Teil I Grundlagen
1 Das Studium der Psychologie und Berufsperspektiven
Jörg Wolstein, Astrid Schütz und Stefan Lautenbacher
Einleitung
1.1 Studienangebote
1.2 Aufbau des Studiums
1.3 Inhalte des Studiums
1.4 Zulassung zum Studium
1.5 Berufsfelder
1.6 Beschäftigungsperspektiven
1.7 Zusatzausbildungen
Empfehlungen zum Weiterlesen
Weitere Informationen
Literatur
Einleitung
• Wovon hängt es ab, ob wir die guten Vorsätze zum neuen Jahr auch wirklich umsetzen?
• Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Aggressivität einer Person im Alltag und ihrer Vorliebe für Gewaltdarstellungen in den Medien?
• Wie entstehen Gefühle?
• Wie funktioniert ein Intelligenztest?
• Kann Schlaf unsere Gedächtnisleistung verbessern?
• Warum können wir dreidimensionale Objekte wahrnehmen, obwohl das Abbild unserer Umwelt auf der Netzhaut nur zweidimensional ist?
• Ist Denken ohne Sprache möglich?
• Kann sich die Persönlichkeit eines Menschen im Erwachsenenalter noch verändern?
• Ist Bestrafung ein gutes Erziehungsmittel?
• Wie zuverlässig ist ein Lügendetektor?
Vielleicht haben Sie sich schon einige der oben genannten Fragen gestellt, die Themen aus unterschiedlichen Teilbereichen der Psychologie ansprechen. In diesem Buch wird ein Überblick über das Fach Psychologie und seine Teildisziplinen gegeben. Dabei werden auch Fragen wie die oben angeführten behandelt.
Aufgabe der Psychologie ist es, menschliches Verhalten und Erleben zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen. Psychologie als Wissenschaft ist in Deutschland teilweise den philosophischen, teilweise den naturwissenschaftlichen Fakultäten zugeordnet. Dieses Phänomen spiegelt die Tatsache wider, dass die Wurzeln des Fachs zum einen in den Geisteswissenschaften und zum anderen in den Naturwissenschaften liegen. Aus diesem Grund wird die Psychologie oft als Brückenfach bezeichnet. Unterschiedliche Traditionen zeigen sich unter anderem in der Verwendung quantitativ oder qualitativ orientierter Methoden. Verschiedene Akzentsetzungen finden sich in einzelnen Forschungsteams auch bezüglich der Fragen, ob Erleben und Verhalten auf kognitiv-affektiver oder auf Verhaltensebene untersucht werden sollen und ob hierfür korrelativ, experimentell oder einzelfallorientiert vorgegangen wird. Häufig wurden in den letzten Jahren verhaltensgenetische, evolutionsbiologische oder neurowissenschaftliche Zugänge verfolgt, die eine größere Nähe zur Biologie als zu den Sozialwissenschaften aufweisen. Die proklamierten Dekaden des Gehirns (USA: 1990–1999, Deutschland 2000–2009) haben der Hirnforschung starken Auftrieb verliehen und die Psychologie als praktischen und theoretischen Problemlöser vermeintlich in die Defensive gebracht. Mittlerweile ist aber klar, dass selbst die besonders populäre Bildgebung viele Fragen an die Psychologie mit der reinen Aufzählung von Hirnlokationen nicht beantworten kann (Strack, 2010).
Krampen (2004) bezeichnet die Psychologie als transdisziplinäre Wissenschaft und sieht gerade die Vielfalt der Zugänge, Theorien und Methoden als Chance, um Phänomene mit natur-, geistes- oder sozialwissenschaftlichen Konzepten und Methoden zu bearbeiten. Während der letzten Jahre hat in starkem Maße eine Internationalisierung der Psychologie eingesetzt (Frensch, 2013). Als Fachsprache hat sich dabei das Englische etabliert. Durchschnittlich werden derzeit mit steigender Tendenz etwa 37 % der Publikationen im deutschsprachigen Raum in englischer Sprache veröffentlicht (Schui, Hoffmann & Krampen, 2013). Neue Erkenntnisse werden regelmäßig in Fachzeitschriften und auf Tagungen vorgestellt (s. z. B. www.dgps.de).
1.1 Studienangebote
An 50 deutschen Universitäten besteht die Möglichkeit, ein Bachelorstudium in Psychologie durchzuführen, an 44 dieser Hochschulen wird auch ein Masterstudium angeboten. Zusätzlich bieten seit einigen Jahren vermehrt auch Fachhochschulen spezialisierte Studiengänge wie zum Beispiel Wirtschafts-, Kommunikations- oder Rehabilitationspsychologie an (Übersicht bei
www.dgps.de/studium). Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt (Abschluss Staatsexamen) wird an den Universitäten Bamberg, Eichstätt und München als eigenständiges Fach für ein Lehramtsstudium angeboten. Ein Fernstudium der Psychologie ist an der FernUniversität Hagen möglich (
Kap. 32 in diesem Band).
Die Zahl der Studierenden im Hauptfach hat sich zwischen 2008 und 2012 von etwa 31 000 auf über 54 000 erhöht. Ein Teil dieser Entwicklung ist allerdings dadurch erklärbar, dass im Gegensatz zum früheren Diplomstudiengang die Studierenden im Bachelor- und im Masterstudiengang separat gezählt werden, was sich daran zeigt, dass etwa doppelt so viele Studierende im ersten Fachsemester wie im ersten Hochschulsemester zu finden sind (Statistisches Bundesamt, 2013a). Etwa 75 % der Studierenden sind Frauen. Der Unterricht erfolgt durch 4 000 hauptberufliche Lehrkräfte (Statistisches Bundesamt, 2013b), was im Vergleich zu 2008 eine Zunahme um ein Drittel ist. Circa 90 % der Studierenden schließen das Studium mit Erfolg ab, wobei diese Zahlen für das Diplomstudium erhoben wurden und möglicherweise nicht einfach für die neuen Studiengänge zu extrapolieren sind (Weber, 2007). Die Zahl der Promotionen lag 2012 bei 580, das sind 21 % der Studienabsolventen im gleichen Jahrgang.
1.2 Aufbau des Studiums
Das Studium der Psychologie besteht in der Regel aus einem sechssemestrigen Bachelor- und viersemestrigen Masterstudiengang. Der erste Abschluss wird an den meisten Hochschulen Bachelor of Science in Psychologie (B. Sc.) genannt und ist theoretisch berufsqualifizierend. Allerdings gibt es zum Berufseinstieg von Bachelor-Absolventen bisher in Deutschland wenige Erfahrungen. Die meisten aktuellen Stellenangebote sind für Master- und Diplomabsolventen ausgeschrieben (Frensch, 2013). Auch die europäischen Fachgesellschaften für Psychologie vertreten die Auffassung, dass der Bachelorabschluss nicht für eine unabhängige, selbstständige psychologische Berufstätigkeit qualifiziert. Deshalb folgt in der Regel noch das Masterstudium, bei dem es sich somit um den eigentlichen berufsqualifizierenden Abschluss handelt. An einigen Universitäten wird im Masterstudium eine spätere berufliche Spezialisierung vorweggenommen, und der entsprechende Studiengang trägt diese Spezialisierung auch im Titel (zum Beispiel »Wirtschaftspsychologie« oder »Klinische Psychologie«). Die meisten Studiengänge schließen aber mit einem allgemeinen Master of Science (M. Sc.) in Psychologie ab, was eine gewisse Flexibilität bei der späteren Berufswahl ermöglicht. Eine Unterscheidung in forschungs- oder praxisorientierte Masterstudiengänge lässt sich nicht mehr aufrechterhalten, weil es in den meisten Masterstudiengängen Wahlmöglichkeiten gibt, die ein eher praxis- oder eher forschungsorientiertes Profil des Studiums möglich machen. In allen Studiengängen ist eine Regelstudienzeit festgelegt, die meist nur um jeweils zwei Semester überschritten werden kann. Bei Krankheit, aus familienbezogenen Gründen, für einen Auslandsaufenthalt oder ein längeres Praktikum können aber Beurlaubungen beantragt werden, zum Beispiel bis zu zwei Semester in einem Studiengang.
Die angebotenen Lehrveranstaltungen im Studium lassen sich grob in Vorlesungen, Seminare, Übungen und Praktika unterteilen. Die Vorlesungen werden meist von Professorinnen und Professoren angeboten und haben große Teilnehmerzahlen. Üblicherweise wird aber der Stoff nicht »vorgelesen«; vielmehr sollten sich die Studierenden auch aktiv an der Erarbeitung des Themas beteiligen. Seminare werden auch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchgeführt und finden in kleineren Gruppen statt. Hier steht die aktive Beteiligung durch die Studierenden im Vordergrund; dies kann zum Beispiel durch Referate, moderierte Diskussionen, Projektarbeiten oder Hausarbeiten (also die schriftliche Ausarbeitung eines Themas) geschehen. In den Übungen besteht die Möglichkeit, das Erlernte unter Anleitung weitgehend eigenständig zu erproben, Praktika ermöglichen erste Kontakte mit der Berufswelt und werden von einer Psychologin oder einem Psychologen1 der Praktikumseinrichtung betreut. Praktika können aber auch in einer Forschungseinrichtung stattfinden und die Durchführung von Experimenten oder Mitarbeit an größeren Studien beinhalten. In vielen Studiengängen wird auch die Teilnahme als Versuchsperson an Experimenten verlangt und mit ECTS-Punkten vergütet.
Die Studiengänge sind modularisiert; das bedeutet, dass mehrere Lehrveranstaltungen zu einem Modul zusammengefasst und mit einer studienbegleitenden Modulprüfung abgeschlossen werden. Zum Beispiel könnte ein Modul Persönlichkeitspsychologie aus zwei Vorlesungen und einem Seminar bestehen, die innerhalb eines Studienjahres absolviert werden. Für erbrachte Leistungen, zum Beispiel eine schriftliche oder mündliche Prüfung, werden Punkte nach dem European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS) vergeben, um eine Vergleichbarkeit mit anderen europäischen Ländern zu gewährleisten. An der Höhe der vergebenen ECTS-Punkte lässt sich der Aufwand für die Studierenden erkennen, den sie für ein Modul erbringen müssen. Dabei entspricht 1 ECTS-Punkt 30 Zeitstunden, wobei hier nicht nur der Besuch von Lehrveranstaltungen, sondern zum Beispiel auch das Aufarbeiten des Stoffes und die Prüfungsvorbereitung berechnet werden. In der Regel summieren sich alle Tätigkeiten während eines Semesters auf 30 ECTS, also 900 Zeitstunden. Das entspricht theoretisch einer Vollzeit-Arbeitstätigkeit, obwohl nach eigenen Angaben von Studierenden der wöchentliche Studienaufwand mit durchschnittlich 31,9 Stunden angegeben wurde (Sieverding, 2013). Insgesamt müssen im Bachelorstudiengang 180 und im Masterstudiengang weitere 120 ECTS erreicht werden. Gemäß den ländergemeinsamen Strukturvorgaben in der Fassung des KMK-Beschlusses vom 04.02.2010 sollen Module einen Umfang von mindestens 5 ECTS aufweisen und werden in der Regel mit einer einzigen Prüfung abgeschlossen. Dadurch soll die Belastung der Studierenden durch Prüfungen erträglich gehalten werden. Welche Arten von Prüfungen verlangt werden, wie die Bewertung erfolgt, welche Fristen eingehalten werden müssen und andere Fragen zum formalen Ablauf eines Studiums werden in einer Prüfungsordnung festgehalten, die somit die rechtliche Grundlage für den Studienablauf darstellt. Die Inhalte und Struktur der Module werden von den Hochschulen in einem Modulhandbuch bekannt gemacht. Sowohl die Prüfungsordnung als auch das zugehörige Modulhandbuch finden sich in der Regel auf den Webseiten des Studiengangs. Somit können Studierende auch schon vor dem Studium einen Überblick über die unterrichteten Fächer und hochschulspezifische Besonderheiten bekommen.
Einige Studiengänge ermöglichen die Belegung von Nebenfächern oder ein Studium Generale, das einen ersten Einblick in andere Disziplinen erlaubt. Auch gibt es Wahlpflichtmodule, die meist erste Erfahrungen mit den verschiedenen Praxisfeldern der Psychologie ermöglichen und je nach Interessenlage gewählt werden. Typisch ist das Empirie- oder Experimentalpraktikum, in dem unter Anleitung die Planung und Durchführung von empirischen Untersuchungen geübt werden. Inzwischen bieten immer mehr Hochschulen auch virtuelle Lehrveranstaltungen an, die entweder komplett (»E-Learning«) oder teilweise (»Blended Learning«) online durchgeführt werden. Immer mehr im Mittelpunkt des Interesses steht auch ein Auslandsaufenthalt während des Studiums. Dieser kann zum Beispiel in Form eines Auslandsstudiums oder ei...