Zukunft der Demokratie
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Zukunft der Demokratie

Ende einer Illusion oder Aufbruch zu neuen Formen?

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Zukunft der Demokratie

Ende einer Illusion oder Aufbruch zu neuen Formen?

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Demokratie betrifft uns alle - doch gegenwärtig besteht Unsicherheit, ob sie nach wie vor als bestmögliche politische Ordnung gelten kann. Erschien sie im 20. Jahrhundert als alternativlos, so ziehen aktuelle politische, ökonomische und kulturelle Phänomene diese Gewissheit in Zweifel: Wie genau ist Demokratie theoretisch zu fassen? Wie praktisch zu verstehen? Kann oder muss sie weltweit dasselbe bedeuten? Was ist ihr normativer Kern?Namhafte Politikwissenschaftler und Philosophen diskutieren diese Themen im Rahmen des Rottendorf Symposions - immer vor dem Hintergrund der Frage, ob sich das Ideal der Demokratie angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen, Problemlagen und Krisen als Illusion erweisen muss oder ob neue Formen von Demokratie geeignete Antworten auf die Transformationen gegenwärtiger Gesellschaften darstellen können.

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Information

Dilemmata der Europäischen Demokratisierungspolitik. Zur Wiederentdeckung der Zivilgesellschaft in der EU-Mittelmeerpolitik nach den Arabellions1

Annette Jünemann/Julia Simon

1 Einleitung

Bereits mit dem Beginn des Barcelona-Prozesses integrierte die Europäische Union (EU) ab 1995 deklaratorisch das Ziel der Demokratieförderung in ihre Mittelmeerpolitik, verbunden mit einem die Zivilgesellschaften einbeziehenden „bottom-up“-Ansatz (Rat der Europäischen Union 1995). Dem stand jedoch eine im europäischen Sicherheitsbedürfnis begründete und nach dem 11. September 2001 intensivierte Kooperation mit den autokratischen Eliten der Region gegenüber. Den in der Literatur so oft problematisierten Zielkonflikt zwischen Demokratisierung und Stabilisierung löste die EU zugunsten der Stabilität auf, faktisch also zugunsten des Status quo (vgl. Jünemann 2003). Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der aktiven Demokratieförderung einerseits und der konsequenten Priorisierung von Sicherheitsinteressen andererseits produzierte ein enormes Glaubwürdigkeitsdefizit der EU in den Gesellschaften der erweiterten Mittelmeerregion.
Die Arabellions2 mit ihren Erfolgen gegen die als stabil angesehenen autokratischen Herrscher stellen eine Zäsur im transmediterranen Kontext dar, denn sie offenbarten das realpolitische und normative Versagen der EU-Mittelmeerpolitik: Realpolitisch, weil die EU ihr Ziel des Stabilitätserhalts eindeutig verfehlt hat. Und normativ, weil die Welle prodemokratischer Aspirationen die Region nicht wegen, sondern eher trotz des Engagements der EU erfasst hat.3 Ihre Glaubwürdigkeit als wertgebundener internationaler Akteur und damit ihre Legitimationsbasis für eine externe politische Einflussnahme hatte die EU damit vorerst eingebüßt. Durch die aktuellen Umbrüche in den südlichen Partnerländern ergeben sich für die EU entsprechend vielfältige Herausforderungen und Dilemmata, die sie bearbeiten bzw. auflösen muss, wenn sie (weiterhin) als relevanter und wertorientierter Akteur in der Region auftreten möchte.
Der Reflexionsprozess, den die EU 2011 durchlaufen hat, deutet auf eine (Re-)Fokussierung der externen Demokratieförderung hin: „We have changed our approach and there is today much less tension between our interests and our values“ (Füle 2012a). Die angekündigte Form der Förderung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen und Akteursbeziehungen mit einem Fokus auf der arabischen Zivilgesellschaft ähnelt dem theoretischen Grundkonzept des Barcelona-Prozesses. Vor dem Hintergrund der defizitären Umsetzung der Prinzipien von Barcelona wäre es jedoch vorschnell, von einer (wiederholten) deklaratorischen Absichtserklärung auf einen substantiellen Politikwandel zu schließen.4
Daher wird im Folgenden die Frage beleuchtet, inwieweit die EU das Empowerment der Zivilgesellschaft in ihre neue Strategie der demokratiefördernden Partnerschaft mit den Staaten und Gesellschaften des südlichen Mittelmeerraums integriert hat und wie dies am Beispiel Ägyptens bis Mai 2013 umgesetzt wurde.
Wir betrachten ein konkretes Fallbeispiel, da die Entwicklungen in den einzelnen MENA-Staaten (Middle East & North Africa) trotz grundlegender Gemeinsamkeiten sowohl politisch als auch sozio-ökonomisch stark divergieren und damit generalisierende Aussagen über „die Region“ unmöglich machen (vgl. Jünemann/Zorob 2013; Perthes 2011). Das hat auch die EU erkannt und sich von ihrem ursprünglichen Ansatz einer homogenen Regionalpolitik weitgehend verabschiedet. In ihrer „neuen“ Herangehensweise wird das Prinzip der Differenzierung explizit betont (European Commission 2011a; 2011b). Ägypten erscheint uns als größtes Transformationsland und aufgrund seiner regionalen Sonderrolle von besonderem Interesse; seine Entwicklung in den Bereichen Stabilität und Demokratisierung sind sowohl für die MENA-Region als auch für die EU von unmittelbarer Relevanz.
Eine weitere Eingrenzung des Forschungsgegenstandes haben wir durch die Fokussierung der Zivilgesellschaftsförderung vorgenommen, die im Kern des europäischen Demokratisierungskonzepts verankert ist: Die Partnership for Democracy and Shared Prosperity with the Southern Mediterranean weist der Zivilgesellschaft rhetorisch eine den Regierungen gleichrangige Schlüsselrolle zu (European Commission 2011b). Indem wir uns auf einen einzigen, dafür aber elementaren Aspekt der Demokratieförderung konzentrieren, können wir besser aufzeigen, ob substantielle Veränderungen erkennbar sind bzw. welche internen und externen Bedingungen den angekündigten Politikwandel gegebenenfalls strukturell begrenzen.
Nach einer kurzen Analyse des transregionalen Handlungskontextes für die Demokratisierungsbemühungen (2) werden die von der EU formulierten „neuen“ Ziele, Inhalte und Adressaten der Politik identifiziert (3) und entlang dreier Ansätze der Zivilgesellschaftsförderung untersucht. Dies sind konkret die innerstaatlichen strukturellen Rahmenbedingungen für ein effektives Handeln zivilgesellschaftlicher Akteure, der bilaterale Dialog mit dem Establishment sowie die unmittelbare Kooperation mit der Zivilgesellschaft (4). Einer Betrachtung der bisherigen Politikergebnisse (5) folgend, werden konzeptuelle Dilemmata sowie Grenzen und Probleme in der Implementation der EU-Politik aufgezeigt (6) und unsere Schlussfolgerungen (7) dargelegt.

2 Strukturelle Rahmenbedingungen der EU-Demokratisierungspolitik in Ägypten

Durch die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum hat sich die politische Binnenorientierung der EU verstärkt, was die Aufmerksamkeit für internationale Problemlagen wie die Arabellions deutlich beschnitten hat. Die Verfügbarkeit von Ressourcen und die Bereitschaft zu einem finanziellen Engagement über bereits laufende oder unmittelbar zu Beginn der Transition in Aussicht gestellte Hilfsprogramme hinaus verringerten sich merklich, wie u.a. die auf freiwilliger Basis zu leistenden – und bisher weitgehend fehlenden – Beiträge zum neu geschaffenen European Endowment for Democracy (EED) sowie das niedrige Budget des European Instrument for Democracy and Human Rights (EIDHR) verdeutlichen.5
Ihre vergleichsweise geringe finanzielle Unterstützung sucht die EU durch kombinierte Kooperationsanreize wie politische Anerkennung oder wirtschaftliche bzw. handelspolitische Begünstigungen zu kompensieren.6 Insbesondere die in Kairo im November 2012 begründete EU-Egypt Task Force diente der Förderung von Synergieeffekten, auch zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Anlässlich der Veranstaltung wurden zudem Krediterweiterungen der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung angekündigt (vgl. European Commission/HR 2012; European Union 2012).
Diplomatisch reagierte die EU auf die Umbrüche in Ägypten indem sie offen auf die neuen machtpolitischen Akteure, also die Muslimbrüder und die von ihnen dominierte Regierung zuging. Im Sinne der Vertrauensbildung wurden neue und auf Nachhaltigkeit angelegte Kommunikationskanäle aufgebaut. Manifest wurde das gesteigerte politische Engagement der EU u.a. durch die Ernennung eines Sondergesandten für den Mittelmeerraum, dessen Aktivitäten anstatt der Regionalisierung jedoch vielmehr die Bilateralisierung der Mittelmeerpolitik festigten. Zusammengenommen sollen die Initiativen der EU neue Einflusskorridore erschließen, nicht zuletzt mit Blick auf die wachsende Konkurrenz durch andere externe Akteure wie Saudi Arabien, Katar, Russland oder China (vgl. Reuters 2013; Àlvarez/Youngs 2012: 122ff.; Vasconcelos 2012: 155f.).
Auf internationaler Ebene könnte die EU, zumindest theoretisch, gemeinsam mit den USA den deklaratorisch geteilten demokratieorientierten Forderungen mehr Gewicht verleihen. Es gibt eine Reihe von multilateralen Foren, über die politischer Einfluss auf die mediterranen Transformationsländer ausgeübt werden könnte. Im Falle Ägyptens sind diese Einflusskanäle jedoch wenig wirksam, solange für die USA sicherheitspolitische Erwägungen und Ägyptens Rolle im Nahostkonflikt und gegenüber Israel Priorität vor allen Demokratisierungsbemühungen genießen. Eine erkennbare Abweichung europäischer Positionen von den USA könnte gegebenenfalls, vor dem Hintergrund einer steigenden Responsivität der (islamischen) Entscheidungsträger gegenüber der eigenen (amerikakritischen) Bevölkerung und den arabischen Partnerstaaten, auch positive Implikationen für die europäische Glaubwürdigkeit entwickeln. Trotz des Bestrebens des damaligen Präsidenten Mursi, die externen Beziehungen zu diversifizieren, bekundete er – auch vor dem Hintergrund einer handelspolitischen Abhängigkeit – „his wish for the EU to be Egypt‘s main partner“ und wählte Brüssel als Destination seiner ersten Auslandsreise in den „Westen“ (European Union 2012). Gleichzeitig bekundete er durch sein auf innenpolitische Erwägungen zurückzuführendes, dezidiert selbstbewusstes und kritisches Auftreten gegenüber Europa, dass er die Erreichung eines zentralen Ziels der Revolution – die nationale Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber illegitimer (externer wie interner) Einflussnahme – auf Basis seiner formaldemokratischen Legitimation für sich beansprucht. Die notwendige Anerkennung seiner aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Führung mit der Freedom and Justice Party (FJD) erschwerte es der EU, eine konsequente Politik der Demokratieförderung zu betreiben, da die repressive Politik der FJD vor allem die Zivilgesellschaft betraf. Die Absetzung Mursis durch einen faktischen Militärputsch im Juli 2013 weist keinen Ausweg aus diesem Dilemma, sondern potenziert es einmal mehr.

3 Die „neue“ Zivilgesellschaftsförderung der EU: Ziele, Inhalte und Adressaten

Die (Re-)Fokussierung des Politikansatzes hin zur Externalisierung des europäischen Wertekanons wird seitens der EU deutlich hervorgehoben: „[T]he EU has to take the clear and strategic option of supporting the quest for the principles and values that it cherishes“ (European Commision 2011a: 2; vgl. European Commission 2011b). Die Positionierung innerhalb des Demokratisierung-/Stabilitätsdilemmas soll künftig zugunsten der Demokratieförderung aufgelöst werden: „There can be no return to complacency towards authoritarian regimes“ (Füle 2012a). Eine konsequentere Umsetzung der Demokratisierungsziele soll durch die zentralen Prinzipien des More-for-More Ansatzes7 und der Mutual Accountability erreicht werden (European Commission 2011b). Inhaltlich stellen diese positiv-konditionalisierenden Elemente jedoch kein vollkommenes Novum in der EU-Mittelmeerpolitik dar. Zudem werden über das Partnerschaftseinstiegskriterium von freien und fairen Wahlen hinaus, das Ägypten mit den Präsidentschaftswahlen von 2012 erfüllte, keine konkreten benchmarks zur Operationalisierung und Evaluierung von Reformfortschritten festgelegt – ein Versäumnis, das das Europäische Parlament massiv kritisiert (European Parliament 2013).
Obschon die Gleichrangigkeit der Beziehungen zu den beiden nun separat aufgeführten Zielgruppen – den Regierungen und den Bevölkerungen – betont wird, richte sich der Politikaufbau unmittelbar nur an die staatliche Ebene. Die Zivilgesellschaften werden in einem zweiten Schritt als Balanceinstanz gegenüber dem Staatsapparat einbezogen, die zudem gestärkt werden soll, sofern die Regierungen ihren Reformverpflichtungen nicht nachkommen (European Commission 2011b: 3). Die Hervorhebung der partnerschaftlichen Ausgestaltung...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Copyright
  4. Inhalt
  5. Zukunft der Demokratie. Ende einer Illusion oder Aufbruch zu neuen Formen? Eine Einführung
  6. Ist die Krise der Demokratie eine Erfindung?
  7. Metamorphosen. Demokratie angesichts der Herausforderungen der Globalisierung
  8. Menschenrechte und transnationale Demokratisierungen. Überforderungen oder Erweiterungen der Demokratie?
  9. Dilemmata der Europäischen Demokratisierungspolitik. Zur Wiederentdeckung der Zivilgesellschaft in der EU-Mittelmeerpolitik nach den Arabellions
  10. Neue Räume der Demokratie? Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation im Internet
  11. Die Zukunft der Demokratie. Ein pessimistischer Ausblick
  12. Zwischen Konsens und Dissens. Zeitgenössische politikphilosophische Perspektiven auf die Demokratie
  13. Vielfalt der Demokratie und innergesellschaftlicher Zusammenhalt
  14. Autor/-innen und Herausgeber/-innen