Kultur in Deutschland
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Kultur in Deutschland

Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung

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Kultur in Deutschland

Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung

About this book

This history of German culture paints a magnificent panorama of cultural life between 1870 and German reunification. It includes not only the peak achievements of high culture in the fields of literature, music and the fine arts, but also everyday culture and the achievements and influence of technology, engineering and scientific thought in cultural history. The author ensures an easily grasped arrangement of the material, which is structured into clear chapters and presented extremely concisely. He thus provides a multifaceted tour through the cultural history of Germany in the twentieth century and identifies its guiding landmarks concisely, clearly and precisely.

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Information

Year
2016
Print ISBN
9783170318441
eBook ISBN
9783170318465
Edition
1
Topic
History
Index
History

Teil 1 Die Menschen

Images
Im 20. Jahrhundert konnten die Menschen immer mehr Urlaub für die unterschiedlichsten Vergnügungen nutzten. Zum einen waren dies Vergnügungen, die sich durch das ganze Jahrhundert zogen, wie z. B. private Feste und die Urlaubsreise an die See oder ins Gebirge, zum anderen Freizeitvergnügungen, die erst ab einer bestimmten Zeit ausgeübt wurden. Hierzu gehören ab den 1970er Jahren die bundesrepublikanischen Straßen- und Kulturfeste und Trendsportarten wie das Windsurfen. Anders als in der Bundesrepublik gab es in der DDR keine Reisefreiheit. Zudem war das Freizeitverhalten vom Staat organisiert.

Vergnügen und Zeitvertreib

1900–1918

Die Vergnügungskultur war im Kaiserreich vielfältig. Sie reichte von den traditionellen kirchlichen Festen wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten bis zu privaten Feiern und öffentlichen Vergnügungen, die vor allem in den Großstädten ihr Publikum fanden. Während sich in Kleinstädten und auf dem Land die außerfamiliäre Freizeitgestaltung hauptsächlich auf den Besuch von Gaststätten und Kinos sowie die Mitgliedschaft in Vereinen beschränkte, etablierte sich in den Großstädten um die Jahrhundertwende eine Vergnügungskultur, deren Spektrum vom Tanzpalast über Kabaretts bis zum Vergnügungspark reichte. Tempo, Dynamik, Vielfalt, Reizüberflutung – das war der Rhythmus der Großstadt und in besonderem Maße der Berlins.

Berlin

Sedantag (2.9.) und Kaisers Geburtstag (27.1.) waren die wichtigsten Nationalfeiertage, die mit Festlichkeiten und Umzügen begangen wurden wie auch Denkmalsfeste wie z. B. am 18. Oktober 1913 die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig. 1913 wurde auch das 25-jährige Regierungsjubiläum des Kaisers in Stadt und Land gefeiert. »Die Reichshauptstadt bot den Anblick eines riesenhaften Volksfestes«, wie seine Tochter, Viktoria Luise, in ihren Lebenserinnerungen schreibt. Arbeiter hatten ihre eigenen Formen der Geselligkeit, wobei es zahlreiche Parallelen zur bürgerlichen Festkultur gab. Sie stärkten ihr Zusammengehörigkeitsgefühl anlässlich der jährlichen Feier am 1. Mai sowie auf ihren Gewerkschafts- und Arbeitervereinsfesten. Viele engagierten sich in Schützenvereinen, Turn-, Sport- und Gesangsvereinen, Lese- und Theatergruppen, Obst- und Kleintierzuchtvereinen sowie in Geschichts- und Arbeiterbildungsvereinen. Höhepunkt waren immer die Stiftungsfeste mit Umzügen, Reden, Musik, Tanz und reichlich Alkohol. Hier konnten sie von der Monotonie des harten Industriealltags Abwechslung finden. Denn Fabrikarbeit hieß um 1900, 61 Wochenstunden zu arbeiten; um 1913 waren es immer noch 55,5 Stunden. Darüber hinaus gab es eine berufsständische Arbeiterfestkultur. Hierzu gehörte z. B. das »Bergfest«, das die Bergleute zu Ehren der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, feierten. Auch für das Bürgertum fand ein großer Teil des geselligen Beisammenseins in Vereinen statt. Allein in Dortmund gab es 1908 über 400 Vereine, darunter Gesangs-, Turn-, Fecht- und Radfahrvereine sowie Schützengesellschaften.
Berlin war das Mekka der Vergnügungen. Hier entstand eine regelrechte Vergnügungsindustrie, die für jeden Geschmack etwas bot. George Grosz zufolge war die Zeit vor 1914 in Berlin »eine Zeit, in der man Feste feierte.« Es gab viele Bälle:
»einen Ball deutscher Illustratoren, einen Heinrich-Zille-Ball, eine Admiralspalast-Redoute, Künstlerbälle, Theaterbälle und unzählige Privatveranstaltungen. Immer wieder suchte man nach neuen und originellen Einfällen für Feste.«
Die literarische Intelligenz der Reichshauptstadt traf sich in Cafés, so z. B. im Café des Westens am Kurfürstendamm Ecke Joachimstaler Straße, wegen seiner exzentrischen Gäste auch Café Größenwahn genannt. Es war zusammen mit Romanischem Café gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem Café Kranzler das Zentrum des literarischen Berlin. Dort trafen sich Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker wie Otto Dix, Edmund Edel, George Grosz, Leo von König, Oskar Kokoschka, Willy Jaeckel und Lesser Ury, außerdem Else Lasker-Schüler und ihr Ehemann, der Kunstkritiker Herwarth Walden, dazu Leonhard Frank, Erich Mühsam und René Schickele. Liebhaber des Kabaretts gingen ab 1901 in Berlin in das Überbrettl oder in Max Reinhardts Schall und Rauch. In München gab es von 1901 bis 1903/04 Die Elf Scharfrichter, das Schriftsteller wie Heinrich Lautensack und Frank Wedekind prägten.
Zum großstädtischen Leben gehörten auch Theater, Opern, Operetten und Konzerte. Sehr beliebt war zudem das neue Medium des Kinos, außerdem der Zirkus, Völkerschauen und der Zoo. Man ging in Varietés und Tanzcafés und zu Sportveranstaltungen wie z. B. Fußballspielen, Pferderennen, Polo, Turnen, Boxen und Radrennen, wo Angehörige mehrerer sozialer Schichten aufeinandertrafen.
Wer in Berlin um die Jahrhundertwende tanzen wollte, ging u. a. in das Alte Ballhaus in der Joachimstraße oder in den Palais de Danse in der Behrenstraße, um hier zu den Klängen eines Walzers oder einer Polka zu tanzen. Ab 1907 verbreitete sich der Tango in Europa. 1912 fand im Berliner Admiralspalast die erste deutsche Tango-Meisterschaft statt. Beliebt waren auch Maskenbälle. Im Berliner Wintergarten, einem bekannten Varieté im Central-Hotel, konnte man im April 1900 abends Ringkämpfen zusehen, deren »Ehrenschutzherr« der Bildhauer Reinhold Begas war, wie der Theaterkritiker Alfred Kerr berichtet:
»Die sechzehn muskulösesten Männer der Welt traten an die Rampe, in Tricots und Badehosen, eigens bestrahlt von elektrischen Sonnen. Alle Damen beugten sich nach vorn. An diesen prominenten Erscheinungen fesselte mancherlei den Blick.«
Zu den Massenveranstaltungen gehörte ab 1910 der auf der Hasenheide entstandene 10 Hektar große Lunapark, der als größter Vergnügungspark Europas galt. Eine der Attraktionen war die elektrische Gebirgsbahn, die mit 36 km/h vor einer 6000 qm großen Leinwand mit Landschaftsszenerien 10 Minuten unterwegs war. Wer wollte, bestieg die Zicksacktreppe, was allerdings schwierig war, da sie ständig wackelte. »Seitlich von ihr« erinnert sich der Schriftsteller Fedor von Zobeltitz
»ist eine Windmaschine aufgestellt, die den Herren die Hüte vom Kopfe und den Damen die Röcke über die Knie bläst; besondere Finessen des Vergnügens, die wiederum ein vielstimmiges Qui[e]tschen und Kreischen auslösen.«
1912 eröffnete auch Dortmund seinen Lunapark, dessen Attraktionen sich an denen des Berliner Parks orientierten. Beliebt war u. a. die Wasserrutschbahn, auf der Boote aus 12 m Höhe in ein Wasserbassin sausten. Der 1914 in Hamburg eröffnete Vergnügungspark wartete sogar mit einem 33 m hohen Turm auf, von dem aus die Boote starteten.
Auch Flugwettbewerbe hatten ein großes Publikum: Konstrukteure begannen, ihre Flugzeuge auf Flugschauen im In- und Ausland persönlich vorzuführen, um Käufer zu gewinnen. Aus den sensationellen Vorführungen entwickelten sich Flugwettbewerbe, die die Unterstützung der Industrie fanden. Der Treffpunkt der deutschen Flugpioniere war der neue Berliner Flugplatz in Johannisthal, wo kurz nach der Eröffnung vom 26. September bis zum 3. Oktober 1909 die erste Große Berliner Flugwoche als internationaler Flugwettbewerb stattfand. Schon zuvor, von Juli bis Oktober 1909, veranstaltete man in Frankfurt am Main die erste Internationale Luftfahrt-Ausstellung (ILA). Flugartisten wie der Franzose Pégoud führten dort ihre Künste vor Tausenden von Zuschauern vor. Begeisterte Flieger schlossen sich in Luftsportvereinen zusammen. Daneben gab es auch Luftschifffahrtsvereine, deren Mitglieder Ballonfahrten unternahmen. Erst seit Ende der 1890er Jahre waren auch Frauen als Passagiere geduldet. Ab dem Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts durften auch sie die Lizenz zum Führen eines Ballons erwerben. Beliebt waren auch Fahrten mit dem Zeppelin. Hermann Hesse schreibt 1910 über eine Fahrt mit dem Zeppelin über die Alpen:
»und wir Passagiere saßen stolz und kühl in unsrer Kabine […]. Aber plötzlich stieg das Schiff empor […]. Die Menschenmenge wurde klein und komisch, die Stadt Friedrichshafen wurde erstaunlich übersichtlich und niedlich, auch die riesige Ballonhalle sank zu einem belanglosen Fleck zusammen. Dafür aber ging uns das Reich der Lüfte auf, und die Welt wurde erstaunlich groß und weit.«

Massenvergnügungen

Zu den jahreszeitlichen schichtenübergreifenden Massenvergnügungen gehörten Karneval, Fastnacht und Jahrmärkte. Carl Zuckmayer berichtet in seinen Lebenserinnerungen von der Mainzer »Meß«, der im Frühling und Herbst stattfand
»mit all seinen lockenden Buden, mit ›Ahua dem Fischweib‹, ›Lionel dem Löwenmenschen‹, ›Wallenda’s Wolfszirkus‹, ›Schichtl’s Zaubertheater‹, dem Kölner Hännesje, den Ringkämpfern und den tätowierten Schönheiten des Orients, mit dem Gewimmer der alten Drehorgel, dem Geschepper der mechanischen Karussellmusik, dem Geschrei der Ausrufer, Luftballons, Schiffschaukeln und abendlichem Fackelschwelen auf dem Halleplatz.«
Zu den im Herbst stattfindenden Volksfesten mit überlokaler Bedeutung gehören das Münchner Oktoberfest, der Bremer Freimarkt und das Cannstatter Volksfest in Stuttgart.
Mitunter reichte dem Großstädter als Vergnügung schon ein Stadtbummel oder ein Picknick im Grünen. Der Schriftsteller Max Herrmann-Neiße schreibt seiner späteren Ehefrau Leni Gebek aus Berlin am 22. Juni 1914:
»Endlich Treptow. Der Haupt-Tummelort für Berlin. Unter schönen alten Bäumen riesige Rasenflächen, wo Tausende von Familien lagen, auf mitgebrachten Tüchern, alles ganz ungeniert. Vater in Hemdsärmeln, mit Zigarre und Zeitung, manchmal fliegen Bälle an den Kopf, denn sorglos wird zwischen all den daliegenden Ball gespielt, Liebespaare umarmen sich, Eltern schwenken den Sprößling vergnügt in dem aufgespannten Tuch hin und hier, wir wandelten mitten durch dieses Feldlager, endlich sah ich so das richtige Berlin.«
Die städtische Jugend um 1900 freilich wollte aus Unbehagen an Industrialisierung, Urbanisierung und erstarrten Konventionen zu einem neuen Lebensstil aufbrechen, in dem dem Naturerlebnis besondere Bedeutung zukam. Viele waren als Wandervogel oder Pfadfinder organisiert – der 1911 gegründete Deutsche Pfadfinderbund hatte 1913 etwa 100 000 Mitglieder, darunter 10 000 Mädchen und junge Frauen. Noch vor dem Pfadfinderbund war 1909 das Jugendherbergswerk entstanden, das günstige Unterkunftsmöglichkeiten auf Wanderungen bereitstellte.
Im Winter frönten alle Bevölkerungsschichten dem Schlittschuhlaufen auf Seen und Teichen sowie auf künstlich angelegten Eisflächen. Hermann Hesse berichtet in seiner Erzählung Der Kavalier auf dem Eise von 1901:
»Halbe Tage trieb ich mich mit meinen Kameraden auf dem Eise herum, mit heißen Wangen und blauen Händen, das Herz voll der starken, rhythmischen Bewegung des Schlittschuhlaufs energisch geschwellt, voll von der wunderbaren gedankenlosen Genußkraft der Knabenzeit. Wir übten Wettlauf, Weitsprung, Hochsprung, Fliehen und Haschen, und diejenigen von uns, die noch die altmodischen beinernen Schlittschuhe mit Bindfaden an den Stiefeln befestigt trugen, waren nicht die schlechtesten Läufer.«

Reisen

Die »Gartenlaube« schrieb 1903, dass die Fischer auf dem Dammschen See bei Stettin jeden Winter ein Eiskarussell errichteten:
»Ein Loch wird in das Eis geschlagen und ein kurzer, dicker Pfahl hineingesteckt, den ein auf dem Eise ruhender Holzkranz am Einsinken hindert. Dem oberen Ende des Pfahles wird ein drehbarer Holzkopf aufgesetzt, durch den zahlreiche lange Querbalken gezogen sind. An den äußeren Enden diese Balken sind Stuhlschlitten mit ihren Lehnen befestigt, und auf diesen nehmen die Personen – meist Damen und Kinder – nach Erlegung eines kleinen Betrages Platz. Der Unternehmer und seine Leute setzen nun durch schieben [sic!] an den Querbalken das Karussell in Bewegung.«
Ein winterliches Vergnügen für den Adel auf dem Land waren Schlittenfahrten. Alexander Fürst zu Dohna-Schlobitten berichtet in seinen Lebenserinnerungen von einem »Hauptvergnügen im Winter«, den »ausgedehnten Schlittenfahrten« in Ostpreußen.
»In unvergesslich schöner Erinnerung ist mir das völlig lautlose Gleiten durch die in der Sonne glitzernde, schneebedeckte Landschaft Ostpreußens, begleitet nur von dem leisen, rhythmischen Klingeln der Glöckchen am Kopfzeug der Pferde.«
Um das Skilaufen zu fördern, zeigte man 1906 in Konstanz Fotos von »Skisportaufnahmen«. Die Bilder sollten das Interesse wecken; bereits ein Jahr später gründete sich die »freie Vereinigung Konstanzer Skiläufer« mit dem Ziel, »den Skisport am hiesigen Platz zu heben.« Bereits 1891 hatte ein Franzose die erste Abfahrt am Feldberg unternommen; 1908 nahm dort der erste Skilift seinen Betrieb auf. Vermutlich steht die Wiege des mitteleuropäischen Skilaufens im Hochschwarzwald.
Zur Freizeitkultur gehört auch die Urlaubsreise. Wer verreiste, schuf sich für kurze Zeit eine Gegenwelt zum Berufsalltag. Hermann Hesse schrieb 1904:
»Der reisende Städter […] reist, weil es Sommers in der Stadt zu heiß wird. Er reist, weil er im Wechsel der Luft, im Anblick anderer Umgebungen und Menschen ein Ausruhen von ermüdender Arbeit zu finden hofft. Er reist in die Berge, weil eine dunkle Sehnsucht nach Natur, nach Erde und Gewächs ihn mit unverstandenem Verlangen quält; er reist nach Rom, weil es zur Bildung gehört. Hauptsächlich aber reist er, weil alle seine Vettern und Nachbarn auch reisen, weil man nachher davon reden und damit grosstun kann, weil das Mode ist und weil man sich nachher zu Hause wieder so schön behaglich fühlt.«
Carl Zuckmayer berichtet, wie er als Junge mit seinen Eltern im Sommer in die Schweiz, nach Südtirol, an die Nordsee und nach Holland reiste, »dort waren die Eltern verwandelte Menschen, vom Alltag gelöst, der Vater ebenso glücklich, für ein paar Wochen von der Fabrik und dem Geschäft befreit zu sein.«
Allerdings erhielten etwa 90 % der Arbeiter keinen Urlaub, während Beamte seit 1871 einen Anspruch darauf hatten. So war es das begüterte Bürgertum, das wie der Hochadel zur Kur nach Bad Ems, Marienbad, Karlsbad und Baden-Baden fuhr oder die Seebäder an Nord- und Ostsee besuchte. Um 1913 reisten etwa 1 Million Menschen jährlich an die Strände von Nord- und Ostsee. Die Besucherzahl auf Norderney stieg von 11 000 im Jahre 1885 auf 47 000 im Jahre 1911, in Westerland/Sylt von 10 000 (1895) auf 30 000 (1913) und in Borkum von 13 951 (1901) auf 26 450 (1911). Die Seebäder boten nicht nur Strand und Wasser. Sylt lockte 1906 auch mit der Jagd auf Seehunde. Im Ostseebad Heiligendamm konnte man auf Tontauben schießen oder die in der Nähe gelegene Doberaner Pferderennbahn besuchen. Das Ostseebad Warnemünde hatte 1900 fast 15 000 Badegäste, 1910 bereits über 20 000. Erich Kästner beschreibt diesen Zulauf am Beispiel seiner Sommerferien 1914 in Warnemünde:
»Man war den Städten entflohen und hockte jetzt […] noch viel enger nebeneinander als in Hamburg, Dresden und Berlin. Man quetschte sich auf einem Eckchen Strand laut und schwitzend zusammen wie in einem Viehwagen […]. Während der Ferien lagen die Mietskasernen am Ozean […]. Sie schmorten zu Tausenden in der Sonne, als sei ...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titel
  3. Copyright
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Einleitung
  7. Teil 1 Die Menschen
  8. Teil 2 Gesellschaft
  9. Teil 3 Medien
  10. Teil 4 Die Schönen Künste
  11. Teil 5 Wissenschaften