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Orientierungswissen fĂŒr die Soziale Arbeit

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Migration und Flucht

Orientierungswissen fĂŒr die Soziale Arbeit

About this book

Migration ist Gegenstand Sozialer Arbeit, wenn Migrant(inn)en marginalisiert sind und die Gesellschaft auf Anforderungen neuer Vielfalt reagieren muss. Sie findet nicht allein in migrationsspezifischen Sozialen Diensten statt, wie beispielsweise FlĂŒchtlingsdiensten - der Umgang mit Vielfalt und Ausgrenzung ist in allen Bereichen Sozialer Arbeit Thema.Ausgehend von der Darstellung von Migration und Flucht und ihren entsprechenden sozialen Herausforderungen erörtert das Buch migrationsspezifische Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und erlĂ€utert entsprechende Konzepte und Methoden. Debatten zu Integration, interkultureller Kompetenz und verwandte AnsĂ€tze werden in ihrer Relevanz fĂŒr ein handlungsleitendes Konzept Sozialer Arbeit befragt. Als Querschnittsthemen werden u. a. behandelt: kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft, Diskriminierung, interkulturelle und antirassistische Bildungsarbeit, der interkulturelle und interreligiöse Dialog.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2016
Print ISBN
9783170233713
eBook ISBN
9783170306813

III Interventionsformen – Soziale Arbeit und Migration

6 Migration als Herausforderung fĂŒr Soziale Arbeit

Welche Folgen haben nun aktuell die historischen und theoretischen ZugĂ€nge fĂŒr den Zuschnitt eines Handlungsfeldes Soziale Arbeit und Migration? Wie lĂ€sst sich dieses Handlungsfeld Sozialer Arbeit strukturieren, welche Interventionen sind hier relevant, welche Kompetenzen verlangen diese im Berufsfeld? Zur BegrĂŒndung des Handlungsfeldes Migration ist es zunĂ€chst einmal wichtig, sich ĂŒber die Herausforderung, die Migration fĂŒr Soziale Arbeit darstellt, zu verstĂ€ndigen.
Das Handlungsfeld Soziale Arbeit und Migration lĂ€sst sich einerseits historisch begrĂŒnden – wie dargelegt wurde, lassen sich fĂŒr Ă€ltere historische ZugĂ€nge keine spezifischen Handlungskompetenzen beschreiben, es ergeben sich nur bestimmte Fragen in verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit, die vor allem im Kontext von Zugehörigkeit und Ausgrenzung zu sehen sind. Dieses Muster ließe sich auch auf die Entwicklung der Migrationsfachdienste anwenden, denn auch hier ging und geht es um Beratungsbedarfe, die aus einer Ausgrenzungssituation entstehen. Aus den eingangs geschilderten Fakten sozialer Benachteiligung ergeben sich aber eher ZugĂ€nge zum Handlungsfeld, die nach Lösungen sozialer Probleme fragen, wobei zu berĂŒcksichtigen ist, dass auch die sozialen Probleme im Kontext von Ausgrenzungen zu sehen sind.
Wird nach den Grundvoraussetzungen Sozialer Arbeit gefragt, die sie als Disziplin mit eigener Theoriebildung begrĂŒnden, so lassen sich, wie die Herausgeber(innen) dieses Bandes in der Einleitung darlegen, mehrere mögliche ZugĂ€nge beschreiben (vgl. Becker et al. 2012):
‱ die Orientierung an ethischen Aspekten im Sinne von Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession (Staub-Bernasconi 1995, 2003)
‱ die Orientierung an Lebenswelten und daraus resultierende Bedarfe an UnterstĂŒtzung, Begleitung und Intervention (Thiersch 2005)
‱ Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft mit spezifischen Handlungskonzepten und Methoden (Geißler/Hege 2007)
‱ hinzuzufĂŒgen wĂ€re: Soziale Arbeit verstanden als Beitrag zur Lösung sozialer Probleme
Die Definition Sozialer Arbeit als Lösung sozialer Probleme stellt ein tragendes SelbstverstĂ€ndnis Sozialer Arbeit dar. Eine durchaus aktuelle Definition Sozialer Arbeit des Berufsverbands bezeichnet es als Ziel Sozialer Arbeit, zur Lösung sozialer Probleme beizutragen und die Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten von Menschen zu verbessern: »Die Aufgabe ist es, Menschen zu befĂ€higen, ihre gesamten Möglichkeiten zu entwickeln, ihr Leben zu bereichern und Dysfunktionen vorzubeugen« (DBSH 2010, S. 13). Auch Sylvia Staub-Bernasconi versteht Soziale Arbeit als Beitrag zur Lösung sozialer Probleme (vgl. Staub-Bernasconi 2012). Sie argumentiert aber auch, dass das, was als soziales Problem wahrgenommen und vor allem was als dessen Lösung propagiert wird, sehr unterschiedlich sein kann und von Interessenlagen abhĂ€ngt. Soziale Probleme sind in ihrer Definition immer abhĂ€ngig von Herrschaftsinteressen und durchzogen von Wertungen. Daher reicht eine Orientierung an Problemen nicht aus. Aufgrund der dargestellten HeterogenitĂ€t der Zielgruppe Migration und der theoretischen Kontroversen in der BegrĂŒndung eines migrationsspezifischen Zugangs wird eine rein handlungswissenschaftliche BegrĂŒndung in diesem Fall sehr schwierig.
Die Kritik an der Problemorientierung zeigt, dass Definitionen Sozialer Arbeit nicht ohne normative Grundlagen auskommen. Dies wird auch in der neuen Formulierung des internationalen Berufsverbandes zum SelbstverstÀndnis Sozialer Arbeit deutlich:
»Soziale Arbeit ist eine praxisorientierte Profession und eine wissenschaftliche Disziplin, deren Ziel die Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts sowie die StĂ€rkung und Befreiung der Menschen ist. Die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, die Menschenrechte, gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlagen der Sozialen Arbeit. GestĂŒtzt auf Theorien zur Sozialen Arbeit, auf Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften und auf indigenes Wissen werden bei der Sozialen Arbeit Menschen und Strukturen eingebunden, um existenzielle Herausforderungen zu bewĂ€ltigen und das Wohlergehen zu verbessern.« (s. http://ifsw.org/get-involved/global-definition-of-social-work/, Übersetzung http://www.dbsh.de/beruf/definition-der-sozialen-arbeit.html)
Diese Definition spricht theoretisch fĂŒr eine Verbindung der AnsĂ€tze von Hans Thiersch und Staub-Bernasconi – also fĂŒr die UnterstĂŒtzung von Subjekten in ihrer lebensweltlichen Praxis auf der Grundlage einer normativen Orientierung an den Menschenrechten.
In seinem Vorwort zu Maja Heiners Band »ProfessionalitĂ€t in der sozialen Arbeit« argumentiert Thiersch, eine Voraussetzung gelingender Sozialer Arbeit sei begrĂŒndet in der Anerkennung der Möglichkeiten der Adressat(inn)en der Sozialen Arbeit (Thiersch 2004, S. 9). Was diese entwerfen und verwirklichen, stelle ein Potenzial dar, das neben den Arbeitsmöglichkeiten der Sozialarbeiter-(innen) zentraler Fundus Sozialer Arbeit sei. Damit möchte Thiersch Debatten zur Theorie und BerufsidentitĂ€t stĂ€rker an die lebendige Praxis binden und Kurzsichtigkeiten und EngfĂŒhrungen in der Professionalisierungsdebatte ĂŒberwinden, die seiner Meinung nach im Überwiegen von Organisations- und Methodenfragen bestanden hĂ€tten (ebd.). So fĂŒhrt Thiersch die Professionalisierungsdebatte auch zurĂŒck zur Theoretisierung von Fragen der Macht und Ohnmacht, von Machtverlust und Interessen. Gesellschaftliche ZwĂ€nge, Macht und Interessen kommen so stĂ€rker in den Fokus der Sozialen Arbeit. Thiersch versteht diese Interessenlagen mit Heiner »als ein GefĂŒge von Notwendigkeiten und ZwĂ€ngen, in denen es in der konkreten Interaktion darum geht, die unterschiedlichen Vorgaben gegen- und miteinander auszuhandeln« (ebd.).
Hinsichtlich der Frage der Herausforderung von Sozialer Arbeit durch Migration ließe sich dann formulieren, dass Soziale Arbeit in dem Feld Migration da ansetzt, wo Ungerechtigkeit besteht, wo Chancengleichheit nicht gegeben ist, wo Menschenrechte verletzt werden, wo Menschen ZugĂ€nge zu Möglichkeiten eigenstĂ€ndiger Lebensgestaltung aufgrund gesellschaftlicher Bedingungen oder politischer ZwĂ€nge und Vorgaben verwehrt sind. Zugleich setzt sie da an, wo Subjekte sich artikulieren und Gleichberechtigung, Menschenrechte und Erweiterung ihrer HandlungsspielrĂ€ume einklagen. Mit dem Lebenswelt-Konzept ist es möglich, nach ZugĂ€ngen zu einer Zielgruppe in ihrer Unterschiedlichkeit zu fragen und diese nicht auf bestimmte Problemkonstellationen festzulegen.
Aus der Orientierung am Menschenrechtskonzept folgt aber, dass Soziale Arbeit und Migration eine Herausforderung auch fĂŒr die Arbeit mit der Gesamtgesellschaft bedeutet und nicht nur fĂŒr die Arbeit mit Migrant(inn)en. Deshalb ist dieses Kapitel zu den Interventionsformen in zwei Teile aufgeteilt: Migration als Herausforderung fĂŒr die Mehrheitsgesellschaft, hier geht es um Interventionsformen, die auf die gesamte Gesellschaft ausgerichtet sind. Im zweiten Teil geht es um Soziale Arbeit mit Migrant(inn)en selbst. Hier wird noch einmal unterschieden zwischen migrationsspezifischen Interventionen und solchen, die auf alle Felder der Sozialen Arbeit ausgerichtet sind.
Die Menschenrechtsperspektive bestĂ€rkt einen weiteren Akzent im Thema Migration und Soziale Arbeit. In dieser Perspektive sind Migrant(inn)en Teil dieser Gesellschaft, sie sind BĂŒrger(innen), haben demokratische Rechte und Pflichten und damit AnsprĂŒche auf Partizipation und Gleichbehandlung. Migration stellt damit auch die gesamte Gesellschaft vor die Herausforderung, dies anzuerkennen. Das bedeutet auch, öffentliche Verwaltung, Sozial- und Gesundheitssystem wie auch das Bildungssystem an die neu entstandene PluralitĂ€t in der Gesellschaft anzupassen. Soziale Arbeit ist gefordert in Bezug auf die Integration von neuen, in manchen Aspekten differenten Klientengruppen. Darauf reagieren Konzepte wie interkulturelle Öffnung und Diversity. Migration stellt eine Herausforderung fĂŒr die Soziale Arbeit dar, in die Mehrheitsgesellschaft hineinzuwirken, damit Migrant(inn)en als Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden. Die Beförderung interkulturellen Lernens, der Abbau diskriminierender oder rassistischer Stereotypen, Antidiskriminierungsarbeit und die UnterstĂŒtzung der Mehrheitsbevölkerung im Umgang mit der neuen Vielfalt sind ebenso wichtige Herausforderungen fĂŒr die Soziale Arbeit wie die Arbeit mit den Migrant(inn)en selbst, ob sie nun als FlĂŒchtlinge, legal oder illegal gekommen sind.

7 Migration und Soziale Arbeit als Herausforderung fĂŒr die Gesamtgesellschaft

7.1 Rassismuskritische Bildung

Auch vor dem Hintergrund der eben formulierten gemeinsamen Grundlagen ergeben sich unterschiedliche Akzentuierungen, daher werden zunÀchst das Konzept der Antirassismusarbeit und dann das Konzept der interkulturellen Bildungsarbeit dargestellt.
Es gibt unterschiedliche Theorien und Definitionen von Rassismus. Hier wird auf die sehr eingĂ€ngige Definition von Albert Memmi rekurriert: Memmi bezeichnet folgende Schritte als konstitutiv fĂŒr Rassismus (vgl. Memmi 1987):
‱ die Einteilung der Menschheit in unterschiedliche, klar voneinander getrennte Gruppen aufgrund bestimmter allgemeiner Merkmale, die real oder fiktiv sein können
‱ die Zuschreibung von Eigenschaften zu diesen Gruppen bzw. zu Personen als TrĂ€ger dieser Merkmale
‱ benachteiligende Behandlung, Aggression oder andere Handlungen, die der einen Gruppe als Nachteil und der anderen als Vorteil gelten
Es geht also um die Produktion von Nachteilen, die Menschen aufgrund ihrer Eigenschaft als Mitglied dieser Gruppe haben. Mit Nachteilen kann Ungleichbehandlung gemeint sein, Benachteiligung, Gewalt, Abwertung etc.
Die Definition von Rassismus umfasst alle drei Elemente. Die alleinige Konstruktion von Gruppen oder das Zuschreiben von Eigenschaften zu Gruppen ist nicht schon rassistisch. Es muss die Abwertung, die Ungleichbehandlung, die Aggression, die Benachteiligung oder ein anderer Nachteil hinzutreten. In Memmis Worten: »Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsÀchlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des AnklÀgers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen« (Memmi 1987, S. 164).
Rassismus setzt nach dieser Definition nicht notwendigerweise die Annahme biologischer Menschenrassen voraus, diese wĂ€re heute wissenschaftlich auch nicht haltbar; die behaupteten Unterschiede können fiktiv oder real sein, die zentrale Frage ist die, wie sie eingesetzt werden und welche Folgen sie haben. Auch Merkmale wie Kultur, Herkunft, Ethnie etc. können Gruppen im Sinne Memmis konstituieren (vgl. Kalpaka 1986). Zentral an dieser Rassismus-Definition ist die wertende Unterscheidung, die bereits MachtansprĂŒche enthĂ€lt.
Memmi nennt seine Rassismus-Definition verallgemeinert, er meint damit, dass Rassismus ein in gesellschaftlichen Strukturen inhĂ€rentes System von BedeutungszusammenhĂ€ngen darstellt, die auf verschiedenen Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit Ungleichbehandlung begrĂŒnden oder legitimieren. Diese Ebenen können sowohl gesellschaftliche Strukturen, Institutionen, rechtliche Regelungen, aber auch individuelle Haltungen und alltagsweltliche Redewendungen beinhalten. Wichtig bei allen Rassismus-Definitionen ist die Verankerung von Rassismus in gesellschaftlichen Strukturen und alltagsweltlichen Handlungen.
Antirassismusarbeit kann als politische Arbeit oder in der Forschung geschehen, im Kontext der Sozialen Arbeit ist eher antirassistische Bildungsarbeit relevant. Die ArbeitsansÀtze werden unterschiedlich bezeichnet. Einerseits wird die Bezeichnung antirassistische Bildungsarbeit verwendet, andere ziehen den Begriff rassismuskritische Bildungsarbeit vor, da Rassismus nicht gÀnzlich bekÀmpft, sondern immer nur hinterfragt und selbstreflexiv angegangen werden kann (vgl. Scharathow 2009), andere sprechen mit einer Àhnlichen Intention von nichtrassistischer Bildungsarbeit.
Rassismuskritische Bildungsarbeit begreift Bildung als einen sozialen Lernprozess, in dessen Rahmen individuelle Einstellungen wie bspw. gesellschaftlich verfestigte Stereotypen aufgespĂŒrt und hinterfragt werden und damit gesellschaftliche Praxis verĂ€ndert wird. Rassismuskritische Bildungsarbeit stellt auch die Herstellung von Gruppen in Frage, aber vor allem die mit der Konstruktion von Gruppen verbundenen wertenden AnsprĂŒche. Damit untersucht sie die Funktion rassistischer Annahmen im Bewusstsein von Individuen und ebenso, wie die Gesellschaft diese Annahmen herstellt oder verfestigt. Scharathow/Leiprecht definieren rassismuskritische Arbeit wie folgt: »Rassismuskritik verstehen wir als kunstvolle, kreative, notwendig reflexive, bestĂ€ndig zu entwickelnde und unabschließbare, gleichwohl entschiedene Praxis, die von der Überzeugung getragen wird, dass es sinnvoll ist, sich nicht â€șdermaßenâ€č von rassistischen Handlungs-, Erfahrungs- und Denkformen regieren zu lassen« (Scharathow/Leiprecht 2009, S. 9).
Damit wird deutlich, dass rassismuskritische Bildungsarbeit nicht davon ausgeht, dass Rassismus ein individuelles Versagen oder eine Eigenschaft von Personen darstellt. Rassismus ist in gesellschaftlichen Strukturen verankert, die aber wiederum von Individuen mitgestaltet werden. Rassismus muss daher immer im Zusammenwirken von Gesellschaft und Individuen betrachtet werden. Rassismus wird als ein Strukturprinzip sozialer Wirklichkeit verstanden, das individuelles Handeln und Denken prÀgt. Zugleich wird aber Gesellschaft so verstanden, dass Individuen oder soziale Gruppen in ihrem Denken von dominanten Mustern abweichen können, also nicht gÀnzlich determiniert sind. Gerade in der EinschÀtzung der determinierenden Wirkung von Strukturprinzipien unterscheiden sich Rassismus-Definitionen und auch Konzepte des Antirassismus. Zu den Elementen der Bildungsarbeit kann gehören:
‱ Informationen ĂŒber die Geschichte und Funktion des Rassismus
‱ die Bewusstmachung eigener Diskriminierungsmechanismen
‱ die Entwicklung nichtdiskriminierenden Verhaltens oder Denkens im Austausch mit anderen
‱ Möglichkeit des Handelns gegen Rassismus in verschiedenen Situationen und settings, Kennenlernen verschiedener HandlungsansĂ€tze gegen rassistische Strukturen in der Gesellschaft
‱ Entwicklung neuer Sichtweisen der Differenzen zu anderen Menschen, so dass diese nicht zu Ausgrenzung oder Abwertung fĂŒhren
Rassismuskritische Seminare oder Trainings werden von verschiedenen TrĂ€gern angeboten, sie sind vor allem in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit verankert. Das bekannteste Antirassismus-Training ist das Simulationsspiel Blue Eyed. Dieser eintĂ€gige Workshop lĂ€sst zwei willkĂŒrlich voneinander getrennte Gruppen, die BraunĂ€ugigen und die BlauĂ€ugigen, an sich selbst erfahren, welche Auswirkungen Diskriminierung hat. Mittlerweile haben sich aber viele unterschiedliche AnsĂ€tze in der rassismuskritischen Bildungsarbeit entwickelt, und fĂŒr viele steht anstelle eines Simulationsspiels eher das AnknĂŒpfen an die Erfahrungen der Teilnehmenden im Vordergrund. Das Prinzip der Antirassismus-Arbeit kann aber auch als eine sich politisch verstehende PĂ€dagogik in verschiedene Felder der außerschulischen Bildungsarbeit, der Kinder- und Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung integriert werden (vgl. Stender 2003).
Ein zentraler Aspekt rassismuskritischer Bildungsarbeit besteht darin, Erfahrungen oder Erkenntnisse von Ungleichheit und entspreche...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Handlungsfelder Sozialer Arbeit. Vorwort der Herausgeber
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Einleitung
  7. I Gegenstandsbereich des Handlungsfeldes Migration und Soziale Arbeit: Einwanderungsland Deutschland
  8. II Entwicklung des Handlungsfeldes
  9. III Interventionsformen – Soziale Arbeit und Migration
  10. IV Aktuelle fachliche Entwicklungen
  11. V Handlungsfeldspezifische Anschlussstellen zur Sozialarbeitswissenschaft
  12. VI Ausblick: Ethische Perspektiven des Handlungsfeldes
  13. Literaturverzeichnis