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1Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Einleitung
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In der öffentlichen Vorlesung »Grundelemente psychodynamischen Denkens« geht es mir um drei Bereiche:
Das ist erstens der Bereich der konzeptuellen Kritik, also eine PrĂŒfung der psychoanalytischen Konzepte, ihres argumentativen Status und der Entwicklung bis heute. So wichtig und interessant es bis heute ist, was sich bei Freud dazu finden lĂ€sst, hat sich die konzeptuelle Geschichte der Psychoanalyse nicht vor 80 Jahren erledigt, sondern sie ist lebendig weitergegangen.
Zweitens geht es um die klinische Praxis, das heiĂt darum, den Bezug zu Behandlungen herzustellen, wie sie heute stattfinden. Dabei spielt es auch eine Rolle, das psychoanalytische Vorgehen mit dem Vorgehen in anderen psychotherapeutischen Verfahren zu vergleichen und in Bezug zu setzen. Das schlieĂt es ein, im Hinblick auf die Konzepte zu prĂŒfen: Wie stellen sich andere psychotherapeutische Verfahren und deren Störungs- und VerĂ€nderungstheorie Ă€hnliche PhĂ€nomene vor, die in der Psychoanalyse in bestimmten Konzepten gefasst sind?
Drittens ist mir der wissenschaftliche Transfer wichtig. Es soll darum gehen, die psychoanalytischen Konzepte in Relation zu setzen zu psychologischen Theorien und an einigen Stellen auch zu anderen wissenschaftlichen Theorien und Ergebnissen. Das bedeutet auch, sie fĂŒr eine wissenschaftliche InterdisziplinaritĂ€t anschlussfĂ€hig zu machen. Beim Triebkonzept etwa gibt es eine naheliegende BrĂŒcke zur Neurobiologie, von deren Begrifflichkeiten es sich in einigen Punkten offensichtlich unterscheidet, in der aber gleichzeitig der Versuch zu sehen ist, etwas Ăhnliches fassbar zu machen.
Ich werde eingangs etwas zum Rahmen der Ăberlegungen darstellen, nĂ€mlich im Hinblick auf psychoanalytische Konzepte zu definieren,
was ich unter einem Konzept und unter »Psychoanalyse« und »psychoanalytisch« verstehe (
Kap. 2), bevor ich zum Triebkonzept im Besonderen komme. Beginnen werde ich dabei mit einer Darstellung von Freuds Konzeption (
Kap. 3). Dabei werde ich mich vorrangig an der Arbeit
Triebe und Triebschicksale (Freud, 1915c) orientieren, weil sich dort die m. E. zentralen Merkmale des Triebes finden lassen, wie Freud sie beschreibt. Zum einen das, was man als den »psychosomatischen« Charakter des Triebes in konzeptueller Hinsicht verstehen kann, zum anderen die weiteren Merkmale: Sein Wirken als »konstante Kraft« oder die Unterteilung in Drang, Ziel, Objekt und Quelle des Triebes. Eine knappe Diskussion der
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Freud, 1905d) wird das um weitere Aspekte ergĂ€nzen, in erster Linie um die Freudâschen Ăberlegungen zum Partialtrieb. Im Anschluss an Hinweise dazu, was der Trieb mit der Neurose zu tun hat, werde ich ein Fallbeispiel im Licht der Freudâschen Ăberlegungen diskutieren. Freuds Bemerkungen zum Trieb umfassen auch die Frage nach der Rolle der Aggression und schlieĂlich die Konzeption der Kultur als etwas, das auf »Triebverzicht« (sexueller und aggressiver Art) aufgebaut ist. Anhand eines weiteren Fallbeispiels wird die Bedeutung der Aggression erörtert werden. Im darauffolgenden Abschnitt (
Kap. 4) geht es um zwei wichtige psychoanalytische Weiterentwicklungen der Freudâschen Triebtheorie, in denen jeweils das VerhĂ€ltnis von Trieb und Objekt (zur Wahl dieser Terminologie s. u.) genauer beleuchtet wird: Die AnsĂ€tze Melanie Kleins und Jean Laplanches. Dabei spielen die Konzepte der unbewussten Phantasie einerseits und der rĂ€tselhaften Botschaften andererseits als Elemente frĂŒher Entwicklungsprozesse in Relation zum Trieb eine bedeutende Rolle. Auch diese Ăberlegungen werden durch ein Fallbeispiel, hier aus einer Kinderbehandlung, ergĂ€nzt. Im nĂ€chsten Kapitel (
Kap. 5) werde ich das VerhĂ€ltnis von Trieb und Affekt in unterschiedlichen Konzeptionen diskutieren. Angefangen mit Freuds (wenig ausgearbeiteter) Theorie der Affekte wird der Gang der Darstellung den Weg ĂŒber die AnsĂ€tze AndrĂ© Greens, Otto F. Kernbergs und Siegfried Zepfs nehmen. Dabei werden die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Referenzpunkte deutlich werden, es wird sich aber auch zeigen, wie alle drei AnsĂ€tze als WeiterfĂŒhrung Freudâscher Ăberlegungen angesehen werden
können; auch hier soll ein Fallbeispiel das Gesagte veranschaulichen. Daran anknĂŒpfend (
Kap. 6) geht es um interdisziplinĂ€re und schulenĂŒbergreifende Aspekte der psychoanalytischen Triebtheorie. Dazu werde ich zuerst diskutieren, ob diese als eine (psychologische) Motivationstheorie aufzufassen ist, und sie in Relation zu AnsĂ€tzen zu Motiven und Motivation in der Psychologie setzen. Ebenfalls werde ich die Bedeutung des Triebes gegenĂŒber Konzepten der Neurobiologie betrachten und schlieĂlich knapp untersuchen, welche Motivationsauffassungen die Grundlage fĂŒr andere psychotherapeutische Verfahren bilden. Ein Fallbeispiel aus einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung dient zur WeiterfĂŒhrung der Gedanken. Ich schlieĂe mit einem Ausblick (
Kap. 7) auf die durch das hier Dargestellte möglich und nötig werdende Diskussion weiterer Konzepte.
2 Was sind psychoanalytische Konzepte?
In einem Videoclip aus der SesamstraĂe sehen wir das KrĂŒmelmonster beim Versuch einer Demonstration des Unterschieds zwischen »schnell« und »langsam«. Dazu isst es erst einen Keks schnell â und bei seinem anschlieĂenden Versuch, einen weiteren Keks langsam zu essen, sehen wir, wie das KrĂŒmelmonster immer stĂ€rker in einen Zustand gerĂ€t, in dem es seine Erregung kaum noch beherrschen kann, bis dahin, dass es schlieĂlich auch den eigentlich langsam zu essenden Keks herunterschlingt: »Ich sagâs ganz ehrlich: Ich kannâs besser schnell.«âŠ1
Das KrĂŒmelmonster, das einen Keks langsam zu essen versucht, scheitert an dem, was man psychoanalytisch im Zusammenhang des sekundĂ€rprozesshaften Funktionierens beschreiben kann, d. h. es gibt keine Möglichkeit von Triebaufschub oder ein Verschieben der Triebbefriedigung oder des Verlangens, welches das KrĂŒmelmonster nach dem Verzehr des Kekses hat. Wie kann nun der Sprung vom KrĂŒmelmonster zu Freud bzw. einer Theorie des Psychischen oder des Triebes gefunden werden? Was unterscheidet eine Darstellung in der »SesamstraĂe«, die den Unterschied zwischen »schnell« und »langsam« auf diese Weise erklĂ€rt, von einer wissenschaftlichen Theorie ĂŒber Triebhaftigkeit, Impulssteuerung o. Ă€.?
Dazu ist es wichtig zu klĂ€ren, was im Weiteren unter einem Konzept verstanden werden soll. Eine ganz allgemeine Definition wĂ€re, dass ein wissenschaftliches Konzept auf der Grundlage eines methodischen Zugangs zur Empirie etwas ĂŒber deren PhĂ€nomene sagt. Die Empirie kann man ganz grundlegend verstehen als Welt der Erfahrung. Im ganz weiten Sinne des Begriffes (vgl. z. B. BonĂ, 1982) sind wir bereits beim Besuch einer Vorlesung, beim Lesen eines Buchs etc. mitten in der Empirie. Empirische Forschung, wie es in der wissenschaftlichen Literatur meistens terminologisch verwendet wird, meint einen engeren Begriff. Dieser bezieht sich dann nicht nur einfach auf eine Erfahrungswelt, wie wir sie auch im Alltag haben, sondern auf eine forscherisch-empirische, messbare, vergleichbare, vielleicht sogar auch auf Vorhersagbarkeit abzielende Weise, mit der die Erfahrung untersucht wird. Empirische Forschung in diesem Sinn ist also eine Art Meta-Empirie im eigentlichen, erfahrungsbezogenen Sinn. Dabei ist es wichtig, dass wir in einem empirischen, wissenschaftlichen Zugang die Konzepte nicht als Dinge in der Welt finden, die wir als solche beobachten könnten. Das gilt fĂŒr die Psychoanalyse, aber natĂŒrlich auch fĂŒr die Physik und fĂŒr alle anderen Wissenschaften. Die Schwerkraft beispielsweise beobachte ich nicht, ich beobachte die Wirkung der Schwerkraft, also ein PhĂ€nomen, auf das ich mit Konzepten antworte, die hier dann noch zu einer Gesetzesaussage verknĂŒpft sind. Aber zunĂ€chst sind es Konzepte. Auf einer stark abstrakten Ebene ist das ein einheitswissenschaftlicher Gedanke, die Forderung nach einer Einheitswissenschaft wird schlieĂlich erst dann problematisch, wo auf niedrigeren Abstraktionsstufen eine Einheitlichkeit von Methodologie, Methode und zulĂ€ssigen SchlĂŒssen gefordert wird. Auf der Ebene des allgemeinen VerhĂ€ltnisses von Konzept und Empirie ist das noch nicht so problematisch (sofern man gut darĂŒber nachdenkt, was als »Beobachtung« gelten soll).
So Ă€hnlich wie ĂŒber das Konzept »Schwerkraft« kann man das auch ĂŒber psychoanalytische Konzepte sagen: Die VerdrĂ€ngung lĂ€sst sich nicht beobachten. Es lĂ€sst sich etwas beobachten, das ich mir auf konzeptueller Ebene versuche darĂŒber begreiflich zu machen, dass man sich manchmal an affektiv bedeutsame Dinge nicht erinnern kann, weil sie affektiv bedeutsam sind. Ăhnlich kann man auch nicht sagen, Freud habe das Ăber-Ich »entdeckt«, sondern er ist auf bestimmte klinische PhĂ€nomene gestoĂen und hat versucht, darauf eine konzeptuelle Antwort zu finden.
Konzepte stehen dabei nicht alleine, sondern in einem konzeptuellen Zusammenhang. Wenn ich versuche, das Ăber-Ich der Psychoanalyse etwa mit der Schwerkraft konzeptuell in Bezug zu setzen, scheitere ich daran, weil sie in anderen konzeptuellen ZusammenhĂ€ngen stehen und einander vermittelt werden mĂŒssten (auch wenn vielleicht zunĂ€chst einmal der Zweck genau dieser Vermittlung fraglich wĂ€reâŠ). Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ein Konzept dann wissenschaftlich ist, wenn es auf der Basis eines methodischen Zugangs zur Empirie etwas ĂŒber die Empirie sagt. Der wissenschaftliche Zugang zur Welt der Erfahrung ist ein methodischer. Das heiĂt auch, dass Konzept und Methode in Wechselwirkung zueinander stehen und in Wechselwirkung zueinander entwickelt werden. Deshalb bezeichnet man die Theorie der Methode als Methodologie, und sie ist vom theoretischen Zusammenhang beeinflusst, in dem eine Methode steht. Das wiederum bedeutet, dass wissenschaftliche Ergebnisse immer methodenspezifisch gewonnen werden. Wenn ich irgendetwas experimentell ĂŒberprĂŒfe, dann interessiert mich natĂŒrlich, durch welches Experiment eine bestimmte Hypothese geprĂŒft oder eine andere verworfen wird. Ăber den Umweg der Methode sind damit wissenschaftliche Ergebnisse immer in Bezug zur Theorie zu setzen. Es gibt keine theoriefreie Methode, es gibt keine methodenunspezifischen Forschungsergebnisse â und damit stehen Ergebnisse immer schon im Kontext von Theorie und theoretischen Konzepten.
Das macht die ganze Sache natĂŒrlich nicht einfacher. Wenn Sie zum Beispiel an die Spiegel-Titel der letzten 20 Jahre denken, dann wurde dort immer mal wieder die Frage aufgeworfen: Sind Freuds Konzepte belegt? Dann ist natĂŒrlich wichtig, sich anzugucken, was es bedeutet, ein Konzept zu prĂŒfen. Ich kann es ĂŒber Beobachtung prĂŒfen â wie bei der Schwerkraft: Wenn ich feststelle, dass die Dinge nicht mehr nach unten fallen, dann ist die Theorie der Schwerkraft, wie wir sie kennen, zumindest erweiterungsbedĂŒrftig, denn dann machen Konzepte hier die Empirie nicht mehr begreifbar. Ich kann bei der PrĂŒfung von Konzepten durch (im weitesten Sinn:) Beobachtung auch eine Ebene weiter gehen, nĂ€mlich in der Operationalisierung von Konzepten. Operationalisierungen machen Konzepte methodenspezifisch handhabbar â das ist z. B. die Grundlage fĂŒr wissenschaftliche InterdisziplinaritĂ€t. Wenn ich das Triebkonzept im MRT-Scanner untersuchen will, dann brauche ich eine Operationalisierung dessen, die ĂŒberhaupt den methodischen Zugang brauchbar sein lĂ€sst. »Trieb« ist kein Konzept, das ich beobachten kann, und es ist auch kein Konzept, das ich messen kann. Es ist schlieĂlich auch kein Konzept, das den Methoden der Neurobiologie ohne Weiteres zugĂ€nglich ist. Das ist es erst als ein im Bezug auf die Untersuchungsmethoden operationalisiertes (sofern dieser Schritt gelingt).
Die Beobachtungsebene ist allerdings nicht die einzige Ebene von PrĂŒfbarkeit. Ich kann ein Konzept auch argumentativ prĂŒfen oder widerlegen. Da es in einem konzeptuellen Zusammenhang steht, geht es immer auch um die Frage, an welcher Stelle eine VerĂ€nderung der Theorie vorgenommen wird, wenn die Erfahrung etwas anderes zeigt als das, was ein einzelnes Konzept begreifbar macht. Das ist ein klassisches Problem der Wissenschaftstheorie: Was muss verĂ€ndert werden, wenn die Beobachtungen nicht zu meiner Theorie passen? Das bekannteste Beispiel ist die Frage nach dem schwarzen Schwan, woran sich wissenschaftsphilosophiegeschichtlich der Unterschied zwischen Verifikation und Falsifikation deutlich machen lĂ€sst (etwa bei Popper, 1935). Ich kann durch die Welt gehen und sagen, die Aussage »Alle SchwĂ€ne sind weiĂ« ist dann richtig, wenn ich alle SchwĂ€ne beobachtet habe und alle weiĂ sind. Das wĂ€re die Verifikation. Ich kann es mir allerdings auch ein bisschen leichter machen, nĂ€mlich mit der Falsifikation, und sagen, der Satz: »Alle Sc...