Spiel und Spielen in der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
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Spiel und Spielen in der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

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Spiel und Spielen in der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

About this book

Da Kinder sich noch nicht ausreichend über Sprache mitteilen können, wurde das Spiel zum unverzichtbaren Bestandteil psychotherapeutischer Arbeit. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die Besonderheiten kindlichen Spiels, seine Entwicklung und Störungsmöglichkeiten. Erörtert werden Spielraum, Setting, Haltung und Technik, aber auch sorgfältig ausgewählte Spielmaterialien, die Kindern helfen, in ihr Spiel zu finden, und auch dem Psychotherapeuten seine Aufgabe erleichtern, sodass normales Spielen zu heilsamem Spiel werden kann.

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Information

Year
2018
eBook ISBN
9783170308404
Edition
1

1          Einführung

 
 
 
Kinder sind keine »kleinen Erwachsenen«. Wenn sie einen Kinderpsychotherapeuten1 aufsuchen, können sie selber selten mit Worten zum Ausdruck bringen, was sie belastet oder quält. Auch für die Ruhigstellung auf der berühmten Couch sind quicklebendige Kinder schlecht geeignet. Daher galten sie zunächst auch als psychotherapeutisch nicht behandelbar. Erst als es gelang, in einer endlosen »Kette von Versuchen, den Ausfall der freien Assoziation durch andere technische Hilfsmittel zu ersetzen« (Freud A., 1968, S. 37), und das Spielen nutzbar zu machen, eröffnete sich die Möglichkeit einer Kind-angemessenen therapeutischen Begegnung und das Spiel etablierte sich als unverzichtbarer Bestandteil psychotherapeutischer Arbeit mit Kindern.
Mittlerweile haben das Spiel ebenso wie das Kindliche ihren festen Platz in der Behandlungsarbeit, und es steht außer Frage, dass Kinder Entdecker sind, mit einem großen Bewegungsdrang und Handlungsbedürfnis, denen wichtig ist, alles zu untersuchen und auszuprobieren; die in Bildern und Geschichten denken, sich dabei auf analoger Ebene bewegen, Inszenierungen bevorzugen, und die sich, ihre Ängste, Wünsche, Projektionen und Identifikationen vorzugsweise im und über das Spiel mitteilen. Das gilt allgemein und auch für ihre Spiel-Art im Hier und Jetzt einer psychotherapeutischen Begegnung. Im Folgenden soll daher – auf dem Fundament normal zu erwartender Entwicklung von Spiel und Spielen – der Stellenwert und der Umgang mit dem Spiel vor allem hinsichtlich seiner Nützlichkeit im psychotherapeutischen Kontext beleuchtet werden. Dabei finden Schwierigkeiten ebenso wie Möglichkeiten seiner Handhabung sowie Ansprüche an das Setting Berücksichtigung. Am Beispiel einiger Kinderspiele soll dies nachvollziehbar werden, immer eingedenk, dass ohne Kreativität – aufbauend auf der kindlichen Projektionsneigung und unter Berücksichtigung von Neugier, Symbolisierung und Fantasietätigkeit – kein elaboriertes Spiel entstehen kann.
Lange Zeit wurde Spielen in der Psychotherapie im Wesentlichen verstanden als einseitige Inszenierung des Kindes. Doch schon Winnicott hat das Spieleparadigma zu einem Miteinander erweitert:
»Psychotherapie geschieht dort, wo zwei Bereiche des Spielens sich überschneiden: der des Patienten und der des Therapeuten« (Winnicott, 1971/2015, S. 49).
Heute wird das Spiel unter dem Eindruck relationaler Psychotherapie als reziprokes Prozessgeschehen zwischen zwei Personen verstanden, das sich asymmetrisch, co-konstruktiv und co-narrativ vollzieht. Entsprechend geht es im Folgenden nicht nur um das Spielen, die Spielfreude und Spielfähigkeit des kindlichen Patienten, sondern immer auch um die des Psychotherapeuten.
»Wir haben ja alle einmal gespielt!« könnte man selbstverständlich voraussetzen. Aber auch wenn Erwachsene spielen, und das Spiel als eine »Gangart des Lebens« (Schacht, 2001) angesehen werden kann, wird Erwachsenen das kindliche Spielen in der Regel fremd. Für Kinderpsychotherapeuten stellt sich daher die Frage, wie diese Entfremdung zwischen Erwachsenem und Kind überbrückt werden kann, sodass im psychotherapeutischen Prozess Begegnung »auf Augenhöhe« mit dem Kind und dem Kindlichen möglich wird, und eine gemeinsame spielerische Sprache gefunden werden kann.
Ein Kinderpsychotherapeut muss aber nicht nur spielen können. Er muss auch einen Begriff davon haben, was das Gros der Kinder eines bestimmten Alters in einer bestimmten Gemeinschaft zu spielen pflegt – auch wenn diese Spielkultur nicht seiner eigenen Spielesozialisation entspricht, ihm nicht vertraut ist und ihm vielleicht auch gar nicht gefällt. Nur wenn er sich auf das Kind und dessen Spiel einlässt, kann er sich (co-narrativ) in den Handlungsdialog einbringen und sich mit dem Kind »einspielen«. Daher haben wir den Wandel des Kinderspiels ebenso zu erfassen versucht, wie die sich darin spiegelnde zunehmende Bedeutung der ökonomischen, technischen und virtuellen Welt. Denn der Spielewandel mitsamt seinen Auswirkungen hat auch den psychotherapeutischen Alltag nicht unberührt gelassen. Er verlangt Anpassung von den Kinderpsychotherapeuten, die im Hinblick auf Umgestaltungen in der Behandlung ebenso wie im Hinblick auf die Kompetenz des Psychotherapeuten reflektiert werden muss.
Grundsätzlich kann das Spiel prophylaktisch, psychodiagnostisch ebenso wie kurativ systematisch psychodynamisch genutzt werden. Dabei stützt sich psychodynamische Therapie bei Erwachsenen wie bei Kindern und Jugendlichen immer auf dasselbe theoretische Fundament. Im Falle psychodynamischen Arbeitens bedeutet das ein Fokussieren auf das Analysieren innerhalb der psychotherapeutischen Begegnung (Burchartz, Hopf & Lutz, 2016). Immer geht es um ein gut abgestimmtes Zusammenspiel im Rahmen einer hilfreichen therapeutischen Beziehung im geschützten Rahmen. Gleichwohl folgen Methodik und Interventionen in einer Kinderbehandlung anderen, am kindlichen Patienten evaluierten Gegebenheiten (Ferro, 2003, S. 25). Vor allem im jüngeren Alter, wenn die sprachliche Ausdrucksfähigkeit noch eingeschränkt ist, bietet das Spiel dem Kind die Möglichkeit einer unverfänglichen Kontaktaufnahme zum Psychotherapeuten. Um das zu bewerkstelligen, muss er einen Spielraum, Spielzeug, aber auch Spielbereitschaft vorhalten und alles so ausrichten, dass sich spontanes selbstgewähltes freies Spielen initiieren kann. Diese Forderungen gründen in der Hoffnung, dass der Patient in Gegenwart des Behandlers und gleichsam innerlich angelehnt an die Sicherheit des psychotherapeutischen Settings wagen kann, sich mehr oder weniger verborgenen und belastenden Anliegen, Ereignissen, Gefühlen, Gedanken, Bildern, Bedürfnissen und Fantasien innerlich anzunähern, sie symbolisch und szenisch wiederzubeleben und sie für beide, Kind wie Behandler, über die Veräußerung erlebbar, verstehbar und bearbeitbar werden zu lassen.
Angesichts der hohen Relevanz des Spiels in der klinischen Praxis mit Kindern und auch Jugendlichen ist es erstaunlich, wie wenig Berücksichtigung es bislang in der Ausbildung von Kinderpsychotherapeuten findet. »Lehrjahre sind keine Spieljahre« hat Sabine Tibud (2016, S. 330) dieses Dilemma überzeugend beschrieben und ihr Bedauern ebenso wie Möglichkeiten seiner Überwindung erörtert.

Zusammenfassung

Spielen ist mittlerweile anerkannter Bestandteil der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenbehandlung. Spielen können ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, weder auf Patienten- noch auf Psychotherapeutenseite. Das psychotherapeutische Spiel findet sowohl als einseitige Inszenierung seitens des Kindes als auch als gemeinsames Spiel in der Begegnung im intermediären Raum statt. Damit das möglich wird, sollten Psychotherapeuten, die mit Kindern arbeiten, spielen können. Sie sollten aber auch über Spielentwicklung und unterschiedliche Spiel-Arten von Kindern Bescheid wissen. Außerdem sollten sie über Wissen zum soziokulturell eingebetteten Spielewandel verfügen.

Vertiefende Literatur

 
Ferro, A. (2003). Das bipersonale Feld. Konstruktivismus und Feldtheorie in der Kinderanalyse. Gießen: Psychosozial.
Freud, A. (1968). Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung. Stuttgart: Ernst Klett.
Tibud, S. (2016). Ludo ergo sum – Ich spiele, also bin ich … Kinderpsychoanalytikerin. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, 171, 313–338.

Weiterführende Fragen

•  Warum musste das Setting der Erwachsenenpsychotherapie für die Behandlung von Kindern verändert werden?
•  Warum funktioniert die »Redekur« bei Kindern nicht?
•  Welche Bedeutung hat das Spiel für die Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen?
•  Was kann alles im Spiel dargestellt werden?
•  Kann jeder spielen, oder was muss ein Behandler mitbringen bzw. wieder erlernen?
•  Warum gibt es immer wieder neue Spiele?
1     Nach langen und kontroversen Überlegungen haben wir uns mit sehr viel Vorbehalt entschlossen, in diesem Buch der gewohnteren und daher besseren Lesbarkeit wegen der männlichen Form den Vorzug zu geben, obwohl die große Mehrzahl der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten weiblich ist. Wir bedauern sehr, dass es so wenig männliche Vertreter in unserem Fach gibt und dass uns sprachlich keine adäquatere Lösung eingefallen ist.

2 Spiel und Spielen

2.1 Was heißt eigentlich »spielen«?

»Die Quelle alles Guten liegt im Spiel«, meinte Fröbel (1782–1852) und deutete an, dass Spielen mehr sein könnte als nur ein Spiel. So wie die Sprache erwachsener Patienten wenig variiert, ob sie nun im Alltag oder in einer »talking-cure« eingesetzt wird, so unterscheiden sich auch die Spiele, die Kinder in die Psychotherapie mitbringen zunächst einmal wenig von denen, die sie in ihrem Lebensalltag spielen (Anzieu, Anzieu-Pemmereur & Daymas, 2006, S. 16 f.). Will man Spiel und Spielen verstehen, ist es daher zunächst wichtig, sich mit dem Spielen ganz allgemein zu beschäftigen, um seine Antriebskräfte zu begreifen.
Spielen, da ist man sich einig, gilt als zentrale Tätigkeitsform des kindlichen Lebens, ist darüber hinaus aber auch für alle Menschen maßgebend, die das Spielerische in sich bewahrt haben. Dabei können Spiele verschiedenartigste Gestalt annehmen und Unterschiedlichstes bedeuten. Das verwundert nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich beim Spielen um eine anthropologische Grundgegebenheit handelt, die alle Lebensstufen, Zeitalter und Ethnien einschließt. Während Abfolge und Inhalt des kindlichen Spiels durch den gesetzmäßigen Ablauf der geistigen und motorischen Entwicklung eines Kindes bestimmt werden und universal sind (Largo, 2007, S. 273), variieren die Art und Weise, wie ein Spiel zur Darstellung gebracht, und womit und was gespielt wird, kulturell, alters-, reife- und entwicklungsspezifisch, geschlechtsspezifisch, symptomspezifisch, biographisch und individuell. Diese Möglichkeiten sind bei einer Spieleinschätzung immer mit zu bedenken. Infolge dieser unübersichtlichen Vielfältigkeit kann es auch hier gar nicht um eine umfassende Beschreibung des Kinderspiels gehen. Zentral soll im Folgenden neben dem Hinweis auf die schillernde Unterschiedlichkeit von Spielen, ihre individuelle Ausprägung und entwicklungsbasierte Ausgestaltung, vor allem der Blick auf die Brauchbarkeit des Spiels im psychotherapeutischen Kontext sein.

2.1.1 Spielen als ein Handeln besonderer Art

Paulina Kernberg (1995, S. 11) versteht unter »normalem Spiel« eine mit Freude und Hingabe ausgeführte kreative Tätigkeit, die spontan begonnen und über ein sich entwickelndes Thema zu einem konstruktiven Ende geführt wird. Es kann sich in Übungs- und Funktionsspielen, Explorationsspielen oder Konstruktionsspielen konkretisieren. Es können aber auch fiktive Spiele sein, wie Symbolspiele, Rollenspiele oder Regelspiele. Sie können allein für sich (Geduldspiele), nebeneinander (kleine Kinder im Sandkasten), miteinander oder in großen sozialen Einheiten, mit oder ohne Spielsachen gespielt werden. Spielen geht meist einher mit einer inspirierten Haltung, wie Klaus Teuber berichtet. Er legte als Kind »mit Wollfäden Gebirge und Flüsse auf dem Fußboden« (Teuber, 2017, S. 66) und erfand eigene Regeln für sein Spiel »Römer gegen Karthager«. Jahre später wurde er mit seinem Brettspiel »Siedler von Catan« sehr erfolgreich.
Oerter spricht vom Spielen als einem »Handeln besonderer Art« (Oerter, 2003), das Ausdruck von Psyche, Körper, Bewegung und Imagination gleichzeitig ist. Wer spielen will, muss demnach nicht nur einen Fuß vor den anderen setzen, die Arme heben und zugreifen können. James Herzog (1994) differenziert ausdrücklich zwischen symbolischem (Rollenspiel), motorischem (Balancieren) und interaktivem Spiel (Fußballspielen), die er als Variablen einer »Kapazität zum Spielen« betrachtet, die sich im Einzelfall wie eine »Spielunterschrift« konkretisiere. Das Spielrepertoire eines Kindes, seine Qualität, seine Begrenzungen ebenso wie die darin aufscheinenden Vorlieben verdanken sich der persönlichen Ausstattung und Erfahrung ebenso wie der Resonanzfähigkeit seitens der Umwelt. Spielszenarien spiegeln mithin Erleben und Erfahrungen und können eng mit Wohlgefühl, aber auch mit Schmerz und realen Sorgen verknüpft sein. Traumatisierungen und zufällige Ereignisse überarbeiten immer wieder den Fundus und die Qualität der Spiele (Herzog, 1994, S. 15 ff). Darüber hinaus versteht Herzog das Spiel als »Sprache des Handelns«, welche dazu diene, im Dienste des Ich etwas zu tun, zu wiederholen und ungeschehen zu machen. Besonders jüngeren Kindern, deren sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten noch sehr eingeschränkt sind, gelinge über das Spiel eine unverfängliche Kontaktaufnahme mit der Umwelt, indem es ihnen hilft, ihre Wünsche, Ängste und Fantasien, aber auch...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Einführung
  6. 2 Spiel und Spielen
  7. 3 Grundlagen und Rahmenbedingungen spielerischer Begegnung
  8. 4 Spiel und Entwicklung
  9. 5 Wie das Spiel zum psychotherapeutischen Medium wurde
  10. 6 Das Spiel, das Spielerische und die Spielenden
  11. 7 Kinderspiele
  12. 8 Spiel und Spielen mit Miniaturfiguren
  13. 9 Spiel und Spielen im digitalen Zeitalter
  14. Literatur
  15. Spielmaterial für die psychodynamisch orientierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
  16. Stichwortverzeichnis