Medizin und Psychotherapie entwerfen mit verfeinerten diagnostischen Methoden ein immer klareres Bild vom Menschen, z. B. durch die EntschlĂŒsselung des Genoms und durch die Untersuchung des Hirnstoffwechsels. Von welchem Menschenbild gehen die Wissenschaften aus, wenn sie den Menschen zum Gegenstand ihrer Forschung machen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen unserem zunehmenden Wissen ĂŒber den Menschen und dem Unbewussten als dem Kern des Psychischen? Wo liegt der Unterschied zwischen dem Leib, der ich bin, und dem Körper, den ich habe, der vom Arzt untersucht und behandelt wird?Die 2. Auflage greift Fragen und Erfahrungen von Fachleuten und Studierenden auf und erschlieĂt in zehn Kapiteln die zentralen Themen des Menschseins (z. B. Bindung, Angst, Leiden, Trauer) fĂŒr Gesundheit, Krankheit und Therapie. Besonderer Wert wird dabei auf den Dialog zwischen Psychosomatik und der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Wesen des Menschen gelegt. Die Suche nach der Seele des Menschen wird ebenso thematisiert wie das Embodiment als aktueller Leitbegriff der Psychosomatik.
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Sie wissen, dass Bindung eine Beziehung ist, in der Sicherheit entsteht. Sie können Beispiele fĂŒr Bindungsverhalten nennen.
Auf Aristoteles wird eine berĂŒhmte Definition des Menschen zurĂŒckgefĂŒhrt: Er ist ein Lebewesen, das lĂłgos hat (Sinn, Wort, Vernunft), lat.: animal rationale. Wir mĂŒssen ergĂ€nzen: ein abhĂ€ngiges vernĂŒnftiges Wesen. Denn mit unserer Geschichte von Bindung und BedĂŒrftigkeit betreten wir den Raum der philosophischen Reflexion. Wenn wir die Vorgeschichte der Kindheit vernachlĂ€ssigen, dann vernachlĂ€ssigen wir auch, was im weiteren Leben an Bindung und BedĂŒrftigkeit auf uns zukommt, und dies nicht erst im hohen Alter (MacIntyre 2006).
Bindung ist ein hypothetisches Konstrukt, das sich nicht unmittelbar beobachten lĂ€sst. Hingegen ist Bindungsverhalten eine Klasse von variablen und altersabhĂ€ngigen Verhaltensweisen, mit denen das Kind Bindung (wieder-)herstellt. Die Bindungstheorie bildet die Grundlage fĂŒr ein interdisziplinĂ€res Forschungsgebiet, das eine besondere Klasse von Beziehungen untersucht, nĂ€mlich solche, die Sicherheit vermitteln. Sie gehört gleichermaĂen zur Ethologie (Verhaltensbiologie), Entwicklungspsychologie (insbesondere zur psychoanalytischen) und zur empirischen SĂ€uglingsforschung. Bindung als Urbeziehung entwickelt sich im ersten Lebensjahr. Bowlby zĂ€hlt kindliche Reaktionen auf, die zu Bindungsverhalten fĂŒhren, d. h. die Mutter zum Kind bringen und in seiner NĂ€he halten:
âą Schreien und LĂ€cheln
âą Nachfolgen und Anklammern
âą Saugen
âą Rufen
Diese das beidseitige Bindungsverhalten auslösenden kindlichen Signale haben ihre Entsprechungen in der spĂ€teren menschlichen Entwicklung, aber auch in tierischen Ăquivalenten. So können wir das Rufen als Ăquivalent von Disstress-Schreien kleiner Tiere, aber auch verzweifelter menschlicher Schreie in Situationen des Verlassenseins verstehen. Weiterhin können Totstellen und Sich-Unterwerfen als desorganisiertes Bindungsverhalten verstanden und innerhalb der Human-Pathologie mit somatoformen (
6) LÀhmungen, KrÀmpfen oder Schmerzen in Verbindung gebracht werden.
Bowlby stellt seine ErlĂ€uterungen zum menschlichen Bindungsverhalten in den Kontext der vergleichenden Verhaltensforschung. Bei wenig entwickelten Affen geht die anklammernde Initiative ganz vom Affenbaby aus, mit fortschreitender Höherentwicklung kommt es zur »evolutionĂ€ren Gleichgewichtsverschiebung von der Gesamtinitiative fĂŒr die Kontakterhaltung vom Baby zur Mutter« (1970/1975: 196).
Beim Menschen entwickelt sich das Bindungsverhalten im Kontakt mit der Hauptbindungsperson (in der Regel der Mutter). Bowlby stĂŒtzt sich auf Forschungen seiner SchĂŒlerin Mary Ainsworth, die spĂ€ter den »Fremde-Situations-Test« (
1.4) entwickelte. Als weiĂhĂ€utige Fremde in Uganda stellte sie gleichsam eine mobile Versuchsbedingung dar und besaĂ schon durch ihre Hautfarbe eine besondere Eignung, ein Kind zu alarmieren. Allein durch ihre Anwesenheit konstellierte sie den Unterschied zwischen dem Vertrautsein mit der primĂ€ren Bindungsperson und der ungewohnten Fremden.
Das Bindungsverhaltenssystem wird als Warnsystem nur in besonderen Situationen der Unsicherheit und Angst mobilisiert. Der Unterschied zwischen Bindungssystem und Bindungsverhalten liegt also einerseits in der Beobachtbarkeit und Operationalisierung, andererseits in der Provokation durch verunsichernde Auslöser. Diese sind beginnend mit der Acht-Monats-Angst bzw. dem »Fremdeln« im Kindesalter hĂ€ufiger als im spĂ€teren Leben. Dennoch manifestieren sie sich immer wieder im Verlauf der lebenslangen Entwicklung, z. B. bei Trennung und Abschied, bei der Wahl von Partnerschaft und Beruf, bei der eigenen Elternschaft bis hin zur Beziehungsgestaltung zwischen Arzt und Patienten auf der Palliativstation (Loetz et al. 2013). Wird das Bindungsverhaltenssystem mobilisiert, ist dies an den gleichen Bindungsverhaltensweisen wie in der Kindheit erkennbar oder aber in deren (mehr oder minder regressiven) erwachsenen Gestaltungen bzw. in den verschiedenen neurotischen Abschattungen. Beispiele fĂŒr Letzteres sind die »sichernden« Verhaltensweisen und Gedanken des zwangsneurotischen oder die Krisen des angstneurotischen Menschen (
5.6). Die Ausbildung einer stabilen Bindungsbeziehung ist eine wichtige Voraussetzung fĂŒr zentrale Entwicklungsaufgaben, etwa fĂŒr den Umgang mit dem Alleinsein.
Bindungsverhalten entwickelt sich Bowlby zufolge allmĂ€hlich und »frĂŒher, stĂ€rker und durchgĂ€ngiger« der Mutter gegenĂŒber als dem Vater oder anderen Bezugspersonen gegenĂŒber. Dabei ist mit sozio-kulturellen Ăberformungen durch die Geschlechterrollen zu rechnen, die Bowlby in Bezug auf die westlichen Industriegesellschaften ausdrĂŒcklich einrĂ€umt. Bowlby betont neben der Verantwortung der Pflegeperson die aktive Rolle des Babys im Ergreifen der Initiative zur Interaktion. Das Kind erfasst zunehmend das bevorstehende Weggehen, sodass viele Bezugspersonen zu einer »List« greifen, um ihr Weggehen zu »vertuschen«. Nach dem dritten Geburtstag werden fremde Umgebungen und untergeordnete Bindungsfiguren besser toleriert.
Das Bindungsverhalten tritt allmĂ€hlich zugunsten der Zugehörigkeit zu einer Familie, Gruppe oder Gemeinschaft in den Hintergrund oder macht anderen Motivationssystemen Platz, nĂ€mlich den BedĂŒrfnissen nach psychischer Regulierung physiologischer Erfordernisse (z. B. durch kulturelle Gestaltung von Mahlzeiten), nach Exploration und Selbstbehauptung, nach aversivem Reagieren (Antagonismus oder RĂŒckzug), nach sinnlichem Genuss und sexueller Erregung. Das Bindungsverhaltenssystem kann jedoch jederzeit, auch im Erwachsenenalter, in Not, Gefahr, Krise, UnglĂŒcksfĂ€llen, z. B. bei schwerer Krankheit (
7) oder Traumatisierung (
5.9), mobilisiert werden.
Neben der entwicklungspsychologischen Perspektive gibt es auch eine evolutionsbiologische Sicht auf die Bindung. Schon Darwin postulierte, dass prosoziale Verhaltensweisen einen evolutionĂ€ren Vorteil darstellen. Dieser evolutionsbiologische Gesichtspunkt wird deutlich am Vergleich von Gehirnen verschiedener Tierarten. Die Evolution des Gehirns kann schematisch in den Stufen Reptilienhirn â AltsĂ€ugerhirn â NeusĂ€ugerhirn beschrieben werden. Das Gehirn der frĂŒhen SĂ€ugetiere (Insektenfresser und Nagetiere) legt sich um das Reptiliengehirn (Hirnstamm und primitive Basalganglien). Der Neocortex (GroĂhirnrinde des Menschen und der Primaten) »stĂŒlpt« sich um die beiden Ă€lteren Gehirne, die jedoch gleichzeitig wirksam bleiben: Im Reptiliengehirn können reflektorische, viszerale und vegetative Prozesse lokalisiert werden. FĂŒr den Ăbergang von den Reptilien zu den frĂŒhen SĂ€ugern sind charakteristisch: Brutpflege, Disstress-Rufe, MĂŒtterlichkeit und Bindung sowie Spiel. Im folgenden Exkurs geht es um die Neurobiologie des menschlichen Bindungssystems.
Grossmann & Grossmann (2012)
1.2 Neurobiologie der Bindung1
Lernziel 1.2
Sie entwickeln eine Vorstellung davon, welche Prozesse im Gehirn fĂŒr die Bindung relevant sind.
Die NĂ€he-/Distanz-Regulierung innerhalb aller nahen Beziehungen findet vor allem ĂŒber GefĂŒhle statt. Beziehungserleben induziert spontane GefĂŒhle, die sich u. a. in neuronalen und neurochemischen Prozessen abbilden. Durch VerĂ€nderungen in Regelkreisen, die primĂ€r der Verarbeitung von Emotionen dienen (z. B. das limbische System), können wiederum andere primĂ€r somatische Regelkreise angestoĂen werden, z. B. unter Beteiligung des Hypothalamus (»Stresshormone«) und verschiedener Hirnstammareale (sympathische Kerne); diese können ihrerseits wieder eine Kaskade weiterlaufender biologischer Prozesse initiieren. Diese Prozesse können sich in körperlichen Symptomen und Krankheiten Ă€uĂern. Ohnehin ist der gesamte Körper als Quasi-»Resonanzboden« unserer EmotionalitĂ€t immer bei der Entstehung und Wahrnehmung unserer Emotionen beteiligt. GefĂŒhle sind immer auch »peripher-körperlich«.
Panksepp geht von der These aus, dass den GefĂŒhlen evolutionĂ€r bedingte neuronale Mechanismen zugrunde liegen. Diese neuronalen Netzwerke/Mechanismen haben ihre je eigenen, intrinsischen GesetzmĂ€Ăigkeiten und Organisationsstrukturen. Nach Panksepp waren es vor allem Ă€uĂerliche, von der Umwelt ausgehende Herausforderungen und Gefahren, denen sich unsere Vorfahren ausgesetzt sahen. Jene Umweltreize generierten sehr spezifische Modifikationen des Nervensystems und eine sog. »Selektion« eines als basal aufzufassenden »Emotiven Organsystems« (engl. »emotion organ system«). Panksepp zufolge existieren vier basale emotionale Netzwerke, welche er als SEEKING, RAGE, FEAR, PANIC (
Tab. 1.1) bezeichnet. ZusÀtzlich beschreibt er die sozial-fördernden Emotionen LUST, CARE, PLAY und ihre neuronalen Korrelate.