Politischem Grundwissen kommt im Studium der Sozialen Arbeit, aber auch in der Praxis ein zentraler Stellenwert zu. Mehr noch: Soziale Arbeit selbst muss sich als politische Arbeit verstehen. Das betrifft zum einen die eigenen Arbeits- und politisch gesetzten Rahmenbedingungen. Zum anderen betrifft es auch die Adressaten Sozialer Arbeit, denen sie u. a. auch Hilfe für politische Beteiligung und Artikulation bietet.In diesem Lehrbuch werden diejenigen politischen Themen, Zusammenhänge und Erklärungskonzepte entlang der praktischen Gestaltungsfragen entwickelt, die in der Sozialen Arbeit relevant sind. Neben dem Fachwissen werden dabei auch Methoden-, Handlungs- und Urteilskompetenzen vermittelt.
Frequently asked questions
Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
No, books cannot be downloaded as external files, such as PDFs, for use outside of Perlego. However, you can download books within the Perlego app for offline reading on mobile or tablet. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go. Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Politisches Grundwissen für die Soziale Arbeit by Dierk Borstel, Ute Fischer, Rudolf Bieker in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Social Sciences & Social Work. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.
Sozial wird im Alltagsverständnis häufig mit gerecht übersetzt. Wenn jemand als sozial gilt, dann ist damit auch hilfsbereit gemeint, ausgleichend, auf andere, ihre Interessen und Bedürfnisse bezogen. Soziale Arbeit, so könnte man daraus schließen, ist das Gegenteil von Politik. Denn Politik heißt, eigene Interessen erkennen, formulieren und durchzusetzen versuchen. Politik bedeutet also Konflikt, sie ist Auseinandersetzung, nicht Harmonie. Sie verlangt Durchsetzungskraft und Klarheit, Fingerspitzengefühl und Kreativität, aber nicht Einfühlung im professionellen Sinne der Sozialen Arbeit. Was hat Soziale Arbeit also mit Politik zu tun? Warum ist dieses Themenfeld Teil des Studiums der Sozialen Arbeit, warum ist es für die Professionalität bedeutsam?
Soziale Arbeit ist wie kaum ein anderes Berufsfeld unmittelbar durch Politik beeinflusst, mehr noch: durch sie überhaupt erst entstanden. Als Antwort auf soziale Problemlagen ist sie aus historisch anderen Lösungen – wie etwa die kirchliche Armenfürsorge – als staatliche Aufgabe erst im 19. Jahrhundert wahrgenommen worden. Wahrgenommen im doppelten Wortsinn: erkannt und gestaltet, zunächst im kommunalen Rahmen. Doch Soziale Arbeit ist nicht einfach nur ein Teil der öffentlichen Verwaltung, eine Vollstreckerin staatlicher Vorgaben. Ihre Aufgabengebiete, Arbeitsformen und Ziele sind heutzutage vielfältig. Sie bewegen sich innerhalb des Raums öffentlicher Verwaltungen, wie des Jugend- und Sozialamts, sowie außerhalb der Kommunalverwaltungen, aber in staatlicher Trägerschaft, wie z. B. die Schulsozialarbeit. Zudem gibt es private, wie auch betriebliche Angebote etwa im Gesundheitsbereich oder als Beratungsleistungen. Auch gemeinnützige Einrichtungen, wie die freie Wohlfahrtspflege oder Selbsthilfegruppen, finden sich in der Sozialen Arbeit.
Der Einfluss der Politik auf die Aufgaben und Rahmenbedingungen, etwa die Finanzierung und den rechtlichen Handlungsspielraum der Sozialen Arbeit, ist in den einzelnen Feldern unterschiedlich stark ausgeprägt, aber immer vorhanden. Politik kann so weit gehen, dass sie Klient*innengruppen sieht und benennt, andere aber für nicht existent oder beachtenswert erklärt. Wenn sich etwa eine Stadt als drogenfrei wahrnimmt oder als frei von Rechtsextremismus darstellt, wird es schwer für Soziale Arbeit, Drogenhilfe oder Rechtsextremismusprävention anzubieten. Auch die konkreten Arbeitsbedingungen werden meist durch gesetzliche Vorschriften beeinflusst, z. B. durch gestiegene Vorschriften zur Dokumentation der Arbeit mit Klient*innen. Die Auffassungen von sozialer Gerechtigkeit und die Akzeptanz von Ungleichheiten oder Ausgrenzungen sind politisch bedeutsam, denn sie fließen von den Überzeugungen der Wählerschaft über politische Entscheidungen ihrer Repräsentanten in die Verordnungen und gesetzlichen Regelungen der Praxis ein. Und schließlich beeinflusst die Politik auch die Lebenslagen und die Lebensbedingungen möglicher Klient*innen sowohl materiell z. B. als Mittelkürzungen als auch normativ in Form von Normalitätsvorstellungen eines anerkannten Lebensentwurfs und einer wertgeschätzten Lebensführung.
Während die Abhängigkeit der Sozialen Arbeit von politischen Entscheidungen offensichtlich ist, wird andersherum über den politischen Gestaltungsauftrag Sozialer Arbeit – ihr politisches Mandat – immer wieder heftig gestritten. Daher führt dieses Kapitel in den Zusammenhang von Politik und Sozialer Arbeit in mehreren Schritten ein.
1. Ausgehend von einer Klärung möglicher Auffassungen von Politik wird die Soziale Arbeit selbst als ›Betroffene‹ von Politik beleuchtet. Welche politischen Entscheidungen sind bedeutsam für die Praxis (
Kap. 1.1)?
2. Im zweiten Teil wird der Blickwinkel umgedreht: Wie kann Soziale Arbeit selbst politisch handeln? Warum und entlang welcher Werte und Haltungen kann sie dies tun? Mit welchem Selbstverständnis der Profession geschieht es? Wie denkt Soziale Arbeit politisch? Und welche Mittel stehen zum Handeln zur Verfügung? Was darf eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter überhaupt und warum (
Kap. 1.2)?
3. Aus den Antworten auf diese Fragen werden die nötigen Grundkenntnisse abgeleitet, wenn Sozialarbeitende erfolgreich im politischen Raum bestehen wollen (
Kap. 1.3).
Alex Bogdanow und Sara Tuna, die beiden jungen Sozialarbeitenden, die durch dieses Buch führen, haben ihre Lektionen mühsam und manchmal bitter lernen müssen. Sie lassen die Leser*innen an ihren Erfahrungen teilnehmen durch Beispiele aus ihrem Alltag, weil sie ihnen wünschen, dass sie besser vorbereitet in die Berufspraxis starten. Dabei verdeutlichen sie, welche politischen Themen von Belang sind, und nehmen die Perspektive der Betroffenen ein. So zeigen sie, wie sich sozialpolitische Entscheidungen auf ihre eigene Arbeit auswirken, etwa wenn die Kommune die Mittel für die Finanzierung des Jugendzentrums kürzt. Ihre Bedeutung für Klient*innengruppen, wie z. B. für Flüchtlinge, kristallisiert sich dann heraus, wenn zwar Menschen in Not aufgenommen werden, aber ihre Unterkünfte Männer und Frauen auf engstem Raum beherbergen.
1.1 Politik in der Sozialen Arbeit
Bevor geklärt werden kann, inwiefern politische Entscheidungen die Ziele, Aufgaben und Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit beeinflussen und bestimmen, stellt sich zunächst die Frage, was unter Politik zu verstehen ist.
Sara Tuna und Alex Bogdanow dachten anfangs, es sei doch klar: Politik ist, was in Parlamenten diskutiert und dort beschlossen wird. In Form neuer Gesetze und Vorschriften erreicht sie dann die Bürger*innen, die Klient*innen ebenso, wie sie als Sozialarbeitende in der Praxis. Doch Politik lässt sich viel weiter fassen, als dieses enge Verständnis vorgibt.
1.1.1 Politikverständnis und -begriffe
Was Politik sei, darüber sind schon Debatten in der Antike geführt worden. Ursprünglich meint der Begriff die Stadt, abgeleitet vom griechischen Wort Polis. So verstanden wären alle Belange, die die öffentlichen Angelegenheiten betreffen, politisch. Alle Regeln und Entscheidungen außerhalb des Hauses – heute würde es Privatsphäre genannt werden – gehören dazu. Politik bedeutet nicht nur das Regieren und die Ausübung von Macht, sondern auch die Beteiligung an der Willensbildung zur Gestaltung des Gemeinwesens außerhalb der gewählten Parlamente und öffentlichen Verwaltungen.
Eine hilfreiche, wenn auch vereinfachte Vorstellung der Vielschichtigkeit von Politik stellt die englische Sprache bereit. In den Politikwissenschaften werden für das deutsche Wort Politik drei Begriffe aus der englischen Sprache genutzt, um mehrere Dimensionen zu benennen: Policy – Polity – Politics.
• Mit Policy sind die Inhalte der Politik gemeint. Dazu gehören die Programme der Parteien, die Koalitionsverträge, Regierungserklärungen und die Beschlüsse der parlamentarischen Gremien. Ebenso sind darunter aber auch die Diskussionen um aufgefundene Probleme zu fassen und daraus abgeleitete Lösungsvorschläge. Ein Beispiel wäre etwa, wenn Jugendliche einer Kleinstadt in der Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass es kaum Orte für sportliche Betätigung und Geselligkeit außerhalb von Vereinen gibt. Unterbreiten sie ihren Vorschlag, eine Skateranlage zu errichten, fordern sie also eine konkrete Problemlösung, dann bewegen sie sich im Feld der politischen Inhalte, der Policy.
• Polity bezeichnet das jeweilige politische System eines Staates. Dazu gehören die Institutionen und Gremien, in denen die Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, also Parlamente, Regierungen, Verwaltungen sowie die darin vorgeschriebenen Regeln und Abläufe. Die Verfassung, in Deutschland Grundgesetz (GG) genannt, bildet dafür die Grundlage. Jede Menge Verfahrensvorschriften bis hin zu Geschäftsordnungen, Wahl- und Abstimmungsverfahren sorgen für einen ordentlichen und das heißt auch transparenten Ablauf der Entscheidungsprozesse. Im Beispiel der Jugendlichen, die ihre Skateranlage durchsetzen wollen, ist es also wichtig zu wissen, wer in der Gemeinde über solche Themen entscheidet und an welchem Ort ihr Vorschlag auf die Tagesordnung und zur Entscheidung kommen kann.
• Unter Politics werden die Prozesse verstanden, die zur Durchsetzung von Interessen und Forderungen durchlaufen werden müssen. Dabei ist zu beachten, wer welche Interessen verfolgt, auf welchem Wege eine Einigung erzielt werden kann oder wie sich verdichtende Konflikte lösen lassen. Wer kann seine Macht auf welche Weise mobilisieren und sich durchsetzen? Hierbei spielt auch die politische Kultur eine wichtige Rolle. Darunter wird verstanden, welche Werte und Überzeugungen, welche Haltungen und Konflikterfahrungen vorliegen. Die Jugendlichen brauchen für die Durchsetzung ihrer Idee der Skateranlage z. B. starke und wortgewaltige Bündnispartner, weil sie nicht selbst im Stadtrat stimmberechtigt sind und die Entscheidungen direkt beeinflussen können. Wenn sie Klarheit darüber haben, wie die Interessenlage im Rat der Stadt, aber auch in der Öffentlichkeit verteilt ist, wer mögliche Unterstützer sind und auf welche früheren gemeinsamen Aktionen, vielleicht auch Erfolge sie aufbauen, können sie ihre Forderung auf einen erfolgversprechenden Weg bringen.
Im praktischen Handeln sind diese Begriffe gar nicht mehr abstrakt. Sie fügen sich in einen typischen Ablaufprozess beim Nachdenken über ein politisches Problem und dessen mögliche Lösung ein. Die folgende Übersicht listet exemplarisch die Aspekte auf (
Tab. 1), über die sich politische Akteur*innen Klarheit verschaffen müssen, wenn sie eine politische Idee oder Forderung durchsetzen, also erfolgreich Politik gestalten wollen.
Tab. 1: Politisches Handeln zur Durchsetzung von Forderungen
InhaltFragen
Sara Tuna und Alex Bogdanow nutzen dieses Raster bei ihrer Besprechung. Die Lage ist ernst. Das Jugendzentrum, in dem sie beide auf einer unbefristeten Stelle arbeiten, ist von Mittelkürzungen durch die Stadt bedroht. Die Haushaltsverhandlungen stehen bevor, und die Absicht des Stadtrates, den Jugendclub als freiwillige Aufgabe nicht mehr zu finanzieren, ist ihnen durch Kontakte zu einer im Stadtrat vertretenen Partei zugetragen worden. Wenn nicht alle geschaffenen Räume, Strukturen und Angebote entfallen sollen, muss entschlossen gehandelt werden.
Sie diskutieren ihre Möglichkeiten entlang der aufgelisteten Dimensionen und haben auf den ersten Blick den Eindruck, dass sie in einer schwachen Verhandlungsposition sind, denn die Kommune ist tatsächlich knapp bei Kasse und kann kaum ihre Pflichtaufgaben, wie die Bereitstellung von Feuerwehr und Schulen, erfüllen. Auf freiwillige Aufgaben, wie die Finanzierung des Jugendzentrums, muss sie verzichten. Die Ausgangslage ist also ungünstig. Doch dann eröffnen sich einige ungeahnte Möglichkeiten. Denn nach einigen Gesprächen mit Mitgliedern verschiedener Parteien stellt sich heraus, dass manche Ratsmitglieder für den Erhalt des Jugendzentrums stimmen würden. Auch andere Gruppen in der Stadt, wie die ansässige Wirtschaft, Elternvereine, der Träger der Ganztagsschulangebote, einige Sportvereine und so manche mehr, sind sich gar nicht so einig darüber, dass auf ein Jugendzentrum verzichtet werden kann. Bei der Suche nach Zuständigkeiten stellen die beiden fest, dass nicht nur der Stadtrat entscheidet, sondern auch das Jugendamt und besonders der Kinder- und Jugendhilfeausschuss hier mitzureden hat. Die politische Kultur der Stadt macht ihnen zudem Mut, eine erste Versammlung einzuberufen. Denn ein bunter Protest mit kreativen Aktionen, die die Öffentlichkeit und die Presse aufmerksam machen, war schon einma...