bett liegen musste.
„Mit ganz vielen Pflastern und einem Gips am linken Bein. Weil sie so viel Aua hatte.“
„Aber Coline, Gerda ist doch nur eine Puppe. Sie hat nie Schmerzen. Sie lebt ja nicht.“
„Die Mäuse leben doch auch nicht. Die sind doch nur aufgemalt. Und die eine Maus hat trotzdem Schmerzen. Sagt Opa.“
„Das ist doch Quatsch!“
„Hat Opa mich etwa angelogen? Hat die aufgemalte Maus gar keine Schmerzen?“
„Nein. Opa hat nicht gelogen. Weil die Mäuse nicht Mäuse sind, sondern für Menschen stehen sollen. Ach., Coline., du machst mich wahnsinnig.“
„Häh?“
Mama fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und sagte:
„Also erst mal: Puppen und Stofftiere und andere Figuren leben nicht. Nur wer lebt., kann Schmerzen haben. Also du und ich und Opa. Die Kinder in deinem Kindergarten., die Nachbarn in der Straße und so weiter. Tiere können übrigens auch Schmerzen haben. Deshalb darf man ihnen nicht wehtun. Nur Puppen nicht. Die haben keine Schmerzen. Nie.“
„Und woher willst du das wissen? Woher weißt du., dass Gerda keine Schmerzen hat und nicht lebt?“
„Na., das weiß man doch.“
„Warum weiß man das?“
„Na, weil Menschen die Puppen und Stofftiere gemacht haben.“
„Und Babys? Die Tina aus dem Kindergarten hat gesagt., dass Babys von ihren Eltern gemacht werden. Stimmt das denn nicht?“
„Ja, doch schon.“
„Und wo ist dann der Unterschied?“
Mama schüttelte den Kopf. Sie wusste es also auch nicht.
„Sei also froh, dass ich Gerda ins Bett gebracht und ihr Pflaster aufgeklebt habe. Sie hat bestimmt Schmerzen gehabt.“
Liebes Tagebuch, Mama sagte dann nichts mehr. Wahrscheinlich hat sie sich dann doch noch gefreut, dass ich so mitdenkend war und mich um Gerda gekümmert habe. Und die angeklebten Haare kann man ja einfach abschneiden. Die wachsen eh wieder nach. Und dann ist Gerda wieder richtig gesund und ihr tut nichts mehr weh. Liebes Tagebuch., ich finde., das habe ich gut gemacht.
Die meisten Menschen sagen „Gips“ zu der chemischen Verbindung mit dem Namen Kalziumsulfat (= Mineral), das meistens weiß ist. Dieser Stoff kann zum Bauen von Häusern verwendet oder für die Medizin genutzt werden.
In der Medizin nutzt man Gips, um Verbände anzulegen. Gipsverbände werden vor allem angelegt, wenn ein beweglicher Körperteil gebrochen oder verletzt ist. Ein beweglicher Körperteil ist zum Beispiel ein Arm, ein Bein, ein Finger oder ein Zeh. Wenn der Knochen darin gebrochen ist, darf man ihn auf keinen Fall bewegen, damit er gut verheilen kann. Um ihn ruhigzustellen, so dass er sich also nicht mehr bewegen kann, wird ein Gipsverband angelegt.
Ein Gipsverband ist erst eine feuchte, weiße Masse, die um den verletzten Körperteil gelegt wird. Schnell trocknet die Masse und wird zu hartem Gips. Wenn du dir also zum Beispiel den Arm brichst, dann hast du einen Gipsverband am ganzen Arm und kannst den Arm nicht mehr bewegen. Jetzt kann der Bruch gut heilen. Sobald dein Arm wieder gesund ist, kommt der Gipsverband ab.
Ein Arm oder ein Bein kann brechen, wenn ein Mensch (oder ein Tier) zum Beispiel eine Treppe herunterfällt. Immer, wenn ein Mensch von etwas herunterfällt und hart auf den Boden aufschlägt, kann er sich einen Knochen brechen. Menschliche Knochen sind zwar sehr hart, aber können auch kaputt gehen. Bei alten Menschen passiert das besonders schnell, da ihre Knochen schon etwas zerbrechlicher geworden sind.
Zeichentrickfiguren sehen oft aus wie Menschen, Tiere oder Pflanzen. Man kann sie im Fernsehen oder im Kino sehen. Im Fernsehen oder Kino können sogar Tiere sprechen und Bäume Autos zerschlagen (weil sie Äste wie Arme benutzen). Alles ist im Fernsehen oder im Kino möglich. Aber obwohl dort alles möglich ist, ist es noch lange nicht Wirklichkeit.
Zeichentrickfiguren werden von Menschen gemalt, entweder auf Papier oder heutzutage meistens am Computer. Damit sich eine Zeichentrickfigur bewegen kann, müssen viele kleine Bilder von dieser Figur in verschiedenen Bewegungszuständen gemalt werden. Erst, wenn diese vielen kleinen Bilder ganz schnell hintereinander gezeigt werden, hat der Mensch das Gefühl, eine Bewegung dieser Figur zu sehen.
Aber obwohl sich im Fernsehen oder im Kino gezeichnete Menschen, Tiere oder Pflanzen bewegen, sprechen, Schmerzen haben oder sich freuen, sind sie nicht lebendig. Sie sehen zwar lebendig aus, sind es aber nicht wirklich, da sie nur aus einzelnen, nicht lebendigen Zeichnungen bestehen.
Es gibt auch gezeichnete Figuren, die man in Zeitungen, Heften oder Büchern sehen kann. Diese Figuren erleben auch ein Abenteuer und denken und handeln meistens wie Menschen. Diese Geschichten mit gezeichneten Figuren nennt man „Comics“ (die Figuren darin auch „Comicfiguren“). Manchmal handeln sie wie Menschen. Man kann daran lernen, wie man sich verhalten soll und wie besser nicht. Obwohl diese Figuren scheinbar handeln, denken und fühlen, sind sie auch nicht echt. Sie sind nur gezeichnet und deren Gedanken und Gefühle von Menschen ausgedacht. Sie leben also auch nicht.
Nein, auch Stofftiere und Puppen sind nicht lebendig. Stofftiere können zwar manchmal aussehen wie echte Tiere, aber sie bestehen aus „toter Masse“, also aus Wolle, Stoff und anderen Materialien. Bei Puppen ist es auch so. Sie sehen manchmal aus wie echte kleine Babys, sind es aber nicht, darum leben sie auch nicht. Selbst, wenn Stofftiere oder Puppen sogar Geräusche von sich geben können, leben sie nicht. So manche Babypuppe kann „Mama“ und „Papa“ sagen, aber das ist nur eine eingebaute künstliche oder aufgenommene Stimme, also Technik.
Viele Kinder tun allerdings so, als seien ihre Puppen oder Stofftiere lebendig. Sie sprechen mit ihnen, lassen sie sprechen, legen sie zum Beispiel ins Bett und geben ihnen Namen. Manchmal haben sie sogar wirklich das Gefühl, als würden ihre Puppen oder Stofftiere leben. Das passiert, weil die Kinder so tun, als wären die Puppen oder Stofftiere lebendig. Sie sind es aber nicht „in echt“, sondern nur in der Phantasie, also in der Vorstellung der Kinder.
Bist du schon einmal hingefallen und hast dir vielleicht ein Knie aufgeschlagen? Hattest du schon mal Zahns...