Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern
eBook - ePub
Available until 5 Dec |Learn more

Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern

Ein praxisorientiertes Lehrbuch

  1. 295 pages
  2. English
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub
Available until 5 Dec |Learn more

Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern

Ein praxisorientiertes Lehrbuch

About this book

Psychological disturbances are just as frequent among small children as they are in older children, but they are often not adequately recognized and treated. The aim of this textbook is to provide a comprehensive, well-founded and practically relevant overview of the variety of psychological disturbances that may arise between birth and the start of school. The textbook is based on interdisciplinary guidelines, new classification systems, current research results and the author=s many years of practical experience. Each disturbance is presented in detail, with specific recommendations for diagnosis and treatment.

Frequently asked questions

Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
No, books cannot be downloaded as external files, such as PDFs, for use outside of Perlego. However, you can download books within the Perlego app for offline reading on mobile or tablet. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
  • Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
  • Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern by Alexander von Gontard in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Medicine & Psychiatry & Mental Health. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.

Information

1 Psychische Störungen im Vorschulalter allgemein

1.1 Klassifikation

Störungen im Vorschulalter zeigen gegenüber denen älterer Kinder und Jugendlicher Besonderheiten. Es wurden deshalb in der Vergangenheit verschiedene Einwände dagegen erhoben, dass die Identifikation von psychischen Störungen in diesem Alter, die bei Egger und Angold (2006a) zusammengefasst sind, überhaupt sinnvoll und möglich ist. Man befürchtete, dass erstens das Vorschulalter eine so rasche Entwicklungsdynamik aufweise, dass valide Symptome oder Cluster von Symptomen überhaupt nicht gemessen werden könnten. Da manche Kinder individuelle Entwicklungsverläufe zeigen, die von Normen abweichen können, wurde zweitens in Frage gestellt, ob psychische Störungen überhaupt von Entwicklungsvarianten abgrenzbar seien. Drittens kritisierte man, dass die DSM- und ICD-Klassifikationen nicht genügend Entwicklungsaspekte berücksichtigen würden. Viertens wurde eine Stigmatisierung durch psychiatrische Diagnosen befürchtet, die die Selbstwahrnehmung des Kindes und elterliche Einstellungen negativ beeinflussen könnten. Und fünftens wurde kritisiert, dass Beziehungsaspekte mit den versorgenden Erwachsenen so unmittelbar wirksam seien, dass sie von der kindlichen Problematik nicht abgetrennt werden könnten.
Egger und Angold (2006a) weisen darauf hin, dass genau dieselben Kritikpunkte vor dreißig Jahren allgemein auch bei psychischen Störungen bei Schulkindern und Jugendlichen vorgebracht wurden. Die Entwicklung der allgemeinen Kinder- und Jungendpsychiatrie der letzten Jahrzehnte zeigte hingegen, dass diese Befürchtungen unbegründet sind und dass im Gegenteil eine kategorial ausgerichtete Klassifikation sich für die Praxis und Forschung ausgesprochen bewährt hat. In ihrer kritischen Übersicht kommen Angold und Costello (2009) deshalb zu dem Schluss, dass
• Kategoriale Diagnosen meist extreme Ausprägungen von kontinuierlich verteilten Symptomen repräsentieren;
• DSM-Kategorien sich gut replizieren ließen;
• Viele Störungsbilder, die auf Untersuchungen an Erwachsenen basieren, sich auch Im Vorschulalter zeigen und sich in der Praxis bewährt haben;
• Sich die häufigsten psychiatrischen Diagnosen bis zum Alter von zwei Jahren nachweisen lassen;
• Unter dem Alter von zwei Jahren jedoch alternative Klassifikationen notwendig sind, wie z. B. die DC:0–5 (2016). Seit der Veröffentlichung von Egger und Angold (2006a) hat sich gezeigt, dass dieser Zugang auch sehr gut bei Kindern bis zu fünf Jahren geeignet ist.
Von daher erscheint es theoretisch, logisch und praktisch sinnvoll, auch für das frühe Kindesalter eine kategoriale Einteilung von Störungsbildern zu übernehmen. Dabei stehen drei Klassifikationssysteme zur Verfügung, die sich sinnvoll ergänzen, wie im Folgenden aufgeführt.

1.1.1 Multiaxiales Klassifikationssystem nach ICD-10

Das multiaxiale Klassifikationssystem für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach der ICD-10 der WHO (WHO 1993, Remschmidt et al. 2001). Die ICD-10 bildet in Europa und in weiten Teilen der Welt immer noch die Grundlage der kinderpsychiatrischen Praxis mit gut definierten Störungsbildern, die sich zum Teil auch im Vorschulalter replizieren lassen. Leider gibt es keine Anpassung der ICD-10-Kriterien speziell für Störungen von jungen Kindern, sodass die ICD-10 nur im Tandem mit der DC: 0-5 (2016) sinnvoll angewendet werden kann. Die ICD-11 wird seit mehreren Jahren erwartet, ist aber bisher noch nicht erschienen.
In dem multiaxialen Klassifikationssystem (MAS) werden insgesamt sechs Achsen unterschieden, die jeweils individuell zu erfassen sind. Die sechs Achsen umfassen:
1. Achse: Das klinisch-psychiatrische Syndrom
2. Achse: Umschriebene Entwicklungsstörungen und Teilleistungsstörungen
3. Achse: Das Intelligenzniveau
4. Achse: Die körperliche Symptomatik
5. Achse: Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände
6. Achse: Die globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus
Da vorausgesetzt wird, dass die MAS der ICD-10 allgemein bekannt ist, wird sie in diesem Zusammenhang nicht weiter vertieft. Eine altersspezifische Adaptation bzw. Modifikation der Kriterien für das Vorschulalter gibt es, wie oben schon erwähnt, für die ICD-10 nicht. Die multiaxiale mehrdimensionale Bereichsdiagnostik (MBD) der Sozialpädiatrie orientiert sich ebenfalls an der ICD-10 (Bode et al., 2009). Der 3. Bereich der MBD ist identisch mit der 1. Achse der MAS. Beide stellen den Hauptfokus dieses Buches dar, nämlich die Erfassung der psychischen Störung des Kindes.

1.1.2 Klassifikation nach DSM-5

Die DSM-5 (APA 2013; Falkai und Wittchen 2015) wird in Nordamerika, anderen Ländern und vor allem in vielen Forschungsprojekten verwendet. Bei manchen Diagnosen bringt die DSM-5 einen deutlichen Vorteil gegenüber der ICD-10, z. B. bei der Neufassung von Essstörungen. Trotz vieler Überschneidungen divergieren die Kriterien für manche Diagnosen vor allem bei AHDS (DSM-5) versus HKS (ICD-10) erheblich, sodass die Unterschiede genau beachtet werden müssen.
Während die bisherigen DSM-IV-Kriterien speziell mit einer altersentsprechender Anpassung für junge Kinder revidiert wurden (die Research Diagnostic Criteria – Preschool Age (RDC-PA 2002, AACAP 2003, www.infantinstitute.org), steht eine Überarbeitung der DSM-5 Kriterien noch aus. Die Autoren der RDC-PA-Kriterien hatten dabei versucht, mehrere Grundprinzipien zu berücksichtigen:
• Eine enge Anbindung an DSM-IV-Kriterien: Diese sollten möglichst beibehalten werden, um eine Vergleichbarkeit mit älteren Kindern zu ermöglichen. Eine Veränderung sollte nur erfolgen, falls sie empirisch begründbar ist oder wenn einzelne Items für das Vorschulalter nicht passend sind.
• Keine Annahme von »internalen« Zuständen, Kognitionen und Emotionen: Wegen des eingeschränkten sprachlichen Ausdrucks können junge Kinder Gefühle und Gedanken nicht ausdrücken; sie können deshalb auch nicht eingeschätzt werden. Ein Einschluss von internalen Zuständen als Diagnosekriterien wäre deshalb Spekulation.
• Kein Einschluss von elterlichem Verhalten in die Diagnosekriterien der kindlichen Störung: Die Störung erfolgt nach phänomenologischen Prinzipien der kindlichen Symptome und nicht nach möglicher Ätiologie durch Symptome der Eltern-Kind-Beziehung.
• Eine klare Unterscheidung zwischen Symptomen und Beeinträchtigungen: Nur Symptome, nicht z. B. Beeinträchtigungen in der Familie und im Kindergarten, sollen zur Diagnose herangezogen werden.
• Klare Unterscheidung zwischen Symptomen und Diagnostikinstrumenten: Nur die Symptome an sich und nicht die Methodik der Erfassung gehören zu den Diagnosekriterien.
Die Verwendung von DSM-Kriterien mit altersentsprechender Modifikation macht durchaus Sinn, wie mehrere faktorenanalytische Studien im Vorschulalter zeigen konnten. Die Validität DSM-IV-basierter Syndrome wurde z. B. von Sterba et al. (2007) anhand von 1073 Kindern im Alter von 2–5 Jahren untersucht. In einer Faktorenanalyse konnten drei emotionale Syndrome differenziert werden: Soziale Phobie, Trennungsangst und Depression/generalisierte Ängste. Im Gegensatz zu älteren Kindern scheinen somit erhebliche Überlappungen zwischen depressiven und generalisierten Angststörungen vorzuliegen. Zudem konnten drei externalisierende Syndrome unterschieden werden: Oppositionell verweigernd/Störung des Sozialverhaltens (ODD/CD), Hyperaktivität/Impulsivität und Unaufmerksamkeit. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die DSM-Störungen sich sehr wohl im Vorschulalter abbilden lassen: »Psychopathology appears to be differentiated among preschoolers as much as it is among older children and adolescents. We conclude that it is as reasonable to apply the DSM-IV nosology to preschoolers as it is to apply it to older individuals.« In einer weiteren Studie konnten bei 2–6-jährigen Vorschulkindern grob die DSM-IV-typischen Angststörungen durch Faktorenanalyse nachgewiesen werden. Fünf Faktoren konnten trotz Überlappungen identifiziert werden: Soziale Phobie, Trennungsangst, generalisierte Angst, Zwangsstörungen und Angst vor körperlicher Verletzung (Spence et al. 2001). Wichström und Berg-Nielsen (2014) kamen aufgrund einer detaillierten Faktorenanalyse bei 995 4-jährigen Kindern zu dem Schluss, dass Symptomcluster sehr gut mit den DSM-IV-Kategorien übereinstimmen. Auch Möricke et al (2013) konnten anhand einer Faktorenanalyse von 6330 14 bis 15 Monate alten Kleinkindern klar umschriebene Verhaltensprofile identifizieren. 5,7% der Kinder zeigten Vorläufer von Angst-, affektiven und tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, und 6,4% von Sprachstörungen. Die Autoren folgern, dass sich selbst in diesem jungen Alter spezifische Verhaltens- und Entwicklungsprofile nachweisen lassen.
Zusammengefasst sprechen diese Studien dafür, dass viele DSM-basierte Diagnosen im Vorschulalter Sinn machen. Mit entsprechender Modifikation können valide, therapieleitende Diagnosen schon bei jungen Kindern gestellt werden.
Da die beiden Klassifikationsschemata (ICD-10 und DSM-5) zusammengefasst dennoch nicht alle Besonderheiten des Alters von 0–5 Jahren genügend erfassen, ist die Entwicklung der DC: 0-5 (2016) ein Meilenstein in der Erfassung psychischer Störungen bei jungen Kindern. Die DC: 0-5 (2016) bietet fundierte und aktuelle Kriterien von den wichtigsten Störungsbildern speziell für das junge Alter von Geburt bis zur Einschulung. Die Diagnosekriterien finden sich im Anhang III. Da die deutschen Leitlinien noch auf dem Klassifikationssystem DC: 0–3R (2005) basieren, sind auch diese Kriterien im Anhang II wiedergegeben.

1.1.3 Klassifikationssystem DC: 0-5 (2016)

Die Einführung eines eigenen Klassifikationssystems speziell für junge Kinder wurde von der »Task Force Zero-to-Three: National Center for Infants, Toddlers and Families« ab 1987 verfolgt. Bei der Zero-to-Three handelt es sich um ein globales, nicht kommerzielles wissenschaftliches Institut mit dem Fokus auf einer Verbesserung der seelischen Gesundheit von jungen Kindern. Babys und Kleinkindern soll zu einem guten Start ins Leben verholfen werden, u. a. durch die Schaffung von Standards zur Erkennung von psychischen Störungen. Das ursprüngliche Zero-to-Three-Klassifikationsschema (DC: 0–3) wurde erstmals 1994 veröffentlicht und 1999 ins Deutsche übersetzt (Zero-to-Three: Diagnostische Klassifikation 0–3 1999). Die DC: 0–3 wurde klinisch eingesetzt und durch mehrere wissenschaftliche Untersuchungen überprüft (Zusammenfassung siehe Emde und Wise 2003). Es wurde dabei deutlich, dass die Definition für manche Störungen revidiert und ihre Operationalisierung verbessert werden musste. Die Vorschläge zur Revision finden sich in der revidierten Version DC: 0–3R (2005), die jetzt durch die DC: 0-5 (2016) ersetzt wurde. Das Ziel war es, deskriptive und atheoretische Kriterien zu schaffen, die nicht auf unbestätigten Attributionen oder Interferenzen von inneren seelischen Zuständen beruhen, sondern auf sichtbare und erhebbare Zeichen und Symptome. Das Altersspektrum wurde von 0 bis 5 Jahre erweitert und neue Störungen wurden hinzugefügt. Angaben zur Dauer der Symptomatik, Einschränkungen bei der Diagnosevergabe und Beeinträchtigungen durch die Störung wurden ergänzt. Die Autoren betonen ausdrücklich, dass es sich bei der DC: 0-5 (2016) um eine Ergänzung, aber keinen Ersatz der DSM-5 und der ICD-10 handelt.
Die DC: 0-5 (2016) ist ebenfalls multiaxial aufgebaut und unterscheidet fünf Achsen:
1. Achse: Klinische (psychische) Störung
2. Achse: Beziehungskontext
3. Achse: Medizinische Diagnosen
4. Achse: Psychosoziale Stressoren
5. Achse: Entwicklungskompetenzen
Mit Abstand am wichtigsten ist die erste Achse. Sie bildet den Hauptfokus dieses Buchs. In Tabelle 2 sind deshalb alle Diagnosen der ersten Achse mit Hauptdiagnosen sowie den Subtypen aufgeführt. Man sieht auf den ersten Blick entscheidende Veränderungen gegenüber der bisherigen DC: 0-3R (2005) Klassifikation.
Als erstes finden sich die sogenannten Störungen der mentalen und neuronalen Entwicklung. Dieser sperrige Begriff ist im Englischen eleganter ausgedrückt als »neurodevelopmental disorders« (neurobiologische Entwicklungsstörungen). Diese Störungen beginnen früh im Leben, haben oft eine genetische Ätiologie und haben neurobiologische Korrelate. Die wichtigsten sind die Aut...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Einleitung
  7. 1 Psychische Störungen im Vorschulalter allgemein
  8. 2 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  9. 3 Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten (ODD)
  10. 4 Ausscheidungsstörungen
  11. 5 Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)
  12. 6 Bindungsstörungen
  13. 7 Depressive Störungen
  14. 8 Angststörungen
  15. 9 Anpassungsstörungen
  16. 10 Sensorische Verarbeitungsstörungen
  17. 11 Essstörungen
  18. 12 Schlafstörungen
  19. 13 Exzessive Schreistörung
  20. 14 Weitere Störungen
  21. 15 Beziehungsstörungen
  22. 16 Ausblick
  23. Abkürzungen
  24. Literatur
  25. Anhang I: Amerikanische Leitlinien zur Diagnostik psychischer Störungen von Säuglingen und Kleinkindern
  26. Anhang II – Klassifikation DC: 0-3 R (2005) (nach ZERO TO THREE 2005)
  27. Anhang III – Klassifikation DC: 0-5 (2016) (nach THERO TO THREE 2016)
  28. Stichwortverzeichnis