Industrie 4.0
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Industrie 4.0

Grundlagen - Teilbereiche - Perspektiven

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Industrie 4.0

Grundlagen - Teilbereiche - Perspektiven

About this book

Industrie 4.0, d. h. die Anwendung von Digitalisierungstechnologien in der Fertigungsindustrie, ist ein Thema, das seit der Begriffsprägung auf der Hannover Messe Industrie im Jahr 2011 sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch in Politik und Praxis zunehmende Aufmerksamkeit erfahren hat. Mit dem Begriff wird eine Hightech-Strategie bezeichnet, die zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit am Produktionsstandort Deutschland beitragen soll. Bei Industrie 4.0 erfolgt eine durchgängige Digitalisierung der an der Leistungserstellung beteiligten Objekte (Maschinen, Werkzeuge usw.) und sämtlicher Prozessschritte. Das Einführungswerk der Reihe Moderne Produktion stellt die zugehörigen Grundlagen, die Arbeitsweise, die vielfältigen Auswirkungen und die Entwicklungsperspektiven des Konzepts Industrie 4.0 übersichtlich und gut strukturiert zusammen - es ist damit als Lehrbuch und für das Selbststudium bestens geeignet.

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Information

Year
2018
Print ISBN
9783170325913
eBook ISBN
9783170325937

1. Das Phänomen Industrie 4.0

Was haben selbstfahrende Autos, das Mautsystem Toll Collect, der Dash Button von Amazon, die Verfolgung des Zustellprozesses einer Bestellung über das Internet und der Einkauf im Real Future Store der Metro Group gemeinsam? Es handelt sich um mehr oder weniger bekannte und fortgeschrittene Anwendungen von Digitalisierungstechnologien, die auch den Kern von Industrie 4.0 bilden. Dabei werden verschiedenartige Objekte über intelligente, echtzeitfähige und über das Internet verknüpfte Anwendungen so miteinander verbunden, dass für alle Beteiligten ein Mehrwert entsteht.
Im Zusammenhang mit der Zukunft der deutschen Industrie und der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland fällt vielfach der Begriff Industrie 4.0. In diesem einleitenden Kapitel wird gezeigt, wie dieser Begriff entstanden ist und auf welchen Grundlagen er aufbaut. Dazu erfolgt eine erste inhaltliche Konkretisierung des Konzepts Industrie 4.0. Anschließend wird aufgezeigt, über welche Schritte die Entwicklung des Wertschöpfungskonzepts Industrie 4.0 stattgefunden hat und von welchen Einflussfaktoren bzw. Treibern sie abhängt. Daraus ergeben sich die Perspektiven und Fragestellungen, die in den nachfolgenden Kapiteln untersucht werden. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Zusammenstellung der wesentlichen Anforderungen, mit denen sich ein Unternehmen bei der aktiven Beteiligung an Industrie 4.0 konfrontiert sieht.

1.1 Was heißt Industrie 4.0?

Seit der Begriff Industrie 4.0 im Jahr 2011 im Rahmen der Hannover Messe Industrie in die Öffentlichkeit eingeführt wurde (vgl. Kagermann et al. 2011), hat er eine beeindruckende Popularität gewonnen. Es gibt derzeit kaum ein Magazin oder eine Nachrichtensendung zu wirtschaftspolitischen Themen, in denen Industrie 4.0 nicht in irgendeiner Weise thematisiert wird. Obwohl die damit adressierten Sachverhalte im Englischen üblicherweise mit »Industrial Internet of Things« bezeichnet werden, findet der eingängige Begriff Industry 4.0 (oder sogar Industrie 4.0) auch in englischsprachigen Publikationen Verwendung (vgl. z. B. Shafiq et al. 2015, Zezulka et al. 2016, Wang et al. 2017).
Unter Industrie 4.0 versteht man in erster Näherung ein neuartiges Konzept für die industrielle Produktion, bei dem verstärkt Digitalisierungstechniken zum Einsatz kommen. Die bereits implementierten Beispiele sind dadurch gekennzeichnet, dass die reale und die virtuelle Welt über Datennetze und IT-Anwendungen eng miteinander verknüpft werden. Physische Produktionsanlagen und die darauf hergestellten Produkte verbinden sich dynamisch, flexibel und weitgehend in Selbstorganisation mithilfe von fortgeschrittenen Informations- und Kommunikationstechnologien mit datenbasierten virtuellen Objekten oder Räumen und den zugehörigen Anwendungen.
Der Name Industrie 4.0 ist in Anlehnung an Versionsbezeichnungen bei der Software-Entwicklung entstanden, wo eine neue Versionsnummer auf eine stark veränderte Version hinweist. Die Bezeichnung deutet darauf hin, dass es sich um einen disruptiven Transformationsprozess in der Wirtschaft handelt, der aufgrund seiner weitreichenden Auswirkungen auch als die vierte industrielle Revolution bezeichnet wird (
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Kap. 1.3.1). Eine eingehende Begriffs- und Literaturanalyse findet sich z. B. bei Herrmann et al. (2015). Dort wird auch die folgende, vor allem auf die Digitalisierung als Kernelement abstellende Definition von Industrie 4.0 gegeben:
»Industrie 4.0 ist eine Sammelbezeichnung für Konzepte und Technologien zur Organisation von (unternehmensübergreifenden) Wertschöpfungsaktivitäten. In modular aufgebauten smarten Fabriken werden cyberphysische Systeme eingesetzt, um eine virtuelle Abbildung der realen Welt zu erstellen und dezentrale Entscheidungen zu treffen. Diese kommunizieren und kooperieren untereinander sowie mit menschlichen Akteuren in Echtzeit über das Internet der Dinge. Über das Internet der Dienste werden sowohl interne als auch organisationsübergreifende Dienstleistungen von den an der Wertschöpfungskette Beteiligten angeboten und in Anspruch genommen.«
(Hermann et al. 2015, S. 11)
Die Definition der 2013 gegründeten nationalen Plattform Industrie 4.0 orientiert sich hingegen stärker am Systemcharakter und an den für die Umsetzung von Industrie 4.0 erforderlichen Abläufen:
»Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen.
Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbstorganisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie beispielsweise Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.«
(zitiert nach PricewaterhouseCoopers 2014, S. 16)
Bei Industrie 4.0 handelt es sich somit um einen fundamentalen Paradigmenwechsel für die Durchführung von Wertschöpfungsprozessen, der mit veränderten Prozessabläufen in Produktion und Logistik, einer stärkeren Integration des Endkunden sowie mit neuen Geschäftsmodellen verbunden ist.
Bei den bereits umgesetzten Anwendungen von Industrie 4.0 tritt der Endkunde häufig als Koproduzent auf, indem er bestimmte Teile des Wertschöpfungsprozesses übernimmt. Weiter kann er seine spezifischen Anforderungen an das Produkt in den Leistungserstellungsprozess einbringen, so dass der Individualisierungsgrad der Produkte steigt. Dadurch erhöhen sich sowohl der Kundennutzen als auch die Preisbereitschaft. Ein Beispiel für eine solche starke Produktindividualisierung auf der Endkundenebene ist der Müslihersteller mymuesli.com, bei dem sich der Kunde online aus über 566 Billionen Variationsmöglichkeiten sein persönliches Bio-Müsli zusammenstellen und sogar die Dose mit einem selbst gewählten Namen für seine Kreation beschriften lassen kann.
Im Industriekundenbereich sind die Produkte und damit auch die Wertschöpfungsprozesse deutlich komplexer. Bei Industrie 4.0-Produktionsprozessen steuern sich die Produktionsaufträge über datentechnische Anwendungen entsprechend ihren individuellen Anforderungen selbsttätig durch die Fertigung und kommunizieren über Datennetze direkt mit den von ihnen benötigten Anlagen, Werkzeugen und Transportmitteln. Dadurch wird die Produktionsplanung stärker dezentralisiert und kann schneller auf wechselnde Anforderungen und Umwelteinflüsse reagieren (
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Kap. 4.3.2).
Aufgrund der für die Umsetzung einer solchen selbststeuernden Fertigung erforderlichen Kompetenzen ist das Thema Industrie 4.0 auf der Schnittstelle von Betriebswirtschaftslehre, Ingenieurwissenschaften und Informatik angesiedelt. Eine der Vorreiterindustrien bei der Einführung von Industrie 4.0 ist – wie auch bei früheren Neuerungen in der Produktionsplanung und -steuerung – die Automobilindustrie, die daher mehrfach als Beispiel herangezogen wird.

1.2 Komponenten von Industrie 4.0

Ausgehend von den beiden in Abschnitt 1.1 zitierten Definitionen von Industrie 4.0 lassen sich die in Abbildung 1.1 dargestellten charakteristischen Komponenten dieses neuartigen Wertschöpfungskonzepts identifizieren. Da die zugehörigen Konzepte und ihre Einsatzmöglichkeiten im Rahmen von Industrie 4.0 in den nachfolgenden Kapiteln detailliert dargestellt werden, erfolgt an dieser Stelle zunächst eine kurze Beschreibung, um einen ersten Überblick über die vielfältigen Bestandteile von Industrie 4.0 und ihr Zusammenspiel zu geben.
• Ein wesentliches Element von Industrie 4.0 ist die Weiterentwicklung des Internets der Daten zum Internet der Dinge bzw. Internet der Dinge und Dienste, das in Abschnitt 3.2.2 ausführlich behandelt wird. Es entsteht dadurch, dass physische Objekte aus der realen Welt über Datennetze Informationen über ihren aktuellen Zustand austauschen und damit gleichzeitig einen Ansatzpunkt für digitale Services
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Abb. 1.1: Komponenten von Industrie 4.0
bieten. Ein Beispiel ist die automatische Nachbestellung von Druckerpatronen, wenn ein im Gerät eingebauter Chip erkennt, dass der Füllstand sich dem Ende nähert. In der Vision von Industrie 4.0 sind die Wertschöpfungspartner, ihre Fertigungseinrichtungen und auch die in Bearbeitung befindlichen Produkte auf vielfältige Weise vernetzt und kommunizieren miteinander in Echtzeit über das Internet der Dinge und Dienste.
• Die im Zusammenhang mit Industrie 4.0 anfallenden Datenmengen werden als Big Data bezeichnet (
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Kap. 3.2.1). Das Adjektiv »groß« bezieht sich nicht nur auf den Umfang der Daten, sondern auch auf andere Eigenschaften wie die Geschwindigkeit der Datengenerierung und des Datentransfers sowie die Bandbreite der Datentypen und Datenquellen. Die für die Fertigung in Industrie 4.0-Prozessen benötigten bzw. dabei anfallenden Daten werden zum großen Teil über Sensoren in den beteiligten Anwendungen erhoben und lokal oder in einer Datencloud gespeichert. Sie können von den Wertschöpfungspartnern bei Bedarf abgerufen und für den nächsten Schritt im Fertigungsprozess genutzt werden. Das ermöglicht nicht nur eine bedarfsgerechte Einlastung von Aufträgen und die echtzeitnahe Steuerung von Fertigungsanlagen, sondern bietet auch die Möglichkeit zur Simulation von alternativen Auftragskonfigurationen und Prozessvarianten. Von großer Bedeutung im Zusammenhang mit Big Data sind die Erfordernisse des Datenschutzes und der Datensicherheit, denn die neuen Möglichkeiten des Datenaustauschs bei Industrie 4.0 eröffnen auch zuvor nicht bekannte Angriffsmöglichkeiten (
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Kap. 3.4).
• Ein Kernelement von Industrie 4.0 ist der zunehmende Einsatz cyberphysischer Systeme in vielen Bereichen der Wertschöpfung. Unter einem cyberphysischen System versteht man ein um Sensoren, eingebettete Systeme und Aktoren erweitertes physisches System, das teilautonom agieren kann, z. B. Fertigungsroboter, fahrerlose Transportsysteme, die den besten Weg für einen Transportauftrag finden, oder auch ein Kleinteilebehälter, der seinen Füllstand selbstständig ermittelt und bei Bedarf eine Nachbestellung auslöst. Cyberphysische Systeme sind über digitale Netze sowohl unternehmensintern als auch über die Unternehmensgrenzen hinaus mit anderen Akteuren im Wertschöpfungsprozess verbunden und können z. B. über das Internet der Dinge und Dienste miteinander kommunizieren. Abschnitt 3.2.3 setzt sich eingehend mit cyberphysischen Systemen auseinander.
• Durch den flächendeckenden Einsatz von cyberphysischen Systemen wird ein Industriebetrieb zur Smart Factory. Die Wertschöpfung wird bei Industrie 4.0 dezentral organisiert und findet räumlich verteilt auf smarten Produktionsanlagen statt, indem die Fertigungsaufträge mit den Maschinen kommunizieren, weitgehend autonom Material, Werkzeuge und Kapazitäten für die als nächstes anstehenden Fertigungsschritte reservieren und so ihren Weg durch die Fertigung selbst steuern. Die Zusammenarbeit von intelligenten Maschinen und...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Einleitung
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. 1. Das Phänomen Industrie 4.0
  7. 2. Potentiale von Industrie 4.0 in einer globalisierten Welt
  8. 3. Digitalisierung in Industrie 4.0
  9. 4. Produktions- und Logistikprozesse in Industrie 4.0
  10. 5. Industrie 4.0-Netzwerke
  11. 6. Kundenbeziehungen in Industrie 4.0
  12. 7. Nachhaltigkeitseffekte von Industrie 4.0
  13. 8. Zukunftsperspektiven von Industrie 4.0
  14. Literatur