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Der Andere in der Psychoanalyse
Die intersubjektive Wende
- 144 pages
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About this book
Dieses Buch handelt von der Bedeutung des realen Anderen in der Psychoanalyse. Von Freud ursprĂŒnglich als auĂenstehender Beobachter sowie als Objekt der Triebbefriedigung konzipiert, hat seine Position sich im Verlauf von mehr als 125 Jahren grundsĂ€tzlich verĂ€ndert. Im Kontext der IntersubjektivitĂ€t betrachtet man den Anderen heute nicht nur als unabdingbaren Förderer der Entwicklung, sondern darĂŒber hinaus als aktiven Teilnehmer und Mitgestalter in der psychoanalytischen Behandlung. Das fĂŒhrt zu einem Wandel grundlegender therapeutischer Konzepte und Strategien, zu einer "Psychoanalyse auf Augenhöhe", welche ihren Stil und die AtmosphĂ€re ihrer Behandlungen maĂgeblich verĂ€ndert.
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Information
1. Vorlesung
Der Andere in der traditionellen Psychoanalyse
EinfĂŒhrung: Was ist IntersubjektivitĂ€t?
Das Konzept der IntersubjektivitÀt ist relativ neu. Es hat sich in den 1990er Jahren in den USA entwickelt und seither zunehmenden Einfluss auf die meisten Richtungen der Psychoanalyse genommen. Heute ist es ein fester Bestandteil im psychoanalytischen Denken.
Intersubjektivismus beschreibt eine Sichtweise, mit der ĂŒber das Individuum und seine Entwicklung Erkenntnisse gesammelt werden können. Wir nennen solche grundsĂ€tzlichen Perspektiven der Betrachtung mit dem amerikanischen Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn (1922â1996)1 Paradigmen und können daher vom intersubjektiven Paradigma sprechen.
IntersubjektivitĂ€t beschreibt den Zustand der Bezogenheit zwischen (lat.: inter) Subjekten und das Ergebnis der Prozesse, die daran beteiligt sind. Unter dem Paradigma der IntersubjektivitĂ€t rĂŒckt das Gemeinsame zwischen Menschen in das Zentrum der Betrachtung. Bildhaft kann man das Gemeinsame in einem imaginĂ€ren Zwischenraum zwischen den Beteiligten ansiedeln und von einem intersubjektiven Feld sprechen. Hier geschieht ein unentwegter Austausch von Botschaften und Informationen: Aktionen, Reaktionen auf Aktionen und Reaktionen auf die Reaktionen usw. Man kann von Interaktionsschleifen sprechen, an denen die Beteiligten teilnehmen und sich gegenseitig beeinflussen und formen.
Aus dieser Perspektive werden Erleben, Verhalten und die menschliche Entwicklung durch die gegenseitige Einflussnahme aufeinander geprÀgt. Ich stelle mir das so vor, dass jeder der Beteiligten seinen mentalen
Paradigmen in der Geschichte der Psychoanalyse
Thomas Kuhn fĂŒhrte den Begriff Paradigma in die Wissenschaftsgeschichte ein, um Voraussetzungen »in Bezug auf Begriffsbildung, Beobachtung und Apparaturen«, die »die Fachwelt akzeptiert hat«, zu bezeichnen und damit die Betrachtungsweise von PhĂ€nomenen zu markieren, die in einer Wissenschaftsgemeinschaft als verbindlich angesehen wird. Phasen, in denen sich die Mitglieder einer Wissenschaftsgemeinschaft ĂŒber ihren Zugang zu PhĂ€nomenen einig sind, bezeichnet man in diesem Kontext als Normalwissenschaft.
In der Psychoanalyse kann man die Zeit bis etwa 1940 als eine solche normalwissenschaftliche Phase betrachten. Sie war dadurch gekennzeichnet, dass die innerseelischen PhĂ€nomene und Prozesse als Forschungsgegenstand galten. Hier handelt es sich um das intrapsychische Paradigma der Psychoanalyse. Danach sollte die Psyche (von Patienten) von einem auĂenstehenden Beobachter möglichst objektiv betrachtet und behandelt werden. Michael Balint sprach in diesem Zusammenhang von einer Ein-Personen-Perspektive (One-Body-Psychologie).
Durch die Neubewertung der frĂŒhen Mutter-Kind-Interaktionen begann sich das Weltbild der Psychoanalyse und in der Folge auch ihre Praxis zu verĂ€ndern. Zunehmend wurden jetzt die Interaktionen als bedeutender Bezugspunkt fĂŒr das VerstĂ€ndnis seelischer Prozesse anerkannt. Damit entstand auch ein neues Denkmodell, das Beziehungsparadigma. Ein solcher Ăbergang zu einem neuen Denkmodell wird nach Kuhn als Paradigmenwechsel bezeichnet. Die Kopernikanische Wende vom geozentrischen hin zum heliozentrischen Weltbild ist der Inbegriff eines solchen Wechsels.
Die intersubjektive Wende, die im Zentrum dieses Buches steht, ist ein weiterer Paradigmenwechsel in der Psychoanalyse. Er beschreibt den Wechsel von einer Beziehungspsychologie hin zu einem Paradigma der Bezogenheit. Danach entsteht und verÀndert sich psychische Struktur nicht nur durch Verinnerlichung von Beziehungen, sondern vornehmlich als eine gemeinsame (nÀmlich intersubjektive) Konstruktion im Beziehungsfeld.
Zustand als Rohmaterial in das intersubjektive Feld einbringt, wo dann durch die beidseitige Einflussnahme eine Art von Verstrickung und Verschmelzung stattfindet. Dieser gemeinsame Zustand ist die Bezogenheit, das darin enthaltene psychische Material die intersubjektive Matrix. Es stammt von allen Personen, die in das intersubjektive Feld eingebunden sind.
Der Begriff »Bezogenheit« wurde von dem Psychoanalytiker Hans Loewald eingefĂŒhrt, der zu einem der Wegbereiter des Intersubjektivismus gehört. Er beschrieb damit die »psychische Matrix, aus der sich intrapsychische Triebe, Ich und extrapsychisches Objekt heraus differenzieren.« Davon grenzt er die Objektbeziehung ab als Bezeichnung »fĂŒr sĂ€mtliche psychischen Interaktionen zwischen objektiv unterscheidbaren Menschen«2. Und an anderer Stelle schrieb er: »Die Verbundenheit von Ich und RealitĂ€t oder Objekten entwickelt sich nicht aus einer ursprĂŒnglich verbundenen Koexistenz zweier getrennter Einheiten, die miteinander in BerĂŒhrung kommen, sondern im Gegenteil aus einem einheitlichen Ganzen, das sich in verschiedene Teile differenziert. Mutter und SĂ€ugling kommen nicht zusammen und entwickeln eine Beziehung, sondern der SĂ€ugling wird geboren, wird von der Mutter losgelöst, und so wird eine Verbundenheit zweier Teile, die ursprĂŒnglich eins waren, möglich.3«
Nach meinem VerstĂ€ndnis bedeutet das: Die Interaktionen begrĂŒnden die Bezogenheit â oder anders: den Schritt vom Aufeinander-Bezogensein zur gemeinsam gestalteten Befindlichkeit.
Die wesentlichen Mechanismen, mit denen die Befindlichkeit zwischen zwei Menschen »ausgehandelt« wird, sind Projektion, Identifikation und projektive Identifizierung. Man kann die averbalen Interaktionsschleifen, die dabei ablaufen, mit den Prozessen vergleichen, wie man sich beim Tanzen aufeinander abstimmt und ohne groĂe Worte eine gemeinsame Szene gestaltet.
Am Ende treten die beiden Psychen aus diesem Zustand der Bezogenheit wieder heraus und haben eine VerĂ€nderung erfahren, in der sich der Einfluss des Anderen abbildet. Auch hierzu ein Vergleich: Denken Sie etwa an zwei Ringer, deren Körper nach dem Kampf die Spuren der BerĂŒhrung zeigen â vielleicht blaue Flecken, Schrammen und gestĂ€hlte Muskeln.

Abb. 1: Hans Loewald (1906â1993), geboren in Colmar, verband das Interesse an der Philosophie Martin Heideggers mit den Konzepten der Psychoanalyse, die er nach seiner Emigration (1939) in den USA als SchĂŒler und Lehranalysand von H. S. Sullivan kennenlernte. Er nahm eine kritische Haltung gegenĂŒber deren positivistischen Positionen ein, die damals die amerikanische Ichpsychologie beherrschten, und galt dort als AuĂenseiter. So bestritt er z. B. die von Freud angenommene strikte Trennung zwischen vorsprachlichem und sprachlichem Bereich sowie zwischen PrimĂ€r- und SekundĂ€rprozess. Mit dem Begriff der Bezogenheit wurde er zu einem Vorreiter des Intersubjektivismus.
Das intersubjektive Feld ist demnach ein Feld fĂŒr Entwicklung und VerĂ€nderung, ein Transformationsraum fĂŒr mentale ZustĂ€nde, sprich: fĂŒr Befindlichkeiten und Motivationen der Beteiligten. Diese bilden in jedem von ihnen die Basis des Selbst. Demnach entsteht das Selbst im intersubjektiven Raum und wird darin verĂ€ndert.
Die Abgrenzung von Bezogenheit, Beziehung und damit verbundenen Interaktionen ist unscharf. Sie ist auch nicht allgemein anerkannt. Ich schlage die folgende Verwendung der Begriffe vor:
âą Mit Bezogenheit bezeichne ich einen gemeinsamen mentalen Zustand.
âą Von Beziehung spreche ich, wenn eine gewisse Autonomie der Beteiligten, die miteinander im Kontakt stehen, betont werden soll.
âą Von Interaktion wird die Rede sein, um die aufeinander bezogenen Verhaltensweisen zu bezeichnen.
Die Kernaussage des Intersubjektivismus ist die These, dass menschliche Entwicklung und menschliches Verhalten nur im Kontext der Bezogenheit verstanden und ĂŒbrigens auch verĂ€ndert werden können. Die Annahme einer individuellen Psyche, die sich unabhĂ€ngig von einem intersubjektiven Feld entwickelt, halten die Intersubjektivisten dagegen fĂŒr eine Illusion.
Das sind weitgehende Annahmen, die unser traditionelles psychologisches Denken gleichsam auf den Kopf stellen. Aus traditioneller Sicht ist es das Individuum, das sich in Beziehung setzen kann und damit zum Initiator fĂŒr Beziehungen wird. Bei den Intersubjektivisten, ist es umgekehrt. Hier geht alles von der Bezogenheit aus. Sie ist die Voraussetzung und Bedingung dafĂŒr, dass das Selbst entsteht bzw. sich in den Beteiligten des intersubjektiven Feldes neu konstituiert. In der Konsequenz rĂŒckt die Bezogenheit auch in das Zentrum der intersubjektiven Betrachtung des psychotherapeutischen Prozesses.
Daraus ergibt sich, dass die Psychoanalyse unter dem Paradigma der IntersubjektivitĂ€t an einen Wendepunkt gelangt. Womöglich stehen wir am Beginn einer neuen psychoanalytischen Kultur. Das wĂŒrde bedeuten, dass die intersubjektive Wende fĂŒr sich mit Recht den Stellenwert eines Paradigmenwechsels in der Psychoanalyse beanspruchen wĂŒrde.
Der Andere im Werk von Sigmund Freud
Sigmund Freuds groĂes Verdienst besteht darin, sich mit der Beschreibung des dynamischen Unbewussten der IndividualitĂ€t des modernen Menschen verschrieben zu haben. Damit entwarf er eine Persönlichkeitstheorie, die ein vertieftes VerstĂ€ndnis fĂŒr die neuen Lebensformen seiner Zeit, d. h. im Zeitalter der Industrialisierung und des Fin de SiĂšcle, schuf, fĂŒr eine neue Art Subjekt zu sein. Sie gab der inneren Welt Vorrang vor der sozialen RealitĂ€t. Ihr Programm war die Emanzipation der SubjektivitĂ€t gegenĂŒber dem Gesellschaftlichen, des Privaten gegenĂŒber dem Ăffentlichen. Dieses Programm wurde auch zur Basis der psychoanalytischen Therapie. Ihr Mittel war die Selbstreflexion mit dem Ziel der EnthĂŒllung der Einzigartigkeit des Subjekts und der Entfaltung einer höchstpersönlichen Autonomie, die s...
Table of contents
- Deckblatt
- Titelseite
- Copyright
- Widmung
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1. Vorlesung Der Andere in der traditionellen Psychoanalyse
- 2. Vorlesung Die intersubjektive Wende
- 3. Vorlesung EinflĂŒsse der Nachbarwissenschaften
- 4. Vorlesung Das intersubjektive Feld
- 5. Vorlesung IntersubjektivitÀt und Psychoanalyse heute
- Literaturempfehlung
- Literatur
- Stichwort- und Personenverzeichnis