Inklusion
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Gesellschaftliche Leitidee und schulische Aufgabe

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Inklusion

Gesellschaftliche Leitidee und schulische Aufgabe

About this book

Inklusion ist ein gesellschaftliches Leitthema, das weit über das Bildungs- und Schulsystem in fast alle gesellschaftlichen Teilbereiche ausstrahlt. Aufgrund gesetzlicher Verankerung verfügt der Inklusionsdiskurs über eine starke Legitimation und große Deutungsmacht. Andererseits ist Inklusion - vor allem in Bezug auf die Form ihrer Umsetzung - auch umstritten. Der Band beschäftigt sich zur Einführung in die Thematik mit Inklusion als gesellschaftlicher Leitidee und schulischer Aufgabe. Es wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Inklusion auf gesellschaftlicher und schulischer Ebene einnimmt, wobei die bildungspolitischen Meilensteine schulischer Inklusion ebenso beleuchtet werden wie der Stand der Umsetzung inklusiver Beschulung. Dabei lenkt der Band den Blick vor allem auf die Spannungsfelder zwischen moralischem Inklusionsgebot und den widersprüchlichen, oft exkludierenden Folgewirkungen in der Praxis.

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Information

Year
2016
eBook ISBN
9783170317994
Edition
1

1

Inklusion als gesellschaftlicher und schulischer Leitbegriff

Der Begriff der Inklusion hat spätestens seit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 2009 im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs in Deutschland den Status eines Schlagwortes erhalten. Zum Teil inflationär verwendet, steht Inklusion exemplarisch für die Bemühungen, Menschen mit Behinderungen und Personen, die von Behinderung bedroht sind, eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die Begrifflichkeit wird nicht immer wertfrei gebraucht, häufig ist eine implizite, aber klare moralische Botschaft enthalten. Wer sich negativ über die Realisierungsmöglichkeiten von Inklusion äußert, zieht schnell Kritik auf sich oder wird als Inklusionsgegner bzw. als rückschrittlich bezeichnet (siehe auch Ahrbeck 2014, 119 f.; Dollase 2014, 64).

1.1 Inklusion als Leitbegriff

Seit den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) 1994 hat sich bei den Leitbegriffen der Sonderpädagogik eine Entwicklung vollzogen. Die Pluralität, die durch die nebeneinanderstehenden Begriffe Förderbedarf, Diagnostik und Integration zum Ausdruck kam, wurde von einer Singularität abgelöst. Als aktueller, singulärer Leitbegriff kann die Inklusion betrachtet werden.
Dabei handelt es sich um einen mehrdimensionalen Begriff, der bei weitem nicht nur die Bildungspolitik (Stichwort: gemeinsamer Unterricht als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule) umfasst.
Im Bereich der Behindertenpolitik ist Inklusion Mittel und Zweck, um die Rechte beeinträchtigter Menschen zu verwirklichen. Aus sozialpolitischer Perspektive dreht sich Inklusion um den Umgang mit sozialer Benachteiligung und Armut, Zielsetzungen sind Teilhabe an Arbeit und Wohlstand. Mit Blick auf die Migrations- und Flüchtlingsthematik besteht Inklusion in der Überwindung der Angst bzw. Ablehnung gegenüber Fremden und in der Aufgabe, Menschen mit Migrationshintergrund Zugang zum Arbeitsmarkt und Partizipationschancen zu eröffnen.
Seine Herkunft hat der Inklusionsbegriff zum einen in der Soziologie (u. a. Kronauer 2002). Dort wurde in den 1970er Jahren der Begriff der Exklusion für gesellschaftliche Schichten eingeführt, die von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen waren (Randgruppen). Um auch das Gegenteil beschreiben und terminologisch bestimmen zu können, nutzte man parallel den Begriff der Inklusion.
Zum anderen spielte der Warnock-Report aus dem Jahr 1978 eine Rolle, der dafür sorgte, dass das Schulsystem in Großbritannien grundlegend reformiert wurde. Entscheidend war der Begriff der ›special educational needs‹, der sich auf besondere Förderbedürfnisse von Schülern bezog. Darunter fielen allerdings nicht nur Behinderungen, sondern auch ein Bedarf an schulischer Förderung bei Lernschwierigkeiten, im Bereich der Sprache und der emotionalen und sozialen Entwicklung (Warnock Report 1978,
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Kap. 3). Damit verbunden war die Vorstellung einer ›school for every pupil‹, die die gemeinsame Beschulung aller Kinder und Jugendlichen unabhängig von einer Behinderung vorsah. Diese pädagogischen Vorstellungen, die bereits deutliche Parallelen zum heutigen Verständnis schulischer Inklusion aufwiesen, waren schließlich bei der Ausarbeitung der Salamanca-Erklärung 1994 leitend (
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Kap. 2.5), in deren Folge sich der Begriff der Inklusion endgültig durchsetzen konnte.
Es ist nicht einfach, eine trennscharfe Begriffsbestimmung von Inklusion zu formulieren, da der Begriff in verschiedenen Kontexten und je nach Ausrichtung inhaltlich unterschiedlich verwendet wird. Er ist gleichzeitig Prozess, Ziel, Methode, pädagogische Implikation oder Konzept (z. B. Index für Inklusion von Booth/Ainscow 2003) und transportiert darüber hinaus bestimmte Einstellungen und Werte.
Grundlegend bedeutet Inklusion, »eingebunden zu sein, nicht zum Sonderfall erklärt und mit allen Stärken, Schwächen, Eigenheiten und Interessen akzeptiert zu werden« (Schöler 2013, 2).
Diese Akzeptanz ist Voraussetzung für jegliches Inklusionsverständnis und bezieht sich auf ausnahmslos alle Menschen innerhalb der Gesellschaft. Inklusion bemüht sich, alle Facetten von Heterogenität (z. B. Herkunft, Religion, Weltanschauung, Fähigkeiten) zu erfassen und sie als selbstverständlich zu erachten. Sie richtet sich gegen dichotome Vorstellungen (Gegensatzpaare wie behindert und nicht behindert), die Menschen in Gruppen einteilen und zu Vorurteilen, bestimmten Fähigkeitszuschreibungen und Abwertungen führen. Gleichzeitig wird versucht, Stigmatisierungen zu vermeiden. Zum Abbau von Diskriminierungen existiert eine Vielzahl an inklusiven Konzepten, z. B. das Diversity-Konzept mit einem Schwerpunkt auf der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht (Gender), das Konzept ›teaching for social justice‹, das sich gegen soziale Benachteiligung wendet oder die ›citizenship education‹, die vor allem Menschen- und Bürgerrechte zum Thema hat. Mit diesen und ähnlichen Programmen soll ein Bewusstseinswandel in Gang gesetzt werden, damit die Akzeptanz menschlicher Vielfalt Normalität wird und nicht länger Teil von Ausgrenzungsprozessen bleibt.

Pädagogische und systemtheoretische Dimensionen von Inklusion

Beim Versuch, den Inklusionsbegriff konkreter zu fassen, bietet sich die Unterscheidung einer pädagogischen und einer systemtheoretischen Dimension an (Schmidt/ Dworschak 2011).
Die pädagogische Dimension konzentriert sich bevorzugt auf die lückenlose Gleichstellung aller Menschen und stützt sich auf Erklärungen und Gesetzgebungen zu Menschenrechten und -würde (aufbauend auf der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948). Inklusion ist ein Menschenrecht, das hauptsächlich in Institutionen innerhalb des Bildungs- und Erziehungswesens umgesetzt werden muss. Einschränkungen von Menschen mit Behinderung werden nicht biologistisch-individualistisch an die einzelnen Individuen gebunden, vielmehr spielen verstärkt soziale Ursachen eine Rolle. Behinderung ist nicht determiniert, sondern Folge von gesellschaftlichen und sozialen Barrieren, ergo veränderbar und in Teilen aufhebbar. Diese Barrieren zu entdecken und zu beseitigen, ist primär Aufgabe der Heil- und Sonderpädagogik.
Problematisch ist, dass Behinderung »vielfach immer noch als gesundheitsbezogener Zustand und als persönliches, nicht aber soziostrukturelles (Folge-)Problem wahrgenommen wird« (Wansing 2013, 17). Das biologistisch-individualistische Verständnis, das Behinderung als natürlich und unabänderlich ansieht, wird nur langsam durch die soziale Dimension von Behinderung im Sinne von ›behindert werden‹ ergänzt. Doch nur so können Diskriminierung und Benachteiligung als soziale Probleme erkannt und thematisiert werden. Ihre Lösung muss dementsprechend auf sozial-gesellschaftlicher Ebene erfolgen.
Systemtheoretisch gesehen »geht es bei Behinderungen immer um eine Belastung der Kommunikation innerhalb sozialer Systeme« (Schmidt/Dworschak 2011, 274). Kommunikative Einschränkungen führen zu beeinträchtigten Interaktionen innerhalb eines Systems und werden in Folge dessen als problematisch wahrgenommen. Wird die Belastung der Kommunikation zu groß, droht ein System zu kollabieren.
Ist beispielsweise eine Regelschule als soziales System mit der Aufnahme schwer lernbeeinträchtigter und verhaltensauffälliger Schüler überfordert und kann diese nicht entsprechend ihrer Bedürfnisse beschulen, liegen eine eingeschränkte Kommunikation und Interaktion vor. Zur Selbsterhaltung werden Maßnahmen ergriffen, die den Fortbestand des Systems sicherstellen sollen. Die Schule muss entscheiden, wie die Beschulung in Zukunft gestaltet werden kann, um den Unterricht in den Klassen (soziale Funktionssysteme) nicht zu gefährden.
Im Umgang mit Menschen mit Behinderung haben sich diese Maßnahmen häufig als exklusiv erwiesen, z. B. durch die Bildung von Teilsystemen oder der Exklusion aus einem Funktionssystem (
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Tab. 1).
In den letzten Jahren hat sich vor allem im Bildungswesen ein gesellschaftliches, moralisch-ethisch begründetes Inklusionsgebot entwickelt. Unterricht an Förderschulen und sonderpädagogischen Förderzentren gerät unter Rechtfertigungsdruck, während gemeinsamer, inklusiver Unterricht propagiert wird. Hauptargument ist die Ausgrenzungstendenz des Förderschulwesens, das für Inklusionsbefürworter nicht mit der UN-BRK vereinbar ist. An das Inklusionsgebot schließen Forderungen nach echter, vollständiger Inklusion an, die mit Hilfe des systemtheoretischen Inklusionsbegriffs verdeutlicht werden können.
Tab. 1: Beispiel des Zugangs zu Behinderung aus systemtheoretischer Sicht
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Inklusion besteht nicht darin, ein Teilsystem innerhalb des Systems zu bilden. Inklusion ist erfolgreich, wenn Menschen mit Behinderung in sozialen Systemen ohne Einschränkung der Kommunikation aktiv teilhaben können. Treten dennoch kommunikative Schwierigkeiten auf, sind die Maßnahmen zum Selbsterhalt des Systems nicht exklusiver Natur, ein Verbleib im gleichen Funktionssystem wird angestrebt. Es erfolgt ergo keine Umschulung an ein sonderpädagogisches Förderzentrum. Die einzelnen Funktionssysteme (z. B. Klasse oder Lehrerkollegium) versuchen vielmehr, flexibel auf eine eingeschränkte Kommunikation zu reagieren, indem sie sich anpassen und...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einführung: Inklusion als gesellschaftliche Leitthematik
  6. 1 Inklusion als gesellschaftlicher und schulischer Leitbegriff
  7. 2 Bildungspolitische Meilensteine der schulischen Inklusion
  8. 3 Stand der Umsetzung inklusiver Beschulung in Deutschland
  9. 4 Fazit – Inklusion in einer exklusiven Gesellschaft?
  10. Literatur