Claus Schenk Graf von Stauffenberg
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Wagnis - Tat - Erinnerung

Peter Steinbach, Peter Steinbach, Julia Angster, Reinhold Weber

  1. 120 pages
  2. German
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Wagnis - Tat - Erinnerung

Peter Steinbach, Peter Steinbach, Julia Angster, Reinhold Weber

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Claus Schenk Graf von Stauffenberg is a modern myth: A soldier in Hitler's Wehrmacht, assassin and icon of the German resistance, whose name is inextricably linked with the 20th July 1944. Defamed after his act, driven out after the war for a long time in public debate, Stauffenberg today is present in the books and films as well. This book skilfully presents a life sketch of the Hitler Assassin and illuminates, above all, a modern icon of German history, as well as an assassin. Because Stauffenberg=s legacy and the new interpretations are just as interesting as his biography. The book is also aimed at those who want to know more about his life and the assassination attempt on Hitler.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2015
ISBN
9783170299627

1         Einleitung: Mythos und RealitÀt Stauffenbergs

Seit den 1960er Jahren sind wichtige Untersuchungen ĂŒber Claus Schenk Graf von Stauffenberg, seinen Bruder, aber auch ĂŒber seine SchwĂ€gerin und den Kreis der Verschwörer erschienen. Dabei wurden nicht nur schriftliche Überlieferungen, sondern auch Zeugnisse seiner Zeitgenossen – seiner Freunde und Kameraden und von Menschen, die dem AttentĂ€ter mehr oder minder zufĂ€llig begegneten – gefunden und bearbeitet. Vor allem Peter Hoffmann ist es zu verdanken, wenn wir eine mir geradezu lĂŒckenlos erscheinende Auswertung mĂŒndlich ĂŒberlieferter Nachrichten besitzen, die allerdings oftmals viel spĂ€ter formuliert wurden und deshalb immer auch spĂ€tere EinflĂŒsse, LesefrĂŒchte und Auseinandersetzungen von Beteiligten mit der Geschichtsschreibung und der Tagespublizistik spiegelten. Dies ist nicht immer unproblematisch, weil nicht nur ErzĂ€hl- und Überlieferungsschichten ein Eigenleben entfalten, sondern vielfach auch bewusste Absichten einzelner Zeitzeugen, die sich gegen angebliche Verzerrungen oder gar Verunglimpfungen durch Nachgeborene wehren, die Überlieferung prĂ€gen. Besonders deutlich wird dies, wenn ĂŒber das VerhĂ€ltnis der BrĂŒder Stauffenberg zu Stefan George berichtet wird. Denn sehr schnell wird deutlich, dass das Urteil auch von der WertschĂ€tzung mancher Nachgeborenen abhĂ€ngt, die sie dem Dichter entgegenbringen. Auch Bewertungen – etwa Kontroversen ĂŒber die die Rolle der Wehrmacht im NS-Staat oder die Verurteilung des Weltkriegs als Rassen- und Weltanschauungskrieg – fließen ein, die nicht zuletzt auch die Traditionsbildung der Bundeswehr oder den Vergleich Stauffenbergs mit anderen Regimegegnern, etwa dem Schreiner und HitlerattentĂ€ter Johann Georg Elser – spiegeln. Manche lehnen Stauffenberg ab, weil er zu spĂ€t gehandelt habe, manche unterstellen ihm, nur die soziale Stellung seiner „Kaste“ des adeligen Offiziers im Blick gehabt zu haben, manche entschuldigen das eigene persönliche Versagen, indem sie die MoralitĂ€t und den Rigorismus bezweifeln, der den AttentĂ€ter fĂŒr andere zum Vorbild, gar zum Helden macht.
Seitdem ich vor mehr als 30 Jahren zum Wissenschaftlichen Leiter der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand berufen und mit dem Aufbau einer Ausstellung betraut wurde, habe ich viele Erfahrungen mit schwankenden historischen Urteilen machen können – gerade im Hinblick auf den Umsturzversuch des 20. Juli 1944. Manche dieser Erfahrungen, auch Korrekturen von vorgefassten Meinungen, die ich feststellte und zuweilen geteilt hatte, prĂ€gen diesen biografischen Essay, der so Ausdruck meiner AnnĂ€herung an eine historische Persönlichkeit deutscher Geschichte ist. Im Laufe meiner Arbeit hat sich auch mein Bild von Stauffenberg verĂ€ndert. Die erste BeschĂ€ftigung mit ihm erfolgte anlĂ€sslich des 20. Jahrestags des Attentats 1964. Die Deutsche Bundespost ehrte acht WiderstandskĂ€mpfer durch einen Briefmarkenblock, damals eine große Besonderheit und rasch ein begehrtes Objekt jugendlicher Sammler, die einem damals noch verbreiteten Hobby viel Zeit widmeten. Zum 100. Geburtstag Stauffenbergs erschien eine weitere Sonderbriefmarke und fĂŒgte sich in einen Reigen vieler Sondermarken ein, die an den Widerstand gegen Hitler erinnerten. 1954 wurde anlĂ€sslich des zehnten Todestages des AttentĂ€ters ein Denkmal im Innenhof des Berliner Bendlerblocks eingeweiht. Auch gibt es seit den 1960er Jahren zwei Stauffenberg-GedenkstĂ€tten im deutschen SĂŒdwesten – in Stuttgart und im Geburtsort Stauffenbergs in Lautlingen. Damals hĂ€tte eine Vereidigung junger Rekruten am Jahrestag des Attentats Widerspruch hervorgerufen und zu heftigen Kontroversen gefĂŒhrt. Nicht so heute, es findet alljĂ€hrlich am 20. Juli das Gelöbnis junger Rekruten statt, feierlich begangen und von wichtigen Reden begleitet.
Die Gefahr einer derartigen Gewichtung liegt allerdings in der wachsenden Entfernung von Ereignis und Beteiligten von unserer Zeit und damit in der Ritualisierung der Gedenkveranstaltungen, in der Formelhaftigkeit vieler WĂŒrdigungen einer eigentlich unvorstellbaren Entscheidung, mitten in der kriegerischen Auseinandersetzung die militĂ€rische FĂŒhrung beseitigen zu wollen. Es galt den Krieg zu beenden und zugleich auch einen sichtbaren Beweis von einer politischen MoralitĂ€t zu geben, die in die Zukunft ausstrahlte. Weil die Tat nicht nur den Mut, sondern auch eine intensive Auseinandersetzung mit der RealitĂ€t des NS-Staates und den von ihm veranlassten Verbrechen, schließlich die Empörung ĂŒber das Unrecht und die Entscheidung zum Handeln voraussetzte, musste, unter Inkaufnahme aller Konsequenzen fĂŒr die eigene Person, das eigene Leben und das Schicksal der Angehörigen gewagt werden.
Wer den Widerstand gegen den Nationalsozialismus wĂŒrdigt, verherrlicht keinen Heroismus, sondern besinnt sich auf die Wurzeln und die Möglichkeit des stellvertretenden mitmenschlichen Handelns. „Und handeln sollst du so, als hinge von Dir und Deinem Tun allein das Schicksal ab der deutschen Dinge“, so rechtfertigte sich der MĂŒnchener Professor Kurt Huber, ein Mitglied der Weißen Rose. Stauffenberg argumentierte nicht auf diese Weise in Anlehnung an Kant und Fichte, sondern sah in Hitler eine Verkörperung des Bösen, den Widerchrist, ein böses Prinzip, das Stefan George in seiner Dichtung beschrieben und so als Möglichkeit der RealitĂ€t den BrĂŒdern Stauffenberg auf ihren Lebens- und Berufsweg mitgegeben hatte.

2 Tat und Wirkung

„Es ist unendlich viel leichter, in Gehorsam gegen einen menschlichen Befehl zu leiden als in der Freiheit eigenster verantwortlicher Tat. Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden.“
Mit diesen SĂ€tzen stimmte Dietrich Bonhoeffer beim Jahreswechsel 1942/43 seine engsten Freunde auf Erfahrungen ein, die noch vor ihnen lagen und denen sie sich stellen mussten, weil ihre Entscheidung, den Nationalsozialismus und sein Regime zu bekĂ€mpfen, lĂ€ngst gefallen war. Wer sich entschlossen hatte, sich fĂŒr das Ende des Nationalsozialismus einzusetzen, hatte eine unumkehrbare Entscheidung gefĂ€llt. Wer diese SĂ€tze auf sich wirken lĂ€sst, wird auch viele Jahrzehnte spĂ€ter innerlich berĂŒhrt sein – von der Konsequenz, der Selbstbeobachtung, dem sicheren Blick in die Zukunft.
Nachlebende tun sich leichter mit den Herausforderungen, die ihre Vorfahren zu bestehen hatten. Sie kennen den Ausgang der Geschichte, die fĂŒr jene offen war, die sich gleichsam „ohne jegliche Deckung“ fĂŒr die aktive Konspiration entschieden, die hingesehen, die RealitĂ€t des Unrechtsregimes erkannt und sich empört hatten und schließlich in der Lage waren, zu handeln.
Im RĂŒckblick aus mehr als 70 Jahren, die seit dem Anschlag vom 20. Juli 1944 vergangen sind, ist die WĂŒrdigung des Hitler-AttentĂ€ters Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seiner Tat anscheinend sehr einfach geworden. GedenkstĂ€tten, Gedenkvorlesungen und Filme machen deutlich, dass Stauffenberg zum Bezugspunkt des kollektiven zeitgeschichtlichen Erinnerns geworden ist. AlljĂ€hrlich erinnert seit Jahrzehnten die zentrale Gedenkveranstaltung an der Sterbestelle von Stauffenberg und einiger seiner wichtigsten, unmittelbaren Mitverschwörer im Innenhof des Bendlerblocks an den Anschlag im ostpreußischen FĂŒhrerhauptquartier, der dem Ziel, Hitler zu töten, so nahe gekommen war wie zuvor nur der Anschlag des Schreiners Johann Georg Elser auf den Versammlungskeller im MĂŒnchener BĂŒrgerbrĂ€u am 8. November 1939. Diese Erinnerungen, Gedenkveranstaltungen, Sonderbriefmarken und WĂŒrdigungen lassen schnell vergessen, wie schwer sich die Deutschen mit der WĂŒrdigung dieser Tat und des AttentĂ€ters Stauffenberg ĂŒber viele Jahrzehnte hinweg getan haben.
ZunĂ€chst bestimmte die NS-Propaganda das Bild der Deutschen vom Widerstand. Ehrgeizzerfressene Offiziere hĂ€tten versucht, ihn zu töten, hatte Hitler schon in den frĂŒhen Abendstunden in seiner ersten Rundfunkansprache verkĂŒnden lassen. Die meisten Deutschen machten, wie die Meldungen aus dem Reich bewiesen, in den folgenden Tagen aus ihrem Abscheu keinen Hehl, und der Sicherheitsdienst (SD) registrierte fleißig und geradezu triumphierend, wie sehr die Deutschen der „Vorsehung“ vertrauten, die Hitler vor dem Tod bewahrt habe. Stauffenberg wurde insgeheim nur von jenen bewundert und gerechtfertigt, die wussten, dass Deutschland allein durch eine Niederlage von der NS-Herrschaft befreit werden konnte. Die meisten Zeitgenossen aber sahen in dem Anschlag in der Tat nur den Versuch eines hohen Offiziers, in letzter Minute die eigene Haut zu retten. Und Skeptiker erinnerten sich an die „Dolchstoßlegende“, die das Klima in der Weimarer Republik vergiftet hatte, weil behauptet wurde, „Novemberverbrecher“ hĂ€tte das bis dahin unbesiegte deutsche Heer hinterrĂŒcks erdolcht. So hĂ€tten nun auch die Offiziere um Stauffenberg gehandelt und damit den gewĂŒnschten „Endsieg“ gefĂ€hrdet.
Welcher Mut zur entscheidenden Tat gehörte, was Stauffenberg, mit dieser Tat riskierte – Herkunft, Familie, Leben –, wollten sie weder wissen noch wĂŒrdigen, und nur zu gerne glaubten sie den AusfĂ€llen nationalsozialistischer Propaganda gegen Adelige und Generalstabsoffiziere. Das Attentat sollte eine ganz andere Wirkung entfalten: Die Nationalsozialisten wollten endgĂŒltig die besondere Stellung des Adels, die er trotz der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie behauptet hatte, beseitigen. An ihrer Stelle ĂŒbernahmen hohe FunktionĂ€re des NS-Staates das Ruder, die sogar ihre Machterstellung ausbauen konnten. So wurde Heinrich Himmler unmittelbar nach dem Anschlag zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt und verfĂŒgte daher ĂŒber die WehrmachtsverbĂ€nde, die sich auf Reichsgebiet befanden.
Die Mitverschwörer Stauffenbergs luden ĂŒberdies in den Verhören vor der Gestapo und der Sonderkommission des Sicherheitsdienstes einen großen Teil ihrer eigenen Verantwortung auf den bereits in der Nacht zum 21. Juli 1944 erschossenen Verschwörer ab, denn sie wussten, dass ihre Aussagen den lĂ€ngst Ermordeten und deshalb der WillkĂŒr der Gestapo entzogenen AttentĂ€ter nicht mehr gefĂ€hrden konnte. So wurde Stauffenberg in vielen Untersuchungsberichten, die der Chef des Sicherheitsdienstes (SD) Ernst Kaltenbrunner anfertigte und in seinem Sinne beeinflusste, zur entscheidenden Antriebskraft eines Umsturzversuches, der bis in die letzten Kriegstage hinein Opfer forderte, da das Regime tatsĂ€chliche oder vermeintliche weitere Verschwörer bis in die letzten Kriegstage hinein verhaften, verurteilen und töten ließ.
Images
Die Gedenkplatte fĂŒr die MĂ€nner des 20. Juli im Innenhof des Berliner Bendlerblocks.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wechselte die Perspektive der Deutschen. Nun wurde Stauffenberg nicht mehr offen als VerrĂ€ter diffamiert, wurde seine Familie zunehmend weniger geĂ€chtet. Geachtet wurde der AttentĂ€ter freilich noch nicht. Vielmehr suchten MitlĂ€ufer – der damalige BundesprĂ€sident Theodor Heuß sprach in seiner berĂŒhmten Rede anlĂ€sslich der Eröffnung eines der ersten DenkmĂ€ler zur Erinnerung an die NS-Zeit im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen Anfang der 1950er Jahre von den „moralisch Anspruchslosen“ – vor allem ihre eigene PassivitĂ€t gegenĂŒber dem NS-Regime und seiner verbrecherischeren KriegsfĂŒhrung zu rechtfertigen, wenn sie Stauffenberg weniger das in ihren Augen „verrĂ€terische“ Attentat als vielmehr dessen angeblich dilettantische AusfĂŒhrung anlasteten. Viel zu spĂ€t sei der Bombenanschlag erfolgt, nicht konsequent sei seine AusfĂŒhrung gewesen, und an den deutschen Stammtisch zeigten die mehr oder minder Bezechten, wie man das Attentat hĂ€tte durchfĂŒhren mĂŒssen. Respekt fand Stauffenberg nicht.
Die meisten Deutschen lehnten es sogar bis weit in die 1950er Jahre strikt ab, eine Schule oder eine Straße ihrer Gemeinde nach dem AttentĂ€ter zu benennen. Die auf diese Weise deutlich gewordene Verachtung lĂ€sst sich wohl nur tiefenpsychologisch erklĂ€ren. Denn die immer drĂ€ngender gestellten Fragen der Nachwachsenden nach der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern, nach ihrem VerhĂ€ltnis zum Nationalsozialismus, zur „Volksgemeinschaft“ und zu den Diffamierten wurden in der Regel so beantwortet, dass sich fast immer eine Entlastung, fast eine Rechtfertigung fĂŒr die Angepassten und MitlĂ€ufer ergab, die durch ihr Verhalten vieles von dem ermöglicht hatten, wogegen sich Stauffenberg gestellt hatte.
Dennoch kam Stauffenbergs Tat und auch seine adelig-militĂ€rische Herkunft Mitte der 1950er Jahren vielen der Deutschen gelegen, die fĂŒr die Bundesrepublik Deutschland erneut einen Platz in der Welt schaffen wollten und den Widerstand als Ausdruck eines anderen Deutschland deuteten. Der Hinweis auf den militĂ€rischen Widerstand wurde mit einem Anspruch auf RĂŒckkehr in den Kreis der, wie man sagte, „zivilisierten Nationen“ verknĂŒpft. Das Henning von Tresckow, einem der wichtigen Mitverschwörer, zugeschriebene Wort von dem „einen Gerechten“, dessen Existenz Deutschland vor dem Verderben bewahren sollte, wurde oft zitiert.1 Nicht selten wurde seitdem in Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an das Attentat und die Verschwörer immer hĂ€ufiger der Eindruck erweckt, als sei das Deutsche Reich das erste von den Nationalsozialisten besetzte Land gewesen – gleichsam mit Stauffenberg und seinen engsten Freunden als FreiheitskĂ€mpfern.
Die beiden Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches, die 1949 gegrĂŒndeten BRD und DDR, und damit des NS-Staates versuchten zehn Jahre nach der Niederlage der Wehrmacht einen Teil ihrer GeschichtsidentitĂ€t aus dem Widerstand zu begrĂŒnden. In der DDR sah die FĂŒhrung die Sache sehr einfach: In entscheidendem Maße sei der Widerstand von den Kommunisten angeleitet worden, und die Moskauer Kommunisten seien die fĂŒhrende Kraft des Gesamtwiderstands gewesen.2 HĂŒben las sich das anders: Die Regimegegner hĂ€tten sich der „Vollmacht des Gewissens“3 gebeugt, das vor allem die MenschenwĂŒrde zum Maßstab gemacht hĂ€tte.
Wie konnte man in einer solchen Situation Motive und Handlungen Stauffenbergs deuten? Seine Herkunft und seine Funktion konnte man nicht verĂ€ndern, vielleicht aber seine innere Überzeugung ein wenig korrigieren. Der Potsdamer Historiker Kurt Finker4 deutete Stauffenberg als AttentĂ€ter, der zumindest Kontakt zu den Kommunisten gesucht und angeblich bewusst eine programmatische NĂ€he zu den Zielen des kommunistischen Widerstands bewiesen habe. Diese Deutung lĂ€sst sich nicht belegen, ihr wurde mit ĂŒberzeugenden Argumenten rasch widersprochen. Stauffenberg wurde nun zunehmend als ein Regimegegner gezeichnet, der entschieden antikommunistisch war. Vergessen wurde, dass er das sozialdemokratische Mitglied des Kreisauer Kreises und fĂŒr die Zeit nach dem Umsturz als Innenminister vorgesehenen Julius Leber ermutigt hatte, Kontakte zu kommunistischen WiderstandskĂ€mpfern zu suchen, denn dem Widerstand ohne Volk musste eine Massenbasis geschaffen werden, um Widerstand aus dem Volk und mit der UnterstĂŒtzung der Bevölkerung erwachsen zu lassen. Deshalb waren Kontakte zu Gewerkschaftern, zu Vertretern der SPD und der alten KPD wichtig.
Dass die Bundeswehr Stauffenberg seit ihrer GrĂŒndung 1955 in ihr TraditionsverstĂ€ndnis aufgenommen hatte, ist verstĂ€ndlich, denn die vom Konzept des „BĂŒrgers in Uniform“ geprĂ€gte Bundeswehr sollte in Zukunft keineswegs mehr durch die Pflicht zum unbedingten Gehorsam charakterisiert werden können. Ein Kamerad von Stauffenberg, Wolf Graf Baudissin, hatte fĂŒr die Bundesrepublik dieses Konzept der Inneren FĂŒhrung mit dem Leitbild des StaatsbĂŒrgers in Uniform entwickelt und der Auseinandersetzung des Soldaten mit den ethischen Grundlagen des Soldatentums und den Grenzen des Gehorsams einen hohen pĂ€dagogischen Stellenwert zugeschrieben. Aber sicherlich schoss man in den Deutungen weit ĂŒber das Ziel hinaus, als behauptet wurde, WiderstandskĂ€mpfer des 20. Juli 1944 hĂ€tten die freiheitlich-demokratische Grundordnung verwirklichen wollen.
So drohte einer seiner Bereitschaft zur Tat angemessenen WĂŒrdigung Stauffenbergs wieder Gefahr, denn flĂ€chige und geradezu als historisch-politisches Stereotyp instrumentalisierte Deutungen des Anschlags in der Rastenburger „Wolfsschanze“ provozierten seit den 1960er Jahren regelmĂ€ĂŸig Widerspruch der Historiker. Sie deuteten die Gruppe der militĂ€rischen und bĂŒrgerlichen Regimegegner aus Wehrmacht und Verwaltung als RĂŒckwĂ€rtsgewandte, die niemals die Demokratie und das parlamentarische System des Grundgesetzes, das sie zudem hĂ€tten voraussehen mĂŒss...

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