Die (interdisziplinĂ€ren) Notaufnahmen als Nahtstelle zwischen PrĂ€klinik und Klinik stehen vor zunehmenden Herausforderungen der adĂ€quaten Patientenversorgung. Neben den originĂ€ren medizinischen Kompetenzen sind auch zunehmend Kompetenzen im Bereich Ăkonomie und Prozesssteuerung zum reibungslosen Betrieb einer Notaufnahme erforderlich. Ein optimales Schnittstellenmanagement dient der sicheren Patientenversorgung. Die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen erfordert ein hohes MaĂ an Bereitschaft, im interdisziplinĂ€ren und interprofessionellen Team in kurzer Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dieses Buch bildet die Versorgung des Patienten in der Notaufnahme bis zur ambulanten Behandlung praxisnah ab.
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1 Anforderung der GeschĂ€ftsfĂŒhrung an eine interdisziplinĂ€re Notaufnahme
Jörg Martin & Amelie Meeh-Simon
1.1 Einleitung
WĂ€hrend interdisziplinĂ€re Notaufnahmen in Deutschland erst in den letzten 10â15 Jahren in KrankenhĂ€usern etabliert wurden, besteht in den angelsĂ€chsischen LĂ€ndern eine lange Tradition der »Emergency Departements«. PopulĂ€r wurden diese in den 1990er-Jahren mit der Fernsehserie »Emergency Room«.
§ 75 SGBV
Dass sich interdisziplinĂ€re Notaufnahmen erst seit 2017 etabliert haben, hĂ€ngt sicherlich mit der sektoralen Aufteilung der Notfallversorgung in Deutschland zusammen. FĂŒr die ambulante Notfallversorgung ist gemÀà §75 Absatz 1 Satz 2 SGB V (Sozialgesetzbuch) die kassenĂ€rztliche Vereinigung (KV) zustĂ€ndig.
Der Sicherstellungsauftrag verpflichtet die KV, auch wÀhrend der sprechstundenfreien Zeiten einen Notdienst sicherzustellen, der zu jeder Zeit von Patienten aufgesucht werden kann.
Auch zugelassene KrankenhĂ€user sind mit wenigen Ausnahmen zum Notdienst verpflichtet â insbesondere mĂŒssen sie zu jeder Zeit die stationĂ€re Aufnahme und Behandlung gewĂ€hrleisten können.
Gerade in BundeslĂ€ndern, in denen der KV-Notfalldienst dahingehend reformiert wurde, dass in Landkreisen nur noch 1â2 zentrale Notfallpraxen zur VerfĂŒgung stehen, die hĂ€ufig an Kliniken angesiedelt sind, wird die Notaufnahme der Kliniken zum zentralen Anlaufpunkt fĂŒr die Patienten.
Patientenkontakte
Ob es sich so wie in den USA entwickelt, ist noch nicht klar. Im Jahr 2003 gab es dort 113,9 Mio. Patientenkontakte und damit haben etwa 40 % der Bevölkerung die Emergency Departments aufgesucht (NCHS 2003). Die Erfahrung zeigt, dass nach GrĂŒndung einer zentralen Notaufnahme die jĂ€hrliche Patientenzahl, die dort gesehen und behandelt wird, steigt. Dies wird dadurch verursacht, dass eine zentrale Notaufnahme 24 h an 365 Tagen im Jahr aufsuchbar ist, eine zunehmende Zahl von Migranten hier lebt, die ein sektorales System nicht kennen sowie viele Hilfesuchende keinen klassischen Hausarzt mehr haben. Den zahlenmĂ€Ăig gröĂten Teil stellen dabei die klassischen ambulanten Patienten dar, die in einer KV-Notfallpraxis behandelt werden könnten (Blum et al. 2010). Die Verteilung der Patienten ist Abbildung 1.1 zu entnehmen (
Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Im Jahr 2009 sind insgesamt 24,9 Mio. Patienten nach unterschiedlichen Abrechnungsarten als Notfall im Krankenhaus behandelt worden (Niehues 2012, S. 153)
1.2 Etablierung einer zentralen Notaufnahme (ZNA) als Mittel zur Prozessoptimierung und zur Verbesserung der Patientenzufriedenheit
Bis vor wenigen Jahren gab es in Kliniken vorwiegend dezentrale fachbezogene Notaufnahmen. Dies bedeutet, dass ein Patient aufgrund seiner Krankheit oder Verletzung entscheiden musste, ob er beispielsweise die Unfallchirurgische Notaufnahme, die Allgemeinchirurgische Notaufnahme oder die Innere Notaufnahme aufsucht. HĂ€ufig war die Notfallversorgung neben der gleichzeitigen Versorgung von Elektivpatienten organisiert. Dies fĂŒhrte insbesondere bei Elektivpatienten hĂ€ufig zu Beschwerden, da diese aufgrund von NotfĂ€llen lange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten. Die Entscheidung zur Etablierung einer zentralen Notaufnahme stellt fĂŒr die GeschĂ€ftsfĂŒhrung eine groĂe Chance dar, Prozesse neu zu definieren und somit effizienter gestalten zu können. Gerade die Trennung von Elektivpatienten, die eine Fachambulanz aufsuchen und Notfallpatienten fĂŒhrt per se schon zur Prozessverbesserung. Auch die Entscheidung, ob man eine interdisziplinĂ€re Notaufnahme etabliert oder weiterhin internistische und unfallchirurgische Patienten in getrennten Notaufnahmen behandelt, ist bei der Implementierung der Notaufnahme von entscheidender Bedeutung. Ferner muss frĂŒhzeitig entschieden werden, wer diese Notaufnahme leiten soll. Dies hĂ€ngt auch von der GröĂe der Notaufnahme ab. Wichtig ist dabei, dass ein »Àrztliches Gesicht« der Leiter der Notaufnahme wird. In kleineren Notaufnahmen kann die Leitung durch einen geeigneten Oberarzt erfolgen. Je gröĂer die Notaufnahme ist, umso wichtiger ist es, dass ein Sektionsleiter oder bei sehr groĂen Notaufnahmen auch ein Chefarzt die Notaufnahme leitet. Sowohl der Sektionsleiter als auch der Chefarzt mĂŒssen medizinisch weisungsfrei sein. Zwingend erforderlich ist die direkte Berichterstattung an die GeschĂ€ftsfĂŒhrung.
Ob der Notaufnahme eine Aufnahmestation zugeordnet wird, in der die Patienten vor Verlegung auf Station untergebracht werden, hĂ€ngt von der Struktur des Hauses ab. Bei gröĂeren Notaufnahmen ist dies immer von Vorteil, da insbesondere auĂerhalb der Regeldienstzeit die Stationen von Aufnahmen entlastet werden. Auf diesen Aufnahmestationen kann dann weitere Diagnostik durchgefĂŒhrt werden, die maximale Liegedauer sollte 24 h nicht ĂŒberschreiten. Neben den Patienten, die fuĂlĂ€ufig in die Notaufnahmen kommen, muss die Notaufnahme auch in der Lage sein, polytraumatisierte Patienten bzw. Patienten unter Reanimation adĂ€quat zu behandeln. Dies setzt voraus, dass neben dem Ă€rztlichen Personal auch das Pflegepersonal fĂŒr solche Situationen gut geschult und ausgebildet ist. Ein entscheidender Faktor fĂŒr die Patientenzufriedenheit ist, dass das gesamte Personal der Notaufnahme sehr kundenorientiert arbeitet. In der Notaufnahme bedarf es, insbesondere mit den noch wartenden Patienten, einer sehr kundenorientierten Kommunikation. Hier ist die GeschĂ€ftsfĂŒhrung gefordert, entsprechende Schulungen anzubieten, die fĂŒr das Personal dann auch verpflichtend sind.
Visitenkarte ZNA
Jede GeschĂ€ftsfĂŒhrung muss sich darĂŒber im Klaren sein, dass das Funktionieren einer zentralen Notaufnahme die wesentliche »Visitenkarte« einer Klinik ist. Somit ist eine interdisziplinĂ€re Notaufnahme â nicht eine von vielen Abteilungen in einer Klinik, sondern â die entscheidende Schnittstelle zwischen Klinik, niedergelassenen Ărzten und Bevölkerung. Bei gut funktionierenden Notaufnahmen sind Fallsteigerungsraten zwischen 10 und 20 % pro Jahr nicht ungewöhnlich (Walter & Fleischmann 2007).
1.3 Der ökonomische Aspekt
Neben dem Aspekt der Prozessoptimierung und der Steigerung der BehandlungsqualitĂ€t sowie dem Marketingaspekt, sind fĂŒr die GeschĂ€ftsfĂŒhrung die ökonomischen Aspekte entscheidend. Richtig ist, dass circa 40â50 % der Patienten, die eine Notaufnahme aufsuchen, stationĂ€r auch aufgenommen werden (
Abb. 1.2). Bei diesen Patienten ist die Finanzierung weitestgehend durch die Erlöse der Diagnosis Related Groups (DRG, diagnosebezogene Fallgruppen) gesichert. Anders verhĂ€lt es sich bei den rein ambulanten Patienten (Niehues & Barbe 2012). Bei diesen Patienten stehen Kosten in Höhe von 120 ⏠Erlösen in Höhe von 30 ⏠gegenĂŒber (Niehues & Fenger 2013). Diese Kostendifferenz ist vorwiegend durch die hohen Vorhaltekosten im Krankenhaus bedingt. In anderen LĂ€ndern versucht man hier die Kosten der Notfallversorgung durch das Krankenhaus sachgerechter abzubilden. So erhĂ€lt beispielsweise in Frankreich jede Klinik die an der Notfallversorgung teilnimmt 500.000 âŹ, ab 5.000 NotfĂ€llen gibt es mengenmĂ€Ăige ZuschlĂ€ge (Fischer 2009). Ob sich dies durch die neue Gesetzgebung, bei der die VergĂŒtung der ambulanten Behandlung zwischen den Selbstverwaltungsorganen neu verhandelt werden soll, besser darstellt, wird sich zeigen.
Abb. 1.2: Ausgliederung nicht DRG-relevanter Kosten der Notaufnahme (Niehues 2012, S. 182).
Um hier eine Optimierung herzustellen und auch wieder die sektorale Zuordnung der Patienten zu gewĂ€hrleisten, wĂ€re die Ansiedlung einer allgemeinmedizinischen Praxis oder die Ăbernahme eines allgemeinmedizinischen Sitzes in ein Krankenhaus als medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) sinnvoll. Dann könnten alle Patienten nach durchgefĂŒhrter Triage dem entsprechenden Strang (Klinik oder Praxis) zugewiesen werden. Gleichzeitig wĂŒrde die QualitĂ€t steigen, da kein Patient mit einer potenziellen Erkrankung, die im Krankenhaus behandelt werden muss, lange Wartezeiten in einer KV-Notfallpraxis hĂ€tte. Auf der anderen Seite wĂ€re gewĂ€hrleistet, dass Patienten, deren Erkrankung nicht durch ein Krankenhaus behandelt wer...
Table of contents
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Vorwort
Inhalt
1 Anforderung der GeschĂ€ftsfĂŒhrung an eine interdisziplinĂ€re Notaufnahme
2 Finanzierung der zentralen Notaufnahme in der Klinik
3 Strukturen in der Notaufnahme
4 Hygiene in der Notaufnahme
5 Notaufnahmen-Informationssysteme (NIS) â IT fĂŒr die Notaufnahme
6 Juristische Aspekte der Notaufnahme
7 Der Rettungsdienst und seine Aufgaben
8 Triage in der Notaufnahme
9 Schockraummanagement
10 Vorbereitung auf besondere Lagen in der Zentralen Notaufnahme
11 Schwierige Atemwege
12 Monitoring in der ZINA
13 Schnittstellen
14 Respiratorische NotfÀlle
15 Besondere Anforderungen bei neurologischen NotfÀllen
16 Intoxikationen
17 Fallbeispiele
18 Die Zukunft der Notfallversorgung
19 QualitÀtsmanagement in der Notaufnahme
20 Crew Resource Management
21 Ărztliche Qualifikation in der Klinischen Notfall- und Akutmedizin
22 Anforderungen an die Qualifikation von Notaufnahmen-Personal â pflegerisches und nicht-pflegerisches Personal