1 Eine organisationstheoretische Annäherung an das Wesen der Unternehmensform Konzern
Im folgenden Teil steht die Darstellung konzerntypischer Rahmenkonzepte im Mittelpunkt, auf deren Grundlage sich die Eigenschaften eines Konzerns respektive entsprechende Problemstellungen und Lösungsansätze im Hinblick auf die Entwicklung von Konzernen charakterisieren lassen. In einem ersten Schritt ist es in diesem Zusammenhang erforderlich, einen allgemeinen Zugang zur Darstellung konzerntypischer Rahmenkonzepte vorzustellen. Einen solchen Zugang eröffnet die Bezugnahme auf die Verfassung des Konzerns bzw. auf »konzerntypische Grundmuster« einer solchen Verfassung (1.1). Da die Verfassung für jede Art von Organisation eine wichtige Rolle spielt, muss dieser Zugang allerdings im Hinblick auf die spezifischen, von denen in einem Einheitsunternehmen zu unterscheidenden Eigenschaften eines Konzerns präzisiert werden (1.2). Die wesentlichen Inhalte eines solchen Grundmusters sind eine eigenständige Konzernleitung auf der einen Seite und ebenfalls relativ eigenständige Teileinheiten, die sich in einem von der Konzernleitung gesetzten Rahmen selbstständig entwickeln können, auf der anderen Seite. Dabei ist es freilich auch möglich, dass die Teileinheiten den von der Konzernleitung gesetzten Rahmen ihrer Entwicklung sprengen. Der Grund dafür kann in allgemeiner Form im »Eigensinn« gesehen werden, den die Teileinheiten eines Konzerns aufweisen (1.3).
1.1 Die Verfassung als Vehikel zur Explikation konzerntypischer Rahmenkonzepte
Zur Explikation konzerntypischer Rahmenkonzepte scheint auf den ersten Blick die Legaldefinition (§ 18 AktG) einen geeigneten Zugang zu bieten, denn sie beschreibt einige zentrale Eigenschaften von Konzernen in definitorischer und damit in typischer Weise:
»(1) Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319), sind als unter einheitlicher Leitung zusammengefasst anzusehen. Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet.
(2) Sind rechtlich selbstständige Unternehmen, ohne dass das eine Unternehmen von dem anderen abhängig ist, unter einheitlicher Leitung zusammengefasst, so bilden sie auch einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen.«
Die einschlägigen Veröffentlichungen zum Thema Konzern orientieren sich denn auch primär an dieser Legaldefinition (und den dahinterstehenden Rechtsnormen). Ringlstetter (1995) wählt nun allerdings einen Zugang, der von der Rechtssubjektivität der Konzernglieder insofern abstrahiert, als dies in seinem Konzernverständnis kein Definitionskriterium im engeren Sinne mehr darstellt. Einen solchen allgemeineren Zugang eröffnet die Bezugnahme auf die Verfassung bzw. die grundsätzlichen Regelungsgebiete, die typischerweise einer Verfassung zugerechnet werden. Folgt man Kirsch (2001) kann eine solche Vorgehensweise dadurch begründet werden, dass Unternehmen generell als Organisationen auf Grundlage ihrer Verfassung und deren Inhalte konstituiert werden. Ihm zufolge sind Organisationen »soziale Systeme, die bewusst geschaffen und fortgeführt werden, um auf der Grundlage einer Verfassung arbeitsteilige Aufgaben zu erfüllen« (Kirsch 2001, S. 47). Zu den Regelungsgebieten einer Verfassung zählen u. a. die Bestimmung der Ziele und Aufgaben, die Verteilung von Entscheidungskompetenzen auf verschiedene zu definierende Organe sowie die Präzisierung der Verhältnisse, die zwischen den einzelnen Organen bestehen (Kirsch 1973, S. 56). Mit dem Bezug auf die Verfassung wird somit nicht nur ein »wichtiges«, sondern letztendlich das konstitutive Element von Organisationen angesprochen. Die Relevanz der Regelungsgebiete einer Verfassung – und deren Bedeutung im Zusammenhang mit der Erstellung von Rahmenkonzepten – lässt sich wiederum nicht nur dadurch begründen, dass eines dieser Regelungsgebiete die generellen Ziele und Aufgaben des Konzerns betrifft, sondern auch die in der Verfassung enthaltenen Regelungen zur Verteilung der Entscheidungskompetenzen nach Art und Umfang haben Relevanz für die Konzernentwicklung.
Formal konstituiert sich die Verfassung einer Organisation durch offizielle Regelungen grundlegender Art, auf die andere (Organisations-)Normen zumindest im weitesten Sinne zurückgeführt werden können. Sie stellen insofern eine Art logischer »Letztnormen« dar, die zu einem einheitlichen Normensystem zusammengefasst sind. Die Regelungen der Verfassung sind meist offizieller Natur, die mit einem rituellen Akt in Kraft gesetzt werden, was kurzfristige Änderungsvorhaben erschwert und woraus letztlich ihr relativ dauerhafter Charakter resultiert. Nach der Verfassung bemisst sich zum einen, wer Mitglied einer Organisation ist, zum anderen enthalten Verfassungen aber auch Angaben darüber, wer Weisungs- bzw. Autorisierungsrechte für die Organisation besitzt, d. h. wer berechtigt ist, für die Mitglieder der Organisation verbindliche Entscheidungen zu treffen.
Wählt man nun über die Verfassung einen Zugang zum generellen Rahmen der Konzernentwicklung bzw. zur Darstellung konzerntypischer Rahmenkonzepte, so muss der Verfassungsbegriff in diesem Zusammenhang in zweifacher Hinsicht ergänzt und erläutert werden. Erstens ist es notwendig, den Verfassungsbegriff über denjenigen der Fremdverfassung – als Ergebnis der Wahl einer kodifizierten Rechtsform bei der Gründung des Unternehmens – hinaus, im Sinne einer Eigenverfassung zu erweitern, denn mit einem ausschließlichen Bezug auf die Fremdverfassung kommt man der Legaldefinition freilich wieder sehr nahe. Zweitens muss der Konzern von einer »normalen« Organisation bzw. einem Einheitsunternehmen abgegrenzt werden, denn auch diese werden schließlich über eine Verfassung konstituiert. Eine Möglichkeit hierzu ist in der Legaldefinition bereits angelegt. Hier wird von über Verfassungen konstituierten Unternehmen ausgegangen, die unter einer übergreifenden Verfassung – der Konzernverfassung – zusammengefasst sind. Man kann also sagen, dass sich der Konzern durch eine mehrstufige Verfassung auszeichnet und damit ein mehrstufiges Unternehmen bzw. eine »Organisation von Organisationen« (Teubner 1989, S. 149 ff.) darstellt. Dabei ist die übergreifende Verfassungskomponente diejenige, die im Weiteren für den Konzernzusammenhang als typisch erachtet wird.
Aus begriffsstrategischer Sicht ist es für die weitere Argumentation allerdings vorteilhaft, von konzerntypischen Rahmenkonzepten mit Verfassungscharakter und nicht von konzerntypischen Verfassungen zu sprechen:
- Die Begriffe »Rahmenkonzept« und insbesondere »konzerntypisches Rahmenkonzept« sind, im Gegensatz zu dem in der betriebswirtschaftlichen Literatur bereits umfassend diskutierten Verfassungsbegriff, noch weitgehend formbar.
- Damit verbunden ist, dass im Folgenden nur auf jene Inhalte eingegangen wird, die mit dem Verfassungsbegriff verbunden und für die Konzernentwicklung von Relevanz sind.
- Für die hier behandelte Thematik nicht relevanten Facetten des Verfassungsbegriffs können unberücksichtigt bleiben.
- Umgekehrt erfassen Rahmenkonzepte aber auch Inhalte, die nicht zur Verfassung gerechnet werden können. Dies gilt z. B. für Aussagen, deren Inhalt besagt, dass ein Unternehmen noch kein Konzern ist und gegenwärtig auch keiner sein soll, sich aber in Zukunft zu einem Konzern mit einem entsprechenden konzerntypischen Rahmenkonzept entwickeln soll.
1.2 Konzerntypische Rahmenkonzepte
Die Explikation konzerntypischer Rahmenkonzepte kann dabei am besten über spezifische Grundmuster erfolgen, die sich in den Maximen von Rahmenkonzepten konzernartiger Organisationen rekonstruieren lassen. Die bei der Beschreibung eines solchen Grundmusters verwendeten Begrifflichkeiten finden sich zwar nicht unbedingt in jedem formulierten Rahmenkonzept wieder, sie sind jedoch in jedem Fall geeignet, durch entsprechende Rekonstruktionen Rahmenkonzepte konkreter Unternehmen daraufhin zu untersuchen, ob diese konzerntypischer Natur sind. Im Folgenden wird in Abschnitt 1.2.1 ein solches Grundmuster skizziert und in Abschnitt 1.2.2 anhand einiger Grundkategorien konzerntypischer Rahmenkonzepte näher präzisiert.
1.2.1 Einheit und Vielheit als Grundmuster konzerntypischer Rahmenkonzepte
Mit den Überlegungen im letzten Unterkapitel wurde bereits angedeutet, dass die von Raiser (1964) in die Diskussion eingebrachte Formel »Einheit und Vielheit« eine wichtige Heuristik für die Explikation konzerntypischer Rahmenkonzepte darstellt. In einem ersten Zugriff kann die Formel damit in Verbindung gebracht werden, dass ein Konzern offensichtlich keine »einfache« Organisation ist, sondern eine »Organisation von Organisationen« darstellt. Allerdings müssen diese Organisationen auch unabhängig von einer eigenständigen Rechtsform, wie es die Legaldefinition vorsieht, als solche rekonstruierbar sein. Will man auf die Verfassung als Definitionsmerkmal von Organisationen nicht verzichten, ist es deshalb notwendig, den Verfassungsbegriff so zu erweitern, dass mit ihm nicht zwingend eine Bezugnahme auf eine im gesellschaftlichen Rechtssystem kodifizierte Fremdverfassung verbunden ist. Auch Eigenverfassungen als funktionale Äquivalente zu Fremdverfassungen sollen vom Verfassungsbegriff mit eingeschlossen werden. Solche Eigenverfassungen setzen sich analog zu Fremdverfassungen aus einer Menge von Regelungen zusammen, die als Teilmenge der Maximen eines Rahmenkonzeptes aufgefasst werden können. Umgekehrt haben nicht alle Maximen eines Rahmenkonzeptes Verfassungscharakter, und es sind auch Rahmenkonzepte denkbar, die überhaupt keine Maximen mit Verfassungscharakter aufweisen. Notwendig ist es deshalb, solche Maximen in einem ersten Schritt anhand ihrer formalen Eigenschaften näher zu charakterisieren. Erst dann wird es auch möglich, konzerntypische Rahmenkonzepte inhaltlich zu explizieren. Dabei kann zwischen den einzelnen Teileinheiten eines Konzerns, in deren Unterscheidung gewissermaßen der Aspekt der »Vielheit« zum Ausdruck kommt und einer föderalen Grundstruktur, die den einzelnen Bausteinen »Einheit« verleiht, unterschieden werden (1). Darauf aufbauend kann dann eine übergreifende Typologie verbundener Unternehmen konstruiert werden, die in der Lage ist, den Konzern von anderen Formen unternehmerischer Zusammenarbeit abzugrenzen und welche die unterschiedlichen Formen vergleichsweise authentisch wiederzugeben vermag (2).
(1) Formale und inhaltliche Aspekte konzerntypischer Rahmenkonzepte mit Verfassungscharakter
Wie in Abb. 1-1 ersichtlich, sind unterschiedliche (formale) Formen einer Verfassung denkbar.
Abb. 1-1: Formale Formen von Verfassungen
(Quelle: Ringlstetter 1995, S. 36)
Dabei kann zunächst zwischen Eigen- und Fremdverfassung unterschieden werden. Wird die Verfassung einer Organisation ohne Bezug auf das gesellschaftliche Rechtssystem und unabhängig von einem Fremdverfassungsmodell durch einen Organisationsträger konstituiert, handelt es sich um eine »absolute Eigenverfassung«. Eine »relative Eigenverfassung« dagegen kann zwar prinzipiell auch frei gewählt werden, weist jedoch einen unmittelbaren Bezug zum Rechtssystem auf. Fremdverfassungen beziehen sich ausschließlich auf das gesellschaftliche Rechtssystem, das in diesem Fall auch als »Normenvorrat« interpretiert werden kann, aus dem bei der Gestaltung der Organisationsverfassung eine »Auswahl« möglich ist. Eine Realverfassung liegt in diesem Begriffsverständnis allerdings erst dann vor, wenn die Fremdverfassung durch Regelungen unabhängig von inhaltlich vorgegebenen Rechtsnormen ergänzt wird. Ansonsten handelt es sich um eine reine Fremdverfassung (Ringlstetter 1997, S. 17 f.).
Inhaltlich kann die von Raiser (1964) dem Konzern definitorisch unterstellte »Vielheit seiner Glieder« in einem ersten Schritt durch die Unterscheidung verschiedener Teileinheiten des Konzerns näher charakterisiert werden. Diese »Teileinheiten« des Konzerns können, wie bereits dargestellt, grundsätzlich fremd- oder eigenverfasst sein. Darüber hinaus müssen nicht alle Typen in jedem Konzern rekonstruierbar sein. Ihre spezifischen Eigenschaften lassen sich wie folgt erläutern:
- Basisteileinheiten erfüllen Sachaufgaben für leistungswirtschaftliche Märkte, zu deren Erfüllung Funktionen wie Beschaffung, Produktion, Absatz usw. notwendig sind.
- Die Konzernleitung, die die einheitliche Leitung des Konzerns übernimmt, ist im Allgemeinen in der zentralen Teileinheit bzw. Zentrale angesiedelt. Diese Funktion kann in einer eigenständigen Teileinheit wahrgenommen werden (Holdingkonzern) oder einer Basisteileinheit zugewiesen sein (Stammhauskonzern). Die Leitung des Konzerns und der betreffenden Teileinheit fallen bei einem Stammhauskonzern somit zusammen.
- Die Zentrale kann verschiedene zentrale Teileinheiten bzw. Zentraleinheiten umfassen. Diese können spezifizierte Leitungsfunktionen (Leitungsteileinheiten) oder Service-aufgaben gegenüber anderen Teileinheiten (Stabs- oder Serviceeinheiten) wahrnehmen. Möglich ist auch eine Kombination dieser Funktionen in einer Zentraleinheit. Im Allgemeinen fällt einer der Zentraleinheiten (Spitzeneinheit) die Aufgabe der übergreifenden Konzernleitung zu.
- Zwischeneinheiten schließlich können zwischen Zentrale und Basisteileinheiten als zusätzliche »Harmonisierungsebene« (Bleicher 1979, S. 246) eingeschoben sein. Zwischeneinheiten bilden zusammen mit den zentralen Einheiten die Leitungsorganisation des Konzerns.
Das Vorliegen einer Konzernleitung und mindestens einer weiteren Basisteileinheit ist konstitutiv für das Vorliegen eines Konzerns. Zwischeneinheiten dagegen müssen nicht in jedem Fall rekonstruierbar sein. Sie implizieren lediglich einen mehrstufigen Konzern, der aus mehreren Teilkonzernen besteht, die jeweils von einer Zwischeneinheit geleitet werden und mindestens eine weitere Teileinheit umfassen.
Die Frage nach der Einheit in der Vielheit lässt sich nun vor dem Hintergrund desjenigen Ideenguts beantworten, das sich unter dem Stichwort »Föderalismus«3 auf der Ebene der gesellschafts- und staatswissenschaftlichen Diskussion angesammelt hat. Prinzipiell wird die »Vielheit« des Föderalismus dadurch konstituiert, dass den Teileinheiten (»Gliedstaaten«) ein spezifisches »Territorium« zugewiesen wird (Elazar 1987, S. 166 ff.). Innerhalb des Territoriums können die Teileinheiten ihre Eigenständigkeit bzw., wie es Raiser (1964) ausdrückt, ihre »Individualität« entfalten. Während nun beispielsweise Elazar (1987) die »Nicht-Zentralität« als wesentliches Merkmal eines »echten« Föderalismus ansieht, konstituiert eine solche zentrumslose Verfassung in dem hier zu Grunde gelegten Begriffsverständn...