1 Der Begriff des Down-Syndroms
Langdon Down war als Arzt und Leiter einer großen Anstalt für Menschen mit geistiger Behinderung tätig, als er 1866 eine Schrift verfasste zur »ethnische(n) Klassifizierung von Schwachsinnigen«, mit dem Ziel, durch solche Zuordnung sichere Prognosen für die Entwicklung geben zu können. Die auffällige Lidfalte (Epikanthus) bei einigen Patienten veranlasste ihn anzunehmen, dass bei diesen Menschen ein »mongolischer Typus« der geistigen Behinderung vorliege (Langdon Down 1996, 261). Deshalb bezeichnete er diese Form der Intelligenzbeeinträchtigung als »Mongolismus«. Dieser Begriff wird heute abgelehnt, da die zugrunde liegende historisch zu verstehende Annahme über die Entstehung dieser Behinderung falsch und diskriminierend ist. Die typischen klinischen Merkmale sind bei allen Rassen gleich und immer deutlich als pathologisch zu erkennen.
In Anerkennung der Bemühungen von Langdon Down, Übungen und Fördermöglichkeiten für Menschen mit dieser Beeinträchtigung zu gestalten, hat sich heute die Bezeichnung Down-Syndrom durchgesetzt. Daneben werden Begriffe wie (Langdon) Down(’s)-Syndrom oder Down Anomalie, Morbus Down und – seit einiger Zeit– auch Trisomie 21 benutzt. Betroffene Menschen lehnen den Begriff Down-Syndrom jedoch wegen der negativen Konnotation von »down« (= nieder) zunehmend ab. Es ist deshalb zu überlegen, wie der Anspruch der betroffenen Personen auf begriffliche Mitbestimmung respektiert werden kann und ob nicht ein neutralerer Begriff gefunden werden könnte. Da aber gerade erst der stigmatisierende Begriff »Mongolismus« auch international durch Down-Syndrom abgelöst wurde, erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine erneute Änderung nicht sinnvoll (vgl. Wilken 2017, 17). Auch zeigt die Diskussion über eine mögliche Umbenennung des Schwerbehindertenausweises (»Schwer-in-Ordnung-Ausweis«) wie schwierig es ist, eine als nicht diskriminierend empfundene Bezeichnung zu finden ohne damit die Eindeutigkeit und die nötige Zuwendung von Ressourcen zu gefährden.
Manchmal werden auch Bezeichnungen wie »Down-Baby«, »Down-Kind«, »Downie«, »Down-Syndrom-Kind« oder »Trisomie-Kind« benutzt. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass durch solche Begriffe die Behinderung zur dominierenden Kennzeichnung der Person wird. Aber auch Kinder mit Down-Syndrom sind vor allem Kinder, mit den ganz normalen Bedürfnissen, die alle Säuglinge und Kinder haben, sind Jugendliche und Erwachsene, zeigen als Kinder ihrer Eltern familientypische Vorlieben und Gewohnheiten, sind ihren Geschwistern Bruder oder Schwester. Allerdings bedingen syndromspezifische Beeinträchtigungen typische Veränderungen. Aus diesen Gründen bezeichne ich die von dieser Behinderung betroffenen Personen als Säuglinge, Kinder und Erwachsene mit Down-Syndrom.
Menschen mit Down-Syndrom bilden trotz der syndrombedingten Gemeinsamkeiten eine sehr heterogene Gruppe. Nicht nur die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind in Art und Ausprägung recht verschieden, sondern auch das individuelle Potenzial weist eine große Streubreite auf.
Es ist deshalb wichtig, mögliche syndromspezifische gesundheitliche Probleme durch entwicklungsbegleitende Vorsorgeuntersuchungen rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln, um so typische Folgebeeinträchtigungen zu verringern (vgl. Leitlinien 2016).
Für eine entwicklungsbegleitende Förderung der Kinder mit Down-Syndrom sind sowohl individuelle als auch syndromspezifische Aspekte zu beachten. Zudem müssen die familiären Bedürfnisse und Kompetenzen angemessen reflektiert werden.
Die Feststellung von Langdon Down, dass bei Menschen mit Down-Syndrom durch Übung viel mehr erreichbar ist als zunächst vielleicht angenommen wird, ist noch immer aktuell. Es ist deshalb wichtig, neue Möglichkeiten zu nutzen und die Grenzen des Erreichbaren zu erweitern und offener zu sehen. Das betrifft besonders auch die sprachlichen Kompetenzen.
2 Ursachen des Down-Syndroms
Die Ursachen des Down-Syndroms waren lange Zeit nicht bekannt. Zahlreiche Vermutungen und absurde Theorien wurden geäußert (z. B. Alkoholismus, Tuberkulose, Regression in der menschlichen Entwicklung), die zeitweise zu problematischen Einstellungen gegenüber Betroffenen und ihren Familien führten. Obwohl schon 1932 aufgrund der Vielzahl auftretender Veränderungen vermutet wurde, dass beim Down-Syndrom eine Chromosomenstörung vorliegen müsse (Waardenburg), gelang erst 1959 einer französischen Forschergruppe (Lejeune, Gautier, Turpin) der Nachweis, dass dem Auftreten des Down-Syndroms eine Trisomie der G-Gruppe zugrunde liegt.
Jede Körperzelle des Menschen besitzt in ihrem Kern 46 Chromosomen, die paarweise angelegt sind. Jeweils die Hälfte der Chromosomen stammt von der Mutter bzw. dem Vater. 22 dieser Paare bezeichnet man als Autosomen, ein Paar bilden die Geschlechtschromosomen. Die Chromosomen mit ungefähr gleicher Größe werden in Gruppen zusammengefasst und mit den Buchstaben A–G gekennzeichnet. Die Darstellung der nach Größe geordneten Chromosomen wird als Karyogramm bezeichnet.
Bei der Bildung der Keimzellen wird der normale Chromosomensatz von 46 auf 23 Chromosomen halbiert. Dies geschieht in zwei Reifeteilungen (Meiose). Dabei können verschiedene Fehlverteilungen der Chromosomen entstehen.
Beim Down-Syndrom ist das Chromosom 21 nicht zweimal, sondern dreimal vorhanden. Dieses zusätzliche dritte Chromosom bewirkt erhebliche Störungen des normalen biochemischen Gefüges und führt zu deutlichen Abweichungen in der Entwicklung – obwohl es zu den kleinsten Chromosomen gehört (nur 1,5% der menschlichen Erbinformation liegen darauf). Die bei einer Trisomie 21 auftretenden prä- und postnatalen Veränderungen und Beeinträchtigungen sind trotzdem vielfältig und werden u. a. auf eine Überproduktion bestimmter Zellenzyme (Superoxydismutase – SO D1) zurückgeführt. Da diese besonderen Bedingungen für alle genetischen Formen des Down-Syndroms gelten, führen die verschiedenen chromosomalen Bedingungen auch meistens nicht zu deutlichen Unterschieden in der Entwicklung der betroffenen Kinder. Die große Heterogenität innerhalb der Gruppe von Menschen mit Down-Syndrom ist deshalb, bis auf einige sehr seltenen Ausnahmen, nicht die Folge einer besonderen genetischen Form des Down-Syndroms, sondern überwiegend mit einem individuell ungleichen Potenzial und unterschiedlich ausgeprägten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erklären.
2.1 Freie Trisomie 21
Die Verteilungsfehler, die zum Entstehen einer Trisomie 21 führen, können im Verlaufe jeder der beiden Reifeteilungen bei der Mutter (90–95%) oder beim Vater (5–10%) erfolgen, entstehen aber überwiegend wohl bei der ersten Teilung. Aus noch unbekannten Gründen unterbleibt dabei das Auseinanderweichen der beiden Chromatiden des Chromosoms 21 (non-disjunction) und beide Chromatiden befinden sich dadurch zusammen in nur einer der beiden Tochterzellen. So entsteht eine Keimzelle, die ein Chromosom zu wenig, und eine andere, die ein Chromosom zu viel hat. Hat die Keimzelle nur 45 Chromosomen (46–1), ist sie nicht lebensfähig. Dagegen ist die Keimzelle mit dem überzähligen Chromosom entwicklungsfähig und bei einer Befruchtung entsteht eine Eizelle mit 47 Chromosomen. Diese so genannte freie Trisomie 21 ist zumeist die Ursache des Down-Syndroms; ihre Häufigkeit wird mit ca. 92% aller Fälle angegeben (Murken 1990, 12).
2.2 Mosaikstruktur
In einigen Fällen, so stellte man bei zytologischen Untersuchungen fest, ist das Down-Syndrom auf eine Mosaikstruktur zurückzuführen; dann haben zwei oder mehr verschiedene Zellstämme eine unterschiedliche Chromosomenzahl (Wunderlich 1977, 23). So können z. B. die Zellen von Haut, Schleimhäuten oder Blut verschiedene Chromosomensätze haben. Die Mosaikbildung ist wahrscheinlich auf Fehlverteilungen bei den Zellteilungen nach der Befruchtung zurückzuführen (mitotische Nondisjunction – Schwinger 1992, 34). Entsprechend ist der Anteil der trisomen Zellen umso größer, je früher die Teilungsstörung aufgetreten ist (Wendeler 1988, 165). Es ist jedoch auch möglich, »dass bei einer ursprünglich vollständigen Trisomie 21 nach einer der ersten Zellteilungen in einer Zelle das überzählige Chromosom 21 nicht mehr vorhanden ist und nun Zellen mit Trisomie 21 und Zellen mit der normalen Disomie 21 nebeneinander liegen« (Murken 1990, 14). Es gibt keine genauen Prozentangaben, bei welchem Anteil von trisomen Zellen es zu syndromspezifischen Auswirkungen kommt, aber es ist davon auszugehen, »daß das klinische Bild eines Down-Syndroms um so stärker abgeschwächt ist, je größer der Anteil der normalen Zellinie ist« (ebd.). Die intellektuellen Fähigkeiten von Kindern mit Mosaikform unterscheiden sich manchmal positiv von denen mit freier Trisomie und bei einem sehr geringen Anteil trisomer Zellen kann eine normale Entwicklung möglich sein (vgl. Fallbeispiele in Wilken 2017, 19 f.). Die Häufigkeit einer Mosaikstruktur beim Down-Syndrom wird mit 1–3% angegeben.
2.3 Translokation
In einigen Fällen geht das Auftreten des Down-Syndroms auf eine Translokationssituation zurück. Translokationen entstehen, »wenn Chromosomen zerbrechen und wenn die Bruchstücke dann falsch zusammenheilen« (Fuhrmann, Vogel 1968, 51). Zum Erscheinungsbild des Down-Syndroms führt eine solche Translokation, wenn das zusätzliche Chromosom 21 oder ein wesentliches Stück davon sich mit einem der übrigen Autosomen verbindet und »hieraus ein neues, ganzes und genetisch wirksames Formelement« (Wunderlich 1977, 29) entsteht. Bei einer balancierten Translokation handelt es sich dagegen nicht um ein zusätzliches drittes Chromosom, weil in diesem Fall das Chromosom 21 nur an ein anderes Chromosom gebunden ist. Der Chromosomensatz ist deshalb balanciert und der Träger ist phänotypisch gesund. Beim Down-Syndrom konnten bisher Translokation des 21. Chromosoms auf verschiedene andere Chromosomen festgestellt werden (z. B. auf das Chromosom 13, 14 oder 15, aber auch eine 21/22- und eine 21/21-Translokation). Balancierte Translokationen bei einem Elternteil können beim Kind zu einem erblich bedingten Auftreten des Down-Syndroms führen, oft jedoch sind die Translokationen beim betroffenen Kind neu entstanden (ca. 50%). Im Vergleich mit der freien Trisomie 21 können sich Kinder mit Translokationen in ihren biochemischen Bedingungen unterscheiden (Pueschel u. a. 1987, 25). Deshalb kann es möglich sein, dass die Entwicklung im Einzelfall etwas günstiger verläuft als bei einer freien Trisomie.
Fortschreitende Techniken in der Zytogenetik und genauere Identifizierung der Chromosomen zeigten, dass in seltenen Fällen nur ein Teil des Chromosoms 21 dreifach vorhanden und in einem anderen der 46 Chromosomen integriert ist. Wirksam werden und zum Erscheinungsbild des Down-Syndroms führen kann diese partielle Trisomie, wenn es sich bei dem translozierten Teil um das Segment des Chromosoms 21 handelt, das für die Ausprägung der Behinderung entscheidend ist (Down-Syndrom Critical Region, zytogenetisch als 21q22.3 bezeichnet).
Für humangenetische Familienberatungen ist es sehr wichtig, die verschiedenen Formen der Translokationen voneinander zu unterscheiden (Leitlinien 2016, 16). Der prozentuale Anteil der Translokationsbefunde beim Down-Syndrom liegt bei 5% (Murken 1990, 14).
2.4 Ätiologische Faktoren
Die verschiedenen Formen der Trisomien, die dem Auftreten des Down-Syndroms zugrunde liegen, lassen sich zwar feststellen, aber es ist bisher nicht möglich, die Faktoren anzugeben, die diese Teilungsstörungen verursachen.
Immer wieder werden allerdings Vermutungen geäußert, dass neben den bekannten altersbedingten Faktoren auch eine Vielzahl unterschiedlicher ätiologischer Risiken wie Strahlenschädigungen oder vielfältige Umweltbelastungen eine auslösende Wirkung haben könnten. Bisher gibt es aber keine bewiesenen Zusammenhänge. Auch die Berliner Studie nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl konnte keinen eindeutigen Nachweis erbringen. Deshalb muss nach derzeitigen Erkenntnissen davon ausgegangen werden, dass viele dieser Faktoren zwar chromosomale Schädigungen und dadurch bedingte Behinderungen auslösen können, aber sie führen wohl nicht zu einer zahlenmäßigen Abweichung (Trisomie 21) von ansonsten unbeschädigten Chromosomen.
Das Down-Syndrom gibt es auf allen Erdteilen, bei allen Rassen und, wie einige alte Darstellungen und Funde belegen (Wendeler 1988, 14 f.), schon seit Jahrhunderten. Es ist deshalb eher wahrscheinlich, dass Chromosomenfehlverteilungen und Translokationen sich zufällig ereignende Störungen bei den Reifeteilungen sind.
Ob die Entschlüsselung des Chromosoms 21 zu neuen Erkenntnissen über die Ursachen des Down-Syndrom führt, nicht nur was einzelne krankheitsauslösende Gene betrifft, zeichnet sich bisher noch nicht ab.
2.4.1 Alter der Mutter und des Vaters
Ein Zusammenhang, der bereits früh festgestellt wurde, besteht zwischen dem mit zunehmendem Gebäralter der Mutter auch vermehrt auftretenden Down-Syndrom. Beträgt die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom bei einem Alter der Mutter von 20–30 Jahren noch eine auf ca. 1500 Geburten und im Alter von 30–35 Jahren eine auf ca. 800 Geburten, so steigt das Risiko im Alter von 35–40 auf eine zu 280 und im Alter von über 40 Jahren auf eine zu 150 mit weiter zunehmender Tendenz.
Mütterliches Alter
Auf den Internet-Seiten der WHO wird die Empfehlung gegeben, Schwangerschaften bei älteren Frauen zu vermeiden, um die Anzahl der Kinder mit Down-Syndrom zu verringern. »Diese einfache Methode der primären Prävention könnte die Anzahl der davon betroffenen Kinder um bis zu 50% reduzieren« (WHO 2000, Übers. E. W.). Ein solcher Rat ist generell problematisch und berücksichtigt zudem nicht die vielfältigen individuellen Gründe für eine abweichende Familienplanung.
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