"Advance Care Planning" (ACP, gesundheitliche Vorausplanung) zielt auf eine konsequent am vorausverfügten Patientenwillen orientierte Behandlung für den Fall, dass der Betroffene sich nicht mehr selbst äußern kann. Realisiert wird diese grundlegend neue Herangehensweise durch die Etablierung eines professionell begleiteten Kommunikationsprozesses, der Menschen bei der Entwicklung ihrer individuellen Patientenverfügung unterstützt. Hinzu kommt ein diesbezüglicher Wandel im Gesundheitssystem, in dessen Folge ein solches qualifiziertes Beratungsangebot insbesondere älteren und chronisch kranken Menschen aktiv angeboten wird. Darüber hinaus müssen die angemessene Dokumentation, die Aktualisierung und zuverlässige Beachtung des vorausverfügten Patientenwillens gewährleistet werden. Ausgehend von einer Analyse der Defizite des bisherigen Umgangs mit Patientenverfügungen erörtert eine internationale Autorengruppe die Grundlagen von ACP, stellt etablierte ACP-Projekte vor und erläutert die politischen und ethischen Herausforderungen.
Frequently asked questions
Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
No, books cannot be downloaded as external files, such as PDFs, for use outside of Perlego. However, you can download books within the Perlego app for offline reading on mobile or tablet. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go. Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Advance Care Planning by Michael Coors, Ralf J. Jox, Jürgen in der Schmitten, Michael Coors, Ralf Jox, Jürgen in der Schmitten in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Medicine & Ethics in Medicine. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.
Michael Coors, Ralf J. Jox, Jürgen in der Schmitten
Advance Care – was? Es ist bemerkenswert, wie lange und wie hartnäckig das im Englischen als Advance Care Planning bezeichnete Konzept von der wissenschaftlichen Debatte, dem öffentlichen sowie gesundheitspolitischen Diskurs und der klinischen Praxis im deutschen Sprachraum (weitgehend) ignoriert worden ist, während es in der angloamerikanischen Literatur seit den 1990er Jahren in zunehmender Breite diskutiert und seit Beginn dieses Jahrzehnts mit wachsendem Tempo in verschiedenen Regionen und Gesundheitssystemen der Welt implementiert wird. Stellvertretend für die fortgeschrittene internationale gesundheitspolitische Entwicklung erwähnen wir hier nur einen Leitfaden des britischen Gesundheitswesens (Henry und Seymour 2008), einen diesbezüglichen Bericht des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums an den Kongress (U. S. Department of Health and Human Services 2008) sowie ein Strategiepapier des australischen Bundesstaats Victoria (Australian Department of Health 2014) zu diesem Thema. Diesen programmatischen Papieren liegt eine breite wissenschaftliche Diskussion zugrunde und sie werden von Initiativen zur Sensibilisierung und Einbeziehung der Bevölkerung flankiert (vgl. zum Beispiel http://conversationsthatcount.org.nz).
Im deutschsprachigen Raum ist Advance Care Planning dagegen bis vor Kurzem praktisch unbekannt geblieben. Die wenigsten Menschen hier dürften bisher mit dem Begriff oder seinen Übersetzungen wie »gesundheitliche Vorausplanung«, »vorausschauende Behandlungsplanung«, »vorausschauende Versorgungsplanung« oder »Vorausplanung der gesundheitlichen Versorgung« etwas anfangen können oder gar ein präzises Verständnis der Sache haben. Dennoch gibt es auch im deutschen Sprachraum ganz aktuell Bewegung und zwar gleich an höchster Stelle: So erwähnt und empfiehlt die Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzleramtes in einer Stellungnahme vom Februar 2015 ausdrücklich Advance Care Planning (http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=58509, Zugriff am 16.04.2015), und das Konzept findet (unter dem Begriff »individuelle/gesundheitliche Versorgungsplanung«) Eingang in einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den im Herbst 2015, kurz nach dem avisierten Erscheinen dieses Buches, im Deutschen Bundestag abgestimmt werden soll (
Geleitwort zu diesem Buch). Bezeichnenderweise haben viele Medienberichte über den Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung den Passus zur Implementierung von Advance Care Planning in Einrichtungen der Seniorenpflege praktisch unberücksichtigt gelassen – man darf mutmaßen, dass er von vielen Berichterstattern in seiner Bedeutung und Tragweite nicht verstanden worden ist. Auch in die medizinische Wissenschaft findet das Konzept von Advance Care Planning langsam Eingang: Die soeben veröffentlichte S3-Leitlinie Palliativmedizin (http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Palliativmedizin.80.0.html, Zugriff am 05.05.2015) beinhaltet konsensbasierte Empfehlungen zur »vorausschauenden Versorgungsplanung« bei Menschen mit Tumorerkrankungen (Abschnitt 9.6).
Die jahrzehntelange Misere aber, aus der Advance Care Planning einen Ausweg verspricht, ist im deutschsprachigen Raum nicht weniger bekannt und zu beklagen als anderswo. Die moderne Medizin, die durch intensivmedizinische Maßnahmen wie Wiederbelebung und Beatmung seit den 1960er Jahren wahre Wunder zu vollbringen scheint, hat eine hässliche, von vielen gefürchtete Kehrseite: apparativ gestützte Lebensverlängerung um jeden Preis, monatelanges Quälen im Kampf gegen den zuletzt doch unausweichlichen Tod oder chronisches, jahrelanges Siechtum bei immer geringeren Möglichkeiten der sozialen Teilhabe. Da häufig zu Beginn einer Therapie nicht vorhersagbar ist, welches Behandlungsergebnis erreicht werden kann, und da in einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft auch Ärzte uneins sind, wann medizinisch mögliche Behandlungen zu unterlassen oder abzubrechen sind, schienen Patientenverfügungen die einzige Antwort auf das Problem: Dokumente also, in denen Betroffene die von ihnen gewünschten individuellen Grenzen lebensverlängernder Behandlung im Voraus festlegen.
Ein neues Konzept
Die in den letzten vier Jahrzehnten gepflegte, hier als »traditionell« bezeichnete Herangehensweise an Patientenverfügungen hat jedoch, wie die Kapitel in Abschnitt 2 dieses Buchs deutlich machen, die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Ungezählte wissenschaftliche Artikel haben in diesem Zeitraum das Für und Wider von Patientenverfügungen erörtert, in Deutschland haben eine ganze Reihe höchstrichterlicher Urteile und schließlich das sogenannte Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahr 2009 ihre rechtliche Verbindlichkeit untermauert. Doch letztlich zeigen konzeptionelle Einwände, empirische Befunde und die klinische Realität, dass das traditionelle Konzept von Patientenverfügungen (»living wills«) als gescheitert angesehen werden muss – mit dem Titel eines fulminanten wissenschaftlichen Verrisses dieses Konzepts durch US-amerikanische Bioethiker: »Enough. The Failure of the Living Will« (Fagerlin und Schneider 2004). Die Gründe für dieses Scheitern bzw. für die Grenzen der traditionellen Herangehensweise von Patientenverfügungen werden in den vier Beiträgen zu Kapitel 2 aus ethischer (
Kap. 2.1), juristischer (
Kap. 2.2), intensivmedizinischer (
Kap. 2.3) und pflegerischer (
Kap. 2.4) Perspektive zusammengetragen.
Was also ist demgegenüber Advance Care Planning? Auch im deutschen Sprachraum ein breites Bewusstsein dafür zu schaffen, dass mit Advance Care Planning eine wirklich neue, grundlegend andersartige konzeptionelle Alternative zur traditionellen Herangehensweise an Patientenverfügungen gegeben ist und worin sie genau besteht, ist Anliegen dieses Buches. Es wendet sich an alle, die sich mit der heutigen Realität tagtäglicher Therapieentscheidungen in Unkenntnis des Patientenwillens und dem damit häufig verbundenen großen Leid für Patienten, Angehörige und das behandelnde Personal nicht abfinden wollen und die allen Patienten das Recht zubilligen, dem medizinischen Imperativ des Machbaren auch dann durch den eigenen Behandlungswillen Grenzen zu setzen, wenn sie aktuell nicht mehr in der Lage sind, diesen Willen zu äußern.
Bei wichtigen, schwierigen und womöglich folgenreichen aktuell anstehenden Entscheidungen, z. B. über eine Krebsbehandlung oder eine Herzklappenoperation, finden schon heute regelmäßig vorab ausführliche Gespräche zwischen den behandelnden Ärzten, den Betroffenen und – häufig – deren nächsten Angehörigen statt, um eine informierte Einwilligung der Betroffenen (Informed Consent) zu ermöglichen, wie es ethisch geboten und seit vielen Jahren auch rechtlich vorgeschrieben ist. Der Prozess, in dem Patienten, gegebenenfalls ihre Angehörigen und die behandelnden Ärzte idealerweise partnerschaftlich zu der für den Betroffenen in seinen Augen bestmöglichen Entscheidung gelangen, wird als gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) bezeichnet.
Advance Care Planning ist die Annäherung an das Ideal einer gemeinsamen Entscheidungsfindung für künftige Behandlungsentscheidungen im Fall hypothetischer Krankheitsszenarien, in denen der Betreffende selbst krankheitsbedingt nicht einwilligungsfähig ist und daher die Entscheidung nicht mehr aktuell beeinflussen kann. Im Zentrum von Advance Care Planning steht ein qualifizierter Gesprächsprozess zwischen dem Betroffenen, wo möglich seinem designierten Vertreter (oder nahen Angehörigen) und einer hierfür geschulten Gesundheitsfachperson (facilitator). Diese steuert als professioneller Moderator diesen Prozess, in welchem der Betroffene seine Werte, Grundhaltungen und Ziele reflektiert, relevante künftige hypothetische Szenarien kennen- und so weit wie nötig verstehen lernt und seine entsprechenden individuellen Behandlungspräferenzen im Austausch mit seinem designierten Vertreter (Angehörigen) entwickelt und artikuliert. In den bisherigen Implementierungen von Advance-Care-Planning-Projekten werden die professionellen Moderatoren in der Regel aus verschiedenen nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen rekrutiert, während die behandelnden Ärzte meist abschließend in den Gesprächsprozess einbezogen werden und durch ihre Unterschrift eine Mitverantwortung für die schriftliche Patientenverfügung übernehmen.
Der schriftliche Niederschlag dieses zentralen und unersetzlichen Gesprächsprozesses ist eine im formalen Aufbau möglichst regional einheitliche, inhaltlich aber mit Unterstützung des professionellen Prozessbegleiters individuell ausgefüllte Patientenverfügung als Ausdruck einer informierten Einwilligung in bzw. Ablehnung von etwaigen künftigen Behandlungsmaßnahmen unter den im Gespräch erörterten Bedingungen (Informed Consent bzw. Refusal). Da sich die Behandlungswünsche für künftige hypothetische Krankheitsszenarien im Laufe des Lebens ändern, abhängig vom Gesundheitszustand und von sozialen Gegebenheiten, versteht sich Advance Care Planning nicht als einmaliger Akt, sondern als dauerhafter Gesprächsprozess, der anlassbezogen oder nach höchstens fünf Jahren wieder aufgenommen und aktualisiert werden sollte – ein weiterer kategorialer Unterschied zur traditionellen Herangehensweise an Patientenverfügungen.
Damit diese neuartigen, aussagekräftigen und validen Patientenverfügungen im lokalen und regionalen Gesundheitssystem auch tatsächlich Beachtung durch das Gesundheitsfachpersonal finden, fordert und fördert Advance Care Planning einen tiefgreifenden »kulturellen« Wandel von Gesundheitssystemen und -institutionen mit dem Ziel, patientenzentrierte Behandlung ganz in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns zu stellen.
Grundlagen und Theorie von Advance Care Planning
Die erste grobe Skizze des Konzepts Advance Care Planning wird in den Beiträgen zu Kapitel 3 vertieft und detaillierter ausgeführt. Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Advance Care Plannings und seiner Verwendung in verschiedenen Kontexten (
Kap. 3.1) zeigt auf, dass das vorstehend skizzierte Verständnis von Advance Care Planning zwar als Mainstream gelten darf (und allen den Herausgebern bekannten regionalen Advance-Care-Planning-Projekten zugrunde liegt), dass aber der Begriff nicht geschützt und es gerade bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen keineswegs immer klar ist, was als Advance Care Planning angesehen wird und was nicht. Daran schließt sich eine philosophisch-ethische Herleitung und Untermauerung von Advance Care Planning an (
Kap. 3.2). In diesem Beitrag wird nicht zuletzt deutlich, dass der Nutzen von Advance Care Planning sich nicht erst in einem eventuell künftig eintretenden Anwendungsfall der Patientenverfügung realisiert, sondern sich bereits während und in der Folge der vorausschauenden Gespräche entfaltet: Die gedankliche und emotionale Vorbereitung des Patienten, der Angehörigen und nicht zuletzt des behandelnden multiprofessionellen Teams auf mögliche Komplikationen und Verschlechterungen des gesundheitlichen Zustands kann dazu dienen, die Krankheitssituation besser anzunehmen, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu bewahren ...
Table of contents
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhalt
Geleitwort
1 Advance Care Planning: eine Einführung
2 Defizite bisheriger Vorausverfügungen
3 Theoretische Grundlagen von Advance Care Planning
4 Advance Care Planning in der internationalen Praxis
5 Advance Care Planning in speziellen Kontexten
6 Advance Care Planning: Perspektiven für Wissenschaft, klinische Praxis und Gesundheitspolitik