1 Theoretische Grundlage
Regine Rudert-Gehrke und Stefan Meyer
1.1 Grundverständnis der Trauerbegleitung
Das Grundverständnis der Hospizarbeit ist seit jeher die ganzheitliche Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen und ihrer Zugehörigen, auch auf dem Weg durch die Trauer.
• Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen ist der Bedarf größer geworden: das zeigt die deutlich steigende Zahl der Anfragen nach Unterstützung im Trauerprozess.
• Der Verlust eines nahestehenden Menschen ist eine starke emotionale Belastung und kann den Trauernden in eine existenzielle Krise führen.
• Zudem kann Trauerbegleitung ein wichtiger Beitrag zur Gesundheitsprophylaxe sein.
Deshalb ist Trauerbegleitung eine mitmenschlich notwendige Aufgabe für jeden Hospizdienst.
Trauerbegleitung und Sterbebegleitung sind zwei Säulen in der Hospizbewegung und dürfen nicht vermischt werden. Die Sterbebegleitung durch die Hospizbegleiter1 endet mit dem Tod. Auf Wunsch können Angehörige in bestehende Angebote für Trauernde eingebunden werden.
Die Angebote der Trauerbegleitung stehen allen Menschen offen – unabhängig von einer zuvor stattgefundenen Sterbebegleitung.
1.2 Jeder Mensch trauert anders
Ebenso wie in einer Hospizbegleitung ist der Umgang mit trauernden Menschen von Respekt und Wertschätzung geprägt. Sie orientiert sich an den individuellen Wünschen und Bedürfnissen, sucht nach den Ressourcen des Trauernden und vertraut auf die Selbstheilungskräfte und Entwicklungsmöglichkeiten des betroffenen Menschen. Persönliche Lebenserfahrungen mit Sterben, Tod und Trauer müssen wahrgenommen und berücksichtigt werden.
Trauernde fühlen sich oft ausgegrenzt, unverstanden und allein gelassen. Trauer kann einsam und krank machen oder Ängste auslösen. Durch die Trauerbegleitung bekommen Betroffene Unterstützung in ihrem Trauerprozess. Trauernde Menschen werden ermutigt, ihre Trauergefühle zuzulassen, den Trauerweg zu durchleben und ihren eigenen Weg der Reorganisation ihres Lebens zu suchen.
Die Trauerreaktionen und Trauerverläufe hängen von vielen persönlichen Faktoren ab (vgl. Müller et al. 2014):
• Art und Qualität der Beziehung
• War der Verlust erwartet oder völlig unerwartet?
• War der Tod natürlich oder unnatürlich (Suizid, Mord, Unfall, Fahrlässigkeit)?
• Hätte der Trauernde das eintretende Ereignis verhindern können (Schuldfragen)?
• Konnte der Trauernde sich verabschieden?
• Persönlichkeitsstruktur und Reife
• Haltung, Werte, Spiritualität
• Soziale Einbindung und materielle Situation
Trauerbegleitung kommt dann an ihre Grenze, wenn der Hinterbliebene therapeutische Hilfe benötigt. Auch erschwerte oder komplizierte Trauerverläufe erfordern grundsätzlich eine Begleitung und Unterstützung durch therapeutische Fachkompetenz. Erschwerte Trauerverläufe können verursacht sein durch (vgl. Müller et al. 2014):
• uneindeutige Verluste (z. B. vermisst, Flugzeugabsturz),
• hochambivalente Beziehungen (z. B. Ablehnung des Verstorbenen, Tod in der Trennungsphase),
• mehrere Verlusterfahrungen in kurzen Abständen (müssen nicht zwingend Todesfälle sein),
• Tabuisierung/Negierung des Verlustes (z. B. Suizid, Fehlgeburt, Abtreibung, Mord).
Bei diesen Trauerverläufen ist ein örtliches Netzwerk mit therapeutischen Unterstützungsmöglichkeiten sinnvoll (Notfallseelsorge-Team, Telefonseelsorge, Krisendienst, Psychologische Beratungsstellen, Traumatherapeuten etc.).
1.3 Trauermodelle
Die Trauerforschung hat von der Vorstellung, dass Hinterbliebene bestimmte lineare Trauerphasen durchlaufen, Abstand genommen. Die noch immer sehr verbreiteten Phasenmodelle gehen davon aus, dass ein Hinterbliebener zuerst im Schockzustand lebt, dann ein Gefühlschaos erlebt, anschließend den Verstorbenen sucht und mit ihm Zwiesprache hält und sich schließlich, in der vierten Phase, wieder dem Alltag zuwendet. Die Elemente der Phasenmodelle treten zwar bei trauernden Menschen auf, eine Gesetzmäßigkeit ist jedoch nicht nachweisbar.
Die aktuelle Trauerforschung geht von einem »Dualen Prozessmodell« aus. Das bedeutet: in trauernden Menschen finden zwei parallele Prozesse statt. Zum einen beschäftigt sich der Mensch stark mit dem erlittenen Verlust und schaut in die Vergangenheit zurück, als der geliebte Mensch noch lebte. Zum anderen muss er sich um sein neues Leben ohne die geliebte Person kümmern und sich somit der Gegenwart bzw. seiner Zukunft zuwenden. Dieser »duale Prozess« kann sich mehrmals täglich in einem Menschen abspielen und dessen ambivalente Gefühle und sein Verhalten erklären.
Bekannte Trauermodelle sind:
• Dr. Jorgos Canacakis: Lebensentwicklungs- und Trauerumwandlungsmodell (LETUM©) (http://www.trauerseminare-akademie-dr-canacakis.de/, Zugriff am 11.02.2016)
• Verena Kast: Trauerphasen (Kast 2013)
• Chris Paul: 6 Traueraufgaben (Paul 2011)
• Waldemar Pisarski: Bindungsmuster (Pisarski 2006)
• Dr. Ruthmarijke Smeding: Trauer erschließen (Smeding 2010)
• William J. Worden: 4 Traueraufgaben (Worden 2010)
1.4 Trauer im Team – wenn wir selbst betroffen sind
Auch wenn sich haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in Hospiz- und Palliativeinrichtungen intensiv mit Tod und Sterben auseinandergesetzt haben, so ist es trotzdem ein immenser Unterschied, wenn ein Kollege selbst vom Tod eines nahestehenden Menschen betroffen ist.
Trotz aller Erfahrung und des professionellen Wissens ist der persönlich Betroffene im Wortsinn »betroffen« und reagiert wie jeder Angehörige, wie jeder Sohn oder jede Tochter, wie jeder Lebenspartner, wie jeder Freund, Kollege oder Nachbar auch. Es sollte Mitarbeitern klar sein, dass sie selbst in einer solchen persönlichen Situation nicht »professionell« sind, sondern vom Gefühlschaos der Trauer genauso erreicht werden wie jeder andere Mensch. Es tut gut, auf Verständnis im Verein oder in der Einrichtung zu stoßen, wenn die eigenen Grenzen empfindlich berührt sind.
Es ist notwendig, den betroffenen Kolleginnen und Kollegen Raum und Zeit zu geben, um über ihren Verlust zu sprechen. Auch das Kollegenteam braucht diese Zeit und diesen Raum zum Reden, um Verluste mitzutragen und zu verarbeiten. Den in der Hospiz- und Palliativarbeit Tätigen ist der Umgang mit persönlicher Trauer nicht alltäglich, sodass viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl im Miteinander gefragt sein werden.
2 Voraussetzung und Qualifizierung für Trauerbegleitung2
Christine Stockstrom
Seit den Anfängen der Hospizbewegung wird Trauerbegleitung als eine wichtige Aufgabe der Hospizarbeit benannt. Vielfältige Angebote sind entstanden: Sie reichen von Einzelbegleitungen über Trauercafés, offene und geschlossene Trauergruppen bis hin zu Trauerspaziergängen und kreativen Angeboten.
2.1 Sterbebegleitung versus Trauerbegleitung
Manchmal findet sich die Auffassung, dass Hospizbegleiter, die Sterbende begleiten, auch die Angehörigen der Verstorbenen in ihrer Trauer begleiten sollten und könnten. Das will wohl überlegt sein – und dies aus mehreren Gründen:
• Sterbebegleitung und Trauerbegleitung sind sehr verantwortungsvolle Aufgaben. Beide Bereiche berühren und überschneiden sich zwar teilweise, doch es ist ein Unterschied, ob ein Mensch aus dem Leben heraus (Sterbebegleitung) oder in einem Trauerprozess wieder ins Leben zurück begleitet wird (Trauerbegleitung).
• Sterbebegleitende werden durch das – gewollte – Eingehen einer Beziehung zum Sterbenden und zu den Angehörigen auch selbst zu von Trauer Betroffenen, zu Trauernden. Deshalb ist es fragwürdig, wenn dieselben Begleitenden in der betroffenen Familie in einer Doppelrolle als Sterbe- und Trauerbegleiter eingesetzt werden.
• Es stellt sich auch die Frage der Loyalität: In der Sterbebegleitung sollen trotz...