Die neue Bundesrepublik
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Die neue Bundesrepublik

Zwischen Nationalisierung und Globalisierung

Reinhard Mehring, Siegfried Frech, Philipp Salamon-Menger, Helmar Schöne

  1. 138 pages
  2. German
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Die neue Bundesrepublik

Zwischen Nationalisierung und Globalisierung

Reinhard Mehring, Siegfried Frech, Philipp Salamon-Menger, Helmar Schöne

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Der vorliegende Band schildert knapp und luzide die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 30 Jahren. Reinhard Mehring teilt diese Zeit ĂŒberzeugend in zwei Phasen auf. Der erste Abschnitt wird vom Autor als eine "introvertierte Renationalisierung" charakterisiert, wĂ€hrend die Zeit seit etwa dem 11. September 2001 als eine Epoche der Globalisierung beschrieben wird. Kurzweilig und fundiert wird der Leser anhand wichtiger Eckpunkte, Ereignisse und Entwicklungen bis zur Regierungskrise 2017/18 gefĂŒhrt.

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Teil I Endlich wieder ein »normaler« Nationalstaat? Die neue Bundesrepublik in den 1990er Jahren

1 Vom 10-Punkte-Plan bis zum Beitritt der DDR6

Die 1980er Jahre und GrĂŒnde des Untergangs der DDR sind hier nicht darzustellen. Die neue Bundesrepublik beginnt aber nicht mit dem formalen Vollzug des Beitritts am 3. Oktober 1990, dem heutigen Nationalfeiertag, sondern mit dem Entscheidungsprozess, der schließlich zum Beitritt fĂŒhrte. Viele DDR-BĂŒrger, insbesondere der Oppositions- und BĂŒrgerbewegungen, die am Sturz der SED-FĂŒhrung beteiligt waren, wĂŒnschten anfangs nur eine andere SED und DDR, einen »dritten Weg« und Neustart der Suche nach einer besseren Gesellschaft. Sie wurden von den Beitrittsbestrebungen bald enttĂ€uscht, und sie verloren die ersten und letzten freien Wahlen der DDR im MĂ€rz 1990 ĂŒberraschend deutlich. Einige Exponenten der BĂŒrgerbewegung – darunter spĂ€tere Spitzenpolitiker wie Wolfgang Thierse, Joachim Gauck und Angela Merkel – traten damals in BRD-Parteien ĂŒber. Der Stimmungswandel vom DDR-internen Reformbegehren zum Wiedervereinigungs- und Beitrittswunsch zeichnete sich schon frĂŒh im Parolenwechsel ab. ZunĂ€chst hieß es noch: »Wir sind das Volk!« Wir sind das Staatsvolk der DDR, das eine andere DDR wĂŒnscht! Seit Dezember 1989 trat aber als weiterer Ruf daneben: »Wir sind ein Volk!« Eine deutsche Nation mit Anspruch auf Wiedervereinigung! Eine solche Lösung erschien Mitte November 1989 noch als pure Utopie und allenfalls ferne Zukunft. Fast niemand konnte sich vorstellen, dass die alliierten Sieger des Zweiten Weltkrieges ihre Rechte (SouverĂ€nitĂ€tsvorbehalte) aufgeben und einer – vom Grundgesetz als Verfassungsauftrag gebotenen – Wiedervereinigung7 Deutschlands zustimmen wĂŒrden. Auch Nachbarn wie Polen und die Beneluxstaaten, Opfer des Nationalsozialismus, schienen das niemals zu wollen.
Es wĂ€re viel zu eng, nur auf Deutschland zu schauen und die internationalen Rahmenbedingungen zu ĂŒbersehen. Der Zerfall der Sowjetunion und des Ostblocks war ein welthistorisches Ereignis, das die Landkarte und Konfliktlinien des 20. Jahrhunderts tiefgreifend verwandelte. Man spricht dafĂŒr heute gelegentlich vom Ende des »kurzen« 20. Jahrhunderts – von 1914 bis 1989 – und »WeltbĂŒrgerkriegs« der Nationalismen und totalitĂ€ren Ideologien und Systeme. Im Verlauf der Ereignisse zerfielen in den 1990er Jahren die Tschechoslowakei und Jugoslawien – beides aus dem Untergang der österreichischen Doppelmonarchie nach 1918 entstandene NeugrĂŒndungen –, und das Baltikum, die Ukraine, Georgien und viele andere Staaten erklĂ€rten ihre UnabhĂ€ngigkeit von der Sowjetunion, die sich im Dezember 1991 förmlich auflöste. Jederzeit rechnete man damals mit einem Putsch gegen Gorbatschow und einer anschließenden militĂ€rischen Reaktion der Sowjetunion.
FĂŒr die meisten Nachfolgestaaten des Ostblocks wurden die 1990er Jahre zu einer dramatischen Umbruch- und Krisenzeit am Rande des BĂŒrgerkriegs. Die Staatswirtschaft kollabierte und wurde von teils skrupellosen und korrupten Oligarchen privatisiert, wĂ€hrend die Infrastruktur und Sozialversorgung zusammenbrach. Nur die DDR hatte in diesen gewaltigen Transformationsprozessen einen fĂŒrsorglichen Retter, der die Verantwortung und Entscheidungsfragen ĂŒbernahm, weil das Gebot der Wiedervereinigung seit 1949 als ein oberster Verfassungsauftrag des Grundgesetzes galt. In der alten PrĂ€ambel von 1949 hieß es: »Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit zu vollenden.« Das galt auch nach den OstvertrĂ€gen der 1970er Jahre, die die Zugehörigkeit der DDR-BĂŒrger zur deutschen Nation nicht bestritten. Jeder BĂŒrger der DDR – und darĂŒber hinaus jeder »Abkömmling« eines »Volkszugehörigen« in den Grenzen von 1937 (Art. 116 Abs. 1 GG) – hatte vor und nach 1989 den unmittelbaren Anspruch auf einen bundesdeutschen Pass und volle BĂŒrgerrechte. Die Bundesrepublik konnte das Beitrittsbegehren der DDR-BĂŒrger juristisch gar nicht zurĂŒckweisen. Der Beitritt der DDR vereinfachte, so gesehen, als Komplettlösung die bĂŒrokratischen Formalien. Die meisten DDR-BĂŒrger wĂ€ren damals ohnehin in die BĂŒrgerrechte der Bundesrepublik ĂŒbergewechselt.
Im November 1989 stand aber der Beitritt der DDR anfangs als reale Möglichkeit noch gar nicht zur Entscheidung. Man fĂŒrchtete eine Intervention der Sowjetunion und sah die starken Bedenken der europĂ€ischen Nachbarn: insbesondere von Frankreich (unter PrĂ€sident François Mitterrand) und England (unter der Premierministerin Margaret Thatcher). Wie wĂŒrde Europa nach 1989 aussehen? WĂŒrde ein vereinigtes Deutschland, demographisch und wirtschaftlich die stĂ€rkste Macht innerhalb der EU, nicht erneut den Traum von politischer GrĂ¶ĂŸe und Hegemonie als »Mittelmacht« zwischen West und Ost trĂ€umen? Drohte ein Austritt aus der Westbindung? Gar ein Viertes Reich?
Die Antwort der Bundesrepublik auf den Zerfall der DDR war selbst im Bundestag umstritten. Man fĂŒrchtete zunĂ€chst noch, die »friedliche Revolution« könne am Ende in eine Katastrophe mĂŒnden. Der Bundeskanzler bestimmt aber laut Grundgesetz die »Richtlinien der Politik« (Art. 65 GG); er hat die sogenannte Richtlinienkompetenz und also die Aufgabe, Krisen zu bewĂ€ltigen und Politik zu gestalten. Diese Aufgabe ergriff Kanzler Helmut Kohl, seit 1982 im Amt, noch im November 1989 mit einem 10-Punkte-Plan. Unstrittig handelte er hier auf eigene Verantwortung und Gefahr, nur in Abstimmung mit dem US-PrĂ€sidenten George H. W. Bush (1924–2018), wenigen Beratern (Horst Teltschik) und nicht zuletzt seiner Frau (Hannelore Kohl). Er wollte damals mit einem ĂŒberraschenden Coup FĂŒhrungskraft beweisen, die Initiative ĂŒbernehmen und die Agenda bestimmen, indem er Bundestag wie Weltöffentlichkeit mit einem ersten Vorschlag zur Neuordnung Europas ĂŒberraschte.
Ein solcher Coup ist aus den Quellen nicht detailliert rekonstruierbar. Keine Kamera war dabei. Manches wissen wir nur aus den Erinnerungen und Memoiren der Akteure, die interessegeleitet sind. Kohl, ein promovierter Historiker mit starkem vergangenheitspolitischem Engagement, wollte selbst als der »Kanzler der Einheit« in die GeschichtsbĂŒcher eingehen, der die Gunst der historischen Stunde gegen starke WiderstĂ€nde und BedenkentrĂ€ger ergriffen hatte. Es war nicht ganz so, wie es legendĂ€r kolportiert wurde, dass er den Plan seiner Frau in nĂ€chtlicher Stunde ohne Absprachen mehr oder weniger spontan in die Reiseschreibmaschine diktiert hĂ€tte. Vielmehr stimmte er ihn ĂŒber mehrere Tage mit wenigen Beratern ab und stellte ihn dann zunĂ€chst seiner Bundestagsfraktion in den GrundzĂŒgen vor. Es war dennoch fĂŒr die Weltöffentlichkeit eine fast sensationelle Wendung, als Kohl am 28. November 1989 im Deutschen Bundestag einen ersten Vorschlag zur europĂ€ischen Antwort und Lösung unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesrepublik einbrachte. DafĂŒr sprach er im Entwurf von einer »Vertragsgemeinschaft« und »konföderativen Strukturen« bzw. Konföderation – enger VerbĂŒndung – sowie Beitrittsperspektiven der beteiligten Ostblockstaaten auf Basis der westlichen Verfassungsprinzipien. Die Rede von deutscher »Einheit« und vom »Beitritt« der DDR wurde zunĂ€chst noch gemieden. Sie erschien damals Ende November 1989 auch geradezu utopisch; fast niemand rechnete mit der Zustimmung der Alliierten zur Wiedervereinigung. Bei einem Veto von Frankreich und England, alliierten Siegern mit SouverĂ€nitĂ€tsvorbehalten gegen Deutschland, wĂ€re ein Beitritt der DDR nicht möglich gewesen. Aber auch mit einer Zustimmung der Sowjetunion zum Beitritt rechnete damals selbst der Bundeskanzler noch nicht. TatsĂ€chlich wurde der Plan zunĂ€chst eher vorbehaltlich und ablehnend aufgenommen. Erst Mitte Dezember sprach Kohl in Dresden ausdrĂŒcklich von seiner Hoffnung auf eine »Wiedervereinigung«.
Die Monate nach dem Mauerfall waren eine Sternstunde der Politik. Oft wird in kritischen Lagen unklug gehandelt. Der Erste Weltkrieg (1914–1918) gilt als »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts, weil sein Ausbruch aus einer Kette von diplomatischen FehleinschĂ€tzungen und politischem Versagen resultierte. Beim Mauerfall und Untergang des Ostblocks, gerade beim Beitritt der DDR handelten die Akteure dagegen auf allen Ebenen – Bevölkerung wie Politiker – sehr besonnen, als ob die Menschheit am Ende des »kurzen« 20. Jahrhunderts aus Katastrophen gelernt habe. Dass die Mauer in der DDR friedlich fiel und – anders als etwa im Juni 1989 in China – nicht geschossen wurde, lag dabei zunĂ€chst an der Sowjetunion: HĂ€tte es dort unter Gorbatschow nicht lĂ€nger schon ein Umdenken gegeben, hĂ€tte Moskau die SED-Diktatur weiter gestĂŒtzt, wĂ€ren im Herbst 1989 gewiss Panzer aufmarschiert und Demonstranten – in Leipzig oder Berlin8 – getötet worden. Die SED-FĂŒhrung war unter Erich Honecker und Stasi-Chef Erich Mielke zur »chinesischen Lösung« des Einsatzes von Gewalt bereit. Stasi und DDR-Polizei hatten ja auch die Opposition ĂŒberwacht, Demonstranten verprĂŒgelt und verhaftet. Die Ausreisewilligen und RepublikflĂŒchtlinge vom Sommer 1989 – ĂŒber Ungarn und die CSSR – wurden von der SED diffamiert und kriminalisiert. Die SED reagierte auf die Massendemonstrationen dann zwar mit personellen Rochaden der Spitze – von Erich Honecker ĂŒber Egon Krenz zu Hans Modrow – und Reformversprechen, die aber von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert wurden.
Die Demonstranten verzichteten jedoch – selbst beim Sturm auf die Berliner Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 – auf gewaltsame Rache. Kein DDR-Polizist und kein Stasi-Mann wurden ernstlich auch nur verprĂŒgelt. FĂŒr einige Wochen wurde der »Runde Tisch«, der alle Akteure versammelte, zum Forum und Symbol der Neuorientierung. Die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) stand damals vor der Auflösung; sie wurde u. a. durch Gregor Gysi (*1948), dem spĂ€teren Stern der Linken, am 4. Februar 1990 als PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) neu gegrĂŒndet und so mit dem erheblichen Parteivermögen gerettet. Kohls Besuch in Moskau brachte dann noch im Februar einen wichtigen Schritt und Durchbruch zu einer Einwilligung in die Vereinigung. Sie erschien seitdem gegenĂŒber der Sowjetunion mehr als Geldfrage. FĂŒr den 18. MĂ€rz 1990 wurden erste freie Wahlen beschlossen, aus denen die – bis 1989 als »Blockpartei« zu den »Blockflöten« im Konzert der SED gehörende – DDR-CDU (40,8%) – indirekt Kohls West-CDU – als großer Gewinner hervorging.
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Abb. 2: Die DDR-CDU wirbt fĂŒr die letzten DDR-Wahlen 1990 mit dem Slogan der »sozialen Marktwirtschaft« der alten BRD und Adenauer-Ära.
SPD (21,9%) und die verschiedenen zersplitterten BĂŒrgerbewegungen waren unerwartet schwach, die SED-Nachfolgepartei PDS (heute: Die Linke) dagegen stark (16,4%). Es wurde dann der DDR-CDU-Politiker Lothar de MaiziĂšre (*1940) zum letzten MinisterprĂ€sidenten der DDR gewĂ€hlt. Er bildete eine Große Koalition unter Beteilung der SPD und Liberalen, um der Beitrittspolitik eine breite parlamentarische Zustimmung zu sichern.
Diese DDR-Regierung wurde zwar formell weiter beteiligt, wirkte aber fortan mehr als Statist. Die Bundesrepublik hatte die Regie ĂŒbernommen und deutsch-deutsche Fragen schienen gegenĂŒber den weltpolitischen Fragen der internationalen Akzeptanz einer Wiedervereinigung sekundĂ€r. Zentrale Entscheidungen wurden damals informell im kleinen Kreis und stĂ€ndiger Gipfeldiplomatie beschlossen.
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Abb. 3: Kohl und Genscher bei Gorbatschow: letzte GipfelgesprÀche vom 15. Juli 1990 vor dem Beitritt.
Helmut Kohl, der hoch geachtete FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (1927–2016) und Wolfgang SchĂ€uble (*1942) waren oberste VerhandlungsfĂŒhrer. Die erste PrioritĂ€t hatte aber die Haltung der WeltmĂ€chte USA und Sowjetunion. WĂ€hrend die USA unter George H. W. Bush – nicht der Sohn und Amtsnachfolger George W. Bush (*1946) – sich hier geradezu vorbehaltlos mit echt amerikanischem Optimismus und Idealismus hinter das Selbstbestimmungsrecht Deutschlands stellte, brauchte Michail Gorbatschow starke Gegenleistungen, nicht zuletzt Milliardenzusagen und -hilfen, um den Zerfall der Sowjetunion aufzufangen und der Gefahr eines Putsches entgegenzuwirken. Weltpolitik wird in kritischen Momenten nicht nur von den revolutionĂ€ren Energien der AktivbĂŒrgerschaft und dem ökonomischen Druck, sondern auch durch persönliche Beziehungen und Entscheidungen auf oberster Ebene bestimmt. Kohl setzte gezielt auf vertrauensbildende Maßnahmen, Kumpanei und »MĂ€nnerfreundschaft« gerade im Umgang mit dem in der Weltöffentlichkeit als Reformer geradezu kultisch verehrten Gorbatschow – sowie spĂ€ter dessen Nachfolger Boris Jelzin (1931–2007). »Gorbi, Gorbi!«, lautete damals der Ruf. Wurde mitunter allzu einseitig und zynisch gesagt, die DDR-Bevölkerung habe 1990 die D-Mark gewĂ€hlt, so agierte die Bundesrepublik nicht zuletzt mit der Scheckbuchdiplomatie ökonomischer Zusagen – gegenĂŒber Sowjetunion wie DDR (u. a. durch den Umtauschkurs der WĂ€hrungsunion).
Die Kette schwieriger Verhandlungen und starker Garantien und Zusagen der Bundesrepublik Deutschland an die Sowjetunion und die europĂ€ischen Nachbarn ist hier nicht zu schildern. Es gab innerdeutsche VertrĂ€ge (Staatsvertrag ĂŒber die WĂ€hrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Einigungsvertrag) und, wichtiger noch, den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der bis September 1990 in mehreren Runden ausgehandelt wurde. Verhandlungspartner waren die alliierten SiegermĂ€chte des Zweiten Weltkriegs – USA und Sowjetunion, England und Frankreich – sowie Bundesrepublik und DDR. Er garantierte der neuen Bundesrepublik erstmals volle SouverĂ€nitĂ€t bei definitiver Anerkennung der Außengrenzen. Wichtig war die Beachtung der berechtigten Sorgen und Interessen der europĂ€ischen Nachbarn: so die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze zu Polen, die jedoch kaum noch umstritten war. Zentrale Fragen betrafen etwa die NATO-Mitgliedschaft, die Übernahme der DDR-Volksarmee durch die Bundeswehr und den langsamen Abzug der sowjetischen Truppen aus dem Beitrittsgebiet und ehemaligen Ostblockstaaten ĂŒberhaupt. Entwaffnete und beschĂ€ftigungslose Soldaten sind in Transformationsprozessen stets ein Risiko. Es war eine große Leistung, diese – hochgerĂŒsteten und vom Feindbild des Westens geprĂ€gten – Massen ohne Ausschreitungen, Rebellion oder gar BĂŒrgerkrieg fast lautlos zu integrieren. Der Machtapparat der DDR – Volksarmee, Stasi und Polizei, dazu die sowjetischen Soldaten in der DDR – hatte Millionen beschĂ€ftigt. Es zeigte sich aber, dass selbst diese TrĂ€ger der Diktatur kaum noch an das System glaubten und dessen Untergang widerstandslos akzeptierten. Sie kapitulierten auf breiter Front, weil sie das Systemversagen und die SystemlĂŒge der DDR erkannten. Die humanistische Fassade der Rede von »Sozialismus« und »Volksdemokratie« wurde der DDR dabei gleichsam zum Eigentor. Was die Bevölkerung wirklich wollte, war 1989/90 deutlich sichtbar: Sie wollte mehrheitlich den ökonomischen und politischen Standard der Bundesrepublik.
Deshalb war die juristische Frage des Weges zur Einheit auch fast nur akademischer Natur. Das Grundgesetz bot zwei Wege verfassungsrechtlich an: den Weg des Beitritts nach Art. 23 GG oder der Volksabstimmung nach Art. 146 GG. Linksliberale und linke Kreise, auch in der West-SPD, wĂŒnschten zwar eine Neuverhandlung des Grundgesetzes und eine Volksabstimmung, die es 1949 nicht gegeben hatte. Die meisten wollten aber den pragmatischen Weg des Beitritts, der schließlich gewĂ€hlt wurde. Der Ausgang der MĂ€rzwahlen hatte ihn bekrĂ€ftigt. FĂŒr diesen einfacheren Weg sprach vor allem der enorme Handlungsdruck: der Wille der DDR-Bevölkerung zur schnellen Zugehörigkeit...

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Mehring, R. (2019). Die neue Bundesrepublik ([edition unavailable]). Kohlhammer. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1075083/die-neue-bundesrepublik-zwischen-nationalisierung-und-globalisierung-pdf (Original work published 2019)

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Mehring, Reinhard. (2019) 2019. Die Neue Bundesrepublik. [Edition unavailable]. Kohlhammer. https://www.perlego.com/book/1075083/die-neue-bundesrepublik-zwischen-nationalisierung-und-globalisierung-pdf.

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Mehring, R. (2019) Die neue Bundesrepublik. [edition unavailable]. Kohlhammer. Available at: https://www.perlego.com/book/1075083/die-neue-bundesrepublik-zwischen-nationalisierung-und-globalisierung-pdf (Accessed: 14 October 2022).

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Mehring, Reinhard. Die Neue Bundesrepublik. [edition unavailable]. Kohlhammer, 2019. Web. 14 Oct. 2022.