Hörminderung und Tinnitus bei älteren Menschen
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Hörminderung und Tinnitus bei älteren Menschen

Risiken, Diagnostik, Behandlung und Hörrehabilitation

Gerhard Hesse, Johannes Pantel, Rupert Püllen

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Hörminderung und Tinnitus bei älteren Menschen

Risiken, Diagnostik, Behandlung und Hörrehabilitation

Gerhard Hesse, Johannes Pantel, Rupert Püllen

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Höreinschränkungen gehören zu den häufigsten Behinderungen und Defiziten sinnlicher Wahrnehmung, zugleich sind die Grenzen zwischen Höreinschränkungen und intellektuellen wie psychischen Einbußen fließend.Neben Alterungsprozessen des Innenohres sind es vor allem externe Schädigungen wie besonders Lärmbelastungen, die das Hörvermögen mit zunehmender Dauer der Einwirkung und damit auch mit zunehmendem Alter beeinträchtigen.Das Buch erklärt diese Zusammenhänge und zeigt dabei die Verknüpfung von Schwerhörigkeit und kognitiven Defiziten auf und vermittelt Möglichkeiten einer sinnvollen, frühzeitigen und adäquaten Rehabilitation der Schwerhörigkeit.Fallbeispiele beantworten praxisnah konkrete Fragen der Versorgung älterer Schwerhöriger.

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Information

Year
2017
ISBN
9783170312401
Edition
1
Subtopic
Geriatrics

1 Einführung

Die aktuelle demographische Entwicklung, vor allem aber immense Fortschritte der Medizin und damit der Gesunderhaltung auch älterer Menschen sorgen für eine zunehmend steigende Lebenserwartung besonders in den Industrieländern Europas, Asiens und Amerikas. Dennoch führt die Alterung zu Einbußen und Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, was sich besonders auf die sensorische Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit auswirkt. Die überaus komplizierten und vernetzt arbeitenden Sinnesorgane Auge, Ohr und Nase, verantwortlich für Kommunikation, Orientierung und auch Genussempfinden, werden daher im Alter schwächer und unempfindlicher – das sensorische Empfinden lässt nach mit teilweise erheblichen Auswirkungen auch auf die psychische Gesundheit der Betroffenen.
In diesem Buch soll besonders die Auswirkung von Alterung auf das Hörvermögen dargestellt werden, Konsequenzen für den Umgang mit Hörbehinderten und Möglichkeiten der Rehabilitation werden aufgezeigt und diskutiert.

1.1 »Altershörigkeit« oder Schwerhörigkeit im Alter?

Altersschwerhörigkeit, Schwerhörigkeit im Alter oder Altershörigkeit – schon durch die Unschärfe dieser Begriffe, die oft als Synonym verwendet werden, wird dokumentiert, dass nach wie vor darüber Unklarheit herrscht, ob es spezifische und typische Veränderungen der Hörfähigkeit im Alter gibt und ob diese allgemein gültig sind.
Unbestritten ist, dass die Hörfähigkeit mit zunehmendem Alter bei vielen Menschen abnimmt, nur eben nicht bei allen. Andererseits sehen wir im klinischen Alltag häufig junge Menschen, die bereits typische Zeichen – audiometrisch messbar und teilweise auch subjektiv erfahren – einer Hörminderung vorweisen, wie wir sie sonst nur bei älteren Menschen finden.
Inwieweit ist daher ein Hörverlust im Alter quasi »naturgegeben«, also physiologisch? Und welchen Anteil hat die Alterung allgemein an der Entwicklung von Schwerhörigkeit? Alle weiteren Formen und Ausprägungen der Hörminderung wären dann auf andere Ursachen zurückzuführen, insbesondere zivilisationsbedingte. Analog dem altersphysiologischen Elastizitätsschwund der Linse im Auge, der als Presbyopie bezeichnet wird, müsste daher die Presbyakusis eine »unmittelbar altersbezogene und damit nicht krankhafte Funktionseinschränkung des Hörorgans darstellen« (Lehnhardt 1978), sie beträfe damit die auditive Sensorik insgesamt. Schon die verwandte Begrifflichkeit erscheint jedoch nicht hinreichend eindeutig, handelt es sich doch beim »Elastizitätsverlust der Linse« um eine Veränderung der Mechanik des Auges. Analog auf das Ohr bezogen würde dies einer Versteifung der Ossikel im Mittelohr entsprechen, also einem Funktionsverlust im mechanischen Teil der Hörfähigkeit – im Alter ist das jedoch nur unwesentlich Ausgangspunkt von Hörminderungen (Ramadan und Schuknecht 1989).
Dagegen stellt die eindeutig multifaktoriell bedingte Schwerhörigkeit im Alter ein echtes Krankheitsbild dar, obwohl sie weder einer einheitlichen Morphologie noch einer klinischen Entität entspricht und somit vielmehr ein statistisches Phänomen ist. Laubert und Lehnhardt (1993) betonen eine derartige Differenzierung besonders deshalb, um einem therapeutischen Nihilismus vorzubeugen:
»Während beim altersphysiologischen Abbau von Innenohr-, neuralen oder zentralen Strukturen – zumindest zum heutigen Zeitpunkt – keine Therapiemöglichkeiten vorhanden sind, so wären Hörminderungen anderer Genese durch entsprechende Behandlungen wenigstens aufzuhalten. Allein deshalb ist eine genauere und vor allem differenzierte Betrachtung des Hörverlustes älterer Menschen notwendig« (Laubert und Lehnhardt 1993, Lehnhardt und Koch 1994).
Die konkrete Ausprägung von Höreinbußen älterer Menschen war Gegenstand vieler Untersuchungen, vornehmlich auf der Grundlage selbsteingeschätzter Hörminderungen und tonschwellenaudiometrischer Untersuchungen (Schultz-Coulon 1983). Spoor fasste 1967 (Spoor 1967) in einer Metaanalyse unterschiedliche Studien aus mehreren Ländern zusammen und errechnete so einen mittleren Hörverlust (
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Kap. 4). Diese »Normkurven« waren zwar an Menschen ermittelt worden, bei denen keine andere, bekannte Ohrerkrankung bestand – allerdings fanden sich auch immer Menschen in den jeweiligen Altersstufen, deren Gehör sich fast normal darstellte. Untersuchungen, die differenziert unter Verwendung verschiedener psychoakustischer Tests das Problem der Hörfähigkeit älterer Menschen betrachten, liegen bislang jedoch nach einer umfassenden Medline-Recherche nur sehr vereinzelt vor. Mazelova et al. (Mazelova et al. 2003) bestimmten die Innenohrfunktion älterer Menschen im Vergleich zu ihrem Sprachverstehen und folgerten, verantwortlich für die Hörminderung sei eine Kombination peripherer und zentraler Ursachen, was durch eigene Studien unterstrichen werden muss (Hesse 2005, Hesse und Laubert 2005).

1.2 Hörschäden als Zivilisationsfolge

Eine weitgehend unbekannte, gleichwohl sehr relevante Größe bei allen diesen Untersuchungen stellt der Einfluss der Umwelt und der Zivilisation dar.
Als wesentliches Schädigungsmoment wird der Lärm angeschuldet, in »zivilisierten« Gesellschaften weit häufiger als bei Naturvölkern. Allerdings verschiebt sich auch für Menschen aus Entwicklungsländern diese Relation zunehmend, bedingt durch Industrialisierung und damit verbundenen Arbeitslärm, Vermehrung des Straßenverkehrs, Gebrauch von Schusswaffen und verändertem Freizeitverhalten mit Freizeitlärm.
Eine Studie in Alaska ergab 1978 beim »Naturvolk« der Eskimos typische Zeichen einer lärminduzierten Hörminderung mit großer Prävalenz, bedingt durch zunehmende Robbenjagd mit Gewehren (Canterbury 1978).
Demgegenüber greifen in den primären Industrieländern Maßnahmen zur Lärmprophylaxe, zur Dämpfung von Lärmquellen, jedenfalls was den direkt das Gehör schädigenden Einfluss von Arbeitslärm ausmacht. Hingegen ist der Zustand völliger Ruhe immer seltener zu finden (zunehmende Musikberieselung und unterschwellige Lärmbelastung im Alltag), zugleich beginnt der Einfluss schädigenden Freizeitlärms (Diskothek, Walkman, Pop-Konzerte) (Fleischer 1990) bereits bei den 12–15-Jährigen und führt zu entsprechenden Hörminderungen (Aarhus et al. 2016). Diese entsprechen häufig in ihrem audiometrischen Bild dem als »Altersschwerhörigkeit« bekannten. Eine Übersicht aus Australien bemängelt allerdings die häufig schlechten methodischen Ansätze entsprechender Studien und zweifelt damit ihre Vergleich- und Übertragbarkeit an (Carter et al. 2014).
In diesem Sinne kann und muss die Hörfähigkeit im Alter als Resultat einer »Gesamtlärmsumme« angesehen werden – mit physiologischer Alterung indes hat dies kaum etwas zu tun.
Auch die schädigende Wirkung von Risikofaktoren auf das Gehör, und im Wesentlichen auf Strukturen des Innenohres, ist in vielen Studien untersucht worden. Erhöhte Cholesterin-Werte, Hypertonie, Übergewicht und Nikotinabusus, ja selbst Mangel an Zink, sind allesamt schädlich für den Organismus allgemein – spezifische, solitär das Gehör schädigende Einflussfaktoren sind hingegen nicht eindeutig bewiesen (
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Kap. 5).

1.3 Vergleich zu »Naturvölkern«

Die diesbezüglich wohl einzig verwertbare Studie aus den 60er Jahren verglich 60–80-jährige Mabaan mit einem altersentsprechenden Kollektiv aus den USA (Wisconsin) (Rosen et al. 1962, Rosen und Olin 1965). Dieses Naturvolk im Süden des Sudan, an der Grenze zwischen Blauem Nil und den oberen Nilprovinzen lebend und ethnologisch zu den Niloten zählend, bestand 1987 noch aus 25–50000 Menschen, die kulturell auf der Ebene der Steinzeit standen. Erwartungsgemäß waren die Hörkurven der nicht Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Nikotin und vor allem Lärm ausgesetzten Mabaan weit besser als die der amerikanischen Vergleichsgruppe (
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Abb. 4.5).
Auch kardio-vaskuläre Risikofaktoren traten bei den Mabaan weit weniger auf.
Allerdings ist die Altersbestimmung bei diesen Menschen nicht unbedingt sicher – der Vergleich zur Kontrollgruppe daher zumindest nicht eindeutig. Auch sind die audiometrischen Befunde nicht mit denen vergleichbar, die unter genormten Bedingungen in Praxen oder Kliniken erhoben werden.
Die Autoren wie auch Verfasser späterer Studien dokumentierten damit, dass verschiedenste Noxen wesentlich zur alterspathologischen Schwerhörigkeit beitragen; Counter und Klareskov (Counter und Klareskov 1990) untersuchten wie Canterbury (Canterbury 1978) Hörschwellen bei Eskimos und fanden wie auch Homoe und Bretlau (Homoe et al. 1995), dass diese schon sehr früh Hochtonschäden aufwiesen. Erklärt wurde dies durch den regelmäßigen Schusswaffengebrauch schon junger Eskimos, ansonsten eher ein »Naturvolk«. Lehnhardt forderte daher, die eigentliche ausschließlich altersbedingte Schwerhörigkeit entspräche am ehesten dem Hörbild, was die trotz ihres Alters noch gut Hörenden bieten (Lehnhardt 1994). Auch Lowell und Paparella (Lowell und Paparella 1977) definieren den Begriff der Presbyakusis ähnlich streng.
Im Hinblick auf diese Fragestellung versucht eine neuere Arbeit aus Frankreich Art und Ausprägung der Hörminderung im Alter zu erfassen: 778 Menschen, die älter als 70 Jahre waren, wurden audiometrisch untersucht. 364 hatten entweder eine Lärmanamnese oder hatten ototoxische Medikamente genommen, diese hatten signifikant schlechtere Hörschwellen als die Vergleichsgruppe (Blanchet et al. 2008).

1.4 Umwelt- und genetische Einflüsse bei der altersbedingten Schwerhörigkeit

Zur Diskussion dieser Frage wurden in einer Übersichtsarbeit aus Holland die Normwerte der Hörfähigkeit für beide Geschlechter dargestellt und mögliche Risikofaktoren aufgelistet. Forschungen über umweltbedingte Hörschädigungen werden referiert, wobei als Ursachen Exposition gegenüber Lärm und Chemikalien, Rauchen und Alkohol angegeben werden. Studien über ototoxische Medikamente werden ebenfalls erfasst und bewertet. Neben möglichen medizinischen Ursachen werden auch Genforschungen und bislang in Bezug auf Hörfähigkeit im Alter relevante Gene in der Arbeit erwähnt (Van Eyken et al. 2007). Allerdings bleibt die Übersicht gerade in diesem Punkt rein deskriptiv, besonders im Hinblick auf die genetischen Grundlagen von Schwerhörigkeit im Alter gibt es nämlich bislang keine genauen Indikatoren, bei welcher genetischen Typisierung eine Schwerhörigkeit wahrscheinlicher wird oder eben nicht.
Eine aktuelle Studie aus den USA widmet sich ebenfalls dieser Differenzierung zwischen physiologischer Alterung und Umwelteinflüssen: Die Phenotypisierung der Schwerhörigkeit im Alter unterscheidet zwischen metabolischer und sensorischer Hörminderung. Dabei geht die metabolisch kochleäre Degeneration mit Haarzellverlust einher, während die sensorische mehr umwelt- bzw. lärmbedingt entsteht, allerdings ebenfalls vornehmlich die empfindlichen Haarzellen des Innenohres schädigt. In der Studie wurden 343 Erwachsene im Alter von 50–93 Jahren erfasst: Mit zunehmendem Alter überwog der metabolische Typ (Vaden et al. 2016). Allerdings bleibt in der Studie unklar, wie die tatsächliche Lärmbelastung der Untersuchten erfasst wurde, denn sie wurde nur in einem Interview abgefragt und lässt sich somit nicht wirklich vergleichend bestimmen.

1.5 Hören: Periphere und zentrale Fähigkeiten

Während das eigentliche Hörorgan, das Innenohr mit seinen Haarzellen, eindeutig zugeordnet und diagnostisch sicher erfasst werden kann, ist die »zentrale Hörbahn« bislang noch sehr unscharf definiert, sie umfasst alle retrokochleären Anteile, eine genauere Unterscheidung ist insbesondere diagnostisch z. Zt. noch nicht dezidiert möglich.
Dies liegt daran, dass die moderne Theorie des Hörens noch immer in großen Anteilen hypothetisch und modellhaft ist, wenngleich wesentliche Zusammenhänge der Hörverarbeitung doch...

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