Drittes Kapitel Die Eltern
Alljährlich im September, wenn die Schulzeit beginnt
Stehen in den Vorstädten die Weiber in den Papiergeschäften
Und kaufen die Schulbücher und Schreibhefte für ihre Kinder.
Verzweifelt fischen sie ihre letzten Pfennige
Aus den abgegriffenen Beutelchen, jammernd
Daß das Wissen so teuer ist. Dabei ahnen sie nicht
Wie schlecht das Wissen ist, das für ihre
Kinder bestimmt wird.
Bertolt Brecht, Alljährlich im September
Eltern sind ein erheblicher Wirkungsfaktor im schulischen Geschehen; sie sind mitverantwortlich für Gelingen oder Misslingen von Schullaufbahnen. Die Pisa-Studien aber haben die Eltern ausgemustert und durch die „soziale Herkunft“ ersetzt. Damit wurde die Frage nach der „Bildungsgerechtigkeit“ neu aufgeworfen. Die deutsche Schule wird neuerdings wieder als rundum ungerecht empfunden, als eine „unbarmherzige Sortiermaschine“, die den Bildungserfolg ganzer sozialer Schichten verhindere, weil es ihr nicht gelinge, die Ungleichheiten der „sozialen Herkunft“ zu nivellieren. Die Pisa-Studien haben den Bildungserfolg zu einem statistischen Schicksal umdefiniert, so dass sich die deutsche Bildungsdiskussion weitgehend auf die Frage konzentriert, was man dagegen tun könne.
Besonders laut geworden ist der Ruf nach „Mehr Staat!“. Mit seinen Vorschulen und Ganztagseinrichtungen, die zunehmend elterliche Funktionen übernehmen, wird dem Staat aufgetragen, wahlweise mehr „Bildungsgerechtigkeit“ herzustellen oder die „Humankapitalschwäche“ des „Standorts Deutschland“ zu beseitigen.
Gelingen wird das nicht. Die Schule kann keine gesellschaftlichen Disparitäten auflösen, das ist die Lehre von 40 Jahren Bildungsexpansion. Das ist aber auch nicht ihre Aufgabe. Wenn sie ihren Schülern nach Maßgabe von deren Leistungsvermögen kulturelle Basisqualifikationen vermittelt, hat sie erreicht, was man billigerweise von ihr erwarten kann. Das ist schwer genug. Was darüber hinaus geht, ist Ideologie.
Kaffee und Kuchen
Die Eltern gehören zur Schule, aber man sieht sie nicht. Ihr Verhältnis zur Schule lässt sich als eine anwesende Abwesenheit bezeichnen, denn auch wenn sie in der Schule fast nie anwesend sind, so liegt ihr Schatten doch über der schulischen Wirklichkeit. Besser sichtbar werden die Eltern außerhalb des Schulalltags, bei den Festen und Feiern, bei denen sie Kaffee und Kuchen servieren und als Auditorium musischer Einstudierungen der Schülerschaft auftreten.
Hinter dem Begriff „Eltern“ verbirgt sich heute ein ziemlich kompliziertes Geflecht sozialer Beziehungen. Früher waren Eltern Menschen aus Fleisch und Blut, die die Schulzeit ihrer Kinder mit Engagement, mit Sorge oder mit Gleichgültigkeit begleiteten. Heute haben sich Eltern ausgedünnt zur „sozialen Herkunft“, jenem statistischen Konstrukt von Sozialwissenschaftlern, das seit Pisa die pädagogische Diskussion beherrscht. Seit dieses Soziologenkonstrukt der „sozialen Herkunft“ die tatsächlichen Eltern aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verdrängt hat, wird deren Stellung im wirklichen Leben der Schule noch schwieriger. Die Unsichtbarkeit der Eltern in der Normalität des Schulalltags hat dazu geführt, dass sie als Gegenstand der wissenschaftlichen wie der bildungspolitischen Diskussion ein Schattendasein führen. Wenn sie wahrgenommen werden, dann nicht als Teil der Schule, sondern als ihr Widerpart.
Sichtbar werden die Eltern vor allem in jenem schwer fassbaren Bereich, den Otto Bollnow als „pädagogische Atmosphäre“ bezeichnet hat. Die neuere Forschung hat die etwas nüchterne Formulierung des „Schulklimas“ oder der „Schulkultur“ dafür gefunden, in der Hoffnung, dass es sich ebenso messbar machen lasse wie das meteorologische Klima. Messen lassen sich die „pädagogische Atmosphäre“ und der Anteil der Eltern an ihr nicht; aber sie lassen sich beschreiben. Die pädagogische Atmosphäre wird nicht ausschließlich, aber zu einem wesentlichen Teil mitbestimmt durch die Veranstaltungen des Schullebens. Schulleben ist nicht das, was sich „von selbst“ vollzieht wie das wirkliche Leben. Schulleben wird inszeniert; es ist das, was im Wesentlichen von der Schulleitung und den Lehrern bewusst veranstaltet wird, was in Schulordnungen, Richtlinien, juristischen und versicherungsrechtlichen Festlegungen und schließlich Handreichungen für die Lehrerschaft festgelegt wird.
Spontan ist es also nicht, aber es ist wesentlich darauf angelegt, Spontaneität zu simulieren. Auf diese Weise soll es ein Gegengewicht schaffen zur weitgehend regulierten Wirklichkeit des Unterrichts. In diesem Raum simulierter Spontaneität rücken Schule und Elternschaft am engsten zusammen. In Festen und Feiern finden Lehrer, Eltern und Schüler zueinander.
Mit gutem Grund hat sich die Schule vorsichtig entfernt von der politischen Feierkultur, wie sie im Kaiserreich durch den Sedanstag, in der Weimarer Republik durch den Verfassungstag und im „Dritten Reich“ durch den Geburtstag Adolf Hitlers bestimmt waren. Aber auch der christliche Festtagsrhythmus ist nicht mehr unangefochten, seitdem die politische Korrektheit der pluralistischen Gesellschaft darauf aufmerksam gemacht hat, dass große Teile der deutschen Schülerschaft nicht mehr in der christlichen Kultur ihre Wurzeln haben. Unverfänglicher ist der Jahresrhythmus, den sich die Schule durch ihre eigenen Feste gibt. Dazu gehören Sommerfeste, Tage der offenen Tür, sportliche Wettkämpfe oder Theater- und Musikaufführungen. In diesen Veranstaltungen zelebriert die Schule eine Schulgemeinschaft, die ausnahmsweise auch die Eltern sichtbar mit einschließt. Die markantesten Ereignisse dieser Art sind die Initiations- und Übergangsriten. In aller Regel wird die Aufnahme der neuen Schüler wenn nicht als Fest, so doch als Gemeinschaftsveranstaltung inszeniert, in der die Eltern der Eingangsklassen ihre Kinder sichtbar der Schule übergeben. Am Ende der Schullaufbahn ist es umgekehrt – in einem feierlichen Abschlussakt werden in Anwesenheit der Eltern die Schüler aus der Schule entlassen, aber nicht zurück in die Familie, sondern, das ist der Sinn von Schule, in die Gesellschaft. Aus den Schülern sind jetzt mehr oder weniger erwachsene Menschen geworden, gleichermaßen entfernt von der Familie wie von der Schule. Das alles hat seinen Sinn und prägt die Atmosphäre, in der Schule unter Teilnahme der Eltern stattfindet.
Nun kann man alles übertreiben, und speziell die deutsche Grundschulpädagogik neigt zu solchen Übertreibungen auch in der Festkultur. Die Reformpädagogik hat die deutsche Schule ausdrücklich zu solchen Übertreibungen aufgefordert: „Feste und Feiern sind das Markenzeichen des Jena-Plans. Wer selbstbewußt erkennt, in seiner Schule würde das halbe Leben gefeiert, zeigt sein pädagogisches Gütesiegel.“ (Klaßen, Jenaplan-Schulen, 192) Auch außerhalb des Jenaplans folgt das deutsche Schulwesens dieser Aufforderung willig:
„Zu den Festen, die in der Grundschule gefeiert werden, gehören z. B. Geburtstage, Einschulungs- und Abschiedsfeste, Sportfeste, Sommerfeste, Herbstfeste, Laternenfeste, Advents- und Weihnachtsfeiern und Fasching, Feste und Feiern werden in der Grundschule gemeinsam von Lehrpersonen und Kindern und oft auch unter Einbeziehung der Eltern geplant und durchgeführt.“ (Kaiser/Pfeiffer, Grundschulpädagogik, 196)
Es mag ja so sein, dass das „Freude-Bereiten und Freude-Erfahren“ und „besonders das Öffentlichmachen seiner selbst und dessen, was man für bedeutsam hält und ausdrücken möchte“, für Lehrkräfte an den Grundschulen ein attraktiver Teil ihrer Arbeit ist. (Schwarz, Grundschule, 53) Aber der eigentliche Zweck von Schule sind „Feste und Feiern“ nun wieder nicht. Das immerwährende Festefeiern verfehlt am Ende sowohl den Sinn der Schule wie den Sinn des Festes.
Die Eingangs- und Abschiedsrituale haben aber einen hohen symbolischen Wert. Sie sind fast die einzigen Gelegenheiten, bei denen das schulische Verhältnis als ein soziales Dreiecksverhältnis sichtbar wird: Lehrer, Schüler und Eltern werden sichtbar als die sozialen Trägergruppen von „Schule“. In diesem asymmetrischen Rhythmus von weitgehender Ausschließung und sporadischer Einbeziehung der Eltern ist das Verhältnis der Schule zur Elternschaft geregelt.
Rechte und Pflichten
Im Alltagsgeschäft der Schule spielen Eltern eine zwielichtige Rolle. Ihr Auftrag und ihr Einfluss enden definitiv morgens um acht Uhr, wenn die Schule beginnt. Aber nach Schulschluss wird von ihnen die Wahrnehmung eines Erziehungs- und auch Unterrichtsauftrags erwartet, mit dem sie einen erheblichen Einfluss auf den Schulerfolg des Kindes haben.
Eltern haben Rechte. So versteht nicht nur das moderne Schul-, sondern auch das Verfassungsrecht die Mitwirkung der Eltern an der Schule. Das Grundgesetz sieht vor, dass die „Pflege und Erziehung“ der Kinder das „natürliche Recht“ der Eltern sei. Im gleichen Atemzug benennt es aber auch die Pflicht des Staates, über diese elterliche Erziehung zu „wachen“. Diese Aufgabenteilung von Staat und Eltern bei der Erziehung ist grundgesetzlich nicht weiter definiert. Damit wurden jahrzehntelange Konflikte vorprogrammiert. Die Schulrechtsgeschichte spiegelt die mühsame Anerkennung der Eltern als eines wirkenden Faktors in der Schule, die erst in der Weimarer Republik begonnen hat. Der Grundgesetzartikel 6, der Schule und Eltern gleichermaßen das Recht wie die Pflicht zur Erziehung der Kinder auflädt, und Artikel 7, der die Aufsicht des Staates über die Schule festschreibt, haben lange Anlass zu Spannungen zwischen Eltern- und Schulansprüchen gegeben. 1972 hat das Bundesverfassungsgericht den Artikel in dem Sinne interpretiert, dass Schule und Elternhaus zusammenwirken müssen. (Krumm, Elternhaus, 1027) Inzwischen haben die Schulgesetze aller Bundesländer das Recht und die Pflicht der Eltern zur Mitwirkung in der Schule in irgendeiner Form kodifiziert. (Kaiser/Pfeiffer, Grundschulpädagogik, 136–138)
Dass Eltern etwas mit Schule zu tun haben sollen, ist ohnehin eine eher neuere Entwicklung. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren Eltern zumindest im Volksschulbereich eher schulfeindlich gesonnen. Denn die Schule trat in Konkurrenz nicht zu den emotionalen, sondern zu den ökonomischen Ansprüchen der Familie. Kinder, die morgens in die Schule gehen müssen, können nicht auf dem Feld arbeiten oder in der Fabrik zum Familienverdienst beitragen. Dieser Faktor hat bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Bildungsbiographien schichtspezifisch beeinflusst.
Und umgekehrt hat es auch seitens des Staates immer wieder Bestrebungen gegeben, das Elternrecht einzuschränken. Denn Elternrechte sind ein Gegengewicht zu den staatlichen Ansprüchen, welche die Schule auf die Schüler erheben darf. In diktatorischen Regimen, im „Dritten Reich“ und in der DDR, wurden sie deshalb reduziert oder ganz aufgehoben. Leicht werden die Schulen dann zu Kontrollinstanzen für die Eltern; diese werden „im Zweifelsfall zur Räson gerufen und mit zum Teil massiven Sanktionen belegt“. (Bauer/Brunner, Elternpädagogik, 8)
Über das Erziehungsrecht von Eltern und Schule wurde in der Bundesrepublik lange und kontrovers diskutiert. Ausgerechnet der Liberale Ralf Dahrendorf hat den Eltern großes Misstrauen entgegengebracht. Im Kreis der Familie würden Werte gepflegt, die denen einer öffentlichen Schule entgegen stünden. Die eher privaten Tugenden der Innerlichkeit und Intimität träten in Konkurrenz zu den öffentlichen, in denen die Regeln des politischen und sozialen Umgangs eingeübt werden. „Man kann Familie und Schule so wollen, wie sie in Deutschland sind, aber man kann nicht gleichzeitig dies und die Verfassung der Freiheit wollen.“ (Dahrendorf, Demokratie, 358) Das sind harsche Worte eines Liberalen; gesprochen im vollen Bewusstsein dessen, dass die öffentliche Erziehung sowohl im Nationalsozialismus wie auch in der DDR den Westdeutschen gute Argumente gegen eine allzu bereitwillige Preisgabe der Kindererziehung an den Staat an die Hand gaben. (Dahrendorf, Demokratie, 359)
In der Bundesrepublik haben sich diese historischen Ungleichgewichte längst eingependelt. Dass Eltern Rechte haben, die sie zugunsten ihrer Kinder auch gegenüber der Schule geltend machen dürfen und müssen, ist anerkannt und alltägliche Praxis. Man kann sich inzwischen immerhin die Frage stellen, ob nicht eine neue Ungleichheit eingetreten ist – ob nicht der eine Teil der Elternschaft die Schule als verlängerten Arm ihrer privaten Interessen betrachtet; und der andere umgekehrt die eigenen, genuin familiär-privaten Interessen an Erziehung komplett aufgegeben und sie kommentarlos der Schule überlassen hat.
Ganz sicher wird die schulische Wirklichkeit mitgeprägt vom Tun und Lassen der Eltern. Wie aber dieses Tun und Lassen beschaffen sein soll und welchen Einfluss es dann tatsächlich auf den Erfolg oder Misserfolg der Schule hat, ist schwer greifbar.
Greifbar wird es allenfalls in konkreten, auch schon verwaltungsförmigen Akten, in denen die Schulen und ihre Lehrer den Eltern entgegentreten. Eltern sind Adressaten von Mitteilungen. Sie erhalten schriftliche Hinweise, wenn das Verhalten ihrer Kinder in der Schule zu wünschen übrig lässt oder wenn die schulischen Leistungen dramatisch nachlassen. Aber diese formellen Akte bleiben vereinzelt und punktuell. In den Schulgesetzen wird grundgesetzkonform die Vorstellung formuliert, dass Eltern und Schule „gemeinsam“ an der Erziehung der Kinder mitwirken. Zwischen Eltern und Lehrern solle ein „Vertrauensverhältnis“ hergestellt werden, wie es im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz heißt. Es wird aber dem Augenschein nach immer schwerer, einen Konsens zwischen Eltern und Schule zu erzielen, weil die Ansprüche der Eltern an die Schule immer größer und die Möglichkeiten der Lehrer zu ihrer Erfüllung immer geringer werden. Ein Konsens zwischen Eltern und Schule ist oft nicht leicht herzustellen, und das trübt etwas das von der Gesetzesprosa entworfene Bild. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob „Konsens“ unter allen Umständen ein erstrebenswertes Gut ist. Es gibt auch Fälle, wo sich Kumpaneien zwischen Schulleitung und Elternvertretern herausbilden und Konflikte wie Problemlagen dadurch eher vertuscht als gelöst werden.
Elternpflichten gegenüber der Schule sind in aller Regel in den Schulgesetzen oder Verordnungen der Länder klar definiert. Immer haben Eltern dafür zu sorgen, dass die Schulpflicht erfüllt wird. Sie müssen darauf achten, dass die Kinder die notwendigen Arbeitsmaterialien mit in die Schule bringen und dass sie ihre Hausaufgaben machen – nicht aber darauf, dass sie sie auch richtig machen. Dafür sind, zumindest juristisch gesehen, die Lehrer verantwortlich.
Dass diese Form der Elternmitarbeit aus den verschiedensten, und oft entgegengesetzten Gründen, nicht funktioniert, ist wohl Alltagserfahrung von Lehrern aller Schularten. Zu dieser Alltagserfahrung gehört es, dass Eltern über Jahre hinweg ihre Mitwirkungspflichten ignorieren und sich allen Gesprächsaufforderungen widersetzen. Ebenfalls Alltagserfahrung ist es, dass Eltern grundsätzlich andere Auffassungen von der Aufgabe der Schule haben als die Lehrer. Es lässt sich leicht vorstellen, dass Akademikereltern, die die Lehrer in den Sprechstunden mit den Lehrplänen konfrontieren, als „schwierig“ empfunden werden. (Aurin, Schule, 115) Hier gilt die einfache Feststellung: „Die Schule ist keine Einrichtung, die sich nach den Wünschen der Eltern ausrichten darf.“ (Ahrbeck, Kinder, 122)
Auf der anderen Seite erscheint es einer größer werdenden Zahl von Eltern immer plausibler, dass die Schule ein Dienstleistungsunternehmen ist, das, wie jedes andere auch, seine Aufgabe ohne Mitwirkung der Auftraggeber, nämlich der Eltern, zu erledigen habe:
„Ohne die totale Selbstaufgabe, ohne stete Bereitschaft zu helfen, zu unterstützen und auszubügeln, was der Lehrer verbockt hat oder zu faul ist, selbst in die Hand zu nehmen, läuft rein gar nichts in der Schule. Das sagt einem natürlich kein Lehrer direkt ins Gesicht. Sie gehen einfach davon aus, dass man zur Verfügung steht. Denn ihre Botschaften darf man nur zum Nachteil der Kinder ignorieren. ‚Bis morgen muss ich …‘, ‚nächste Woche sollen wir …‘, ‚Frau Friedensreich-Bedürftig hat gesagt, dass ich ...‘ – Alle diese Sätze im Gespräch zwischen Schülern und ihren Eltern enthalten beinharte Forderungen an die Eltern, vor allem an die Mütter, die sich dann zu kümmern haben.“ (Kühn, Lehrerhasserbuch, 64)
Diese Darstellung spiegelt sicher die Auffassung eines großen Teils der Elternschaft; aber so ist es nun einmal, wenn man Kinder hat. Dass die hier persönlich angegriffenen Lehrer nichts anderes tun als das, was ihnen die Schulgesetze vorschreiben – nämlich auf die Mitwirkung der Eltern zu pochen –, wird von der Kritikerin übersehen; wahrscheinlich deshalb, weil sie es nicht weiß. Aber das ist der Stoff, aus dem Bestseller für den Buchmarkt gestrickt werden.
Generell sind diese Divergenzen nicht mehr in den Griff zu bekommen. Sie lassen sich, wenn überhaupt, wohl nur noch von Fall zu Fall lösen. Dem Versuch des Hessischen Schulgesetzentwurfs von 2007, der eine zwangsweise Mitwirkung der Eltern an der Schule vorsieht, unter anderem auch durch Einschaltung des Jugendamtes, wird allenfalls ein politischer, kein schulpraktischer Erfolg beschieden sein. Im Kernbereich der Schule, im Unterricht, hat sich das Verhältnis zwischen Eltern und Schule verhärtet; es scheint nur noch mit juristischen Mitteln und administrativen Regulierungen gestaltbar zu sein.
Zwischen diesen beiden Extremen des völligen Ausschlusses aus dem Unterrichtsgeschehen und der intensiven Mitwirkungserwartung erstreckt sich ein nebelhaftes pädagogisches Niemandsland.
Peter Petersen, einer der im heutigen Schuldeutschland wohl am mächtigsten nachwirkenden Reformpädagogen, hat mit seiner Jena-Plan-Schule eine idealtypische Schule konstruiert. Für ihr Gelingen hat er eine Bedingung formuliert, die seine heutigen Nachahmer tunlich verschweigen: Der Erfolg des Konzepts hängt davon ab, dass eine „schulfrohe Elternschaft“ – eine gelungene Wortprägung – „zu Erziehern ihres Vertrauens stand und mit ihnen die Schulgemeinschaft allseitig entwickelte“. (Petersen, Jena-Plan, 19) Nach dieser Voraussetzung wird man im öffentlichen Schulwesen heute lange suchen müssen. Denn „schulfroh“ sind die Eltern heute wohl fast durchgehend nicht, und wo sie es sind, suchen sie sich andere Schulen als die staatlichen.
Das Problem der Elternschaft ist in der heutigen Schule noch ungeklärt, und es konkurriert mit anderen Rollen, die Eltern auch noch einnehmen. Denn „Eltern“ sind nicht nur Vater oder Mutter oder Erziehungsberechtigter eines Schulkindes. Sie sind auch mehr als nur Teil des Schullebens. Sie haben eigene Ansprüche an das Kind, die vielleicht nicht unmittelbar mit den Anforderungen der Schule übereinstimmen. Diese Rollen können, je nach Auffassung der Betroffenen, die sie von ihrer Elternaufgabe haben, existenziell sein und die ganze Lebensführung elementar beeinflussen. Mit ihren Kindern werden die Eltern „in besonderem Maße verwundbar und erpressbar“. (Hügli, Anfang, 13)
Eltern können auch leicht in Konkurrenz zur Schule treten. Ihre Ansprüche an ihre Kinder sind oft ganz und gar andere ...