Schule in Deutschland
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Schule in Deutschland

Ein Zwischenzeugnis

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Schule in Deutschland

Ein Zwischenzeugnis

About this book

Erstmals seit langem wieder wird hier eine umfassende und kritische Bestandsaufnahme des deutschen Schulwesens vorgelegt. Entgegen dem verengten Blick der PISA-Studien zeigt sie die wirklichen Probleme der Schule in Deutschland: Die Schule hat keine klare Vorstellung mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe, die sie für den Bildungsweg des Einzelnen wie für den Zusammenhalt der Gesellschaft erbringen muss. Die aktuellen Reformmaßnahmen - vom "offenen Unterricht" über die "Schlüsselqualifikationen" bis zur "Ganztagsschule" und zur "selbständigen Schule" - lösen die Probleme nicht, sondern vervielfältigen sie. Abseits von den gängigen Trends in der Bildungsdiskussion plädiert das Buch für eine Schule, in der Unterricht erteilt, Wissen vermittelt und zivilisiertes Verhalten eingeübt wird. Es plädiert aber auch für eine Schule, die für alle da sein muss: für die Starken wie die Schwachen, die Begabten wie die weniger Begabten. Und schließlich erinnert es daran, dass sich die Zukunft nur gestalten lässt mit einer Schule, die kulturelle Traditionen zu bewahren und soziale Bindekräfte zu stärken weiß.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2006
Print ISBN
9783170190856
eBook ISBN
9783170276925
Edition
1
Topic
Bildung

Sechstes Kapitel Wie wird es besser?

„So ging denn nun der Kaiser bei dem feierlichen Umzuge unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Leute auf den Straßen und in den Fenstern riefen: „O Himmel, wie unvergleichlich sind doch des Kaisers neue Kleider! Welch herrliche Schleppe trägt er am Rocke! Wie vortrefflich sitzt alles!“ – Niemand wollte sich merken lassen, daß er nichts sähe, denn sonst hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre schrecklich dumm gewesen. Keines der kaiserlichen Kleider hatte bisher solches Glück gemacht. – „Aber er hat ja gar nichts an!“ rief plötzlich ein kleines Kind. „O Himmel, hört die Stimme der Unschuld!“ sagte der Vater; und einer flüsterte dem anderen zu, was das Kind gesagt hatte. – „Er hat gar nichts an, ein kleines Kind ist dort, das behauptet, er habe gar nichts an“. – „Er hat ja gar nichts an!“ rief endlich das ganze Volk.“
Hans Christian Andersen, Des Kaisers neue Kleider (1837)
Es wird noch einige Zeit dauern, bis das ganze Volk – in diesem Fall die deutsche Bildungsöffentlichkeit – den Ratschlägen der Bildungsexperten in Politik und Wissenschaft jene Skepsis entgegenbringt, die in Andersens Märchen der naiven Hellsichtigkeit des unbeteiligten Kindes vorbehalten blieb.
Seit den sechziger Jahren ist das deutsche Schulwesen einer unablässigen Flut von Reformen ausgesetzt. Erfolgreich waren sie offensichtlich nicht. Bereits vor den PISA-Studien ist deshalb die deutsche Schule erneut in Bewegung geraten; in eine Bewegung allerdings, die kein Ziel mehr hat.
Der Trend geht immer stärker in die Richtung auf Stärkung der Einzelschule, Förderung des „Wettbewerbs“ und Entbürokratisierung, wenn nicht Entstaatlichung des Schulwesens. Dass die Erfolgsbestätigung für diese Modelle noch aussteht, scheint niemand mehr zu kümmern. In dieser Fülle von unkoordinierten, eher von ideologischen Prämissen oder auch von schlichter Hilflosigkeit als von Sachkunde geleiteten Einzelmaßnahmen droht die Schule als Ganzes aus dem Blick zu geraten.
Am Ende bleibt es allen Deregulierungen und Entbürokratisierungen zum Trotz eine Kernaufgabe des Staates, ein leistungsfähiges Schulwesen für alle bereitzustellen. Eine „gute Schule“ muss nicht ein Maximum von Spitzenleistungen erzielen, sondern ein ausgewogenes Optimum, in dem jeder Anspruch zu seinem Recht kommt.

Wie funktioniert die Schule?

Niemand weiß, wie Schule funktioniert. Niemand weiß, was man tun muss, um bestimmte Effekte zu erzielen, und niemand weiß, was man tun muss, um bestimmte Effekte zu vermeiden.
Dass Kinder belehrbar, erziehbar und vielleicht auch bildbar sind, ist sicher unbestritten. Dass aber die Institution Schule einen genuinen, nur von ihr zu erbringenden Beitrag dazu leistet, ist schwer beweisbar; und noch schwerer ergründbar ist die Frage, wie eine Schule aussehen solle, die nur erfreuliche Wirkungen für ihre Schüler und für die Gesellschaft hervorbringt. Seit vierzig Jahren plagt sich die schulwissenschaftliche Forschung der westlichen Welt mit dem Problem, den Nachweis der Wirksamkeit von Schule zu führen. Von Anfang an haben diese Forschungen zu extrem entgegengesetzten Ergebnissen geführt. Auf der einen Seite stand eine technokratische Machbarkeitseuphorie, die darauf vertraute, dass sich mit den Mitteln der Wissenschaft am Reißbrett ein perfektionsnahes Schulsystem konstruieren lasse. Der Begründer und seinerzeitige Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Hellmut Becker, steht für diese optimistische Auffassung, welche die westdeutsche Bildungspolitik der siebziger Jahre nachhaltig beeinflusst hat. Auf der anderen Seite standen die Skeptiker, die aus einer Fülle von empirischen Daten nichts anderes herauslesen konnten, als dass der in die Schule investierte Aufwand nicht lohne. Vor dreißig Jahren wurde schon die Frage gestellt, wozu die Schule überhaupt gut sei. „School doesn’t make a difference“ hieß die plakative Formel einer Schulforschung, die in empirischen Untersuchungen Anhaltspunkte dafür gefunden hatte, dass es für die Sozialisation und den Lebensweg eines Menschen wenig ausmacht, ob er eine gute oder eine schlechte oder überhaupt keine Schule besucht hat. Die „15.000 Stunden“, die ein Kind in der westlichen Gesellschaft durchschnittlich in der Schule verbringt, könnten unter Umständen auch sinnvoller genutzt werden. Die Qualität der besuchten Schule habe weder für den einzelnen nennenswerte Effekte auf den Sozial- und Berufsstatus, noch könne die Schule in signifikanter Weise zur Vergrößerung der „Chancengleichheit“ in der Gesellschaft beitragen. Statt dessen solle sie sich darauf beschränken, den Schülern ihre Schulzeit, die immerhin einen wesentlichen Teil ihrer Lebenszeit ausmache, so angenehm wie möglich zu gestalten. (Jencks, Chancengleichheit, 276 f.) Dieser nüchterne Befund ist für einen Bildungsplaner sicher keine befriedigende Auskunft. Aber bei aller Resignation – und aller Übertreibung – hält er doch eine Einsicht fest, die jeder Reflexion über „gute Schule“ vorausgehen muss: dass Schulzeit Lebenszeit ist, die nicht ungewissen Zukunftsversprechen geopfert werden darf.
Gut drei Jahrzehnte später ist die schulwissenschaftliche Diskussion immer noch nicht viel weiter. Nach wie vor kann niemand sagen, was eine gute Schule ist und was getan werden muss, um aus allen Schulen gute Schulen zu machen. Genauso wenig kann jemand sagen, welche Bedeutung das Schulwesen für eine moderne Gesellschaft hat. Der größte aller Gemeinplätze in der deutschen bildungspolitischen Diskussion ist die Behauptung, dass der „Rohstoff Bildung“ ein Garant des ökonomischen Wohlstandes sei und dass Investitionen in die Bildung Investitionen in die Zukunft seien. Das mag richtig sein oder auch nicht – beweisbar ist es nicht, und es gibt mindestens genauso viele Evidenzen, die dagegen, wie solche, die dafür sprechen. Dass eine moderne Gesellschaft ihre Mitglieder mit grundlegenden Kulturtechniken, Lesen, Schreiben, Rechnen, ausstatten muss, ist wohl unbestreitbar; in der westlichen Welt weiß man das seit zwei Jahrhunderten und hat deshalb die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Dass aber die Gesellschaft einen ökonomischen Vorteil davon habe, wenn sie eine möglichst große Zahl ihrer Mitglieder mit einer möglichst hohen Bildung ausstatte, ist bis heute unbewiesen. Um es in der nüchternen Sprache der Ökonomen zu sagen: eine Korrelation zwischen Bildungsinvestitionen und allgemeinem Wohlstand ist nicht nachweisbar. Dass westliche Wohlstandsgesellschaften generell zur Bildungsexpansion neigen, ist wohl weniger eine Ursache ihres Wohlstandes als seine Folge: Sie können es sich leisten.
Dass Investitionen in die Bildung Investitionen in den gesellschaftlichen Wohlstand seien, lässt sich nicht belegen; ebenso wenig belegen lässt sich die bildungsökonomische Auffassung, dass Investitionen in die Bildung doch zumindest die Qualität des Bildungswesens steigerten. Die aktuellen empirischen international vergleichenden Forschungen zum Schulwesen zeigen das Gegenteil: Die großen empirischen Vergleichsforschungen erbringen die für den Laien verblüffende Beobachtung, dass in ihnen die Frage nach dem Geld, den Investitionen ins Bildungswesen insgesamt und in eine einzelne Schule, praktisch weder in der Versuchsanlage noch in den Ergebnissen eine Rolle spielt – ganz im Gegensatz zur öffentlichen Bildungsdiskussion, die gerade diese Frage ins Zentrum gestellt hat.
In der Nach-Pisa-Diskussion entwickelt sich eine gewisse Neigung, „Schule“ nach dem „abstrakten Prinzip der höchsten Wirksamkeit“ zu organisieren. (Schelsky, Zivilisation, 446) Das aber ist ein technisches und kein pädagogisches Prinzip.
Denn offensichtlich hängt die Qualität der in der Schule vermittelten Bildung nicht direkt von den in die Schulgebäude, die technischen Einrichtungen, die Ausbildung und Bezahlung des pädagogischen Personals investierten Geldmittel ab. Diesem Glauben hat die deutsche Schulpolitik lange gehuldigt, aber so einfach ist es nicht. Dass Geld eine Rolle spielt als Grundlage einer guten Schule und dass die deutschen Schulen in ihrer sächlichen wie personellen Ausstattung chronisch unterfinanziert sind, lässt sich schwerlich bestreiten. Dass eine Schule gut und berufsfeldbezogen ausgebildete Lehrer braucht, dass die Klassen oder Unterrichtsgruppen gerade im Grundschulbereich klein sein, dass personelle Ressourcen für individuelle Förderung vorhanden sein müssen, gehört nach modernem Verständnis zu den Grundlagen einer guten Schule. Das kostet Geld, und in Deutschland kostet es besonders viel Geld, weil die deutschen Lehrer sich mit ihren Gehältern in der OECD-Spitzengruppe finden. (Bildung auf einen Blick, 205–222) Aber die Investition solcher Mittel bietet bei weitem keine Gewähr dafür, dass die deutsche Schule wirklich besser wird. Das gilt in gleicher Weise auch für andere Lösungsangebote. Naheliegend ist die Vorstellung, dass die quantitative Ausweitung des Unterrichtsangebotes zu besseren Schulleistungen führen müsse; und naheliegend ist auch, dass kleinere Klassen einen solchen Effekt erzielen könnten. Beide Annahmen haben sich empirisch nicht bewährt.
Die Pisa-Studie hat einschlägige Erhebungen über die Unterrichtszeit von 15-Jährigen gemacht und ist zu dem schlichten Ergebnis gekommen, dass die Pisa-Leistungen der Schüler in den einzelnen OECD-Ländern und die Zahl der nominell erteilten Unterrichtsstunden in keiner erkennbaren Korrelation stehen. Der unmittelbare Vergleich zwischen Deutschland und Finnland zeigt es: deutschen 15-Jährigen werden im Schuljahr durchschnittlich 909 Zeitstunden Unterricht erteilt; damit liegen sie etwas unter dem OECD-Durchschnitt von 951; finnischen Schülern hingegen werden nur 855 Unterrichtsstunden erteilt. Auch in den Nebenstunden gibt es keine Korrelation von Zeitaufwand und Schulleistung: der finnische Arbeitsaufwand für Hausaufgaben wird als „sehr gering“ bezeichnet, der deutsche als „mittel“, der finnische Nachhilfeunterricht liegt mit 1,9 % extrem weit unterhalb des Wertes aller anderen OECD-Staaten, deren Durchschnitt bei 11,1 % liegt; der deutsche Wert beträgt 14,1 %. (PISA 2000, 417) Die entsprechenden Werte für Korea, das ebenfalls in den Pisa-Leistungen sehr gut abgeschnitten hat, sind genau entgegengesetzt zu den finnischen Werten gelagert: sie liegen jeweils deutlich über dem OECD-Schnitt. Das Land mit der höchsten nominellen Unterrichtsstundenzahl, Österreich mit 1127, schneidet wiederum nur durchschnittlich ab.
Die rein statistischen Angaben unterliegen vielerlei Bedingungen: Sie sagen nichts aus über die Qualität des Unterrichts, die Anwesenheit und Aufmerksamkeit der Schüler – aber sie sagen doch immerhin das eine aus, dass die pure Stundenzahl des erteilten Schulunterrichts keine Aussagekraft über die Qualität der Schule hat. Das immer noch ungelöste Rätsel, warum finnische Schüler in wichtigen Pisa-Leistungssegmenten so gut abschneiden, wird damit noch größer. Das Zahlenspiel lehrt aber, dass die Bildungspolitik gut daran täte, sich nicht auf die Wirkung quantitativer Maßnahmen zu verlassen.
Das gilt im übrigen auch für die vieldiskutierte Hoffnung, dass durch kleinere Klassen bessere Leistungen erzielt werden könnten. Dem steht die Beobachtung gegenüber, dass die Klassengröße allein nur einen geringen Zusammenhang mit den Schulleistungen zeigt, dass allerdings bei geringeren Klassengrößen ein Lehrerhandeln erleichtert wird, das positive Lerneffekte fördert. (Ingenkamp u. a., Klassengröße, 93–95)
In der Summe gilt der schon vor langem in diversen Studien und ihren Re-Analysen erhobene Befund:
„Unterschieden in den materiellen Rahmenbedingungen von Schule kommt für die Erklärung von Unterschieden in der Schulqualität eine weit geringere Bedeutung zu, als gemeinhin angenommen.“ (Weiß, Ressourcen, 165)
Der Umkehrschluss, dass es dann sinnlos sei, überhaupt Geld in das Schulwesen zu investieren, ist aber nicht berechtigt: Es kommt wohl eher darauf an, das Geld nicht dort zu investieren, wo man es immer schon investiert hat und wo es offensichtlich weitgehend wirkungslos bleibt; „Ressourcen sind nicht ganz irrelevant“; sie können irrelevant bei „konventioneller Verwendung“ werden, wenn die Investitionen dem bildungspolitischen Prinzip „mehr desselben“ folgen. (Weiß, Ressourcen, 165)
Auch und erst recht nach den intensiven empirischen Forschungen der TIMS- und Pisa-Studien weiß man nicht, wie Schule funktioniert. Das geeignetste Modell zur Beschreibung des Wirkungsmechanismus der Institution Schule ist wahrscheinlich immer noch die alte black-box-Konzeption. Eine illusionsfreie wissenschaftliche Theorie wird sich die Schule am besten als eine schwarze Kiste vorstellen, in die auf der einen Seite Schüler hineingehen und auf der anderen Seite verändert wieder herauskommen, ohne dass man wüsste, wie diese Veränderungen bewirkt wurden und wie man sie steuern könnte.

Schulklima und Schulkultur

Mit „mehr Geld“ lässt sich offensichtlich die Frage nicht beantworten, wie sich eine gute Schule herstellen lässt. Eine gute Schule ist die, in der die Schüler gute Lernerfolge erzielen – könnte man meinen. So einfach aber ist es nicht. Erst seit der Pisa-Studie hat sich das deutsche Schulwesen entschlossen, die Qualität von Schule wesentlich am Lernertrag zu messen, und ob diese Verengung ihres Auftrags der Schule wirklich gut bekommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber selbst wenn man sich entschließen wird, die Leistung von Schule stärker als bisher in Deutschland üblich an ihren greifbaren Erträgen zu messen, bleibt immer noch offen, wie eine Schule aussehen muss, die solche Ergebnisse erzielt. Allzu großes Vertrauen auf die empirisch fundierte Schulqualitätsforschung ist im übrigen nicht angebracht; denn gegenwärtig eilen „die Aussagen zu Qualitätsbedingungen dem realen Forschungsstand weit voraus“. (Ditton/Krecker, Qualität, 526) Von dieser Seite darf weder die Bildungspolitik noch der einzelne Lehrer im Klassenzimmer große Hilfe erwarten.
Zur Qualität der Schule gehört nicht nur Geld und gehören nicht nur die Handlungen einzelner Lehrer, sondern das Lernen und die Entwicklung der Schüler wird beeinflusst durch die „gesamte Lebensumwelt“, in die die Schüler hineingestellt werden. (Fend, Schule, 17) Eine gute Schule ist eine Schule mit einem guten Schulklima – das ist seit Jahrzehnten eine der Standardeinsichten der internationalen Schulforschung:
„Die Gesamttendenz unserer Befunde ließ erkennen, daß nicht nur die Art und Weise des Umgangs mit dem einzelnen Schüler, sondern auch das allgemeine soziale Klima, das ‚Ethos‘ der sozialen Institution ‚Schule‘, von entscheidender Bedeutung war.“ (Rutter u.a., Stunden, 241)
Die Schulforschung hat inzwischen ein ziemlich genaues, jedoch recht komplexes Bild davon gezeichnet, welche innerschulischen Faktoren für den Schulerfolg mit verantwortlich sein können – können, nicht müssen. Dazu gehören der Umfang des Unterrichtsangebots, die Größe der Schule, Differenzierungs- und Unterrichtsformen, Erwartungshaltungen der Lehrer, Disziplin bei allen Beteiligten und das Sozialklima der Schule. (Rutter u.a., Stunden, 35) Das lässt sich noch genauer bestimmen: Eine gute Schule fordert von ihren Lehrern pädagogischen Optimismus und persönliches Engagement für jeden einzelnen Schüler – das ist die Voraussetzung von allem.
Zu den ungelösten Kernproblemen der deutschen Schule gehört aber vielleicht nicht einmal so sehr der einzelne Lehrer, sondern eher noch das „Lehrerkollegium“ als institutionelle Einheit. Hier hat die Schulklimaforschung Wünsche angemeldet, die in vielen deutschen Lehrerkollegien unerfüllt geblieben sind: In der „guten Schule“ müssen persönliche Kontakte zwischen den Lehrern untereinander gepflegt werden, es muss Konsens hergestellt werden über die grundlegenden Ziele; und die Lehrer müssen sich mit ihrer Schule identifizieren.
Zu den institutionellen Rahmenvoraussetzungen gehört sodann die Orientierung der Schule an benennbaren Leistungszielen; ein Mindestmaß an disziplinierenden Verhaltensregeln und ihre konsequente Durchsetzung. Wie jeder größere Betrieb muss Schule so organisiert sein, dass sie funktioniert und dass sie den in ihr Tätigen die Möglichkeit gibt, sich mit ihr zu identifizieren. Weiterhin sollen gemeinsame Ideen und Leitziele – es müssen nicht gleich „Visionen“ sein – entwickelt und ständig weiterentwickelt werden, die eine eigene Unternehmens- oder eben in diesem Fall eine „Schulkultur“ formulieren und damit formieren. (Fend, Schule, 17)
Von der Schulverwaltung muss eine angemessene personelle und sächliche Ausstattung sowie je nach Einzelfall flankierende Unterstützung erwartet werden. Die Schulleitung muss eine arbeitstechnisch gut funktionierende Schule gewährleisten und sie muss selbst über Management- und Führungsqualitäten verfügen. Und schließlich muss es gelingen, die Eltern in die pädagogische Arbeit miteinzubeziehen.
Diese Kriterien einer guten Schule kommen nicht nur den Überlegungen des gesunden pädagogischen Menschenverstandes entgegen; sie sind auch empirisch durch Langzeitstudien gut abgesichert. Die Untersuchungen sind freilich auch zirkulär: Sie beruhen im wesentlichen auf Befragungen der an der Institution „Schule“ Beteiligten, was sie für ein gute Schule halten – eine gute Schule ist nach diesen Befunden eine Schule, die von den an ihr Beteiligten für gut gehalten wird.
Eine Aussage über die faktische Leistungsfähigkeit einer Schule in unterrichtlicher Hinsicht ist damit noch nicht gemacht. Im Hintergrund der Schulklima-Theorie steht die Überzeugung, dass eine Schule, die hinreichend soziale und klimatische Komponenten pflegt, damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Leistungssteigerung erbringe. Diese Einsicht ist zwar ziemlich gesichert, aber wenig praktikabel. Sie bietet kaum Ansatzpunkte für konkretes eingreifendes Handeln – und schon gar nicht für ein steuerndes Handeln seitens einer generellen Schulpolitik.
Die Schulklima-Theorie ist schon diffus genug, aber es kommen noch viele Unwägbarkeiten hinzu. Die Schulklimaforschung hat festgestellt, dass es notwendig sei, die Kriterien für eine gute Schule im einzelnen nach Schultypen zu differenzieren: was sich für den einen Schultyp, etwa die Hauptschule, als günstig erweist, erweist sich für den anderen, etwa das Gymnasium, als ungünstig. (Fend, Qualität, 155–159) Und schließlich weiß auch diese Forschung, dass die Binnenverhältnisse innerhalb der einzelnen Schule nicht der einzige Einflussfaktor für Qualität im Bildungswesen sind:
„Es sind also nicht allein die guten Lehrer und die engagierten Eltern, die es tragen. Dazwischen liegen wichtige Vermittlungsebenen in der Form von Prüfungsthemen, Lehrplänen und Vorstrukturierungen von Bildungswegen sowie Kulturen der Pädagogik auf Schulebene.“ (Fend, Qualität, 225)
Dass sich die Antwort in der Praxis schwer umsetzen lassen wird, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin gibt auch die rein theoretische Antwort einige Fingerzeige, die auf neuerliche ...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einleitung
  6. Erstes Kapitel Wie sieht die Schule aus?
  7. Zweites Kapitel Welche Schulen gibt es?
  8. Drittes Kapitel Wie sollen Schüler lernen?
  9. Viertes Kapitel Was sollen Schüler lernen?
  10. Fünftes Kapitel Wer sind die Verlierer?
  11. Sechstes Kapitel Wie wird es besser?
  12. Literatur
  13. Sachregister