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Fetale Alkoholspektrumstörungen
Diagnostik, Therapie, Prävention
This book is available to read until 5th December, 2025
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Fetale Alkoholspektrumstörungen
Diagnostik, Therapie, Prävention
About this book
Etwa ein Drittel aller werdenden Mütter in Deutschland trinken Alkohol während der Schwangerschaft. Die intrauterine Alkoholexposition kann zu einer toxischen Gehirnschädigung und somit zu einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) führen. Mit einer Prävalenz von mindestens 1 % aller Kinder zählt FASD zu den häufigsten "angeborenen" Erkrankungen. Das Buch stellt Erkrankungsbild, Ätiologie sowie Risiko- und Schutzfaktoren dar und zeigt Behandlungsoptionen sowie Präventionsansätze auf.
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Information
Prävalenz, Diagnostik und Therapie der Fetalen Alkoholspektrumstörungen
Mirjam N. Landgraf
1
Suchtmittelkonsum und Schwangerschaft – Häufigkeiten, Risikofaktoren und Folgen
1.1 Suchtmittelkonsum in der Schwangerschaft
1.1.1 Prävalenzen des legalen Substanzkonsums
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft
Laut der Studie »Gesundheit in Deutschland Aktuell« (GEDA 2011) haben knapp 20% der schwangeren Frauen einen moderaten Alkoholkonsum (Wert im AUDIT-C von 1–3) und knapp 8% einen riskanten Alkoholkonsum (Wert im AUDIT-C von ≥ 4).
Der AUDIT-C (alcohol use disorders identification test-consumption; Bush et al. 1998) ist ein Screening-Instrument zur Identifikation von riskantem Alkoholkonsum, von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit. Er besteht aus drei Fragen, deren Antworten mit jeweils 0 bis 4 Punkten bewertet werden, sodass ein Gesamtwert von minimal 0 bis maximal 12 Punkten resultiert.
12% der Schwangeren geben ein binge drinking (entspricht einem Rauschtrinken, ≥ 5 Getränke pro Gelegenheit) seltener als einmal pro Monat an, knapp 4% jeden Monat und 0,1% mindestens jede Woche an.
Im direkten Vergleich von elf europäischen Ländern ergaben sich in einer anonymen Online-Befragung deutliche regionale Unterschiede (Mårdby et al. 2017). Der Fragebogen erfasste den Alkohol- und Tabakkonsum während der Schwangerschaft sowie soziodemografische Faktoren und stand im Zeitraum von Oktober 2011 bis Februar 2012 für Schwangere bzw. Mütter nach der Geburt online zu Verfügung. Von 7905 teilnehmenden Frauen berichteten 15,8% von einem Alkoholkonsum in der Schwangerschaft; davon besonders betroffen waren Großbritannien (28.5%), Russland (26,5%) und die Schweiz (20,9%), während Norwegen (4,1%), Schweden (7,2%) und Polen (9,7%) vergleichsweise geringe Prävalenzen aufwiesen.
Laut aktuellem Wissensstand kann keine für alle Schwangeren geltende, für das ungeborene Kind ungefährliche Menge an mütterlichem Alkoholkonsum bestimmt werden.
Merke
Ca. 28% der Frauen in Deutschland trinken Alkohol in der Schwangerschaft, ca. 16% zeigen ein binge-drinking-Verhalten.
Nikotinkonsum in der Schwangerschaft
Laut KIGGS Ergebnissen (Bergmann et al. 2007; Erfassung zwischen 2003 und 2006) rauchen ca. 18% aller Mütter in Deutschland während der Schwangerschaft. Risikofaktoren waren niedrigere soziale Schicht, kein Migrationshintergrund und wohnhaft in einer Großstadt.
In einer aktuellen irischen Studie (Reynolds et al. 2017) zeigte sich über einen Verlauf von fünf Jahren ein signifikanter Rückgang der rauchenden Schwangeren von 14,3% auf 10,9% (n = 42509, durchschnittliches Alter = 31,4 ± 5,5 Jahre). Risikofaktoren für das Rauchen während der Schwangerschaft waren ein jüngeres Alter, Arbeitslosigkeit, Multiparität, ungewollte Schwangerschaft, psychiatrische Erkrankungen, Konsum von Alkohol und/oder illegalen Drogen.
1.1.2 Prävalenzen des illegalen Substanzkonsums
Prävalenzdaten zum Konsum illegaler Substanzen in der Schwangerschaft sind in den wenigsten Ländern verfügbar und liegen zudem häufig in sehr unterschiedlicher methodologischer und damit nicht vergleichbarer Form vor (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2012). Eine annähernde Schätzung des illegalen Substanzkonsums in der Schwangerschaft ist aufgrund häufiger Verschweigungstendenzen, aber auch geringerer Inanspruchnahme von vor- und nachgeburtlichen Hilfen betroffener Schwangerer äußerst schwierig. Im amerikanischen National Survey on Drug Use and Health konsumierten nach Selbstauskunft in der Erhebungswelle 2012/2013 5,4% aller schwangeren Frauen kürzlich illegale Substanzen (z. B. Cannabis, Kokain, Halluzinogene, Heroin, Methamphetamin, missbräuchlich verschreibungspflichtige Medikamente) (U.S. Department of Health and Human Services 2014). Besonders auffällig in den amerikanischen Daten über die vergangenen Erhebungswellen ist, dass vor allem sehr junge Schwangere illegale Substanzen konsumierten: 14,6% der 15- bis 17-Jährigen, 8,6% der 18- bis 25-Jährigen und 3,2% der 26- bis 44-Jährigen. Dabei wurden computerunterstützte Interviewformen genutzt, die als relativ valide gegenüber face-to-face-Interviews gelten, auch wenn generell von Unterschätzungen der tatsächlichen Prävalenzen aufgrund von Antworttendenzen auch unter Schwangeren ausgegangen werden muss.
Dies zeigt sich auch in Untersuchungen, die biologische Marker mit Selbstauskünften der Schwangeren in Zusammenhang stellen. So fanden Friguls et al. (2012) in einer spanischen Studie bei 16% der werdenden Mütter in Haaranalysen biologische Marker für illegale Substanzen während des letzten Trimesters, jedoch gaben lediglich 2% der Mütter einen solchen Konsum an.
Ebenfalls in einer spanischen Studie (Roca Comas et al. 2017) wurden alle schwangeren Frauen um den Geburtstermin in einem Regionalkrankenhaus über einen einjährigen Zeitraum hinsichtlich des Substanzkonsums laboranalytisch untersucht. Dies geschah allerdings mit der zwar forschungsethisch notwendigen, aber aussagelimitierenden Einholung des Einverständnisses der Frauen; 83,6% der angesprochenen 862 Frauen stimmten hier zu. Bei 5,4% der Teilnehmerinnen wurden Hinweise auf Substanzkonsum gefunden. Während keine der Teilnehmerinnen positiv auf Opioide getestet wurde, war die häufigste identifizierte Substanz Cannabis. Auch im aktuellen Deutschen Epidemiologischen Suchtsurvey (Gomes de Matos 2016), nach dem 5,8% aller Frauen zwischen 18 und 64 Jahren illegale Substanzen konsumieren, gilt Cannabis unter beiden Geschlechtern als häufigste konsumierte illegale Droge.
Besonders zu bedenken, auch im Sinne des Schutzes des ungeborenen Kindes, ist, dass viele Konsumentinnen illegaler Substanzen häufig nicht nur eine Substanz konsumieren, sondern unter einer Polytoxikomanie leiden. Auch auf die Dynamik von ggf. ungewollten Schwangerschaften ist hinzuweisen, die sich sowohl motivierend als auch schädigend auf das Verhalten dieser Schwangeren auswirken können: Sowohl die Motivation, das Kind zu schützen, als auch Abwehr und Aggression gegenüber dem Ungeborenen aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft sind zu beobachten. Im ersten Fall gelingt ggf. eine Reduktion (aber meist keine völlige Abstinenz) zum Schutze des Kindes, im zweiten Fall ist der schwangeren Mutter in einigen Fällen das Wohl des Ungeborenen gleichgültig bis hin zum Wunsch, das Kind schädigen bzw. loswerden zu wollen.
1.2 Risiko- und Einflussfaktoren für Alkoholkonsum in der Schwangerschaft
Merke
Die Bestimmung von Risikofaktoren für Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist wichtig, um das medizinische, psychologische und sozialpädagogische Fachpersonal bezüglich daraus resultierender Risikopopulationen zu sensibilisieren. Erst dadurch kann den identifizierten Risikogruppen unter den zukünftigen Eltern eine intensivierte Aufklärung angeboten werden.
Ziel ist die Reduktion der Prävalenz von mütterlichem bzw. elterlichem Alkoholkonsum während der Schwangerschaft und damit der Inzidenz von FASD.
Die durch eine systematische Literaturrecherche belegten Risikofaktoren für mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sind hier aufgeführt (laut europäischer Literatur, Landgraf und Heinen 2016a):
Alter
• < 25 Jahre: Rauschtrinken (≥ 5 Getränke zu einer Gelegenheit) (Mullally et al. 2011)
• > 30 Jahre: häufigerer milder/moderater Alkoholkonsum (Alvik et al. 2006, Göransson et al. 2003, Murphy et al. 2013, Rebhan et al. 2009)
Nationalität
• Frauen ohne Migrationshintergrund (Bergmann et al. 2007, Murphy et al. 2013, Rebhan et al. 2009, Mullally et al. 2011)
Sozioökonomischer Status
(Bergmann et al. 2007, Alvik et al. 2006, Rebhan et al. 2009, Mullally et al. 2011, Strandberg-Larsen et al. 2008)
• höhere Bildung
• höheres Einkommen
• keine Arbeitslosigkeit
• private Krankenversicherung
Soziale Umgebung
• alleinstehende Frauen (Rebhan et al. 2009, Mullally et al. 2011, De Santis et al. 2011)
• Gefängnisinsassinnen (Cave: nur eine Studie) (Knight und Plugge 2005)
• Bezugspersonen, die ebenfalls Alkohol trinken, rauchen oder illegale Drogen einnehmen (Studien aus USA: siehe Landgraf und Heinen 2016a)
Gesundheitsbezogene Risikofaktoren
• Alkoholkonsum und Rauschtrinken vor der Schwangerschaft (Alvik et al. 2006, Göransson et al. 2003, Strandberg-Larsen et al. 2008)
• Konsum von Drogen oder Nikotin vor oder während der Schwangerschaft (Alvik et al. 2006, Murphy et al. 2013, Mullally et al. 2011, Strandberg-Larsen et al. 2008, De Santis et al. 2011)
• Übergewicht (Strandberg-Larsen et al. 2008)
Psychologische Risikofaktoren
• mentale oder neurotische Erkrankungen (Strandberg-Larsen et al. 2008)
• erhöhter Angst-Score (Alvik et al. 2006)
• impulsive Persönlichkeitszüge (Magnusson et al. (2007)
• stattgehabte oder aktuelle Misshandlung oder sexueller Missbrauch (Studien aus USA)
Schwangerschaftsbesonderheiten
• Erstgebärende: Alkoholkonsum vor Erkennen der Schwangerschaft (Mullally et al. 2011, Strandberg-Larsen et al. 2008, De Santis et al. 2011)
• Mehrgebärende: Alk...
Table of contents
- Deckblatt
- Titelseite
- Impressum
- Abkürzungen und Begriffserläuterungen
- Geleitwort der Reihenherausgeber
- Inhalt
- Einleitung
- Prävalenz, Diagnostik und Therapie der Fetalen Alkoholspektrumstörungen
- Prävention von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und Fetaler Alkoholspektrumstörungen
- Literatur
- Weiterführende Informationen
- Anhang: Vorschläge für die neuropsychologische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit Verdacht auf FASD
- Stichwortverzeichnis