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Geschlechterrollen und ihre Folgen
Eine sozialpsychologische Betrachtung
This book is available to read until 5th December, 2025
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Geschlechterrollen und ihre Folgen
Eine sozialpsychologische Betrachtung
About this book
Gender roles still have a large impact on development of and success in life for men and women. This book describes and explains the similarities and differences from a social psychological perspective. Up to date research is looked at and the often unconscious influence of gender stereotypes is described. To this end findings on the self-concept, on attitudes of gender roles and areas of social behaviour, as health, choice of career, social relationships and leadership behaviour, are documented.
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Information
1 Gender: Geschlechterrollen und Geschlechterstereotype
1.1 Gender
Gender ist ein inzwischen auch im Deutschen gebrĂ€uchliches Wort. Es wurde aus dem Englischen ĂŒbernommen, da dort zwischen âsexâ und âgenderâ differenziert wird. âSexâ bezieht sich auf das biologische Geschlecht, âgenderâ auf das sozial konstruierte Geschlecht. Bei einer Google-Suche im April 2010 zum Begriff âgenderâ eingeschrĂ€nkt auf deutsche Seiten, finden sich mehr als drei Millionen EintrĂ€ge. Wikipedia widmet dem Thema einen eigenen Beitrag und verweist dort unter anderen auf eine entsprechende Seite des Goethe-Instituts in Deutschland. âGender Mainstreamingâ ist in der gesamten EuropĂ€ischen Union ein politisches Konzept, dem viel Geld und Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das deutsche Bundesministerium fĂŒr Familie, Senioren, Frauen und Jugend schreibt dazu auf der eigenen Homepage: âGender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und MĂ€nnern von vornherein und regelmĂ€Ăig zu berĂŒcksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.â
Psychologie und Soziologie haben sich schon seit Mitte des letzten Jahrhunderts intensiv mit dieser Thematik beschĂ€ftigt. Die Soziologen Parsons und Bales (1955) unterschieden etwa familiale Rollen, in denen der Mann den ErnĂ€hrer der Familie darstellt und fĂŒr die AuĂenbeziehungen und die berufliche Rolle vorgesehen ist und die Frau fĂŒr die familialen Angelegenheiten und die Innenbeziehungen. Diese strikte Rollentrennung gilt in unserer heutigen Industriegesellschaft nicht mehr, sie trifft aber in einem erweiterten Sinne dennoch den Kern. Es zeigt sich nĂ€mlich, dass zum einen MĂ€nner nach wie vor ĂŒberwiegend in der beruflichen SphĂ€re tĂ€tig sind und hierdurch auch relativ klare Rollenerwartungen existieren, die auf eine Funktion als FamilienernĂ€hrer und auf die ErfĂŒllung beruflicher Anforderungen und Aufgaben hinauslaufen. Zum anderen ist zu konstatieren, dass Frauen zwar inzwischen in groĂer Zahl einer auĂerhĂ€uslichen ErwerbstĂ€tigkeit nachgehen, aber dennoch ihre primĂ€re Funktion auf die der (Ehe-)Frau und Mutter konzentriert bleibt. Die Rollenerwartungen an Frauen betreffen sowohl die AusfĂŒllung beruflicher Anforderungen wie auch familialer Aufgaben. Im Konfliktfalle â z. B. wenn die Kinder klein sind und keine VollzeitberufstĂ€tigkeit möglich erscheint, oder wenn die Eltern sich trennen â wird die Hauptverantwortung fĂŒr die Kinder ganz ĂŒberwiegend von der Frau getragen. Die ĂŒberwiegende Zahl der Teilzeitstellen wird von Frauen eingenommen. Das Sorgerecht nach Trennung und Scheidung nehmen in der Regel Frauen wahr. So gesehen finden sich trotz aller Liberalisierungstendenzen nach wie vor im Kern die Geschlechterrollen, wie sie von Parsons und Bales formuliert wurden.
Der auffallendste Wandel der Positionen von Frauen und MĂ€nnern wurde zweifellos durch die verfassungsrechtlich garantierte formale Gleichheit der Geschlechter eingeleitet. Diese Gleichheit ist im Bildungswesen erreicht, aber sie trifft nicht auf den beruflichen Erfolg zu. Tatsache ist zwar, dass die politische Entwicklung der europĂ€ischen LĂ€nder eine Gleichberechtigung der Geschlechter insbesondere durch gleiche Bildungschancen und die (gleichberechtigte) Teilhabe am Berufsleben propagiert und gefördert hat. Um dies zu erreichen, wurden staatliche MaĂnahmen der âFrauenförderungâ bereitgestellt, damit Frauen in verstĂ€rktem MaĂe Berufspositionen ergreifen konnten. Die öffentlichen MaĂnahmen und das gesellschaftliche Bewusstsein haben dazu beigetragen, dass eine VerĂ€nderung der Geschlechterrollen in den letzten Jahrzehnten möglich geworden ist, die aber eher einseitig die weibliche Rolle betrifft. Etwas ĂŒberspitzt ausgedrĂŒckt, stellt sich der Wandel der Geschlechterrollen vor allem als ein Wandel der weiblichen Rolle dar. Die weibliche Geschlechterrolle hat â verglichen etwa mit der Nachkriegszeit â einen deutlichen und statistisch nachweisbaren Wandel mitgemacht. Betrachtet man die Entwicklung in Deutschland, Ăsterreich und anderen Industrienationen, so lĂ€sst sich insbesondere an der Bildungsbeteiligung, der Berufsausbildung, der Erwerbsquote und den Berufswahlen dieser Rollenwandel aufzeigen (Kap. 5.3). Die Erwartungen an Frauen richten sich aber nach wie vor auf die ErfĂŒllung familiĂ€rer Anforderungen, wie es in traditionell patriarchalischen Gesellschaften stets der Fall war. Sie richten sich nun zusĂ€tzlich auch an die ErfĂŒllung beruflicher Anforderungen. Die Hausfrau, die ausschlieĂlich fĂŒr Familie und Kinder sorgt, ist ein Modell, das meist nur fĂŒr eine kurze Ăbergangszeit oder gar nicht in Anspruch genommen wird. Dementsprechend gilt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fĂŒr heranwachsende und erwachsene Frauen als ein vorrangiges Lebensziel. Dabei spielt bei der Berufs- wie bei der Familienarbeit eine wichtige Rolle, dass fĂŒr Frauen der Umgang mit Menschen und die humanistische Zielsetzung, die der Hilfe und Betreuung von Menschen zugrunde liegt, eine hohe Bedeutung hat, die ihre Berufswahlen beeinflusst und ihre Entscheidungen fĂŒr Familienarbeit, insbesondere Kinderbetreuung. Nach Eccles (2007) sind es diese âweiblichenâ Werte, die vorrangig die Berufswahlen und Karrierewege von Frauen steuern und nicht etwa fehlende FĂ€higkeiten oder fehlendes Selbstvertrauen. Das Streben nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat seinen Preis. Es fĂŒhrt offenbar hĂ€ufig dazu, dass Frauen dadurch den Aufstieg in der Hierarchie der Berufsfelder verpassen: â⊠even very educated women are more likely than men to favor home-centered lifestyles and adaptive lifestyles, wherein family and home are paramount and work is adapted to fit around this choiceâ (Ceci, Williams & Barnett, 2009, S. 247). Wenn es um die familiale Arbeitsteilung geht, sind insbesondere die Frauen fĂŒr Haushalt, die Kinder und die Kinderbetreuung zustĂ€ndig. DafĂŒr reduzieren sie ihr berufliches Engagement, was sich leicht an den europĂ€ischen Statistiken zur Arbeitszeit von MĂ€nnern und Frauen ablesen lĂ€sst (EuropĂ€ische Kommission, 2008). Das Modell der partnerschaftlichen Arbeitsteilung in der Familie wird zwar mehrheitlich befĂŒrwortet, es lĂ€uft aber immer noch darauf hinaus, dass der Mann der Hauptverdiener bleibt und im Zweifelsfall die erfolgreichere berufliche Karriere macht.
In der Ăffentlichkeit und in politischen Verlautbarungen wird viel diskutiert ĂŒber ein gewandeltes VerstĂ€ndnis von der Rolle des Mannes. Mehr MĂ€nner als frĂŒher kĂŒmmern sich um die Kinder und teilen sich die Familienarbeit mit ihrer Frau. Das ist richtig. Wir sind aber weit davon entfernt, hier von einem Mainstream sprechen zu können. Nach wie vor sind es vorwiegend Frauen, die nach Scheidung oder Trennung ihre Kinder allein groĂziehen oder ihre BerufstĂ€tigkeit wegen der Kinder unterbrechen oder reduzieren. DafĂŒr bedauern mehr MĂ€nner als Frauen, zu wenig Zeit fĂŒr die Familie zu haben (Statistisches Bundesamt, 2008).
Geschlechterrollen in der heutigen Gesellschaft bedeutet fĂŒr beide Geschlechter mehr Freiraum in der Ausgestaltung ihrer Rollen als noch im letzten Jahrhundert. Nach den vorliegenden Daten haben diesen Freiraum vor allem Frauen genutzt. Sie können Familien- und Berufsrollen ausĂŒben. MĂ€nner hingegen sehen nach wie vor die vorrangige Aufgabe in ihrer Berufsrolle, ggf. verknĂŒpft mit möglichen zusĂ€tzlichen EhrenĂ€mtern oder FreizeitaktivitĂ€ten. Aber die Doppelrolle des Mannes in Beruf und Familie ist nur einer verschwindenden Minderheit vorbehalten. Im Gegensatz zu frĂŒheren Zeiten aber ist es MĂ€nnern inzwischen prinzipiell möglich und gestattet, eine solche Doppelrolle auszuĂŒben. Und dieser Trend wird sich in den nĂ€chsten Jahrzehnten aufgrund der VerĂ€nderungen in den BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnissen und des Arbeitsmarkts vermutlich weiter verstĂ€rken.
Diese kurze AusfĂŒhrung zeigt, dass unsere Gesellschaft nach wie vor fĂŒr MĂ€nner und Frauen unterschiedliche Lebenswelten gestaltet. Sozialpsychologie und Soziologie beschĂ€ftigen sich mit dem sozialen Geschlecht und zeigen Folgen von Geschlechterrollen auf. Neuere kognitionswissenschaftliche Theorien und Studien konnten die Bedeutung von Gender auch fĂŒr soziale Informationsverarbeitung und Verhalten aufzeigen. Die berichteten Befunde erscheinen uns wesentlich fĂŒr ein VerstĂ€ndnis der psychologischen HintergrĂŒnde, die im Zusammenhang mit der oben aufgezeigten gesellschaftlichen Problematik stehen. Es soll aufgezeigt werden, dass Gender nicht nur ein politisch besetzter Begriff ist, sondern eine sehr umfassende Bedeutung fĂŒr unser Erleben und Verhalten hat.
1.2 Geschlecht als soziale Kategorie und soziale Rolle
Wenn wir ein Baby sehen, fragen wir zunĂ€chst, was es denn sei: âEin MĂ€dchen oder ein Bub?â Bei der Namensgebung eines Kindes muss laut Gesetz eindeutig das Geschlecht erkennbar sein. Wenn wir eine fremde Person ansehen, erkennen wir im Allgemeinen sofort, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt. In den seltenen FĂ€llen, bei denen das nicht so leicht möglich ist (z. B. weil wir die Person nur von hinten sehen), kann uns das unsicher machen und wir werden eventuell noch einmal genauer hinsehen. Diese Beispiele zeigen die zentrale Bedeutung von Geschlechtszugehörigkeit.
Die Zuordnung von Personen in die Kategorie âFrauâ oder âMannâ nennt man soziale Kategorisierung. Gemeint ist der âkognitive Prozess der Gruppierung von Personen oder Gruppen, die ein oder mehrere Merkmale gemeinsam habenâ (Petersen & Six-Materna, 2006, S. 431). Wobei der Prozess der Kategorisierung nicht mit der Zuordnung zu Gruppen endet, sondern auch einhergeht mit der Zuschreibung der fĂŒr diese Gruppe als typisch erachteten Charakteristika (s. Kap. 1.3). Kategorisierung vereinfacht in diesem Sinn unsere soziale Informationsverarbeitung, bedingt aber auch einen Informationsverlust, da Individuen auf Basis der Gruppenzugehörigkeit beurteilt werden und ihre âIndividualitĂ€tâ vernachlĂ€ssigt wird (Mackie, Hamilton, Susskind & Rosselli, 1996). Geschlecht ist neben Alter und ethnischer Zugehörigkeit eine der zentralen sozialen Kategorien, die Individuen zur sozialen Kategorisierung verwenden (Fiske, 1998). Ein Grund fĂŒr diese ZentralitĂ€t ist, dass die drei Kategorien leicht visuell erkennbar und somit schnell verifizierbar sind. Andere Gruppenzugehörigkeiten, wie z. B. NationalitĂ€t, sind schwieriger erkennbar.
Verschiedene Untersuchungen, die das klassische sog. âWho said what?â-Paradigma zur Erhebung spontaner sozialer Kategorisierung von Taylor, Fiske, Etcoff und Ruderman (1978) anwendeten, konnten zeigen, dass das Geschlecht spontan bei der sozialen Wahrnehmung beachtet wird (vgl. Klauer & Wegener, 1998). In diesem Paradigma wurde den Untersuchungsteilnehmenden per Video eine Diskussion von Frauen und MĂ€nnern bzw. von Schwarzen und WeiĂen vorgespielt. Jede/r der Diskutierenden gab ein Statement ab und die Teilnehmenden hatten die Aufgabe im Anschluss die Statements, den richtigen Diskutierenden wieder zuzuordnen. Es zeigte sich, dass sie bevorzugt innerhalb der sozialen Kategorie Fehler machten. Es wurde also in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe die Aussage z. B. einer Frau eher irrtĂŒmlich einer anderen Frau in der Gruppe und nicht irrtĂŒmlich einem der MĂ€nner zugeordnet. Sprachen schwarze und weiĂe Personen miteinander, wurden Aussagen z. B. einer weiĂen Person eher irrtĂŒmlich einer anderen weiĂen Person in der Gruppe, aber eher nicht irrtĂŒmlich einer schwarzen Person zugeordnet. Fehler zwischen Diskutierenden unterschiedlicher Kategorie kamen seltener vor. Aus diesem Ergebnis kann man schlieĂen, dass die Beurteiler/innen die Diskutierenden spontan anhand ihres Geschlechts bzw. Hautfarbe kategorisiert hatten und diese Information dann bei den Zuordnungen verwendeten. Die Untersuchung zeigte auch eine Folge von sozialen Kategorisierungsprozessen nĂ€mlich, dass Personen innerhalb einer Kategorie in ĂŒberschĂ€tzender Weise als Ă€hnlich, Personen verschiedener Kategorien als unĂ€hnlich angesehen werden.
Stangor, Lynch, Duan und Glass (1992) erweiterten das Paradigma und prĂ€sentierten Personen, die mehreren sozialen Kategorien gleichzeitig angehörten. Dabei fanden sie, dass Untersuchungsteilnehmende Geschlecht eher zur spontanen Kategorisierung heranzogen als EthnizitĂ€t. Allerdings zeigten auch etliche Personen eine spontane Bildung von Unterkategorien, bei denen die beiden Kategorien zusammengefasst wurden (weiĂe MĂ€nner, weiĂe Frauen, schwarze MĂ€n...
Table of contents
- Deckblatt
- Titelseite
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- 1 Gender: Geschlechterrollen und Geschlechterstereotype
- 2 Geschlechterrollen im Selbst
- 3 Geschlechtsrolleneinstellungen
- 4 Theoretische AnsÀtze zur ErklÀrung von Geschlechterunterschieden im Verhalten
- 5 Unterschiede und Ăhnlichkeiten der Geschlechter
- 6 Geschlechterrollen und ihre Folgen: AbschlieĂende Bemerkungen
- Literatur
- Stichwortverzeichnis
- Personenverzeichnis