Mobile Sonderpädagogische Dienste: Inklusion durch Kooperation
Walter Goschler
Mobile Sonderpädagogische Dienste sind im bayerischen Erziehungs- und Bildungswesen eine junge Erscheinung, die sich aus der schulorganisatorischen und pädagogischen Beantwortung der Frage nach dem Förderort von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf entwickelte. Aus diesem Grund muss der Rahmen für diesen Beitrag über die eigentliche Charakterisierung der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste erweitert werden hin zu der Fragestellung nach dem Beitrag der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in unterschiedlichen Fördersystemen – allgemeine Schule bzw. Förderschule. Für das Verständnis der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste sind dabei die Entwicklungslinien des Förderschulwesens in Bayern, in Deutschland und international von Bedeutung (vgl. Goschler 2010, 15 ff.).
1 Allgemeine Bestimmung der Mobilen Sonderpädagogischen Dienste
Grundgelegt sind die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG)1 in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000, mehrfach geändert, zuletzt am 9. Juli 2012, im Art. 21 Mobile Sonderpädagogische Dienste. Als Zielgruppe werden Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der allgemeinen Schule oder auch an einer Förderschule benannt. Als wesentliche Aufgaben sind die Bereiche Diagnostik, Förderung und Beratung aufgeführt. Hinzu kommen die Aufgabenfelder Koordinierung der Förderung und Fortbildung von Lehrkräften. Das zeitliche Maß der Förderung ergibt sich aus Absatz 2 und kann in der Regel ein bis zwei, aber auch weniger oder mehr Stunden pro Woche pro Schüler betragen. In diese Zeit fallen diagnostische Tätigkeiten, um einerseits den sonderpädagogischen Förderbedarf festzustellen und zu begründen und andererseits flankierende Fördermaßnahmen im Sinne einer Verlaufsdiagnostik zu begleiten. In einer individuellen Beratung, die sich an Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, aber auch an Lehrkräfte, Eltern und Erziehungsberechtigte richtet, werden Unterstützungs- und Fördermaßnahmen erörtert und festgelegt. Hieraus ergibt sich ein breitgefächertes Bündel an Maßnahmen, die den Verbleib der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der wohnortnahen allgemeinen Schule absichern und die individuelle Förderung dieser Schüler begründen sollen.
Für alle an der Förderung beteiligten Personen stehen als Unterstützungsmaßnahme die MSD-Infonews beim Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (isb.bayern.de) in München als Download zur Verfügung. In den Infonews finden sich grundlegende Informationen zu den jeweiligen Themenbereichen sowie weitere Literaturempfehlungen. Ebenfalls vom ISB werden die MSD-Informationen zu den einzelnen Förderschwerpunkten oder sonderpädagogischen Bereichen bereitgestellt. Hier wird über Zielsetzungen, Aufgabenfelder und besondere Aspekte der jeweiligen sonderpädagogischen Fachrichtung informiert. Für den Bereich Autismus werden 11 Materialien zu unterschiedlichen Aspekten des Themas angeboten.
Materialien des ISB:
MSD-Infonews: http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp?MNav=4&QNav=5&TNav=1&INav=0&Pub=754
Infonews für sonderpädagogische Förderschwerpunkte: http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp?MNav=4&QNav=6&TNav=2&INav=0&Proj=156&ProjU=1212
MSD-Infobriefe Autismus-Spektrum-Störung: http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp?MNav=4&QNav=5&TNav=1&INav=0&Pub=1167
Mehr Informationen befinden sich in den Literaturempfehlungen am Ende.
Neben diesen Informationsmaterialien wird von den Mitarbeitern der MSD ein umfangreiches und breites Fortbildungsangebot für Lehrkräfte an allgemeinen Schulen wie für Sonderschullehrkräfte sowie an der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf beteiligte Personenkreise auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene bereitgestellt.
Die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste sind eine vergleichsweise junge Erscheinung, die 1994 rechtlich grundgelegt wurde und sich rasch konstituierte und konsolidierte. Bei der Entstehung der MSD konnte allerdings auf langjährige Erfahrungen im Bereich der mobilen Förderung und Beratung in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören und körperlich-motorische Entwicklung zurückgegriffen werden. In Bayern gibt es seit 1976 erste Erfahrungen einer mobilen Unterstützung für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche an allgemeinen Schulen. »Die Mobile Sehbehindertenhilfe – so der Name dieses integrativen Dienstes zu Beginn ihrer Tätigkeit – war die erste ihrer Art im sonderpädagogischen Bereich« (Verband der Blinden- und Sehbehindertenpädagogen und -pädagoginnen 2004, 2; vgl. Drave/Fischer/Kießling 2013).
Inhaltlich können die MSD eingeordnet werden in die Linie eines sonderpädagogischen Perspektivenwechsels – manche Autoren sprechen auch von einem Paradigmenwechsel – hin zu einem subsidiären Verständnis von Sonderpädagogik, das sich abwendet von der Tradition der Sonderschulpädagogik, das auf defektorientierte Sichtweisen verzichtet und das sich orientiert an den Ressourcen und Kompetenzen der Schüler. Nicht mehr die Institution steht im Vordergrund, sondern eine personenbezogene individuelle Förderung, die sich auf verschiedene Förderkonzepte und eine Vielfalt der Förderorte orientiert (vgl. Schor 2008, 35). Damit können verstärkt wohnortnahe Erziehungs- und Bildungsangebote realisiert werden, die einen Verbleib in der jeweiligen sozialen Umgebung ermöglichen.
Die Tätigkeit der MSD lässt sich in fünf wesentliche, miteinander vernetzte Bereiche untergliedern:
• Diagnostik
• Förderung
• Beratung
• Koordination der Förderung
• Fortbildung und Professionalisierung.
Damit steht ein breit gefächertes Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf zur Verfügung. Es ist meist an allgemeinen Schulen oder an beruflichen Schulen verortet, kann aber auch an einer Förderschule oder einem Förderzentrum angeboten werden. Neben den Kindern und Jugendlichen steht das MSD-Angebot Lehrern, Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zur Verfügung.
Diagnostik wird dabei nicht als Platzierungsdiagnostik (welcher Schultyp für welchen Schüler) und auch nicht als reine Intelligenz- oder Leistungsdiagnostik verstanden, sondern als Förderdiagnostik, die am Lernentwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen ansetzt und Fördermöglichkeiten im jeweiligen Bedingungsfeld aufzeigen kann.
Aufgrund anamnestischer und förderdiagnostischer Maßnahmen wird ein Förderplan entwickelt, der mit allen Beteiligten (Schüler, Eltern, Lehrer) abgesprochen, in zeitlich nicht allzu großen Abständen überprüft und fortgeschrieben wird. Die Realisierung der Fördermaßnahmen obliegt dabei nicht ausschließlich der MSD-Lehrkraft. Ein wesentlicher Teil der Förderung wird durch die Lehrkraft der allgemeinen Schule in Absprache mit der MSD-Lehrkraft durchzuführen sein. Der Begriff der Förderung wird nicht als unmittelbare Einzel- oder Kleingruppenförderung im direkten Sinne verstanden, sondern als indirekte Förderung im Sinne vielfältiger Interventionsmöglichkeiten, die nicht alle am jeweiligen Schüler ansetzen. Hierzu gehört ebenfalls eine Sensibilisierung der Lehrkräfte der allgemeinen Schule über die jeweiligen Förderbedürfnisse und Fortschritte, die Ableitung von Unterstützungsstrategien für Schüler, Eltern und Lehrkräfte und der Zugang zu außerschulischen Fördereinrichtungen und -maßnahmen (vgl. Schor 2002, 82 f.).
Damit ist der Bereich der Förderung eng verknüpft mit dem Aspekt Beratung. Beratung wird hier nicht als eindimensionale, zielgerichtete Handlung, sondern als multidimensionales Modell in einem personal-sozialen Beziehungsgefüge, das nicht nur am Schüler, den Eltern und Lehrkräften ansetzt, sondern auch das System soziale Gruppe bzw. Schule miteinbezieht. Dadurch werden »hohe Anforderungen an eigene Flexibilität, Kontaktbereitschaft und Kooperation außerhalb der eigenen Schule und des eigenen Systems, seien es KollegInnen der Regelschulen, die Eltern der gemeldeten Kinder oder Vertreter diverser Fachdienste und andere Kooperationspartner,« gestellt (Hempel 2008, 79). Im Handlungsfeld Beratung können deutliche Unterschiede im Vergleich zur Tätigkeit einer Sonderschullehrkraft als Klassenlehrkraft an einer Förderschule festgestellt werden. Das Beratungsangebot des MSD ist fakultativ, soll Informationen geben, soll Antworten für die Ratsuchenden bereit halten, soll die Verantwortung der Ratsuchenden akzeptieren und hat vorwiegend präventiven Charakter (vgl. ebd. 85).
Aus der inhaltlichen Skizzierung der Aufgaben des MSD bezüglich Diagnostik, Förderung, Beratung geht hervor, dass der Sonderschullehrkraft im MSD die Koordination aller Fördermaßnahmen obliegt. Anders ausgedrückt: Bei der Sonderschullehrkraft laufen alle Fäden zusammen, werden reflektiert und für das weitere Vorgehen aufbereitet.
MSD-Maßnahmen setzen nicht ausschließlich am jeweiligen Schüler an, sondern letztlich am System der allgemeinen Schule. Dies kann nur gelingen durch die Bereitstellung von umfangreichen Fortbildungsmaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen und für verschiedene Personenkreise.
MSD-Tätigkeit ist eine hochgradig vernetzte innerhalb verschiedener Bezugssysteme. Dies gilt sowohl für die Zusammenarbeit Förderschule – allgemeine Schule wie auch für Zusammenarbeit zwischen den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten. Zwar steht der jeweilige Schüler im Zentrum der MSD-Aktivitäten; dennoch kann erfolgreiche MSD-Arbeit nur gelingen unter Einbezug von Eltern, Lehrern, Schulleitung und Schule. Darüber hinaus kommen weitere Vernetzungsvarianten hinzu:
• Therapeutische Einrichtungen
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