Geschichte der USA
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Geschichte der USA

About this book

The United States of America are the only remaining superpower in an increasingly confusing world at the start of the twenty-first century. This volume discusses the stages of the country's rise to the status of world power and analyses the USA's fascinating and complex history on the basis of several fundamental subjects. The survey starts with the experiment of establishing a democracy, which was initiated through revolution and is unfinished even today. The USA's development to become a superpower enjoying world hegemony was equally uneven - a rise that has also acquired missionary aspects under the banner of the 'empire of liberty'. Another focus in the account is the way in which new, decidedly American values and a modern, consumption-oriented, technology-saturated lifestyle - the 'American way of life' - emerged from contact in North America between the widest possible variety of cultures and ethnic groups. This lifestyle by no means levelled out the existing ethnic and cultural pluralism of American society. With topics revolving around politics, society, business and culture, the book reveals the lines of historical development in the USA that have been and continue to be signposts for the modern world.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2016
Print ISBN
9783170187979
eBook ISBN
9783170267459
Edition
1
Topic
History
Index
History

VI Die USA im »kurzen 20. Jahrhundert« (1914–1990)

Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 hat die historischen Perspektiven auf das 20. Jahrhundert schlagartig verÀndert. Auf einmal erschien die Periode vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Kalten Krieges als eine Geschehenseinheit, die im Kern durch den Konflikt zwischen Demokratie und totalitÀren Anti-Demokratien definiert war. Dieser Konflikt entfaltete sich zwischen 1917 und 1945 im spannungsgeladenen Dreieck von Kommunismus, Faschismus und Demokratie und reduzierte sich nach 1945 auf den weltumspannenden Gegensatz zwischen Kommunismus und Demokratie. Folgt man dieser Periodisierung, so war das 20. Jahrhundert ein kurzes; es begann mit dem Ersten Weltkrieg, der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« (George F. Kennan), und endete 1989/91 mit der Desintegration des sowjetischen Herrschaftsbereichs in Europa.

1 Die USA im Ersten Weltkrieg

Politische NeutralitÀt und wirtschaftliche Verflechtung

Der Erste Weltkrieg begann als europĂ€ischer Krieg, doch wirkten die SchĂŒsse von Sarajewo vom 28. Juni 1914 unmittelbar auf die USA zurĂŒck, auch wenn sie erst am 6. April 1917 in den Krieg eintraten. Dies vor allem, weil der Erste Weltkrieg der erste Krieg der industriellen Moderne war, der deshalb nicht mehr nur allein auf den Schlachtfeldern, sondern auch durch die LeistungsfĂ€higkeit der Industriewirtschaften entschieden wurde. Das zynische Rational dieser Kriege bestand darin, Menschen und Material des Gegners schneller zu vernichten, als dieser sie ersetzen konnte. Deshalb waren die Kriegsparteien einerseits gezwungen, die eigene Wirtschaft möglichst effizient fĂŒr die Kriegsproduktion zu mobilisieren, und mussten andererseits versuchen, die wirtschaftlichen Grundlagen der KriegsfĂ€higkeit des Gegners zu zerstören. Durch diese wirtschaftliche Dynamik wurden die USA trotz formaler NeutralitĂ€t bis 1917 zur Kriegspartei, die mit ihrem Kapital sowie ihren Lieferungen von Waffen, militĂ€rischem GerĂ€t und Lebensmitteln die Anstrengung der Entente gegen die MittelmĂ€chte Deutschland und Österreich-Ungarn unterstĂŒtzte.
Als der Krieg in Europa ausbrach, erklĂ€rte PrĂ€sident Wilson die USA fĂŒr neutral. FĂŒr diese Politik gab es gleich mehrere GrĂŒnde. Im Sommer 1914 war der Erste Weltkrieg noch ein rein europĂ€ischer Krieg, von dem die meisten dachten, dass er schnell vorbei sein wĂŒrde. GegenĂŒber europĂ€ischen Konflikten hatten die USA seit ihren AnfĂ€ngen eine Politik der Nicht-Einmischung verfolgt, so dass Wilson hier im Einklang mit außenpolitischen Traditionen handelte. Gleichzeitig befĂŒrchtete die US-Regierung, dass ein Engagement in Europa die eigene multiethnische Gesellschaft vor eine Zerreißprobe stellen wĂŒrde. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, lebten Einwanderer aus allen LĂ€ndern, die nun in Europa miteinander Krieg fĂŒhrten, in den USA; eine amerikanische Parteinahme musste die Gesellschaft deshalb zwangslĂ€ufig spalten. Doch auch in anderer Hinsicht kam der Krieg ungelegen: Wilson und viele der Progressives fĂŒrchteten, dass eine amerikanische Kriegsbeteiligung wichtige Ressourcen und Energien von den inneren Reformprojekten abziehen wĂŒrde. Insofern erschien die NeutralitĂ€tspolitik auch aus innenpolitischer Sicht als Gebot der Stunde.
Dennoch wurden die USA bis 1917 immer tiefer in den europĂ€ischen Krieg hineingezogen, zunĂ€chst ökonomisch, dann auch politisch, weil die USA rasch zum Arsenal der europĂ€ischen Kriegsparteien wurden. Die amerikanische Industrie belieferte die EuropĂ€er mit Waffen, Munition, Uniformen und anderem militĂ€rischen GerĂ€t, die amerikanische Landwirtschaft versorgte sie mit Getreide, Fleisch und anderen Lebensmitteln, und US-Banken finanzierten den Krieg der europĂ€ischen GroßmĂ€chte zu einem Gutteil. Infolge dieser Entwicklung wurden die USA vom Schuldner- zum GlĂ€ubigerland Europas, Wall Street in New York City löste London als Finanzzentrum der Welt ab.
Allerdings kam die amerikanische Finanz- und Wirtschaftskraft nicht allen Kriegsparteien gleichermaßen zu Gute. WĂ€hrend sich die Handelsbeziehungen der USA zu Großbritannien und Frankreich zwischen 1914 und 1917 verdichteten, verfiel der Handel mit dem Deutschen Reich. Eine Zahl mag genĂŒgen, um die groteske Unausgewogenheit der amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen zu Europa zu illustrieren: Bis zum Jahr 1917 hatten amerikanische Banken den MĂ€chten der Entente Kredite in Höhe von rund 2,3 Milliarden Dollar gewĂ€hrt, wĂ€hrend gerade einmal 27 Millionen Dollar an das Deutsche Reich geflossen waren. Wirtschaftlich gesehen waren die USA bis Anfang 1917 also lĂ€ngst zur Kriegspartei auf Seiten der Entente geworden.
Gleichwohl fĂŒhrte die ökonomische Verflechtung nicht automatisch zum Kriegseintritt der USA. Dieser wurde vielmehr durch den uneingeschrĂ€nkten U-Bootkrieg des Deutschen Reiches provoziert, der wiederum eine Reaktion auf die Seeblockade der Entente war. Um die MittelmĂ€chte von der Zufuhr kriegswichtiger Rohstoffe und Lebensmittel abzuschneiden, hatte Großbritannien im Herbst 1914 begonnen, Deutschland von der See her zu blockieren. Daraufhin erklĂ€rte die militĂ€rische FĂŒhrung des Deutschen Reiches das Seegebiet um die Britischen Inseln und Irland am 4. Februar 1915 zum Kriegsgebiet und kĂŒndigte an, dass deutsche U-Boote jedes dort verkehrende gegnerische Handelsschiff ohne vorherige Warnung und Durchsuchung sowie ohne RĂŒcksicht auf das Leben der Passagiere versenken wĂŒrden. Gleichzeitig wollte das Deutsche Reich fĂŒr die Sicherheit der Schiffe neutraler MĂ€chte in der Sperrzone nicht garantieren.
Am 7. Mai 1915 versenkte ein deutsches U-Boot das britische Schiff Lusitania, das neben fast 2000 Passagieren auch einige hundert Kisten Munition an Bord hatte. 1198 Menschen starben bei dem Angriff, unter ihnen 128 Amerikaner. In drei scharfen diplomatischen Protestnoten verlangte Wilson daraufhin vom Deutschen Reich nicht nur materielle EntschĂ€digung, sondern auch den sofortigen Stopp der U-Bootangriffe auf Handels- und Passagierschiffe. Das Deutsche Reich spielte zunĂ€chst auf Zeit, doch als in den folgenden Wochen weitere Amerikaner bei deutschen U-Bootangriffen getötet wurden und die USA offen mit Krieg drohten, erklĂ€rte das Deutsche Reich, neutrale Schiffe und feindliche Passagierdampfer fortan schonen zu wollen. Im Sommer 1915 war damit klar, dass jede RĂŒckkehr zum uneingeschrĂ€nkten U-Bootkrieg den Kriegseintritt der USA auf Seiten der Entente zur Folge haben könnte. Das Deutsche Reich akzeptierte dies billigend, als es den uneingeschrĂ€nkten U-Bootkrieg zum 1. Februar 1917 wieder aufnahm. Allerdings war die militĂ€rische FĂŒhrung des Reiches unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff davon ĂŒberzeugt, dass der Krieg zu Gunsten Deutschlands entschieden sein wĂŒrde, bevor der Kriegseintritt der USA sich auswirken wĂŒrde.
Überraschenderweise fĂŒhrte die Wiederaufnahme des uneingeschrĂ€nkten U-Bootkrieges nicht zum sofortigen Kriegseintritt der USA. Sie brachen zwar am 3. Februar 1917 alle diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab, doch zögerten sie zunĂ€chst noch, Deutschland den Krieg zu erklĂ€ren. Dann allerdings wurde Ende Februar 1917 das »Zimmermann-Telegramm« bekannt. Bei ihm handelte es sich um eine Depesche des deutschen Außenministers Arthur Zimmermann an den deutschen Botschafter in Mexiko, mit der dieser dazu ermĂ€chtigt wurde, der mexikanischen Regierung folgenden Plan zu unterbreiten: Mexiko sollte an der Seite Deutschlands in den Krieg eintreten und mit deutscher Hilfe in die USA einmarschieren. Im Falle eines deutschen Sieges wĂŒrde Mexiko das gesamte Territorium zurĂŒck erhalten, das es im Jahr 1848 mit dem Frieden von Guadalupe Hidalgo an die USA abgetreten hatte, also den gesamten SĂŒdwesten der USA. Die britische Regierung hatte dieses sensationelle Telegramm abgefangen, entschlĂŒsselt und es am 24. Februar 1917 veröffentlicht. Am 1. MĂ€rz 1917 stand es in allen fĂŒhrenden Zeitungen der USA. Am 9. MĂ€rz ordnete Wilson die Bewaffnung der amerikanischen Handelsschiffe an, am 18. MĂ€rz erreichte Washington die Nachricht von weiteren amerikanischen Verlusten durch deutsche U-Bootangriffe, am 20. MĂ€rz stimmte das Kabinett einstimmig fĂŒr einen Krieg gegen Deutschland, und am 2. April 1917 trat Wilson vor beide HĂ€user des Kongresses, um die Parlamentsabgeordneten aufzufordern, Deutschland den Krieg zu erklĂ€ren.
Die Kriegsbotschaft Wilsons ist der programmatische Grundtext des demokratischen Internationalismus, jenes komplexen Ensembles von Wertideen, PrĂ€missen und Zielstellungen also, das die amerikanische Außenpolitik im 20. Jahrhundert entscheidend bestimmt hat. In seiner Rede ĂŒberhöhte Wilson den Krieg zu einem Kampf zwischen dem Prinzip der Freiheit und dem der Autokratie in preußischem Gewand. Der deutsche U-Bootkrieg sei ein Krieg gegen die gesamte Menschheit, meinte Wilson und definierte die Rolle der USA als Anwalt der Menschheit und Schutzmacht des Völkerrechts. Das Motiv der USA fĂŒr den Kriegseintritt sei nicht Rache oder die Behauptung nationaler StĂ€rke, sondern nur die Durchsetzung des internationalen Rechts. Die USA zögen in den Krieg, um die Welt fĂŒr die Demokratie sicher zu machen (»The world must be made safe for democracy«). Damit deutete Wilson den Ersten Weltkrieg im Durchgriff auf eine nach ihm zu verwirklichende neue Weltordnung. Diese sollte sich seiner Meinung nach aus unabhĂ€ngigen, demokratisch verfassten und selbstbestimmten Nationalstaaten zusammensetzen. Eine solche, aus Demokratien gebildete internationale Ordnung entsprach fĂŒr Wilson nicht nur dem Freiheitsverlangen der Völker; sie garantierte zugleich auch die Sicherheit und den Wohlstand der USA selbst.
Zwei Tage nach Wilsons Rede stimmte der Senat mit 82 zu 6 Stimmen fĂŒr eine KriegserklĂ€rung an Deutschland, am 6. April schloss sich das ReprĂ€sentantenhaus mit 373 zu 50 Stimmen diesem Votum an. Erstmals in ihrer Geschichte traten die USA in einen europĂ€ischen Krieg ein.

Over There – Die amerikanischen Truppen in Europa

Als sie Deutschland den Krieg erklĂ€rten, hatten die USA eigentlich keine Armee. Ihre American Expeditionary Force (AEF) bestand aus rund 200 000 Soldaten, die ĂŒber 300 000 veraltete Gewehre, 1500 Maschinengewehre, 55 technisch ĂŒberholte Flugzeuge und zwei Feldtelefonanlagen verfĂŒgten. Der letzte große Einsatz dieser Truppe war im Winter 1916/17 die wilde Jagd auf Pancho Villa durch den Norden Mexikos gewesen; sie hatten ihn nicht bekommen. Der Aufbau einer schlagkrĂ€ftigen Armee gehörte deshalb im FrĂŒhjahr 1917 zu den ersten Aufgaben. Bereits im Mai 1917 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingefĂŒhrt, gleichwohl verlief die amerikanische Mobilmachung zunĂ€chst eher schleppend. Zwar paradierten die ersten US-Soldaten bereits am 4. Juli 1917 durch Paris, doch lief der amerikanische Truppenaufmarsch erst im Sommer 1918 auf Hochtouren. Zu dem Zeitpunkt waren die Armeen der europĂ€ischen MĂ€chte, insbesondere die deutsche, bereits der Erschöpfung nahe. Insgesamt schickten die USA 2 Millionen Soldaten nach Europa, wobei etwa 1,3 Millionen an der Front zum Einsatz kamen, wĂ€hrend die ĂŒbrigen Sicherungs- und Nachschubarbeiten in der Etappe verrichteten.
Der Eintritt der USA entschied den Krieg. Die US-Marine organisierte Konvois fĂŒr Handelsschiffe im Atlantik und machte zugleich erfolgreich Jagd auf deutsche U-Boote. An der belgisch-französischen Front beendete der Einsatz amerikanischer KampfverbĂ€nde im FrĂŒhjahr 1918 die Pattsituation, die dort seit Herbst 1914 geherrscht hatte. Die AEF war an zwei militĂ€rischen Operationen entscheidend beteiligt. Im Mai/Juni 1918 trug sie maßgeblich dazu bei, die deutsche FrĂŒhjahrsoffensive an der Marne zurĂŒckzuschlagen, und im September 1918 waren rund eine halbe Million US-Soldaten an der alliierten Gegenoffensive beteiligt. In deren Verlauf eroberten amerikanische VerbĂ€nde einen strategisch wichtigen HĂŒgel bei St. Mihiel in der NĂ€he von Verdun, und vertrieben anschließend mit rund 1,2 Millionen Soldaten im Rahmen der alliierten Meuse-Argonne-Offensive die deutschen VerbĂ€nde aus dem Argonnerwald. Allerdings agierte die AEF ĂŒberaus unprofessionell und unkoordiniert. Wiederholt stĂŒrmte die Infanterie schneller voran, als Nachschubeinheiten oder Artillerie folgen konnten. Viele der US-Soldaten, die in der Septemberoffensive eingesetzt wurden, waren erst im Juli eingezogen worden und hatten kaum mehr als eine viermonatige Grundausbildung erhalten. Einige von ihnen waren ĂŒberhaupt erst bei der Ankunft in Frankreich durch zehntĂ€gige Schnellkurse geschleust worden. Ihre AusrĂŒstung war oft ungeeignet, ihre Offiziere vielfach inkompetent. All dies kostete viele amerikanische Soldaten das Leben, und die französischen und britischen Kommandeure sparten nicht mit Kritik an dem verschwenderischen Umgang der USA mit den eigenen Truppen und dem eigenen Material. Insgesamt verloren 75 658 US-Soldaten im Ersten Weltkrieg ihr Leben. 34 249 fielen im Kampf, 13 691 erlagen ihren Verletzungen nach der medizinischen Behandlung, 23 937 starben an Krankheiten, 3681 durch Selbstmord, Mord oder Unfall. Gemessen an den Millionen von Gefallenen, die die europĂ€ischen KriegsmĂ€chte verzeichneten, erscheinen die amerikanischen Verluste im VerhĂ€ltnis zur Bevölkerung als relativ gering. Allerdings wurden die rund 76 000 US-Soldaten in einem Zeitraum von gerade einmal sechs Monaten getötet.

Over Here – Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Krieg

Der Erste Weltkrieg war der erste totale Krieg des 20. Jahrhunderts. Als solcher verlangte er nach der möglichst vollstĂ€ndigen und effizienten Mobilisierung der ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen eines Staates fĂŒr die Kriegsanstrengung. Folglich musste der Staat tief in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen, um den Krieg fĂŒhren und gewinnen zu können. Es gab in diesem Krieg nur Fronten, die Kampffront und die Heimatfront, und es gab in ihm, so PrĂ€sident Wilson in einer Rede am 16. April 1917, auch nur Soldaten, nĂ€mlich die eigentlichen StreitkrĂ€fte und die neuen »Soldaten« hinter der Front, also die Arbeiter und Landwirte in der Heimat. Diese Dynamik des modernen Krieges stellte fĂŒr die auf den Grundsatz grundrechtlich definierter, individueller Freiheit gegrĂŒndete amerikanische Demokratie eine besondere Herausforderung dar.
Der Erste Weltkrieg ließ den staatlichen Behördenapparat in den USA bis dahin kaum vorstellbare Dimensionen annehmen. Es entstanden beinahe 5000 Ämter und Behörden, die fĂŒr einen Teil der gigantischen Kriegsanstrengung verantwortlich waren. Allerdings kamen die USA bei der wirtschaftlichen Mobilmachung weitgehend ohne zwangsstaatliche Maßnahmen aus. Vielmehr setzte die Bundesregierung auf die freiwillige Kooperation von Unternehmern und Arbeitern in einer Vielzahl von staatlichen Lenkungs- und Kontrollgremien, die die Kriegswirtschaft organisierten und regulierten. Vor allem vier dieser paritĂ€tisch besetzten Behörden waren fĂŒr die KriegfĂŒhrung von zentraler Bedeutung. Die im Mai 1917 gegrĂŒndete und vom spĂ€teren PrĂ€sidenten Herbert Hoover geleitete Food Administration stellte die Lebensmittelversorgung von Truppen und Zivilbevölkerung sicher. Dem im Juli 1917 gegrĂŒndeten War Industries Board oblag die Koordination der Industrieproduktion. Die Fuel Administration verwaltete die Brennstoffe, und das War Labor Board hatte die Aufgabe, als Vermittlungsinstanz zwischen Unternehmern und Arbeitern Streiks und andere Arbeitskonflikte zu verhindern, um die KontinuitĂ€t der Industrieproduktion zu gewĂ€hrleisten. Gerade diese Behörde fĂŒhrte zu einer enormen Aufwertung der bis dahin weithin verfemten Gewerkschaften, deren disziplinierende und stabilisierende Funktion gerade von Regierungsseite zunehmend geschĂ€tzt wurde. Wiederholt drĂ€ngten Regierungsvertreter die Unternehmer zu höheren Löhnen oder anderen materiellen VergĂŒnstigungen, forderten bessere Sicherheitsmaßnahmen an den ArbeitsplĂ€tzen und machten sich andere Forderungen der Gewerkschaften zu eigen, um den Arbeitsfrieden zu sichern. Dies geschah freilich alles auf dem Wege von Verhandlungen und Kompromissen. Nur dort, wo das Prinzip der Freiwilligkeit versagte, griff die Bundesregierung zu zwangsstaatlichen Maßnahmen. So verstaatlichte PrĂ€sident Wilson am 26. Dezember 1917 die Eisenbahnen und unterstellte sie der Railroad Administration.
Die ökonomische Mobilisierungsleistung der USA war beeindruckend. Der Verteidigungshaushalt wuchs zwischen 1916 und 1919 von 305 Millionen auf 13,5 Milliarden Dollar an. Gleichzeitig gewĂ€hrten die USA den Alliierten Kriegskredite in Höhe von mehr als sieben Milliarden Dollar. Diese Kriegskosten wurden zu einem Drittel aus insgesamt fĂŒnf Kriegsanleihen (Liberty Bonds) und zu zwei Drittel aus Steuern finanziert. Eine wichtige staatliche Einnahmequelle war die 1913 eingefĂŒhrte Einkommenssteuer, andere Steuern wurden moderat erhöht, aber insgesamt schöpfte der Staat die enormen Kriegsgewinne der Unternehmen nur in geringem Umfang ab. Das war gewollt, denn die Aussicht auf Profit sollte die amerikanischen Unternehmer und Landwirte dazu bringen, ihre Produktion freiwillig an die BedĂŒrfnisse der KriegfĂŒhrung anzupassen.
Der Erste Weltkrieg bescherte der amerikanischen Industrie und Landwirtschaft einen großen Boom, durch den Millionen neuer, sehr gut bezahlter Jobs entstanden. Das Bruttosozialprodukt wuchs zwischen 1910 und 1920 von 35,3 auf 91,5 Milliarden Dollar. Die Industrieproduktion stieg zwischen 1914 und 1918 um mehr als ein Drittel an. Die Unternehmensgewinne schnellten in die Höhe. Lagen sie 1914 noch unter 4 Milliarden Dollar, so beliefen sie sich 1917 auf mehr als 10 Milliarden. Auch fĂŒr die amerikanischen Landwirte war der Krieg ein gutes GeschĂ€ft. Sie versorgten sowohl das eigene Land als auch die europĂ€ischen VerbĂŒndeten mit Lebensmitteln und kriegswichtigen Rohstoffen. Die AnbauflĂ€chen wurden stark ausgeweitet und die Preise fĂŒr Agrarprodukte stiegen zwischen 1913 und 1918 um mehr als das Doppelte. Zwar stieg damals auch die Inflation um 60 Prozent an, doch wurde die Teuerungsrate durch die steigenden Löhne mehr als au...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. I VoreuropÀische Zeit und Kontaktphase
  7. II Das koloniale Britisch Nordamerika
  8. III Revolution (1763–1787/88)
  9. IV FrĂŒhe Republik und BĂŒrgerkrieg 1789–1865
  10. V Der Durchbruch der Moderne 1865–1914
  11. VI Die USA im »kurzen 20. Jahrhundert« (1914–1990)
  12. VII Die USA im 21. Jahrhundert
  13. Zusammenfassung
  14. Literaturverzeichnis