Praxishandbuch für Verfahrensbeistände
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Praxishandbuch für Verfahrensbeistände

Rechtliche und psychologische Schwerpunkte für den Anwalt des Kindes

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Praxishandbuch für Verfahrensbeistände

Rechtliche und psychologische Schwerpunkte für den Anwalt des Kindes

About this book

Die Kindschaftsrechtsreform und die Einführung einer eigenen Interessenvertretung für Kinder in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren waren 1998 ein Meilenstein im Kinderschutz. Die Reform des Familienverfahrensrechts 2009 hat das Verfahren an zeitgemäße Entwicklungen angepasst und die Rolle des Verfahrensbeistands klarer definiert und transparenter gemacht. Ziel der Neuauflage ist es, dem in Kindschaftsverfahren tätigen Verfahrensbeistand Arbeitshilfen anzubieten, die das Wichtigste anschaulich zusammenfassen und über den aktuellen Stand der Rechtslage informieren.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2015
eBook ISBN
9783170269255
Edition
2
B Psychologische Schwerpunkte

1 Verfahrensbeistandschaft für Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von Kindeswille und Kindeswohl – Einleitung

Die Vorschrift des Verfahrensbeistands nach § 158 FamFG regelt die Voraussetzungen, unter denen ein Verfahrensbeistand bestellt werden kann, seine Stellung und Aufgaben sowie die Vergütung. Sie löst die Vorschrift § 50 FGG a. F. ab und ersetzt den bisherigen Verfahrenspfleger (Menne 2009, 68 ff.; Balloff 2011a; 2011b; 2013a) für Kinder und Jugendliche (»Anwalt des Kindes«) durch den neu geschaffenen Verfahrensbeistand.
In anderen Rechtsgebieten, wie z. B. im Betreuungs- und Unterbringungsrecht, ist die Verfahrenspflegschaft weiterhin vorgesehen, womit der Gesetzgeber die unterschiedliche Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsinstitute je nach der spezifischen Anforderung betont.
Die Bezeichnung Verfahrensbeistand bringt den verfahrensrechtlichen Status sprachlich präziser zum Ausdruck als die bisherige Bezeichnung Verfahrenspfleger. Das Rechtsinstitut ist beispielsweise nicht mit der Beistandschaft des Jugendamts nach § 1712 zu verwechseln, wie früher z. B. der Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB mit dem Verfahrenspfleger.
Was konnte früher bzw. was kann jetzt mit Unterstützung eines Verfahrensbeistands ein Kind oder Jugendlicher verantwortlich entscheiden? Ab wann kann ein Kind einen Willen äußern? Wann ist ein Kind oder Jugendlicher bei der Artikulierung seines Willens überfordert? Wann schadet die Umsetzung des Kindeswillens dem Wohlergehen des Kindes?
Die Aufgaben des Verfahrensbeistands nach §§ 158 Abs. 4, 167 Abs. 1 S. 1 i. V. mit § 317 FamFG umfassen in der Zusammenarbeit mit dem Kind die Ermittlung der Interessen des Kindes und somit die Herausarbeitung des Willens des Kindes im Kontext zum Kindeswohl, und zwar immer dann, wenn
• das Interesse des Kindes zu dem des Sorgeberechtigten in einem erheblichen Gegensatz steht,
• nach §§ 1666, 1666a BGB ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht erfolgen soll,
• eine Trennung des Kindes von der Obhutsperson geplant ist,
• in Verfahren, die die Herausgabe des Kindes oder eine Verbleibensanordnung zum Gegenstand haben, ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Umgangs in Betracht kommt (Prenzlow 2013, Rdnr. 718–721),
• Abstammungssachen (§ 111 Abs. 3 FamFG) oder
• Adoptionssachen anhängig sind (§ 111 Abs. 4 FamFG),
• im HKÜ-Verfahren ein Kind in das Heimatland der Entführung zurückgebracht wird (mittlerweile wird wohl auch vermehrt in HKÜ-Verfahren ein Verfahrensbeistand bestellt. Die Bestellung erfolgt ebenfalls nach § 158 FamFG (BVerfG, 18.07.2006 = FamRZ 2006, 1261 ff.; Salgo, Zenz, Fegert et al. 2014, Rdnr. 1565–1591, 1684; a. A. Vogel 2012, 403 ff., der die Verfahrensbeistandsbestellung nicht aus § 158 FamFG ableitet, sondern aus dem Grundgesetz; im Werk von Prenzlow 2013, Rdnr. 823 wird nur die Tatsache der Bestellung erwähnt, nicht aber die Vorschriften, aus denen eine Bestellung abgeleitet werden könnte.),
• Verfahren mit Auslandsbezug,
• Verfahren eine Unterbringung (§§ 151 Nr. 6, 167 Abs. 1 S. 1, 317 Abs. 1 S. 1) – inkl. der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen – zum Inhalt haben (§ 1631b BGB), gleichgültig, ob es sich um eine vorläufige Unterbringung handelt, eine Unterbringung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder eine Unterbringung nach den Landesunterbringungsgesetzen (PsychKGs), die auch auf Kinder und Jugendliche Anwendung finden (Salgo, Zenz, Fegert et al. 2014, Rdnr. 405–440).

1.1 Aufgaben des Verfahrensbeistands

Nach §§ 158 Abs. 4 S. 2, 3, 167 Abs. 1 S. 2 FamFG hat der Verfahrensbeistand folgende Aufgaben aus familienrechtspsychologischer Sicht wahrzunehmen:
1. Information des Kindes
Nach Abs. 4 Satz 2 ist das Kind in geeigneter Weise über das Verfahren zu informieren. Hier bietet sich zunächst durchaus ein Besuch des Familiengerichts an oder ein Rollenspiel, in dem der Verfahrensbeistand in der Rolle des Familienrichters das Kind befragt. Diese Unterstützung benötigt das Kind für die »Wahrnehmung der eigenen Position«, indem der Verfahrensbeistand dem Kind ermöglicht, sich zu artikulieren und seine Interessen bekannt zu geben (Prenzlow 2011, 128 ff.).
2. Gespräche mit den Eltern und Dritten
Nach Abs. 4 Satz 3 sind Gespräche mit den Eltern und sonstigen Bezugspersonen des Kindes zu führen, soweit das Familiengericht dem Verfahrensbeistand zusätzliche Aufgaben übertragen hat, z. B. Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen und am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken. Bemerkenswerterweise hat das Gericht die Übertragung dieser zusätzlichen Aufgaben nach Art und Umfang konkret festzulegen und zu begründen.
Diese Festlegung widerspricht jedoch dem Grundsatz einer unabhängigen Interessenvertretung des Kindes durch einen Verfahrensbeistand. Darüber hinaus verkennt der Gesetzgeber, dass die Vertretung kindlicher Interessen nicht von einem umfassenden Verständnis seines Lebensumfeldes zu trennen ist (Hannemann & Stötzel 2009, 58; Meysen, Balloff, Ernst et al. 2014, § 158 FamFG, Rdnr. 21 f.).
Tatsächlich sind Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen unverzichtbar, vor allem wenn sich ein Kind z. B. wegen seines Alters noch nicht artikulieren kann. Diese Notwendigkeit wird von den Familiengerichten mittlerweile meist anerkannt: Und – welche Eltern würden ein Kind unterhalb einer Altersgrenze von vielleicht zehn Jahren einer unbekannten Person zum Gespräch bzw. zur Beobachtung übergeben und überlassen? Wenn der Verfahrensbeistand in die Wohnung der Eltern kommt, soll/darf er mit den Eltern – im Sinne des Gesetzes ohne Übertragung entsprechender erweiterter Aufgaben auf den Verfahrensbeistand – keine Gespräche führen? Hier muss die Frage erlaubt sein, wie weit ein Gesetz hinter der Lebenswirklichkeit zurückbleiben darf?
3. Mitwirken am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung
Mitwirkung beim Herstellen von Einvernehmen
Die Mitwirkung des Verfahrensbeistands beim Herstellen von Einvernehmen zwischen allen Beteiligten (z. B. Eltern untereinander und mit dem Kind) beinhaltet beispielsweise eine frühzeitige Teilnahme an den Gerichtsverfahren nach §§ 156, 157 FamFG, die u. a. im ersten Fall auf Mitwirken auf ein Einvernehmen oder im zweiten Fall auf die Abwendung einer Gefährdung konzentriert sind.
Der Verfahrensbeistand hat nur im wohlverstandenen Interesse des Kindes dem Einvernehmen der Eltern zuzustimmen. Stimmt der Verfahrensbeistand dem Einvernehmen der Eltern im Interesse des Kindes nicht zu, muss sich das Familiengericht im Wege der Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) mit dessen Bedenken und Einwänden auseinandersetzen.
Das Mitwirken am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung berührt einen wesentlichen Grundsatz des Familiengerichts, Konflikte beizulegen und gemeinsam getragene Lösungen zu finden (Bergau & Walper 2012, 207).
An diesen Grundsatz hat sich auch der Verfahrensbeistand zu halten, wenn er die Interessen des Kindes wahrnimmt. Eine regelmäßige Beauftragung mit diesem erweiterten Aufgaben- und Wirkungskreis (§ 158 Abs. 4 S. 3 FamFG) ist daher nachdrücklich zu fordern (Menne 2009, 68). Einfacher wäre es, gesetzlich festzulegen, dass die Aufgaben des Verfahrensbeistands regelmäßig diese Aufgaben mit umfassen (Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen zu führen und am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung mitzuwirken).
Das Mitwirken an einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand (§ 158 Abs. 4 S. 3 FamFG) beinhaltet keine Psychotherapie, psychologische Beratung, Paar- oder Familientherapie oder Mediation mit den Eltern, dem Kind oder anderen engen Bezugspersonen des Kindes, sondern lediglich ein Mitwirken im Kontext aller gerichtlichen und außergerichtlichen Maßnahmen zur Konfliktbeilegung. Das hat zur Folge, dass der Verfahrensbeistand an einem gerichtlich gebilligten Vergleich mitwirken kann. Dann hat er als Beteiligter des Verfahrens die Interessen des Kindes wahrzunehmen und selbst zuzustimmen (Haußleiter 2011, FamFG § 158, Rdnr. 25 f.; Salgo 2010, 456) oder auch abzulehnen.
Die zahlreichen auf ein elterliches Einvernehmen zielenden und auszulegenden Vorschriften des Familienverfahrensrechts (z. B. §§ 36 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 156, 157 Abs. 1, 163 Abs. 2, 165 FamFG) müssen zur Anwendung kommen und die Beteiligung von Kindern sicherstellen (Salgo 2010, 457).
Verfahrensfähige Kinder ab 14 Jahren (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG) können selbst Erklärungen im Familiengerichtsverfahren abgeben, soweit sie ein eigenes Recht – notfalls mit Hilfe des Verfahrensbeistands – geltend machen. In Frage kommt beispielsweise das Recht des Kindes auf Umgang mit jedem Elternteil (§ 1684 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Kind hat allerdings kein Recht, einen Umgangskontakt abzulehnen; in diesem Fall werden dann die relevanten Kindeswohlkriterien von Amts wegen überprüft. Ferner hat das Kind ab 14 Jahren ein Widerspruchsrecht gegen die beabsichtigte Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil im Trennungs- oder Scheidungsfall (§§ 1671 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB).
4. Weitere Aufgeben des Verfahrensbeistands
Gelegentlich wird das Aufgabengebiet des Verfahrensbeistands in speziellen Fällen eingeschränkt. So stellte z. B. das OLG Saarbrücken (ZKJ 2011, 185) fest, dass es nicht zu den Aufgaben des Verfahrensbeistands gehört, den Willen der Eltern zu ermitteln, wenn der Wille des Kindes deutlich zum Ausdruck bringt, die Mutter zu favorisieren.
Ansonsten beinhaltet die Beteiligteneigenschaft des Verfahrensbeistands das Akteneinsichtsrecht nach § 13 Abs. 1 FamFG (Salgo, Zenz, Fegert et al. 2014, Rdnr. 1703).
Der Verfahrensbeistand entscheidet in eigener Verantwortung, ob er seine Stellungnahme schriftlich zu den Akten gibt oder mündlich im Anhörungstermin vorträgt.
Als Beteiligter des familiengerichtlichen Verfahrens (§ 158 Abs. 3 S. 2 FamFG) hat der Verfahrensbeistand das Recht, Rechtsmittel im Interesse des Kindes einzulegen (Beschwerderecht gemäß § 158 Abs. 4 S. 5 FamFG).
Darüber hinaus hat er das Recht, gegenüber dem Richter oder Sachverständigen einen Befangenheitsantrag zu stellen (§ 6 FamFG, §§ 41–49, 406 ZPO); er selbst kann aber als Beteiligter des Verfahrens nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden (Salgo, Zenz, Fegert et al. 2014, § 158 FamFG, Rdnr. 188).
Seit der durch die Kindschaftsrechtsreform vom 01.07.1998 in Deutschland in Kraft getretenen Spezialvorschrift (§ 50 FGG – damals hieß der Verfahrensbeistand Verfahrenspfleger) und nach Inkrafttreten des Familienverfahrensrechts am 01.09.2009 kann einem Kind oder Jugendlichen ein Verfahrensbeistand (»Anwalt des Kindes«) für die Dauer des Familiengerichtsverfahrens durch Gerichtsbeschluss beigeordnet werden.
Auf weitergehende gesetzliche Regelungen, etwa dem Kind oder Jugendlichen bei Bedarf auch im jugendbehördlichen Verfahren einen Verfahrensbeistand zuzuordnen oder diesen Personenkreis auch nach dem gerichtlichen Verfahren zu begleiten, beis...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. A Rechtliche Rahmenbedingungen
  7. Psychologische Schwerpunkte
  8. Literatur
  9. Stichwortverzeichnis