Beziehung ist ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis der v. a. psychodynamisch orientierten psychosozialen Medizin, die sich auch als "Beziehungsmedizin" versteht. Das Werk untersucht Aspekte der therapeutischen Beziehung in ihrer historischen Entwicklung sowie in der aktuellen Psychotherapieforschung. Der Zusammenhang von Beziehung und Affekt wird praxisorientiert für die Bereiche Psychose, Psychosomatik, Trauma und Suizidalität beschrieben. Zur Darstellung der Besonderheit menschlicher Bezogenheit werden Befunde der empirischen (Tomasello), medizinischen (v. Weizsäcker) und philosophischen (Gadamer, Taylor, Honneth) Anthropologie verknüpft. Beziehung erweist sich dabei als ein immer schon wertendes und wertvermittelndes Geschehen.
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Aus heutiger Perspektive ist es oft üblich, in der Entwicklung der psychodynamischen psychosozialen Medizin zu einer Beziehungsmedizin drei Paradigmen (vgl. Ermann 2010, S. 17) zu unterscheiden:
1. Die (sog.) Ein-Personen-Psychologie Freuds – betreffend den Zeitraum von Freud bis ca. 1950
2. Die Wende von der Ein- zur Zwei-Personen-Psychologie – in etwa im Zeitraum von 1950 bis 1970
3. Die »intersubjektive Wende« ab ca. 1970
1.1 Freud
Dem Wissenschaftsverständnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts folgend, sah Freud die Psychoanalyse als wertfreie Wissenschaft – als eine »Naturwissenschaft wie jede andere« (Freud 1940a, S. 80) und als »Forschungsmethode ein parteiloses Instrument wie etwa die Infinitesimalrechnung« (Freud 1927c, S. 360). Freud beschrieb die Seele unter dem Paradigma einer positivistischen Naturwissenschaft als einen vielschichtigen »psychischen Apparat« mit objektivierbaren Inhalten – und den Therapeuten als außenstehenden Beobachter und Behandler, der die Triebschicksale seines Patienten deutend aufklären sollte. Freud folgte darin erkenntnistheoretisch dem neuzeitlichen Subjekt-Objekt-Modell, in dem der eine den anderen mithilfe eines objektiven Verfahrens behandelt, um eine Störung zu beseitigen. Das analytische Setting wurde hierarchisch konzipiert, und es wurde dem Therapeuten die alleinige Deutungskompetenz zugesprochen. Um die Objektivität des analytischen Verfahrens zu garantieren, stellte Freud bestimmte behandlungstechnische Regeln auf und formulierte als deren Normen: Anonymität,Abstinenz und Neutralität.
1.1.1 Anonymität
Freud verwandte unterschiedliche Metaphern zur Veranschaulichung seines theoretischen Therapieverständnisses. Die Anonymitätsregel war eng mit der des Spiegels8 verbunden: Freud gab 1912 den Ratschlag, der Analytiker solle »undurchsichtig für den Analysierten sein und wie eine Spiegelplatte nichts anderes zeigen, als was ihm gezeigt wird« (Freud 1912e, S. 384). Freud wandte sich damit gegen die Auffassung, dass der Patient seine Widerstände schneller überwinden könne, wenn der Analytiker ihm »Einblick in die eigenen seelischen Defekte und Konflikte gestattet« (ebd.). Die eigentliche Arbeit am Unbewussten und die Überwindung tieferer Widerstände sowie »die Lösung der Übertragung, eine der Hauptaufgaben der Kur« (ebd.), werde hierdurch erheblich erschwert.
1.1.2 Abstinenz
Freuds Abstinenzregel hatte unterschiedliche Ziele: Einmal ging es darum, zu verhindern, dass sich der Patient durch in der Übertragungsbeziehung erfahrene Surrogate beruhigen ließ und die Motivation zur Veränderung durch vorschnelle Ersatzbefriedigung geschwächt wird. Durch die Enthaltsamkeit innerhalb der therapeutischen Beziehung sollten durch vorübergehende Zunahme von Frustration zugleich das Verständnis der Übertragungsneurose unterstützt und schließlich die Integration verdrängter Impulse und Affekte und der Handlungsspielraum des Patienten erweitert werden.9 Die Abstinenzregel diente aber nicht nur dem Schutz des Patienten, sondern auch dem des Therapeuten. Durch die Forderung an die Patienten, Beziehungswünsche verbal und nicht handelnd zu äußern, sollten Analytiker geschützt werden, wenn sie in Gefahr kamen, Übertragungswünsche als Beziehungsangebote misszuverstehen und sich auf sie einzulassen (Körner 2008). Die Forderung galt aber auch direkt dem Analytiker: »Auch er sollte die Verantwortung dafür übernehmen, dass der Patient spricht, aber nicht handelt« (ebd., S. 2).
1.1.3 Neutralität
Das Konzept der Neutralität wurde im Zuge von Freuds Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gegenübertragung ab etwa 1914 zu einer der Grundregeln der Psychoanalyse, die beinhalten sollte, sich religiöser, moralischer oder sozialer Wertungen zu enthalten (Langenbach et al. 1999) und einen von Es, Ich und Über-Ich gleich distanzierten Standpunkt einzunehmen (Freud 1936). Der Analytiker soll seine Gegenübertragung reflektieren und kontrollieren, um seine eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen dem Patienten nicht überzustülpen. Neutralität bedeutet aber auch, nicht den Konflikt für den Patienten lösen zu wollen: »Finden Sie nicht auch, ich sollte mich von meinem Partner trennen?«, ist eine in Therapien relativ häufig auftretende Frage. »Ja. So, wie sie sich ständig von ihm übersehen und gekränkt fühlen, ist es wahrscheinlich sinnvoll, Sie würden sich bald trennen und sich eine Partnerschaft suchen, in der es Ihnen besser geht«, könnte eine gut gemeinte, schnell Partei ergreifende Antwort lauten. »Ich verstehe Ihren Wunsch, Ihnen ein Stück weit Ihre Entscheidung abzunehmen, aber wenn ich jetzt diesem Wunsch nachkommen würde, verstünden wir unter Umständen nicht, aufgrund welcher unterschiedlichen Gefühle Sie innerlich so unentschieden sind«, könnte eine Neutralität beinhaltende Antwort sein.
Neutralität ist ein irreführender Begriff, denn er impliziert auch bei Freud (der von Indifferenz sprach) keine Wertneutralität. Die Neutralitäts-Regel hatte bei Freud nicht nur eine erkenntnistheoretische Bedeutung zur Legitimierung der Wissenschaftlichkeit seines Verfahrens, sondern auch eine moraltheoretische zum Schutz der Autonomie und Würde des sich in Abhängigkeit begebenden Patienten vor Indoktrination und Manipulation:
»Wir haben es entschieden abgelehnt, den Patienten, der sich Hilfe suchend in unsere Hand begibt, zu unserem Leibgut zu machen, sein Schicksal für ihn zu formen, ihm unsere Ideale aufzudrängen und ihn im Hochmut des Schöpfers zu unserem Ebenbild, an dem wir Wohlgefallen haben sollen, zu gestalten. […] der Kranke soll nicht zur Ähnlichkeit mit uns, sondern zur Befreiung und Vollendung seines eigenen Wesens erzogen werden.« (Freud 1919a, S. 190)
Das Neutralitäts-Postulat ist hier schon ethisch intendiert und situiert. Es soll m. E. gerade keine ethisch neutrale, sondern eine um die Autonomie und Würde des Gegenübers besorgte, zugleich technische und moralische Haltung begründen und stellt insofern schon bei Freud einen performativen Widerspruch dar.
1.1.4 Ein-Personen-Psychologie?
Der Ausdruck Ein-Personen-Psychologie (»one-body-psychology«) stammt von Balint (1968) und richtet sich kritisch gegen Freuds monadisch konzipierte Trieb- und Strukturtheorie,
• derzufolge sich die menschliche Psyche primär in einem Zustand der Isolation befindet und sich erst sekundär auf eine unabhängig von ihr gegebene und objektiv erkennbare äußere Realität bezieht, zu der dann auch die primären Bezugspersonen gehören; und
• derzufolge damit das Wesen psychischer Entwicklung und psychischer Erkrankung primär im Individuum liegt und das zentrale Problem der Konflikt seiner Triebe mit der sozialen Umwelt darstellt.
Ein-Personen-Psychologie heißt also, dass Beziehungen eine sekundäre Funktion in der eigentlichen Entwicklung der Triebe zugesprochen wird und die Beziehungsobjekte dadurch wichtig werden, dass sie als Objekte der Triebbesetzungen in Erscheinung treten.
Der Terminus Ein-Personen-Psychologie trifft sicherlich auf viele Aspekte der Freudschen Metapsychologie zu, wird aber der Leistung Freuds, die moderne Psychotherapie als Beziehungsmedizin auf den Weg gebracht zu haben, m. E. dann doch nicht gerecht. Nicht nur standen in der analytischen Praxis immer die Beziehungen von Patienten zu ihren Eltern, Geschwistern, Partnern und Analytikern performativ im Zentrum (Tiedemann 2007), auch Freuds theoretisches Denken zeigt an mehreren Stellen eine klar intersubjektive Ausrichtung:
• In seinen Konzepten der Übertragung und Gegenübertragung, die eine ganz neuartige Perspektive auf das Verstehen von Beziehung, und nicht nur der therapeutischen, eröffneten (– und die die Anwesenheit eines symbolisierbar Dritten in einem aktuellen Beziehungsgeschehen beschreiben und damit implizit einem naturalistischen Verständnis widersprechen, das Beziehung zwischen Personen ähnlich beschreibt wie die zwischen Molekülen).
• In seiner ersten psychoanalytischen Theorie, der Trauma- oder Verführungstheorie, die insofern eine zentrale Bedeutung von Beziehung impliziert, als sie annahm, dass allen psychischen Störungen ein traumatisches Beziehungsgeschehen in Form eines realen sexuellen Traumas zugrunde liegt (Hirsch 2008).
• In seiner Strukturtheorie, die insofern intersubjektive Aspekte enthält, als Freud in ihr sowohl das Ich als auch das Über-Ich in ihrer Genese durch frühere Objektbeziehungen geprägt sieht.
• In seiner Konzeptualisierung des Narzissmus, in der Altmeyer (2000) zwei parallele Narzissmustheorien identifizierte: Neben einer objektabgewandten auch eine objektbezogene intersubjektive Konzeption, in der Narzissmus als Geliebtwerden definiert wird.
• In seiner Suizidtheorie, die Kind (1992) als »im Kern eine Objektbeziehungstheorie der Suizidalität« (S. 12) beschrieb (
Kap. 3.5).
Doch zeigte Freud nicht nur in der Theorie zumindest partiell eine intersubjektive Ausrichtung, auch in seiner Praxis war er selbst nicht durchgehend »Freudianer«: Bräutigam (1983) und Cremerius (1981) haben anhand der Untersuchung von Berichten einiger Patienten und Analysanden Freuds gezeigt, dass die als »klassisch« bezeichnete Technik Freuds nicht immer das war, was Freud selbst praktiziert hatte. Es gab mitunter deutliche Diskrepanzen zwischen dem, was Freud als Behandlungsratschläge normativ empfahl und der Art und Weise, wie er seine Behandlungspraxis performativ selbst gestaltete. Freud gelangte hier häufig zu wertenden Aussagen und Handlungen. Er zeigte sich als freundlich, auch als herzlich und äußerte neben Kritik auch Lob und Anerkennung; er gab mitunter Geschenke oder ließ dem hungrigen Rattenmann zu Beginn der Sitzung ein Frühstück servieren. Er erschien sehr aufmerksam, auch humorvoll, zeitweise aber auch ungeduldig und manchmal auch wütend. Andrea Gysling (1995) fasste zusammen:
»Freud war in der täglichen Praxis ein herzlicher, spontaner, oft sogar impulsiver Mensch, der mit Meinungen nicht zurückhielt […]. Das knochentrockene, blutleere Unperson-Ideal, das er gesetzt hatte, strafte er täglich Lügen.« (Gysling 1995, S. 43)
Ungeachtet seiner Praxis ist die Vernachlässigung des Beziehungsaspekts in der Freudschen Theorie der psychischen Entwicklung und des therapeutischen Settings bereits von Ferenczi und der Ungarischen Schule sowie von Sullivan (
Kap. 3.2) ab den 1920er Jahren kritisiert worden.
1.2 Objektbeziehungstheorie
1.2.1 Grundzüge
In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte dann ein, was Balint den Wechsel von der Ein- zur Zwei-Personen-Psychologie (Balint 1968) nannte. Grundlage dieses Perspektivenwechsels war die von Melanie Klein und anderen entwickelte Objektbeziehungstheorie. Ging Freud – mit den o. g. Einschränkungen – primär von den Trieben aus, die sich erst sekundär auf die Objekte richten, fokussierte die Objektbeziehungstheorie entwicklungspsychologisch primär auf Beziehungserfahrungen, die sich als innere Objekte niederschlagen und das intrapsychische und interpersonelle Erleben prägen. Damit verschob sich der Fokus von dem innerseelischen auf das interpersonelle Geschehen und es gewannen für die Ätiologie psychischer Erkrankungen gerade die frühen Beziehungserfahrungen größere Bedeutung. Kleins Objektbeziehungstheorie war dabei allerdings noch eine »Es-Psychologie par excellence« (Mitchell 2005, S. 139), sowohl in ihrer Entwicklungspsychologie als auch Behandlungstheorie. Das mütterliche Gegenüber war weitgehend nur als Objekt triebgenerierter Projektionen und der Therapeut als Übertragungsziel und damit »ausschließlich als Deutender« (ebd., S. 140) konzipiert.
Bion brachte demgegenüber mit seinem Begriff des Containings eine »neue Metapher« (ebd., S. 152) und mit dieser ein erweitertes Beziehungsverständnis ins Spiel: In der frühen Mutter-Kind-Interaktion nimmt die Mutter in ihrer Container-Funktion zu bedrohliche und aversive Affekte, Impulse und Phantasien (sog. Beta-Elemente) in sich auf, metabolisiert sie für ihr Kind und gibt sie in modifizierter und für das Kind verwendbarer Weise als sog. Alpha-Elemente wieder zurück. Bion betonte dabei, dass dies ein gemeinsames Geschehen zwischen Mutter und Kind ist, bei der nicht eine bestimmte Eigenschaft des Gegenübers, sondern eine gemeinsame Interaktion verinnerlicht wird. Analog zu seiner entwicklungspsychologischen Theorie verstand Bion als die Aufgabe des Therapeuten, für den Patienten als gle...
Table of contents
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Was ist Beziehung?
1 Zur klinisch-historischen Entwicklung
2 Die therapeutische Beziehung in der empirischen Psychotherapieforschung
3 Affekt und Beziehung – zur Beziehungsmedizin einzelner Syndrome
4 Zur Anthropologie der Normativität – der Mensch als das »nicht festgestellte Tier« (Nietzsche)