Â
Vorwort zur 1. Auflage
Â
Von der Krankenhausbetriebslehre zur Krankenhaus-Managementlehre
Die Gesundheitswirtschaft befindet sich in einem tief greifenden Struktur- und Kulturwandel. Die vor ihr liegenden Entwicklungen und deren Konsequenzen sind kaum abschĂ€tzbar, die zu bewĂ€ltigenden Herausforderungen nur zur erahnen. Die Krankenhauswirtschaft â als gröĂter Teilbereich â erfĂ€hrt damit eine dramatische VerĂ€nderung ihrer Rahmenbedingungen.
KrankenhĂ€user der Zukunft werden in zahlreichen TeilmĂ€rkten der Gesundheitswirtschaft tĂ€tig sein, in unterschiedliche Versorgungsstrukturen ihre Behandlungsangebote einbringen, ihre internen Organisations- und FĂŒhrungsstrukturen massiv verĂ€ndern und in vielfĂ€ltigen Kooperations- und Holdingstrukturen gefĂŒhrt werden. Dabei wird sich die Zahl der KrankenhĂ€user verringern, der Anteil der KrankenhĂ€user unter privater TrĂ€gerschaft weiter ansteigen.
Eingeleitet wurde diese Entwicklung mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993, welches eine Wende in der Ordnungspolitik gebracht hat mit tiefen Einschnitten in Struktur, Organisation und Finanzierung von KrankenhĂ€usern. Fortgesetzt wurde sie mit der Kehrtwende im Entgeltsystem 2003/2004. Die Regelungen der Gesundheitsreform 2007 â des GKV-WettbewerbsstĂ€rkungsgesetzes (WSG) â und die ordnungspolitischen Festlegungen fĂŒr das DRG-basierte VergĂŒtungssystem 2009 verstĂ€rken nicht nur diesen Umbruch â sie geben ihm abermals eine neue Richtung.
Was in der Theorie seit langem als Paradigmenwechsel im Krankenhausmanagement bezeichnet wird, zeigt sich in der Praxis als eine Suche nach einer Neuorientierung.
Hier setzt dieses Werk an:
Ausgangspunkt ist die Anfang der 1970er Jahre von Siegfried Eichhorn gegrĂŒndete Krankenhausbetriebslehre â Theorie und Praxis des Krankenhausbetriebes.1 Sie galt ĂŒber Jahrzehnte als Wegweiser fĂŒr die Praxis, KrankenhĂ€user als Betriebe zu verstehen und zu fĂŒhren â beginnend bereits 1958 mit der Arbeit von Siegfried Eichhorn zur Wirtschaftlichkeitsmessung im Krankenhaus.2
Die zu Beginn der 1990er Jahre ordnungspolitisch bedingten Herausforderungen an das Krankenhausmanagement suchten zunĂ€chst ihre Lösungen im Einsatz einzelner neuer ManagementansĂ€tze und -instrumente. Handlungsempfehlungen fĂŒr die Praxis waren gefragt.3
Die jetzt vor uns liegenden VerĂ€nderungen verlangen jedoch eine Neuorientierung des Denkens und Handelns im Management, welches die GesamtzusammenhĂ€nge erkennt und die Interdependenzen von Entscheidungen berĂŒcksichtigt. Es geht um die Weiterentwicklung des Managements.
Mit dem Ziel, die Bedeutung der systembedingten Verflechtungen im Management zu verdeutlichen, wurde daher von Siegfried Eichhorn â ausgehend vom St. Galler Management-Konzept â der Ansatz eines integrierten Krankenhausmanagements entwickelt und damit der Ăbergang von der Krankenhausbetriebslehre zu einem Konzept eines integrierten Krankenhausmanagements vollzogen. Mit weiteren 18 EinzelbeitrĂ€gen von 17 Autorinnen und Autoren wird dieser Ansatz eingebunden in die Rahmenbedingungen des Krankenhausmanagements und angewandt auf die derzeitige Praxis.
ZunĂ€chst werden die Grundlagen der Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik und des deutschen Gesundheitssystems sowie die Krankenhauswirtschaft in Zahlen erlĂ€utert. Die Ăbertragung auf die Krankenhauspraxis erfolgt dann in vier Abschnitten.
In einem ersten Teil werden die Struktur und Prozesse des Krankenhausbetriebes wie Rechtsform und TrĂ€gerstrukturen, Aufbau- und Ablauforganisation, Leitungsorganisation und Prozessorganisation erklĂ€rt. Der zweite Teil befasst sich mit den Strukturen und Prozessen der Leistungserstellung im Krankenhaus, insbesondere der Diagnostik und Therapie, Pflege, FĂŒrsorge und Seelsorge sowie den Leistungen der Administrativen Bereiche und Versorgungsbereiche. Der dritte Teil prĂ€zisiert die betriebswirtschaftlichen Funktionen und Entscheidungen und ihre krankenhausspezifischen Besonderheiten wie Finanzierung, Betriebswirtschaftliches Rechnungswesen, Personalmanagement, Marketing, Logistik und Facility Management. Der letzte Teil gibt einen Einblick in die Möglichkeiten der ambulanten Versorgung durch KrankenhĂ€user und deren Bedeutung.
Dieses Buch ist ein Angebot an alle, die in der Gesundheits- und Krankenhauswirtschaft Managementverantwortung tragen, aber auch an Lehrende und Lernende, die Chancen eines integrierten Ansatzes als Erfolgsfaktor im Wettbewerb zu verstehen. Es zeigt keine Lösungswege fĂŒr einzelne Problemkonstellationen auf â es erklĂ€rt jedoch die wesentlichen Grundlagen und ZusammenhĂ€nge des Krankenhausmanagements in Theorie und Praxis und bietet einen Bezugsrahmen fĂŒr ein verĂ€ndertes ManagementverstĂ€ndnis.
⊠ein langer Weg
Dass dieser Weg von der Krankenhausbetriebslehre zur Krankenhaus-Managementlehre kein kurzer und auch kein leichter sein wird, darĂŒber bestanden zu Beginn des Vorhabens im Jahr 2002 keine Zweifel. ZunĂ€chst konzeptionelle und inhaltliche Anpassungen, spĂ€ter auch krankheitsbedingte Verzögerungen und zuletzt der Tod von Siegfried Eichhorn am 29. September 2005 haben den Zeitplan dann immer wieder nach hinten verschoben.
Ich danke daher allen Autorinnen und Autoren sowie dem Kohlhammer Verlag, dass sie mit uns ĂŒber einen so langen Zeitraum das Ziel und den Optimismus geteilt haben, eine neue Krankenhausbetriebslehre = Krankenhaus-Managementlehre entstehen zu lassen.
Mein besonderer Dank gilt dabei den Autorinnen und Autoren, die â als unmittelbar vor dem Ziel doch noch das Scheitern drohte â in kurzer Zeit fachlich hervorragende BeitrĂ€ge zur VerfĂŒgung gestellt haben.
Sehr vermisst habe ich in den beiden zurĂŒckliegenden Jahren meinen akademischen Lehrer und Mit-Herausgeber Siegfried Eichhorn â die fachliche Diskussion mit ihm, sein ausgewogenes Urteil in Grundsatz- und Detailfragen und seine natĂŒrliche AutoritĂ€t bei Abstimmungsprozessen. Gerne hĂ€tte ich mit ihm die Erleichterung und Freude geteilt als unser gemeinsames Werk vollendet war. Ich bin ihm dankbar, dass er im Alter von fast 80 Jahren unser Buchprojekt initiiert und mit seinem Beitrag das Fundament dazu gelegt hat.
Schlussendlich gilt mein Dank Julia Oswald. Ohne ihre fach- und sachkompetente UnterstĂŒtzung und ihr auĂergewöhnliches persönliches Engagement wĂŒrde das Buch in dieser Form nicht vorliegen.
OsnabrĂŒck im September 2007
Barbara Schmidt-Rettig
I Rahmenbedingungen des Krankenhausmanagements
A Grundlagen der Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie
Hendrike Berger, Christian Stock
1 Gesundheitspolitik
1.1 Definition und Ziele der Gesundheitspolitik
1.2 Gesundheitsversorgung in Deutschland
1.2.1 Grundlegende Merkmale
1.2.2 Prinzipien der sozialen Sicherung
1.3 Historische Entwicklung des Gesundheitswesens
1.3.1 Entstehung der Sozialgesetzgebung im Kaiserreich
1.3.2 Weimarer Republik und Nationalsozialismus
1.3.3 Bundesrepublik Deutschland
1.4 GegenwÀrtige Rahmenbedingungen der Gesundheitspolitik
2 Gesundheitsökonomie
2.1 GrundsÀtzliches zur Gesundheitsökonomie
2.2 Gesundheitsmarkt
2.2.1 Besonderheiten des Marktes
2.2.2 Bedarf und Nachfrage
2.2.3 Produktion und Angebot
2.2.4 Versicherung
2.3 Gesundheitssysteme
2.4 Gesundheitsökonomische Evaluation
1 Gesundheitspolitik
1.1 Definition und Ziele der Gesundheitspolitik
Jede Form des Krankenhausmanagements findet vor einem bestimmten gesundheitspolitischen und gesundheitsökonomischen Systemhintergrund statt. Dieses EinfĂŒhrungskapitel dient daher der Darstellung des gesundheitspolitischen Systems der Bundesrepublik Deutschland sowie der besonderen Facetten der Ăkonomie des Gesundheitssystems bevor in seinem dritten Teil KrankenhĂ€user als Leistungsanbieter in diesem System vorgestellt werden.
Fragt man in der Gesellschaft nach Werten, die im Leben von hoher Wichtigkeit sind, so wird »Gesundheit« stets unter den hĂ€ufigsten Antworten zu finden sein. Auch wenn das jeweilige begriffliche VerstĂ€ndnis und die Bedeutung dieses Wertes dabei individuell verschieden und von der gegenwĂ€rtigen Lebenssituation abhĂ€ngig sein dĂŒrften, besitzt Gesundheit zweifellos das Ansehen eines elementar wichtigen menschlichen Gutes, welches es zu erhalten oder zu verbessern gilt.
Nicht unumstritten ist dabei bereits die Definition des Begriffes »Gesundheit«. Die WHO definiert Gesundheit als den »Zustand eines vollkommenen biologischen, sozialen und psychischen Wohlbefindens eines Menschen«. Im deutschen Krankenversicherungsrecht ist Gesundheit als ein Körperzustand zu bezeichnen, bei dem eine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V sowie weiterer Regelungen nicht vorhanden ist.
Dem individuellen wie auch gesellschaftlichen BedĂŒrfnis nach Gesundheit zu entsprechen, ist die vorrangige Aufgabe der Gesundheitspolitik. Nach Rosenbrock und Gerlinger (2014) soll Gesundheitspolitik dabei verstanden werden als die »Gesamtheit der organisierten Anstrengungen, die auf die Gesundheit von Individuen oder sozialen Gruppen Einfluss nehmen â gleich ob sie die Gesundheit fördern, erhalten, (wieder-)herstellen oder auch nur die individuellen Folgen von Krankheit lindern« (Rosenbrock und Gerlinger 2014, S. 15). Im Hinblick auf RationalitĂ€t und Ergebnisorientierung der Gesundheitspolitik ist es notwendig, dass sie auch konkrete Zielformulierungen und die politische Diskussion ĂŒber angestrebte Ziele sowie ĂŒber geeignete Instrumente und MaĂnahmen zu ihrer Erreichung umfasst. Idealerweise wird als oberstes Ziel eine Verbesserung des gesundheitlichen Outcomes und damit eine Erhöhung von Lebenserwartung und/oder -qualitĂ€t verfolgt, wobei Nebenbedingungen durch die zur VerfĂŒgung stehenden finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen gegeben sind. In der praktizierten Gesundheitspolitik bestehen infolge unterschiedlicher Interessen und Handlungslogiken der beteiligten Akteure jedoch auch davon abweichende gesundheitspolitische Ziel- bzw. Schwerpunktsetzungen, wie z. B. die Erreichung eines definierten Versorgungsniveaus (Ărztedichte, Krankenhausbettendichte), anderweitige volkswirtschaftliche Ziele (Beitrags- und Steuerlastsenkung) oder sonstige politische Ziele (Partei-, Standes- und Industrieinteressen) (Schwartz et al. 2012).
1.2 Gesundheitsversorgung in Deutschland
1.2.1 Grundlegende Merkmale
Der deutschen Gesundheitspolitik liegt als Basis das Sozialversicherungsmodell zugrunde (
Kap. 2.3 in diesem Beitrag). MaĂgeblich geprĂ€gt wird dies durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die als ein Zweig der Sozialversicherung im SGB V verankert ist. Nach § 1 SGB V ist es ihre Aufgabe, die Gesundheit ihrer Mitglieder zu erhalten, wiederherzustellen oder zu bessern. Der gesetzlich krankenversicherte Bevölkerungsanteil belĂ€uft sich derzeit auf 87%, weitere 13% verteilen sich auf private Krankenversicherungen (11%) und sonstige Sicherung (2%). Unter einer Vielzahl von AusgabentrĂ€gern besitzt die GKV mit 58,5% der gesamten Gesundheitsausgaben den mit Abstand gröĂten Anteil (...