Teil II:
Anregungen der Wissenschaft zur Evaluation von Unternehmens- und Verbundnetzwerken
Die Evaluationsperspektive in der Netzwerkforschung
Jörg Sydow
1 Warum ist Netzwerk-Evaluation wichtig?
2 Zur Komplexität der Evaluation von Netzwerken
3 Evaluation im Kontext des Netzwerkmanagements
4 Das Beispiel einer Cluster- und Netzwerkevaluation
5 Ausblick: Weiterführende Fragen
Literatur
1 Warum ist Netzwerk-Evaluation wichtig?
An die Bildung von Netzwerken von Unternehmungen oder auch anderen Organisationen werden hohe Erwartungen geknüpft, sei es in der Automobilindustrie, dem Werkzeugmaschinenbau oder auch der pharmazeutischen Industrie, sei es in Dienstleistungsbereichen wie dem rasch expandierenden Beratungs- oder Gesundheitswesen oder bei den so genannten Verbundnetzwerken mit den für sie konstitutiven Verbundunternehmen (siehe den Beitrag von Aulinger in diesem Band). Selbst Unternehmungen, denen man in dieser Hinsicht – Stichwort: Controllingkompetenz – in der Regel viel zutraut, sind allerdings häufig überfordert, die Vorteile einer Vernetzung zu beziffern oder aber mit ihr einhergehende Probleme rechtzeitig zu erkennen. Dies gilt sogar für jene (zumeist großen) Unternehmungen, die ein Allianz- oder Netzwerkmanagement durch Gründung entsprechender Organisationseinheiten institutionalisiert haben. Gleichwohl sind der fehlende Wille und insbesondere auch die fehlende Fähigkeit (selbst von Unternehmungen) zur Evaluation oder Bewertung von Netzwerken nur eine bzw. zwei der vielen möglichen Ursachen für das relativ hohe Niveau an Netzwerkversagen.
In der Forschung erfährt die Frage nach der Evaluation von interorganisationalen Netzwerken denn auch zunehmende Aufmerksamkeit. In der Betriebswirtschafslehre mit ihrer Orientierung auf ökonomischen Erfolg ist beispielsweise der Versuch en vogue, Effekte der bloßen Ankündigung von strategischen Allianzen oder bereits bestehender Beziehungen (etwa zu angesehenen Venture Capital-Firmen) auf Aktienkurse von Aktiengesellschaften oder auf den Shareholder Value von gerade im Rahmen eines IPO an die Börse gehenden Unternehmungen nachzuweisen (vgl. z.B. Das et al. 1998; Gulati/Higgens 2003; Park/Mezias 2005). Dasselbe gilt für die innerhalb dieser Disziplin auszumachenden, aber eher anwendungsorientierten Versuche, das klassische Controllinginstrumentarium für den Einsatz in Netzwerken bzw. Supply Chains zu erweitern (vgl. etwa Kraege 1997; Hess 2000, 2002; Weber et al. 2002). Erfreulicherweise hat sich in jüngster Zeit zudem die sozialwissenschaftliche Accounting-Forschung des Themas angenommen; dies nicht zuletzt in der Erkenntnis, dass die Organisationsform des Netzwerks »blurs the clearly defined boundaries which accouting presupposes and requires« (Häkansson/Lind 2004, S. 56; vgl. auch Seal et al. 1999 und Van der Meer-Kooistra/Vosselman 2006). Daneben finden sich aus eher entwicklungsorientierter Sicht erste Ansätze, um nach dem praktischen Stellenwert der Netzwerkevaluation im Rahmen von Netzwerkentwicklungsprogrammen oder -prozessen zu fragen und vorsichtig erste Antworten dazu zu formulieren (vgl. z.B. Gray 2000; Sydow 2004).
Gelänge es, interorganisationale Netzwerke – in wessen Interesse und zu welchem Zeitpunkt auch immer – angemessen zu evaluieren, könnten auf diese Weise gewonnene Erkenntnisse vielfältig genutzt werden, etwa für die Ermittlung des Unternehmenswerts vernetzter Unternehmungen (vgl. dazu Katzy et al. 2001; Krag/Mölls 2003), aber auch für die Entscheidungsabsicherung, wenn eine Unternehmung verschiedenen Netzwerken beitreten kann. Entsprechende Erkenntnisse können darüber hinaus für eine »reflexive Netzwerkentwicklung« (Sydow/Windeler 2003) dienlich sein, die auf eine wie auch immer geartete ›Verbesserung‹ der gegenwärtigen Netzwerkpraxis abzielt. Dem Zeitgeist eines »age of evaluation« (Guba/Lincoln 1989) oder einer »auditing society« (Power 1997), dem sich auch die Netzwerkforschung nicht länger entziehen kann, würde auf jeden Fall Rechnung getragen. Gleichwohl ist Vorsicht – m.E. sogar große Vorsicht! – angebracht, nicht einem unkritischen Netzwerkevaluationswahn zu verfallen und die Evaluation zu übertreiben, etwa gar nur auf das zu beschränken, was sich gut messen lässt.
Im Folgenden soll vor diesem Hintergrund zunächst die Komplexität der Evaluationsproblematik von Netzwerken und damit die Herausforderungen an eine Evaluationsperspektive in der Netzwerkforschung skizziert werden (Abschnitt 2). Sodann wird die Evaluation als eine Aufgabe eines umfassenderen Netzwerkmanagements vorgestellt und auf das rekursive Zusammenspiel mit anderen Funktionen in den mehr oder weniger bewussten Praktiken des Netzwerkmanagements hingewiesen (Abschnitt 3). Vor dem Hintergrund der derzeit in Netzwerken (un)üblichen Evaluationspraxis scheint ein Mehr an Reflexivität förderlich zu sein – nicht immer und überall, aber derzeit wohl in den meisten Clustern, Zuliefernetzwerken, Forschungs- und Entwicklungskonsortien, Allianzsystemen und Wertschöpfungspartnerschaften. Wenn dem so ist, kann eine stärkere Institutionalisierung einer ›angemessenen‹ Netzwerkevaluation vor so manchem Netzwerkversagen bewahren.
Anhand eines praktischen Beispiels, nämlich eines Clusters optischer Technologien, dessen Evaluation im Rahmen eines abgeschlossenen Projekts unserer Berliner Forschungsgruppe ›Unternehmungsnetzwerke‹ auf der Tagesordnung stand, soll sodann ein Weg aufgezeigt werden, wie zu diesem Mehr an Reflexivität zu gelangen ist (Abschnitt 4). Aufgrund der Verwendung verschiedener Methodiken, einer Zeitraumbetrachtung und einer Mehrebenenanalyse geht dieses Projekt weit über die derzeit übliche Evaluationspraxis hinaus, macht aber auch deutlich, welcher Aufwand mit einer sorgfältigen Netzwerkevaluation verbunden sein kann. Die Darstellung und Diskussion dieses Beispielfalls wird den größten Raum des Beitrags einnehmen, der mit einem Ausblick auf weiterführende, das Evaluationsobjekt wie -subjekt, die Evaluationskriterien wie -prozess betreffende Fragen schließt (Abschnitt 5).
2 Zur Komplexität der Evaluation von Netzwerken
Die Managementaufgabe, interorganisationale Netzwerke zu evaluieren, sollte auf keinen Fall unterschätzt werden. Neben fehlenden Instrumenten und Verfahren mag auch die schiere Komplexität ein Grund dafür sein, dass Netzwerkevaluation noch nicht weit verbreitete Praxis ist. Die offensichtlichste damit zusammenhängende Frage ist sicherlich jene nach den geeigneten Kriterien und möglichen Indikatoren, diese Kriterien dann auch wirklich einschätzen oder sogar messen zu können. Stellt wirklich der Einfluss einer Allianzankündigung auf den Aktienkurs ein sinnvolles Kriterium für die Erfolgsmessung dar? Und wenn diese Frage aus der Sicht der einzelnen, an der Allianz beteiligten Unternehmung bejaht werden sollte, wie kann dieser Effekt dann in der Praxis gemessen werden? Oder müssen entwicklungsorientiertere Indikatoren und Verfahren gefunden werden, die dem Management unmittelbarere Anleitung zum Handeln bieten?
Weniger offensichtlich, vielleicht aber noch wichtiger ist die Frage nach der geeigneten Ebene der Evaluation. Im Fall von Unternehmungsnetzwerken ist man geneigt, diese Frage wie folgt zu beantworten: Auf der Ebene der einzelnen, in das Netzwerk eingebundenen Unternehmung natürlich! Wo sonst als an der ökonomischen Wirkung der Vernetzung für die einzelne Unternehmung sollte in einer unter dem Primat der einzelwirtschaftlichen Ökonomie operierende Gesellschaft die alles entscheidende Bewertung ansetzen? Gerade hier scheint nicht nur die Messung beispielsweise der Ankündigung von strategischen Allianzen, sondern auch der Wirkung bereits bestehender Technologieallianzen auf das Patentaufkommen angemessen. Sollten vor allem bei Großunternehmungen »Netzwerkeffekte« aber zusätzlich für einzelne Organisationseinheiten ermittelt werden? Ist es vielleicht sogar sinnvoll, auch die Allianz-, Konsortial-, Gemeinschafts- oder eben Netzwerkebene mit in die Evaluation einzubeziehen, so dass es möglich wird, die Effizienz und Effektivität ganzer Netzwerke miteinander zu vergleichen? Ist dies nicht gerade im Fall von Verbundnetzwerken sogar grundsätzlich empfehlenswert (vgl. zu einer entsprechenden Forderung Aulinger 2006)? Immerhin könnten in der Praxis gerade hier entscheidende Verbesserungspotenziale gemeinsam aufgedeckt werden.
Die Problematik der Evaluation verkompliziert sich praktisch weiter dadurch, dass Bewertung immer und überall interessenbesetzt und machtdurchdrungen ist (vgl. auch Gray 2000). Zu unterscheiden ist etwa, welchem Zweck sie überhaupt dienen soll. Bleibt es bei einer ›einfachen‹ Bewertung oder ist die Bewertung Anlass zu Entscheidung und Entwicklung? Oder geht es womöglich, wie so oft bei Evaluationen, um die bloße Legitimierung vorhandener Praxis? Jedenfalls in wie auch zwischen Organisationen ist aufgrund von Interessendifferenzen und Machtasymmetrien auch und gerade im Zusammenhang mit Evaluationen mit einer »Mikropolitik« (Küpper/Ortmann 1988) zu rechnen, in der alle diese Motive zusammenspielen und von den Akteuren je nach Gelegenheit in Anschlag gebracht werden können. Mit Evaluationsergebnissen wird gerade auch in interorganisationalen Netzwerken Politik gemacht. Schon deshalb sind Evaluationsverfahren, trotz aller möglichen Bemühungen um ›Objektivität‹, interessenbesetzt, eine wie auch immer geartete ›objektive‹ Bewertung ist nicht möglich. Dies ist eine in der Evaluationsforschung der so genannten viert...