1 HinfĂŒhrung1
Das relationale VerhĂ€ltnis von Wein und Blut ist v. a. im Hinblick auf das Abendmahlsritual ein zentraler Kristallisationspunkt theologischer Debatten seit der frĂŒhen Neuzeit. In der Exegese ist die Erforschung der Motivik von Wein und Blut untrennbar verknĂŒpft mit der Frage nach dem Abendmahl bzw. der Eucharistie im frĂŒhen Christentum und in den neutestamentlichen Texten. Dabei ist zu erkennen, dass die meisten ForschungsbeitrĂ€ge mit einer modellhaften Vorstellung der auĂersprachlichen Referenz der Begriffe âAbendmahlâ/âEucharistieâ operieren, die m. E. problematisch ist. Die zahlreichen Fragekomplexe, die in der Johannesexegese mit der Frage nach dem âAbendmahlâ/der âEucharistieâ bzw. den âSakramentenâ im JohEv verbunden sind, haben im vergangenen Jh. zu zahlreichen Kontroversen und zu einer nicht mehr ĂŒberschaubaren Menge an Forschungsliteratur gefĂŒhrt. Die KomplexitĂ€t wird dadurch erhöht, dass im Rahmen der Problemstellung auch die Forschung zu den frĂŒhchristlichen MĂ€hlern, deren Form, Deutung und Theologie sowie die Forschung zur antiken Mahlkultur zu berĂŒcksichtigen sind. Daneben erschweren unterschiedliche methodische, hermeneutische und theoretische ZugĂ€nge zu den neutestamentlichen Texten die Darstellung eines möglichst einfach strukturierten ForschungsĂŒberblicks.
Das Ziel dieser Studie liegt in der Neubestimmung des relationalen VerhĂ€ltnisses von Wein und Blut im JohEv, die v. a. durch neuere Erkenntnisse in der ritual-und sozialgeschichtlichen Forschung zu den frĂŒhchristlichen MĂ€hlern notwendig geworden ist. D. h., dass die Bedeutung von Wein und Blut innerhalb ausgewĂ€hlter Perikopen zu untersuchen ist und auf der Grundlage dieser Ergebnisse zu fragen sein wird, welche Topoi der Theologie des JohEv mit Wein und Blut verbunden sind. Im Folgenden sind zunĂ€chst Linien und Argumentationsmuster, aber auch blinde Flecken im Forschungsdiskurs aufzuzeigen, um die exegetische Fragestellung prĂ€zise formulieren zu können und in den Diskurs einzuordnen. Dabei ist die KomplexitĂ€t der bisherigen Forschung notwendigerweise zu reduzieren. Der Dialog mit der Forschung zu den im Einzelnen zu behandelnden Bibelstellen bzw. zu weiteren Einzelfragen wird in den jeweils relevanten Kapiteln und Abschnitten gefĂŒhrt. Aber auch hier wĂ€re angesichts der FĂŒlle an Forschungsliteratur und Forschungsdiskursen ein Anspruch auf VollstĂ€ndigkeit nicht einlösbar.
1.1 Die Frage nach der âEucharistieâ im JohEv vor dem Hintergrund der Forschungsgeschichte zu den frĂŒhchristlichen MĂ€hlern
1.1.1 Die Frage nach der âEucharistieâim JohEv
Die johanneische Motivik von Wein und Blut wird ĂŒblicherweise mit Bezug auf das âAbendmahlâ bzw. die âEucharistieâ im JohEv bzw. in der sog. johanneischen Gemeinde untersucht. Ausgangspunkt ist dabei zumeist die Beobachtung, dass im JohEv der sog. âEinsetzungs- oder Stiftungsberichtâ Jesu fehle â bzw. dass der Evangelist diesen verschweige â und dass an dieser Stelle die FuĂwaschungserzĂ€hlung stehe. Viele Exegeten sehen in diesen Unterschieden zu den Synoptikern einen wichtigen SchlĂŒssel fĂŒr die Beantwortung der Frage nach der âEucharistieâ/dem âAbendmahlâ im JohEv. Die verschiedenen ErklĂ€rungsmodelle fĂŒr diese Besonderheit, die in der Forschung gegeben werden,2 beeinflussen wiederum die Interpretation der Motivik von Wein und Blut.
Die Forschungsgeschichte, die von D. C. Bienert in seiner Dissertation sehr detailliert und ausfĂŒhrlich dargestellt wird,3 weist insgesamt das Spektrum von einer âantisakramentalenâ und âasakramentalenâ bis hin zu einer âbetont sakramentalenâ Auslegung des JohEv auf.4 In dieses Spektrum kann man bis heute die verschiedenen Forschungspositionen einordnen, wenn auch die Tendenz zu einer âbetont sakramentalenâ Auslegung im Sinne der 1950er Jahre, wie sie etwa bei O. Cullmann5, B. Vawter6 und W. Wilkens7 zu finden ist, nicht mehr vertreten wird.
Besonders einflussreich in der Forschungsgeschichte ist die Position R. Bultmanns, die er in seinem Johanneskommentar von 1941 dargelegt hat und die der âantisakramentalenâ und âasakramentalenâ Deutung des Evangeliums zuzuordnen ist. Nach R. Bultmann sei die Stellung des Johannes zu den âSakramentenâ problematisch, wobei das âHerrenmahl [âŠ] von ihm ĂŒberhaupt nicht genanntâ8 werde. In der Darstellung Jesu spiele das Herrenmahl keine Rolle, was R. Bultmann damit erklĂ€rt, âdaĂ sich der Evglist [sic!] mit dem kirchlichen Brauch von Taufe und Herrenmahl zwar abfindet, daĂ dieser ihm aber infolge des MiĂbrauchs verdĂ€chtig bleibt, und daĂ er deshalb davon schweigt. In Wahrheit sind fĂŒr ihn die Sakramente ĂŒberflĂŒssig.â9 R. Bultmanns VerstĂ€ndnis erwĂ€chst aus seiner Auffassung ĂŒber die Theologie des JohEv: âDer Tatsache, daĂ bei Johannes die âHeilstatsachenâ im traditionellen Sinn keine Rolle spielen, und daĂ das ganze Heilsgeschehen: Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu, Pfingsten und die Parusie, in das Geschehen verlegt ist: die Offenbarung der ÎŹÎ»áœ”ÎžÎ”Îčα Gottes im irdischen Wirken des Menschen Jesus und die Ăberwindung des AnstoĂes im Glauben â dieser Tatsache entspricht es, daĂ auch die Sakramente keine Rolle spielen.â10 Insgesamt stehe der Evangelist den âSakramentenâ aber nicht feindlich gegenĂŒber, wie es auch in der Forschung als Extremposition immer wieder zu finden ist, sondern eher in kritischer oder zurĂŒckhaltender Distanz.11 R. Bultmann sieht aber einige Stellen im JohEv, die auf die âSakramenteâ hin gedeutet werden könnten (Joh 3,5; 6,51bâ58; 19,34bâ35). Innerhalb seines literarkritischen Drei-Schichten-Modells werde diese als kirchliche Interpolation allerdings dem Redaktor zugeschrieben.12
Eine Extremposition im Anschluss an R. Bultmann vertritt A. Stimpfle. Seines Erachtens stellt der Evangelist nicht nur âEucharistieverstĂ€ndnis und -praxis der Urkirche radikal in Frageâ13, sondern bekĂ€mpfe beides darĂŒber hinaus: âWie die christliche Taufe scheint auch das Eucharistiesakrament fĂŒr die Gemeinde der ErwĂ€hlten nicht nur belanglos, sondern Ausdruck von Unglauben zu sein.â14 Ebenfalls auf dieser Linie liegt, wenn auch etwas gemĂ€Ăigter, J. Becker. Dieser geht davon aus, dass sich der Evangelist kritisch gegenĂŒber dem âSakramentalismusâ der johanneischen Gemeinde Ă€uĂert, der s. E. u. a. aus Joh 6,51â58 sowie 3,3.5 abgeleitet werden könne.15
C. Dietzfelbinger hat die These eines absichtsvollen Schweigens des JohEv von den âSakramentenâ aufgenommen. Er wiederholt die Hypothese, dass Joh 3,5 und 6,51câ58 sowie 19,34 durch einen Redaktor hinzugefĂŒgt worden seien und dass das âAbendmahlâ in Joh 13 bewusst durch die FuĂwaschung ersetzt worden sei.16 Im Anschluss an R. Bultmann formuliert er, der Evangelist entspreche mit der Ersetzung seinem âNein zu dem vermuteten Sakramentalismusâ17 der johanneische Gemeinde und begrĂŒndet dies folgendermaĂen: âDie Leidenschaft und Tiefe, mit der Johannes alles auf das Wort konzentriert, dĂŒrfte also sein VerstĂ€ndnis des Sakraments bestimmt haben, und offenbar hatte er den Grund, seine den Sakramentsempfang praktizierende Gemeinde so entschieden auf den hörenden Glauben zu verpflichten.â18
Nicht nur ist â[d]er mutmaĂliche âSakramentalismusâ der johanneischen Gemeinden [âŠ] eine forschungsgeschichtliche Legende.â19 Es ist m. E. auch problematisch, aus dem Text die Auffassung, Theologie oder Praxis der johanneischen Gemeinde zu (re)konstruieren und dann wiederum als Interpretationskategorie auf den Text anzuwenden.20 DarĂŒber hinaus ist man mittlerweile auch skeptischer, aus Joh 3 eine kritische Position gegenĂŒber den âSakramentenâ nachzuweisen.21
In der Forschungsgeschichte kann man seit R. Bultmanns kommentar a) eine interessante Dynamik zwischen der Auffassung ĂŒber die âSakramenteâ im JohEv und derjenigen ĂŒber literakritische Entscheidungen bezĂŒglich der relevanten Stellen beobachten. Diese Dynamik zeigt sich auch in der eben skizzierten Linie in der Forschung einer âantisakramentalenâ bzw. âasakramentalenâ Auslegung des JohEv. Stellt man BezĂŒge zu den âSakramentenâ fest, werden diese entweder literarkritisch im Anschluss an Bultmann einem âkirchlichen Redaktorâ zugewiesen oder âdem Evangelistenâ selbst zugesprochen. Diese Zuordnung bedingt dann die Auffassung ĂŒber die Stellung des JohEv zu den âSakramentenâ des jeweiligen Exegeten. Dies wird konkret im Verlaufe der Studien insbesondere am Beispiel zu Joh 6 zu vertiefen sein.
AuĂerdem korrespondiert b) die Auffassung ĂŒber das VerhĂ€ltnis des JohEv (bzw. âdes Evangelistenâ) zu den âSakramentenâ in den meisten FĂ€llen mit der EinschĂ€tzung der Frage, wie der Tod Jesu im JohEv gedeutet wird. Nach Nielsen kann man idealtypisch unterscheiden zwischen einer offenbarungstheologischen Interpretation, nach der Jesu Tod keine Heilsbedeutung bzw. keine eigenstĂ€ndige theologische Bedeutung habe (R. Bultmann22, E. KĂ€semann23) bzw. als Kulmination der Offenbarung eine eigenstĂ€ndige, aber keine opfertheologische Bedeutung habe (J. T. Forestell24, U. B. MĂŒller25), und einer kreuzestheologische Interpretation, nach der Jesu Tod ein s...