Schulleben in der Nachkriegszeit
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Schulleben in der Nachkriegszeit

Eine Tuttlinger Gymnasialklasse zwischen 1945 und 1954

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Schulleben in der Nachkriegszeit

Eine Tuttlinger Gymnasialklasse zwischen 1945 und 1954

About this book

Die Geschichte der höheren Schulen Südwestdeutschlands in der Nachkriegszeit ist ein Stück deutscher Geschichte des Wiederaufbaus. Tuttlingen war überall: Die dortigen Erfahrungen stehen beispielhaft für das Leben einer ganzen Generation der bundesrepublikanischen Schulgeschichte. Das vorliegende Buch verbindet persönliche Erinnerungen mit solider historischer Quellenforschung; und diese Symbiose macht es authentisch und spannend. Der Autor verfällt nicht dem Schema "Weißt-Du-noch", sondern rekonstruiert seriös die Schulerfahrung einer ganzen Generation, die sich in diesem Buch wiederfinden wird.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2013
Print ISBN
9783170230439
eBook ISBN
9783170236301
Edition
1
Topic
History
Index
History
Erstes Kapitel

Präludien

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Abb. 1/1: Tuttlingens Panorama von 1902 mit dem das Stadtbild beherrschenden Oberschulgebäude

1.1 Lebensraum Schule?

Von Hans-Joachim Heese
Wer vor 40 oder 50 Jahren vom Lebensraum Schule gesprochen hätte, den hätte man sicherlich belächelt. Schule damals – das war ein Ort des Lernens, ein Ort, der einem die Pflichterfüllung nahe brachte, natürlich auch Ort, der einen die Regeln des damaligen Sozialgefüges lehrte – man hatte zu spuren – und entsprechend auch der Ort, an dem einem, wenn notwendig, Grenzen aufgewiesen wurden. Und nicht selten war Schule auch eine Art verlängerter Arm der Eltern, denn in deren Augen hatten Lehrkräfte allemal Recht. Das erzieherische Wirken wurde von den Eltern selbst dann akzeptiert, wenn Grenzen im pädagogischen Handeln überschritten wurden, was einen als Kind auch zutiefst verletzen konnte, weil einem in der Regel keine Chance gegen die geheime Allianz der Erwachsenen blieb, auch wenn noch so großes Unrecht geschah. Aber man schluckte das herunter, weil klar war, dass die Schule nicht allein das Leben war. Man lernte zwar für das Leben, aber das Leben spielte sich doch auch noch an anderen Orten ab.
Nach Unterrichtsende gab es den Nachhauseweg, den man nicht nur in der Grundschulzeit genoss, eine Zeit, die man genoss, weil sie allerlei Geheimnisvolles mit sich brachte: Kleinigkeiten am Wegesrand konnten das sein, die einen erstaunten und die einen die Zeit vergessen ließen, allen Ermahnungen der Erwachsenen zum Trotz, nicht zu trödeln. Und nach den Hausaufgaben war, einmal abgesehen von den wenigen Verpflichtungen wie Instrumentalunterricht, Freizeit angesagt. Freie Zeit zum Spielen mit den Schulkameraden, Zeit zum Erkunden der Umgebung.
Wir alle haben Erinnerungen an die Räume, in denen sich das Leben abspielte, aber eben außerhalb der Schule. Schule war nicht Lebensraum, aber – und das muss natürlich auch festgehalten werden – Schule brachte einem Lebensräume nahe, Schule war Erfahrungsraum: Lerngänge im Frühjahr, bei denen auf der Wiese die unterschiedlichen Blumen gelernt wurden, später dann Studien- und Theaterfahrten, Exkursionen usw.; Schule als der Ort, der einem den Lebensraum wohl dosiert erschloss. Aber Schule selber als Lebensraum – davon konnte nicht die Rede sein, weil in der Regel auch dem Elternhaus ein anderer Stellenwert zukam.
Warum aber heute die Rede von der Schule als Lebensraum? Einige Hintergründe seien genannt:
  • Noch nie in der Geschichte sind so viele Kinder und Jugendliche so lange zur Schule gegangen wie heute in der modernen Gesellschaft. Jugendzeit ist über weite Strecken Schulzeit geworden. Schule nimmt in kontinuierlich gestiegenem Maße Lebenszeit von Kindern und Jugendlichen in Anspruch.
  • Weiter: Die Komplexität heutigen Lernens verlangt nach anderen Organisationsformen, d. h. weil schulische Bildung nicht mehr nur Wissensvermittlung ist, sondern auch die Vermittlung von Kompetenzen beinhaltet, muss Unterricht heute anders organisiert werden. Beschleunigt wurde und wird diese Entwicklung durch die Ergebnisse der PISA-Studien.
  • Gesehen werden muss zudem, dass bei weiterführenden Schulen die Verkürzung der Schulzeit bei gleichzeitiger Beibehaltung der Gesamtstundenzahl, die nach Beschluss der Kultusministerkonferenz absolviert werden müssen, dazu führt, dass Schülerinnen und Schüler mehr Stunden in der Woche in der Schule verbringen als vor 20 bis 30 Jahren. Stundenpläne mit 35 und mehr Wochenstunden sind keine Seltenheit. Stundenplantechnisch bedeutet dies, dass immer häufiger Nachmittagsunterricht stattfinden muss und Schülerinnen und Schüler an bis zu vier Nachmittagen Unterricht haben. Verschärfend wirkt hier natürlich, dass der Samstag als Unterrichtstag faktisch abgeschafft ist.
  • Um einen letzten Punkt zu benennen: Eine Folge der PISA-Ergebnisse war, dass die Idee der Ganztagesschule vorangetrieben wurde und heute an immer mehr Standorten in unterschiedlichen Formen umgesetzt wird.
Fazit: Unsere Kinder und Jugendlichen verbringen nicht nur immer mehr Lebenszeit an der Schule, sondern auch immer mehr der ihnen zur Verfügung stehenden Wochenzeit. Schule wird also zum Lebensraum, zu einem Raum, in dem Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit leben und vielleicht auch verleben.
Aus dem Vortrag des Tübinger evangelischen Schuldekans „Lebensraum Schule als pädagogische Herausforderung“ vor dem Rotary-Club Reutlingen-Tübingen-Süd am 29.11.2007.

1.2 Tuttlingen nach der „Stunde Null“

Von keiner anderen Seite liegen über die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg umfassendere und systematischere Nachrichten über unsere Gegend vor als von der Besatzungsmacht. Insbesondere sind die Rechenschaftsberichte, les rapports, welche sich der in Baden-Baden residierende Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Deutschland regelmäßig erstatten ließ, eine zentrale Quelle für alle Lokalstudien.
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Abb. 1/2: Jean Lucien Estrade
Erfreulicherweise hat für Tuttlingen dessen Gouverneur Jean Lucien Estrade diese Rapporte zeitnah für seinen Abschlußbericht von 1950 ausgewertet, der sogar in deutscher Übertragung zugänglich ist1. Völlig ersetzen kann sein Buch die Akten der Militärregierung freilich nicht, doch ließen sie sich nicht einsehen, weil das Archiv des Auswärtigen Amtes in La Courneuve bei Paris, wohin die Baden-Badener Papiere des Bureau des Archives de l’Occupation française en Allemagne et en Autriche aus Colmar verlegt worden sind, auf keine Anfrage reagierte, selbst nicht auf Schreiben von französischer Seite2.
Der verhängnisvolle Luftangriff beim Einmarsch
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Abb. 1/3: Zeughausstr. 106 nach dem Bombenangriff vom 4.3.1945
Die Besetzung Tuttlingens am 21. April 1945 durch französische Truppen beendete für die südwürttembergische Industriestadt mit ihren rund 19 000 Bewohnern3 den Zweiten Weltkrieg, der sie vor Kampfhandlungen am Boden verschonte und ihr hauptsächlich Beschädigungen der Bausubstanz durch Bomben zufügte. Der gravierendste Luftangritt, bei dem es erstmals auch Todesopfer zu beklagen gab, hatte sich erst sieben Wochen zuvor ereignet, am 4. März4. Eingenommen wurde Tuttlingen durch das Kampfkommando Nr. 2 der ersten Panzerdivison. Daran beteiligt waren das 5. afrikanische Jägerregiment, das 1. Zuaven-Regiment sowie das 68. afrikanische Artillerieregiment5. Zahlreiche Tote gab es noch am Tag des Einmarschs selbst, als alliierte Tiefflieger in Verkennung der Lage die eigenen Panzer angriffen. Dazu berichtete elf Jahre später, nicht ganz korrekt, eine vierköpfige „Kommission zur Feststellung der Begebenheiten am Tage der Besetzung durch die Franzosen am 21. April 1945“:
Um 1800 Uhr, nachdem sich die Besetzung der Stadt fast reibungslos vollzogen hatte, erfolgte – selbst für die Besatzungstruppen überraschend – ein Fliegerangriff, der verheerende Wirkung hatte. Dem Bordfeuer der Jagdbomber fielen in der Zeughausstrasse 50 Menschen zum Opfer. 6
Aus der Gegenperspektive ist über diesen Vorfall, den die Findmittel des Militärarchivs zu Vincennes nicht kennen7, bisher nur die beiläufige Notiz eines französischen Regimentsschreibers bekannt:
„à 17 h 41, 4 avions américains bombardent et mitraillent les lisières ouest de TUTTLINGEN que nous occupons depuis 16 h 00.“8
Identität und Zahl der Toten schwanken in der Literatur. 27 Namen erscheinen unter dem 21. April 1945 im „Amtsblatt für den Kreis Tuttlingen“9, weitere 15 sind unter den insgesamt 59 durch Fliegerangriffe getöteten Zivilpersonen subsumiert, welche die ergreifende Dokumentation „Miseris procul patria defunctis“ nennt10. Die frühesten Meldungen über diese Kriegsopfer vom 21. April liefen beim Tuttlinger Standesamt erst am 25. April von der Ortspolizeibehörde ein. „Gefallen durch feindlichen Fliegerangriff“ hieß der stereotype Eintrag des Urkundsbeamten in das „Sterbebuch für das Jahr 1945“11 über die Todesursache. Sie änderte sich tags darauf in „Verwundung durch feindlichen Fliegerangriff“. Entsprechende Meldungen kamen nach und nach von der Kreiskrankenhausverwaltung, den Reservelazaretten und der Krankensammelstelle Moltkestraße12. Die letzte Anzeige betraf eine Frau, die ihren Verletzungen am 8. Juni, also nach sieben Wochen, erlegen war. Insgesamt kamen zwölf Schüler und Schülerinnen im Alter zwischen sechs und siebzehn Jahren ums Leben. An französischen Militärs erfaßt das Sterbebuch lediglich zwei Personen.
Diese Vorfälle werden in einem ehrwürdigen Folianten aus der Nähe beleuchtet. Eigenhändig vom damaligen katholischen Stadtpfarrer Franz Lutz niedergeschrieben, heißt es darin wörtlich:
Ganz ohne Verluste war es, wie schon oben erwähnt, bei der Besetzung leider nicht abgegangen. Durch unglückliche Umstände – wohl schlechte Nachrichtenübermittlung – veranlaßt, hatten die feindlichen Flugzeuge, als die Stadt schon besetzt war, u. die Panzer mitten drin standen, einige Bomben abgeworfen. Schon waren viele Leute als Zuschauer auf den Straßen.
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Abb. 1/4: Der Eintrag über den Oberschüler Heinz Schneider in das Sterbebuch
Die Wirkung war schrecklich. Durch die äusserst starke Splitterwirkung der ganz leichten Bomben wurden viele Umstehende zu Tode getroffen. Es war in der Zeughausstr. beim Falken. Als ich am andern Morgen daran vorüberging, sah ich noch große Blutspuren u. in der Rinne ein halbes menschliches Hirn! Es gab dort – einige später an der Verwundung Gestorbene miteingerechnet – rund 50 Tote. Darunter waren freilich auch Ausländer, u. sogar einige Franzosen. Ich habe mir sagen lassen, daß die französ. Soldaten rasch in die Panzer sprangen u. dabei noch einige Kinder mithinein retteten. Immerhin ein schöner Zug. In der Gemeinde hatten wir 14 Tote. Darunter ein Jungmädel u. ein Junge. Und auch ein Mitglied unserer Pfarrjugend (Hedwig Singer), ein b...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Geleitwort des Oberbürgermeisters
  6. Zum Gedenken
  7. Prolog
  8. Vorwort
  9. 1 Präludien
  10. 2 Materielles und Spirituelles
  11. 3 Horizonterweiterungen
  12. 4 Vom Schulalltag
  13. 5 Auf Theaterbrettern
  14. 6 Sportkanonen
  15. 7 Romanzen
  16. 8 Respektspersonen
  17. 9 Das Finale von 1954
  18. 10 Unter demselben Dach
  19. Die Oberschule unter der Lupe
  20. 12 Ausklang