Ā
1          Präambel
Ā
Ā
Die Geriatrische Rehabilitation ist eine wesentliche SƤule in der Sicherung einer hochwertigen Versorgung Ƥlterer Menschen. Ihre zentrale Bedeutung liegt in der Wiedererlangung der AktivitƤten und Teilhabe (funktionale Gesundheit) und in der Wiederherstellung verlorengegangener LebensqualitƤt. Geriatrische Rehabilitation kann nach einem Akutereignis, aber auch nach Exazerbation einer chronischen Erkrankung indiziert sein. PrƤventive und kurative MaĆnahmen finden ergƤnzend Anwendung, wenn sich dadurch die Krankheitsfolgen weiter eindƤmmen lassen und die Behandlung der Erkrankungsursache optimiert werden kann. Im Ergebnis lƤsst sich dadurch in vielen FƤllen Pflegebedürftigkeit abwenden. Der sozialrechtliche Grundsatz Ā»Rehabilitation vor PflegeĀ« findet dadurch seine Erfüllung.
Mit den nachfolgend beschriebenen GRBM-MaĆnahmen erfolgt erstmalig eine strukturierte Leistungsbeschreibung des geriatrisch-rehabilitativen Basismanagements, das unabhƤngig von der funktionell führenden Reha-Hauptdiagnose als essentiell anzusehen ist, um die Rehabilitation multimorbider Patienten erfolgreich zu gestalten. Das GRBM als Ā»state of the artĀ« geriatrischer Rehabilitationsmedizin macht deutlich, dass es sich hierbei nicht nur um einen hochwertigen und ausdifferenzierten Versorgungszweig handelt, sondern auch ein Bündel an MaĆnahmen beinhaltet, die nur bei adƤquater Finanzierung und Personalausstattung vollumfƤnglich angewendet werden kƶnnen. Typische Merkmale dieses spezialisierten Zweigs der Rehabilitationsmedizin sind das geriatrische Assessment, die individuelle ICF-basierte Erfassung aktivitƤts- und teilhabeorientierter Rehabilitationsziele, die funktionellen Verbesserungen durch repetitives Training, das Management von KomorbiditƤten und geriatrischer Syndrome, das Polypharmaziemanagement einschlieĆlich Optimierung der AdhƤrenz, die Kompensation durch Fƶrderung vorhandener Ressourcen, die Adaptation durch optimale Personen-Umwelt-Anpassung sowie die SekundƤr- und TertiƤrprƤvention. Die Basis für dieses Leistungsgeschehen bildet dabei das geriatrische Teamsetting, das durch ein koordiniertes Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams charakterisiert ist und hierbei Ƥrztliche, pflegerische, physiotherapeutische, sporttherapeutische, ergotherapeutische, logopƤdische, psychologische, sozialtherapeutische und ggf. weitere therapeutische Kompetenzen (z.Ā B DiƤtassistenz bzw. ErnƤhrungsberatung) in sich vereinigt.
In dem hier vorliegenden GRBM-Manual und den dazugehörigen Kommentaren wird unter anderem auch auf krankheitsspezifische Leitlinien wissenschaftlicher Fachgesellschaften verwiesen, die im Kontext der Multimorbidität jedoch Einschränkungen aufweisen. So kann ein leitlinienbasiertes Vorgehen beim multimorbiden Patienten unpraktikabel, irrelevant oder gar schädlich sein, wenn beispielsweise mehrere Erkrankungen in der Weise interagieren, dass die medikamentöse Therapie den Zustand einer Erkrankung zwar verbessert, aber die Situation einer anderen Erkrankung verschlechtert und/oder geriatrische Syndrome wie Delir, kognitive Beeinträchtigung, Stürze oder Inkontinenz hierdurch induziert oder verschlimmert werden. Zudem beschreiben die meisten Leitlinien das Management einer einzigen Erkrankung auf der Grundlage der vorhandenen Evidenz, die in der Regel durch kontrollierte Studien gewonnen wurde. In diesen Studien sind multimorbide ältere Patienten jedoch meist ausgeschlossen oder unterrepräsentiert. Dies bedeutet, dass die im GRBM zitierten Leitlinien lediglich einen Handlungskorridor darstellen, von dem im Einzelfall abgewichen werden kann oder im Kontext von Funktionalität, Multimorbidität und Polypharmazie oft auch abgewichen werden muss. Um die Häufigkeit der Multimorbidität und der geriatrischen Syndrome zu illustrieren, wurden deren Prävalenzen auch exemplarisch beziffert, meist am Beispiel der hüftgelenksnahen Fraktur, einer typischen Indikation in der geriatrischen Rehabilitation.
Für die im GRBM gegebenen Empfehlungen haben die Autoren auch von der Nomenklatur deutscher Leitlinien (»soll, sollte, kann«) Gebrauch gemacht, um der Wertigkeit der Empfehlungen Ausdruck zu verleihen. Eine »Soll«-Empfehlung ist nicht unbedingt mit einem hohen Evidenzgrad gleichzusetzen. Allerdings ist eine »Soll«-Empfehlung nach den für die GRBM verantwortlichen Autoren in einem Rehabilitationsprozess umzusetzen.
Neben dem Verweis auf Leitlinien wird im GRBM eine expertenbasierte Auswahl spezifisch-geriatrischer Aspekte dargestellt, die im klinischen Alltag unter dem Vorzeichen der VulnerabilitƤt besondere Bedeutung finden müssen. Die aufmerksame Registrierung von GefƤhrdungspotentialen, das Monitoring und die Priorisierung therapeutischer MaĆnahmen sind wesentliche Grundprinzipen geriatrisch-medizinischen Handelns und finden in der geriatrischen Rehabilitation Anwendung. PatientenprƤferenzen und die damit verbundenen Teilhabeziele, die Berücksichtigung der Evidenz, Aspekte der Prognose und Nutzen-/RisikoabwƤgungen einschlieĆlich klinischer PraktikabilitƤt therapeutischer MaĆnahmen bilden schlieĆlich die Eckpfeiler bei der Gestaltung des Behandlungsplans. In der Gesamtschau ergeben sich daraus komplexe Entscheidungsprozesse, die in einem Umfeld zeitlicher und strukturell-finanzieller Begrenzungen zudem Kompromisse erfordern.
Bezüglich der Umsetzung der im GRBM gegebenen konkreten Empfehlungen zur Anwendung bestimmter Medikamente ist zu beachten, dass die wesentlichen Voraussetzungen (Indikation, Kontraindikationen, Wechselwirkungen, Zulassungsstatus etc.) in jedem Einzelfall vom behandelnden Geriater überprüft werden müssen. Bei der Planung therapeutischer und rehabilitativer MaĆnahmen müssen generell die individuell relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen wie z.Ā B Vorhandensein der FƤhigkeit zur freien Willensbildung Berücksichtigung finden. Dies gilt auch in Vorbereitung auf die RehabilitationsmaĆnahme, bei der die Indikationskriterien der geriatrischen Rehabilitation gemäà der Begutachtungsrichtlinie Ā»Vorsorge und RehabilitationĀ« zu beachten sind (Rehabilitationsbedürftigkeit, RehabilitationsfƤhigkeit, konkrete alltagsrelevante Rehabilitationsziele, positive Rehabilitationsprognose). Die Abgrenzung zur Akutgeriatrie ergibt sich aus der nicht mehr vorhandenen Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V. Dies impliziert, dass die Akutdiagnostik vor Beginn der geriatrischen Rehabilitation abgeschlossen sein muss. Eine Verlaufsdiagnostik zum Zwecke der medizinischen Ćberwachung und zur Sicherung eines nachhaltigen Rehabilitationserfolgs ist hingegen fester Bestandteil der geriatrischen Rehabilitation.
Die GRBM-Expertengruppe hƤlt die Grundprinzipien eines patientenzentrierten Zugangs, wie er von der Amerikanischen Gesellschaft für Geriatrie für Ƥltere Menschen mit Mehrfacherkrankungen empfohlen wird, für essentiell, um die Gesundheitsversorgung geriatrischer Rehabilitanden zielgerichtet und entsprechend ihren Bedürfnissen vorzunehmen.1 Der Aspekt der partizipativen Entscheidungsfindung (shared decision making) ist dabei vorrangig zu betrachten und vor dem Hintergrund des persƶnlichen und kulturellen Kontexts des Rehabilitanden stets individuell zu gestalten. An dieser Schnittstelle findet das GRBM seine Limitationen und muss ggf. ethisch-medizinischen Betrachtungen und daraus abgeleiteten Einzelfallentscheidungen weichen. Einflussfaktoren, die hier zum Tragen kommen, umfassen beispielsweise eine erkennbar begrenzte Lebenserwartung, Aspekte der Motivation und AdhƤrenz sowie persƶnliche Wertungen hinsichtlich kurativer, prƤventiver, symptomatischer und lebensverlƤngernder MaĆnahmen.
Die GRBM-Herausgeber, Februar 2018
Ā
2Ā Ā Ā Ā Ā Ā Ā Ā Ā Ā GRBM-Synopse
Ā
Ā
GRBM-ModulKernmaĆnahmeBedarfsabhƤngige ZusatzmaĆnahmeStationƤre EinzelmaĆnahmeStationƤre GruppenmaĆnahmeĆDPDETPTLOPSSDEB
ĆD=Ćrztlicher Dienst, PD= Pflegedienst, ET=Ergotherapie, PT=Physiotherapie, LO=LogopƤdie, PS=Psychologie, SD=Sozialdienst, EB=ErnƤhrungsberatung
3 GRBM-Module
GRBM 00: Modulatoren des Reha-Erfolgs
| BedarfsabhƤngige ZusatzmaĆnahme |
| |
Indikation bzw. Zielgruppe für die MaĆnahme
Zur Sicherung des Rehabilitationserfolgs sind Mindeststandards einzuhalten, die folgende Aspekte umfassen:
1. ERKENNEN von geriatrischen Problemen, die den nachhaltigen Behandlungserfolg gefƤhrden kƶnnen (Identifikation geriatrischer Syndrome)
Geriatrisches Assessment
2. ERKENNEN von Gefahrenpotentialen, die durch eine Entgleisung oder Unterversorgung der KomorbitditƤten verursacht werden
Medizinische Basisdiagnostik und Monitoring
3. ERKENNEN von Gefahrenpotentialen, die durch medikamentƶse Non-AdhƤrenz und/oder Polypharmazie entstehen kƶnnen
Medikamentenreview, Fehlverordnungen (PIM und Underuse), Selbstmanagement
4. Sicheres und umfassendes ĆBERLEITUNGSMANAGEMENT
Informationsbereitstellung im Entlassbericht
Geriatrisches Assessment
Bei Aufnahme
Beschreibung der MaĆnahme
⢠Selbstversorgung: Barthel-Index
⢠Mobilität: Timed Up & Go Test, SPPB, Handkraft
⢠Schmerz: NRS oder VAS
⢠Kognitiver Kurz-Screen: SFT
⢠Kognitives Assessment: z. B MMSE, Uhrentest, BAS, DemTect, MoCA, 6-CIT, SKT, MMBLIND
⢠Emotion/Depression: z. B GDS-15, GDS-8, GDS-5, DIA-S, HADS, BDI, PHQ-9, PHQ-2
⢠Sturzanamnese: Erhebung von Stürzen in der Vergangenheit, Sturzfolgen (Verletzungen)
⢠Sturzangst: klinisch oder validiertes Testverfahren, z. B Short-FES-I, FES-I
⢠Dysphagie: bei Risikopatienten klinisches Screening oder standardisierter Test, z. B Wasserschlucktest, Daniels-Test
⢠Ernährung: BMI, MNA-SF
Im Verlauf
⢠Selbstversorgung: Barthel-Index
⢠IADL/Medikamenten-Selbstmanagement: Geldzähltest nach Nikolaus
⢠Sozialassessment: Beurteilung der p...