Projektive Diagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Familien
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Projektive Diagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Familien

Grundlagen und Praxis - ein Handbuch

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Projektive Diagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Familien

Grundlagen und Praxis - ein Handbuch

About this book

Projektive Verfahren verwenden Spiel, Zeichnungen, Geschichten und Assoziationen als Medium, durch das ein junger Mensch seine zumeist unbewussten Motive, Konflikte und Ängste symbolisch ausdrücken und mitteilen kann. Sie ermöglichen es, Kinder, Jugendliche und Familien in ihrer Subjektivität, Individualität und Psychodynamik zu verstehen. Damit bilden sie eine praktisch wichtige Ergänzung zu den psychometrischen diagnostischen Methoden.Neben Zeichen-, Spiel-, verbalthematischen und imaginativen Methoden werden auch Verfahren der Bindungs- und Familiendiagnostik sowie projektive Tests in der Begutachtung vorgestellt. Jedes Verfahren wird in Bezug auf seine theoretischen Grundlagen, die Durchführung, Auswertung, Interpretation und die Gütekriterien ausführlich beschrieben.Dieses Werk bietet die erste vollständige Übersicht zur Theorie und Praxis der projektiven Testverfahren.Im Kaufpreis dieses Buches ist eine Spende für die Stiftung "Achtung! Kinderseele" enthalten.

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Information

III Zeichnerische Gestaltungsverfahren

1 Einführung
1.1 Historische Anmerkungen
1.2 Theoretische Grundlagen
1.3 Indikations- und Anwendungsbereiche
1.4 Durchführung
1.5 Allgemeine Hinweise zur Interpretation
1.6 Gütekriterien
1.7 Fazit
2 Baum-Zeichnungen
2.1 Der Baumtest von Koch (1949)
2.2 Imagination Baum nach Leuner (1985)
2.3 Baum und Traumbaum von Bět´ák (2008)
3 Menschzeichnungen
3.1 Der Draw-A-Person-Test (DAP) von Machover (1949)
3.2 Der Human-Figure-Drawing-Test von Koppitz (1968), deutsch: Zeichne-einen-Menschen-Test (ZEM, 1972)
3.3 Der Haus-Baum-Mensch-Test (House-Tree-Person Technique H-T-P) von Buck (1948)
3.4 Der Baum-Haus-Feuer-Wasser-Mensch-Test (BHFWM-Test) nach Lutz (2007)
4 Familie-Zeichnungen
4.1 Der Zeichentest »Familie in Tieren« (FiT) von Brem-Gräser (1957)
4.2 Die Wunschfamilie in Tieren
4.3 Die Verzauberte Familie (VF) von Kos & Biermann (1973, 2002)
4.4 Die Kinetic-Family Drawing Technique (KFD) von Burns & Kaufman (1970, 1972, 1982)
4.5 Die Besprechung der Familien-Zeichnungen mit Eltern oder der Familie
4.6 Der Dreibaumtest von Corboz (1962, 1980)
4.7 Imagination »Drei Bäume« in der Katathym Imaginativen Psychotherapie
5 Der Sterne-Wellen-Test (SWT) von Avé-Lallemant (1978, 1994)
5.1 Einführung
5.2 Historische Anmerkung
5.3 Theoretische Grundlagen
5.4 Indikations- und Anwendungsbereiche
5.5 Durchführung
5.6 Auswertung und Interpretation
5.7 Gütekriterien
5.8 Fazit
6 Der Wartegg-Zeichen-Test (WZT) von Wartegg (1939)
6.1 Einführung
6.2 Historische Anmerkungen
6.3 Theoretische Grundlagen
6.4 Indikations- und Anwendungsbereiche
6.5 Durchführung
6.6 Auswertung und Interpretation
6.7 Gütekriterien
6.8 Fazit
7 Weitere orientierende Zeichentests
7.1 Einführung
7.2 Der »Button-Test«
7.3 Das »Projektive soziale Atom« (Petzold & Orth 1990, 625 f; Petzold 1996, 206 ff; Müller & Petzold 1998)
7.4 Das »Beziehungsrad« (nach Fliegel & Kämmerer 2009)
7.5 Der »Problemkuchen« (Kirn 2009, 84 f)
7.6 Zeichnerische Darstellung der Symptomatik am Beispiel der Migräne
8 Zwischen Zeichnen, Spiel und Therapie: Das Squigglespiel von Winnicott (1968/1989)
8.1 Einführung
8.2 Historische Anmerkungen
8.3 Theoretische Grundlagen
8.4 Indikations- und Anwendungsbereiche
8.5 Durchführung
8.6 Fazit

1 Einführung

Zeichnerische Gestaltungsverfahren sind Tests, bei denen der Proband aufgefordert wird, ein vorgegebenes Motiv frei zu zeichnen (thematische Zeichentests: Baum, Haus-Baum-Mensch-Test; Baum-Haus-Feuer-Wasser-Mensch-Test, Familie in Tieren), vorgegebene Zeichnungen zu vervollständigen (Wartegg-Test) oder das Zeichnen findet in der Interaktion mit dem Untersucher statt (athematische Zeichentests: freies Zeichnen, Squiggletechnik). Zeichnen kommt dem Ausdruckswillen von Kindern entgegen und regt zu angstfreier, spontaner kreativer Gestaltung an, sofern es in der Instruktion gelingt, in der Situation Leistungsdruck zu vermeiden. Daher eignet sich Zeichnen (oft besser als Reden) gut zur angstreduzierenden Kontaktaufnahme.
Die angesprochenen Themenbereiche wie familiäre Beziehungen, Selbstbild oder Welterleben sind meist konflikthaft oder ambivalent besetzt, so dass es insbesondere für Kinder schwierig ist, die eigene Meinung offen zu äußern. Die Aufforderung, stattdessen etwa Tiere zu zeichnen, ist dagegen unverfänglicher, weniger durch Gewissensbisse und Loyalitätsverpflichtungen der Probanden eingeschränkt und eröffnet einen Phantasieraum, in dem es ungefährlicher erscheint, die Wahrheit auszudrücken. Das trifft innerhalb gewisser Grenzen auch dann zu, wenn der Proband die Sache durchschaut.
Zeichentests sind ohne großen Aufwand an Zeit und Material durchführbar, also ökonomisch. Sie bieten eine Fülle an formalen und inhaltlichen Informationen, die zur Diagnose beitragen können. Formale Aspekte beziehen sich auf die Ausführung und Gestaltung, inhaltliche Aspekte beispielsweise auf symbolisch dargestellte Konflikte, die aktuelle emotionale Verfassung, auf erlebte Beziehungen und das Selbstbild. Durch ihre Ausdruckskraft eignen sich Zeichnungen besonders gut, um den Betroffenen psychologische Sachverhalte unmittelbar vor Augen zu führen und so ohne viele Worte Einsicht zu erzeugen.

1.1 Historische Anmerkungen

Nach Wittkowski (2011, 345 ff) lässt sich der Entwicklungsgang zeichnerischer Gestaltungsverfahren in fünf Phasen einteilen: eine Orientierungsphase im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, die sich mit Zeichnungen von Kindern und von Geisteskranken befasste und in der es um Leistungs- und Entwicklungsaspekte und die Erarbeitung von Normen ging. Dieser folgte eine zweite Phase (bis ca. 1928), in der Zeichnungen als Ausdruck der Gesamtpersönlichkeit betrachtet wurden. In der nächsten Phase (bis Ende der 1930er Jahre) erfolgte die Gegenüberstellung von beschreibenden und charakterologischen Aspekten. Psychoanalyse, Psychiatrie und Entwicklungspsychologie sahen in den Zeichnungen den Niederschlag krankhafter Zustände, die allerdings empirisch nicht verifiziert werden konnten. Die vierte Phase (1939–1968) ist gekennzeichnet durch die Einführung des Projektionsbegriffs in die zeichnerischen Gestaltungsverfahren und der resultierenden qualitativen Beurteilung auf der Grundlage subjektiven und intuitiven Verstehens. In der Praxis geschätzt, gerieten die projektiven Zeichentests bei den Wissenschaftlern nachhaltig in Misskredit. Die fünfte Phase (1968 bis heute) »steht im Zeichen einer selbstkritischen Haltung in Psychodiagnostik und Persönlichkeitspsychologie« (Wittkowski 2011, 347 f), die sich der Grundlagenforschung zuwendeten, während im Bereich der in der Praxis weitverbreiteten projektiven Verfahren offenbar kaum noch Anwendungsforschung stattfindet. Entsprechend enthalten die Neuauflagen der Monographien zu einzelnen Zeichentests seit den 1950er Jahren kaum neue empirische Befunde oder Weiterentwicklungen.

1.2 Theoretische Grundlagen

Zeichnen und Schreiben spielen eine bedeutsame Rolle in den ersten Jahren eines Kindes, das knapp die Hälfte der Zeit in Kindergarten und Schule mit diesen Tätigkeiten verbringt (Jenni 2013, 228).
Zur Funktion des Zeichnens im Kindesalter gibt es eine Fülle von Hypothesen. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich an Jenni (2013, Seite 228 f) und beschränkt sich auf die wichtigsten Funktionen:
Nachahmungsfunktion: Das Kind beobachtet die Erwachsenen und übt durch Nachahmung auf spielerische Weise deren Verhaltensweisen wie das Hantieren mit Stiften und Papier und die Planung von Arbeitsschritten ein, die es selbst später brauchen wird. Die Darstellung eines Inhalts steht dabei noch nicht im Vordergrund.
Abbildungsfunktion: Das Kind versucht, durch Zeichnen die Wirklichkeit möglichst genau darzustellen, ohne den Zeichnungen eine tiefere Bedeutung geben.
Kommunikationsfunktion: Das Kind tritt über die Zeichnungen mit der Umwelt in Beziehung und fordert seine Bezugspersonen auf, in Form eines Dialogs mit ihm zu spielen. Die Zeichnungen haben Mitteilungscharakter und erzählen eine Geschichte oder sie drücken die innere Befindlichkeit des Kindes (wie z. B. Schmerzen
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Kap. III, 7.5) besser aus, als es dies mit Worten könnte.
Ausdrucks- und Symbolfunktion: Die Ansicht, dass Zeichnungen eine besondere Ausdrucksform des kindlichen Innenlebens, seiner Bindungserfahrungen und seiner emotionalen Befindlichkeit darstellen können, liegt den projektiven Zeichentests zugrunde, die nachfolgend im Einzelnen besprochen werden.
Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, dass Kritzeln, Malen und Zeichnen die ersten Möglichkeiten für ein Kind darstellen, Spuren zu hinterlassen und etwas Bleibendes zu gestalten. Der Ausdruck Funktionslust (Bühler 1965, 157) meint die Freude an einer Tätigkeit um ihrer selbst willen. Sie ist eng mit Kreativität verbunden, der Spannung beim Ausprobieren von Neuem, mit der Erfahrung von Autonomie und Selbstkongruenz und mit dem Stolz darauf, etwas Eigenes geschaffen zu haben und dies zeigen zu können, einer wichtigen Quelle einer gesunden narzisstischen Entwicklung. Dieser Vorgang ist jedoch hoch sensibel und leicht irritierbar, z. B. durch leistungsbezogene Kritik, durch Vormalen oder Hineinmalen in das entstehende Bild des Kindes, durch Ausfragen oder Suggestivfragen, in der Schule durch die Vergabe von Noten. Auch gut gemeintes, aber allzu häufiges übertriebenes Loben ohne genaues Hinschauen kann vom Kind nicht eingeordnet werden und ihm das Gefühl geben, nicht ernst genommen zu werden (vgl. Seidel 2007, 16).

1.2.1 Entwicklungsaspekte von Kinderzeichnungen

Die formale Ausführung der Zeichnungen erlaubt lediglich eine ungefähre Einschätzung des Entwicklungsstandes und der Reife des Kindes im Altersvergleich.
Kinder im gleichen Alter und auf der gleichen Entwicklungsstufe gestalten ihre Zeichnungen so unterschiedlich detailreich und differenziert, dass sich die Zeichnungen zur ungefähren Einschätzung der Intelligenz verwenden lassen. In empirischen Untersuchungen zeigte sich die Differenziertheit der Menschzeichnung als wichtigster Indikator der allgemeinen Intelligenz, festgestellt mithilfe standardisierter Intelligenztests (Goodenough & Harris 1950, n. Grossmann & Grossmann 2012, 350). Allerdings können Zeichnungen Intelligenztests nicht ersetzen, wie noch ausgeführt wird.
Über die zeichnerische Entwicklung von Kindern gibt es eine Vielzahl von Theorien. Die wohl einflussreichste stammt (nach Jenni 2013) von Luquet aus den 1920er Jahren. Luquet (1977) beschrieb vier verschiedene, zeitlich gestaffelte Entwicklungssequenzen: »Beim zufälligen Realismus zeigt das sehr junge Kind noch keine Darstellungsabsicht, während diese beim verfehlten Realismus zwar vorhanden ist und vom Kind geäußert wird, aber Form und Gegenstand der Zeichnung vom Betrachter noch nicht erkannt werden. Unter intellektuellem Realismus versteht Luquet, dass Kinder zeichnen, was sie kennen und nicht, was sie tatsächlich sehen (wie beim visuellen Realismus). Typische und für das Kind wichtige Details eines Objekts werden beim intellektuellen Realismus unabhängig von ihrem tatsächlichen Aussehen immer dargestellt. Die Theorie von Luquet hatte großen Einfluss auf viele nachfolgende Studien über das kindliche Zeichnen. Er postulierte, dass Kinder ihre Wahrnehmungen mit einer mentalen Repräsentation verknüpfen und dass Kinderzeichnungen eine äußere graphische Darstellung dieser inneren Modelle seien. Piaget bezeichnete Luquets Theorie als die »wichtigste Inspiration für seine Theorie des Denkens« (Jenni 2013, 229).
Kinderzeichnungen werden nicht nur von den Fähigkeiten und der Intelligenz eines Kindes beeinflusst, sondern auch von Anregung, Förderung und Vorbildern in der Familie, von Talent und Motivation, von der Schule und den graphischen Codes der Kultur, in der das Kind aufwächst. Eine Studie, die Zeichnungen von annähernd 5000 eineiigen (also genetisch identischen) und 9560 zweieiigen, gemeinsam aufgewachsenen Zwillingen im Alter von 4 Jahren verglich (Arden et al. 2014), fand, dass bei hoher Variabilität genetische Faktoren einen etwas stärkeren Einfluss (.55) auf die Zeichnungen haben als Familie und Umwelt (.39).
Insgesamt sind die Altersspannen, in denen bestimmte Charakteristika auftauchen, sehr weit zu fassen. Eine Übersicht gibt die folgende Tabelle:
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Tab. 1: Entwicklung des kindlichen Zeichnens (Daten aus den Zürcher Longitudinalstudien, Jenni 2013, 229)
Aufgrund der großen Variabilität in Ablauf und in der Ausprägung von zeichnerischen Entwicklungsstufen stellt jede Phaseneinteilung nur eine allgemeine Orientierungshilfe dar.
Das zweite Lebensjahr markiert den Beginn der Zeichenentwicklung eines Kindes. Das Kind kritzelt zunächst ohne Darstellungsabsicht (»funktionelles Kritzeln«), erst im dritten Lebensjahr werden d...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Geleitwort
  5. Danksagung
  6. Inhalt
  7. I Einleitung
  8. II Projektive Verfahren – Theorie und Problematik
  9. III Zeichnerische Gestaltungsverfahren
  10. IV Verbal-thematische Verfahren
  11. V Spielerische Gestaltungsverfahren
  12. VI Formdeuteverfahren
  13. VII Bindungsdiagnostik
  14. VIII Familiendiagnostik
  15. IX Projektive Verfahren in der Begutachtung
  16. X Fallbeispiel
  17. Literatur
  18. Stichwortverzeichnis