II AusgewÀhlte Methoden in der Verhaltensmedizin
Messung der respiratorischen AktivitÀt
Daniela Schön, Andreas von Leupoldt und Thomas Ritz
Einleitung
Die Atmung (Respiration) gehört zu den elementarsten Körperfunktionen des Menschen. Sie dient der stĂ€ndigen Versorgung des Körpers mit Sauerstoff und der konstanten Entsorgung von Kohlendioxid, welches bei der NĂ€hrstoffverbrennung entsteht. Die Steuerung der Respiration erfolgt weitgehend unbewusst durch ein hoch komplexes Zusammenspiel verschiedener Hirnareale (z. B. Medulla oblongata), Nervenbahnen (z. B. Vagusnerv) und Muskeln (Diaphragma, inspiratorische Atemhilfsmuskulatur) sowie damit assoziierten vielfĂ€ltigen chemo- oder mechanosensorischen RĂŒckmeldesystemen, wobei auch eine bewusste und willkĂŒrliche Beeinflussung möglich ist. WĂ€hrend der Inspiration strömt die Luft ĂŒber die oberen Atemwege Mund, Nase, Rachen, Kehlkopf und Luftröhre in die unteren, sich immer stĂ€rker verzweigenden Atemwege der Lunge (Bronchien, Bronchiolen, Alveolen). In den hauchdĂŒnnen AlveolarwĂ€nden findet dann der eigentliche Gasaustausch statt. Da viele Atemwegserkrankungen wie beispielsweise Asthma bronchiale (siehe auch Beitrag von Ritz in diesem Band) oder COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) von erheblicher verhaltensmedizinischer Relevanz sind, sollen im nachfolgenden Beitrag ausgewĂ€hlte Messmethoden der respiratorischen AktivitĂ€t vorgestellt werden. Zudem sollen einige typische verhaltensmedizinische Anwendungsbeispiele skizziert werden. Hierbei kann nur auf die wichtigsten Verfahren eingegangen werden; fĂŒr weitere Verfahren und deren detaillierte Darstellung sei auf entsprechende Ăbersichtsarbeiten hingewiesen (z. B. Dahme et al. 2001).
1 Messung von Atemfrequenz, Atemfluss und Atemvolumina
Zur Charakterisierung der Respiration bzw. des respiratorischen Systems werden eine Reihe von verschiedenen Kennwerten angewandt (Dahme et al. 2001). Diese unterteilen sich in statische Volumina, statische KapazitĂ€ten, dynamische Parameter (siehe Tabelle 1) sowie weitere MaĂe wie z. B. des Gasaustausches, AtemwegswiderstĂ€nde, DruckmaĂe oder EntzĂŒndungsmarker. Unterschiedliche funktionale Aspekte des Atmungssystems können somit untersucht und beurteilt werden, wobei die Atemfrequenz (fR), welche die Anzahl der AtemzĂŒge pro Minute angibt (oft auch RR, fĂŒr respiration rate), zu den am einfachsten zu messenden Kennwerten gehört.
Tab. 1: Respiratorische Parameter (modifiziert nach Dahme et al. 2001)
| Art | Kennwert | AbkĂŒrzung | Beschreibung |
| Statische | Atemzugvolumen | V; engl.: âtidal volumeâ, VT | Normales In- und Exspirationsvolumen |
| V O L U M I N A | Inspiratorisches Reservevolumen | IRV; engl.: âinspiratory reserve volumeâ | Volumen, das nach normaler Inspiration durch besondere Anstrengung noch zusĂ€tzlich eingeatmet werden kann |
| Exspiratorisches Reservevolumen | ERV; engl.: âexpiratory reserve volumeâ | analog zum inspiratorischen Reservevolumen |
| Residualvolumen | RV; engl.: âresidual volumeâ | Volumen, das nach maximaler Exspiration noch in der Lunge verbleibt |
| Statische | VitalkapazitĂ€t | VC; engl.: âvital capacityâ | Volumen, das nach maximaler Inspiration maximal ausgeatmet werden kann = MaĂ der AusdehnungsfĂ€higkeit von Lunge und Brustraum |
| K A P A Z I T Ă T E N |
| InspirationskapazitĂ€t | IC; engl.: âinspiratory capacityâ | Volumen, das nach normaler Exspiration maximal eingeatmet werden kann |
| Funktionelle ResidualkapazitĂ€t | FRC; engl.: âfunctional residual capacityâ | Volumen, das nach normaler Expiration noch in der Lunge enthalten ist (bei Lungengesunden = TGV) |
| TotalkapazitĂ€t | TLC; engl.: âtotal lung capacityâ | Volumen, das nach maximaler Inspiration in der Lunge enthalten ist |
| Dyna- mische | Maximale AtemstromstĂ€rke | PEFR; engl.: âpeak expiratory flow rateâ | Maximaler Fluss, der wĂ€hrend einer forcierten Exspiration, beginnend nach maximaler Inspiration, erreicht wird |
| P A R A M E T E R | SekundenkapazitĂ€t | FEV1; engl.: âone-second forced expiratory volumeâ | Gasvolumen, das in der ersten Sekunde einer forcierten exspiratorischen VitalkapazitĂ€t ausgeatmet wird |
| Relative SekundenkapazitÀt (Tiffeneau-Index) | FEV1 % VC | Prozentualer Anteil der FEV1 an der VitalkapazitÀt; nicht zu verwechseln mit der absoluten SekundenkapazitÀt, die sich auf den Sollwert (FEV1 % Soll) bezieht |
| Forcierte VitalkapazitĂ€t | FVC; engl.: âforced vital capacityâ | VolumenĂ€nderung zwischen maximaler Inspiration und maximaler Exspiration, mit maximaler Geschwindigkeit durchgefĂŒhrt; ist aus atemmechanischen GrĂŒnden besonders bei Lungenkranken hĂ€ufig kleiner als die VC |
1.1 AtemgĂŒrtel
Mit Hilfe eines elastischen AtemgĂŒrtels können atmungsbedingte Bauch- und/oder BrustkorbumfangsĂ€nderungen gemessen werden (Dahme et al. 2001). Hierbei wird der Atemgurt direkt ĂŒber der Brust oder dem Abdomen angelegt, wodurch eine leichte BeeintrĂ€chtigung der Atemexkursion entsteht. Durch die Dehnung und Entspannung des Brustkorbs oder Abdomens bei der Inspiration und Exspiration wird der Atemgurt entsprechend gedehnt oder entspannt. Diese DehnungsĂ€nderung wird auf einen Sensor ĂŒbertragen, der beispielsweise durch PiezoelektrizitĂ€t oder pneumatische DruckverĂ€nderung in einem luftgefĂŒllten Schlauch eine Spannung erzeugt, welche verstĂ€rkt und graphisch sichtbar gemacht wird. WĂ€hrend die Atemfrequenz somit zuverlĂ€ssig und kontinuierlich erhoben werden kann, ist das Atemvolumen mit einem AtemgĂŒrtel alleine nicht valide abschĂ€tzbar. FĂŒr die Messung des Atemvolumens sind zwei AtemgĂŒrtel, fĂŒr Brustkorb und Abdomen, notwendig. Diese können unter Verwendung zusĂ€tzlicher GerĂ€te, wie die nachfolgend beschriebenen Spirometer oder Pneumotachographen oder aber auch durch die Ein- und Ausatmung in einen simplen Beutel mit Standardvolumen (z. B. 800 ml fĂŒr Erwachsene), initial kalibriert werden. Ein etwas aufwĂ€ndigeres aber zur VolumenabschĂ€tzung genaueres Verfahren ist die respiratorische Induktanz-Plethysmographie, bei der die zwei GĂŒrtel isolierte spiralenförmige DrĂ€hte sind, deren Dehnung zu einer messbaren InduktanzverĂ€nderung fĂŒhrt. Bei fester Anbringung an Brustkorb und Abdomen, etwa durch ein elastisches Hemd (z. B. LifeShirt, Vivometrics), lassen sich auch ambulatorische Messungen vornehmen.
Eine berĂŒhrungslose und daher geringer einschrĂ€nkende Messung der fR kann auch mit weniger zuverlĂ€ssigen Infrarot-Atemsensoren erfolgen, wobei Kleidung und Abstandsunterschiede zwischen Sensor und Bauch/Brust die Ergebnisse verzerren können (Murgg 2003).
1.2 Spirometrie und Pneumotachographie
Mit Hilfe der Spirometrie können kontinuierlich Lungenvolumina und -kapazitĂ€ten gemessen werden, wobei mittels verschiedener MessgröĂen zwischen obstruktiven und restriktiven Lungenerkrankungen differenziert werden kann. Das klassische Wasserspirometer, bei welchem ĂŒber Hebel mechanisch die Daten aufgezeichnet wurden, ist von Spirometern mit Balg oder Zylindern, deren Bewegungen aufgezeichnet werden, abgelöst worden (Dahme et al. 2001). Bei verschlossener Nase und ruhiger Atmung durch ein MundstĂŒck kann hierbei das Atemzugvolumen (VT) erfasst werden. Der Betrag der ein- bzw. ausgeatmeten Luft pro Minute wird Minutenventilation (Vâmin) genannt und in Litern/Minute angegeben. Der normale Range bewegt sich zwischen 5â10 Litern/Minute. Er kann aus dem Produkt aus VT und fR errechnet werden. Spirometer werden hĂ€ufig benutzt, um neben dem VT mittels spezifischer Atemmanöver die VitalkapazitĂ€t (VC), die forcierte VitalkapazitĂ€t (FVC) und das forcierte exspiratorische Volumen in der ersten Sekunde (FEV1) zu erheben. Hierbei wird nach maximaler Inspiration entweder langsam (VC) oder forciert und schnell (FVC, FEV1) das gröĂtmögliche Volumen ausgeatmet. Die VC bzw. FVC sind dabei von der DehnungsfĂ€higkeit der Lunge abhĂ€ngig, wĂ€hrend das FEV1 durch das Lungenvolumen, die Kraft der Atemmuskulatur und die LeitfĂ€higkeit bzw. den Querschnitt der Atemwege beeinflusst ist. Das VerhĂ€ltnis FEV1/VC oder FEV1/FVC wird als MaĂ fĂŒr die Obstruktion (Verengung) der Atemwege benutzt (Ritz et al. 2002). Die valide Messung von FVC und VC erfordert allerdings genaue Supervision und nachhaltige Motivierung von Probanden, da die Ausatmung angemessen lang (mindestens 6 Sekunden) sein muss und unter betrĂ€chtlicher Anstrengung (Pressen) durchzufĂŒhren ist. Suboptimale Manöver fĂŒhren ansonsten zu einer UnterschĂ€tzung der Obstruktion durch die Indizes FEV1/VC oder FEV1/FVC. FĂŒr ambulante Messungen wurden auĂerdem kleine Taschenspirometer entwickelt, bei denen der exspiratorische Fluss eine Turbine antreibt. Diese arbeiten hĂ€ufig etwas ungenauer als die stationĂ€ren GerĂ€te, dafĂŒr sind sie zur intraindividuellen Verlaufsmessung und tĂ€glichen Kontrolle der Lungenfunktion im Alltag gut geeignet.
Die Pneumotachographie, 1925 von Fleisch entwickelt, dient der direkten Messung der AtemstromstĂ€rke (Atemflussgeschwindigkeit). Bei aufgesetzter Nasenklammer wird hierbei ĂŒber ein MundstĂŒck durch ein Rohr geatmet, in welchem durch kleine Lamellen ein definierter Strömungswiderstand hergestellt wird, der die Strömung laminar (wirbelfrei) macht. Dadurch wird eine minimale Druckdifferenz vor und nach den Lamellen erzeugt, durch entsprechende Druckrezeptoren gemessen und als AtemstromstĂ€rke dargestellt. Ăber eine analoge oder digitale Integration der Strömungskurve können entsprechende Volumina berechnet und in einer Fluss-Volumen-Kurve bzw. Volumen-Zeit-Kurve dargestellt werden. Neben den in der Spirometrie erhobenen Parametern kann auĂerdem der maximale exspiratorische Fluss wĂ€hrend der forcierten Ausatmung (MEF) erfasst werden, der relativzu dem noch auszuatmenden Anteil der FVC ausgedrĂŒckt wird und sich zur Diagnose von Störungen in den groĂen, zentralen Atemwegen (MEF75 %FVC) gegenĂŒber den kleinen, peripheren Atemwegen (MEF25 %FVC) eignet. Ein wichtiger pneumotachographisch messbarer Parameter der Lungenfunktion ist zudem der Peak Expiratory Flow (PEFR oder auch PEF), welcher die maximale forcierte exspiratorische AtemstromstĂ€rke nach maximaler Inspiration angibt und damit fĂŒr die Erkennung von Atemwegsobstruktionen ein wichtiges MaĂ darstellt. GerĂ€te zur Messung des PEF, sogenannte Peak-Flow-Meter, werden von Asthmatikern zur empfohlenen Selbstmessung der Lungenfunktion im Rahmen moderner SelbstmanagementplĂ€ne eingesetzt (National Institutes of Health/World Health Organisation 2005). Zudem gibt es alternativ dazu zahlreiche Taschenspirometer, welche Fluss und Volumina bei forcierter Exspiration bzw. Inspiration aufzeichnen können.
Ein verhaltensmedizinisch relevantes Anwendungsbeispiel der beschriebenen Technik lieferten Ritz und Steptoe (2000). Mittels tragbarer elektronischer Taschenspirometer untersuchten sie den Einfluss von Emotionen auf die Atemfunktion im Alltagsleben von 20 Asthmatikern und 20 Gesunden. Hierbei schĂ€tzten die Probanden dreimal tĂ€glich ĂŒber 21 Tage hinweg ihre Stimmung ein und fĂŒhrten anschlieĂend jeweils eine spirometrische Messung des FEV1 durch. Bei asthmatischen Patienten zeigte sich, dass insbesondere starke negative Stimmung (in leichterem MaĂe auch starke positive Stimmung) mit einer Reduktion des FEV1, d. h. einer Verschlechterung der Atmung, einherging. Diese Effekte konnten bei der lungengesunden Kontrollgruppe nicht beobachtet werden. Von Leupoldt et al. (2006a) haben mit vergleichbarer Methodik bei 10 Asthmatikern und 10 Gesunden Ă€hnliche Befunde zeigen können. Allerdings fanden sich hier nur signifikante Verschlechterungen der mittels Taschenspirometer gemessenen Lungenfunktion im PEF (als Trend auch im FEV1) in Situationen negativer Gestimmtheit, wĂ€hrend bei positiver Stimmung der PEF verbessert war. Es fanden sich zu...