Sonderpädagogische Förderprogramme im Vergleich
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Sonderpädagogische Förderprogramme im Vergleich

Orientierungshilfen für die Praxis

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Sonderpädagogische Förderprogramme im Vergleich

Orientierungshilfen für die Praxis

About this book

Das Buch stellt in den verschiedenen sonderpädagogischen Förderbereichen systematisch die gängigen Fördermaßnahmen vor und bewertet diese vor dem Hintergrund der vorliegenden empirischen Evaluationen. Die Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und Experten, die zu Ihren Spezialgebieten umfassende Recherchen zu vorhandenen Konzepten anstellten. Sie verfolgten das Ziel, die Wirksamkeit der Ansätze zu beurteilen und darauf aufbauende Empfehlungen für Praktiker auszusprechen.Förderbereiche und Konzepte sind: Autismus, Tiergestützte Therapie, Unterstützte Kommunikation, spezifische Sprachentwicklungsstörung, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, Selbstkonzept, Aggressivität und Gewalt, Hochbegabung, Mathematik und Erstrechnen, Legasthenie / Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, Selbstreguliertes Lernen und Metakognition, Portfolio, Offener Unterricht und Projektunterricht.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2008
Print ISBN
9783170200913
eBook ISBN
9783170277526
Edition
1

Verhalten

Aggressivität, Gewalt und Delinquenz

Andreas Beelmann

1 Einleitung

Zur Prävention von Aggressivität, Gewalt und Delinquenz bei Kindern und Jugendlichen bzw. zur Förderung eines sozial kompetenten Sozialverhaltens liegt mittlerweile eine sehr umfangreiche Forschung vor (z. B. Jimerson & Furlong, 2006; Quay & Hogan, 1999; Welsh & Farrington, 2006), die sich nicht zuletzt auch in der Publikation aktueller deutschsprachiger Monographien zu dieser Thematik äußert (Beelmann & Raabe, 2007; Fröhlich-Gildhoff, 2006; Gollwitzer et al., 2007; Steinhausen & Bessler, 2008). Diese Vielfalt hat durchaus ihre Gründe: Probleme der Aggression, Gewalt und Delinquenz sind unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet, unterliegen einem hohen Risiko der Verfestigung im Entwicklungsverlauf, verursachen meistens große Betreuungs- und Erziehungsprobleme in der Schule und im Elternhaus und führen nicht selten zu schweren psychischen und physischen Verletzungen bei Opfern oder zu beträchtlichen materiellen Schäden.
Die entwicklungspsychopathologische Forschung hat in den letzten Jahren zahlreiche Ursachenfaktoren für die Entwicklung derartiger Verhaltensprobleme ausgemacht (vgl. Übersicht in Beelmann & Raabe, 2007). Entsprechend divers sind die Förder- und Präventionsansätze in diesem Feld. So werden neben sozialpolitischen Forderungen (allgemein verbesserter Bildungsangebote, Ausbau sozialer und finanzieller Hilfen), polizeilichen und juristischen Maßnahmen (veränderte Waffengesetzgebung, Videoüberwachung in Schulen) auch eine Vielzahl von psychologisch-pädagogischer Förderprogrammen vorgeschlagen. Letztere sollen im Folgenden vorgestellt und im Hinblick auf ihren aktuellen Forschungsstand kritisch zusammengefasst und bewertet werden.

2 Übersicht zu psychologisch-pädagogischen Förder- und Präventionsansätzen

2.1 Empirisch bewährte Ansätze

Angesichts der Vielzahl von Publikationen im internationalen, aber auch nationalen Sprachraum überrascht ein wenig, dass nur wenige Fördermaßnahmen und Programmansätze ausreichend durch qualitativ hochwertige empirische Untersuchungen evaluiert wurden (vgl. Beelmann & Lösel, 2007a, im Druck; Beelmann & Raabe, 2007). Zur Kategorie der bewährten Ansätze können daher nur soziale Trainingsprogramme für Kinder und Jugendliche (vgl. Beelmann & Lösel, 2006; 2007 b; Lösel & Beelmann; 2003) und verhaltensorientierte Elterntrainingsprogramme (vgl. Beelmann, 2007a; Beelmann & Bogner, 2005; Lundahl et al., 2006) gerechnet werden.
Soziale Trainingsprogramme zielen auf das Erlernen wichtiger sozialer Verhaltenskompetenzen (z. B. Kontaktaufnahme, Freundschaften schließen) und die Verbesserung von sozial-kognitiven Fertigkeiten wie dem sozialen Problemlösen oder die Selbst- und Impulskontrolle als zentrale Merkmale einer sozial kompetenten Informationsverarbeitung und Handlungssteuerung. Die Programme setzen damit an wiederholt bestätigten Risikofaktoren für aggressives und andere Formen dissozialen Verhaltens an (Beelmann, 2008a; Beelmann & Raabe, 2007). Soziale Trainingsprogramme finden im Allgemeinen im Gruppenformat statt und werden als strukturierte Abfolge von Übungen und Rollenspielen zumeist unter Nutzung konkreter Trainingsmanuale durchgeführt. Die Programme lassen sich damit relativ leicht als Präventionsstrategie in Kindergärten und Schulen umsetzen und sind insofern mit einem relativ geringen Aufwand und Kosten verbunden. Es existieren eine Vielzahl von Programmansätzen, die sich jedoch insgesamt nur mäßig unterscheiden und viele gemeinsame Übungs- und Förderelemente aufweisen. Beispiele für soziale Trainingsprogramme sind international das PATHS-Curriculum (Greenberg & Kusché, 2006) oder die Dinosaurier-Schule (Webster-Stratton & Reid, 2003), und national das EFFEKT-Kindertraining (Jaursch & Beelmann, 2008) sowie das Faustlos-Programm (Schick & Cierpka, 2005). Die Programme enthalten oft folgende Förderelemente: Übungen zur Identifikation von Emotionen bei sich und anderen; schrittweise nicht-aggressive Lösung sozialer (Alltags-)probleme anhand hypothetischer Szenarien; Kontrolle und Unterbrechung von Ärger- und Wutreaktionen mit Hilfe von Selbstinstruktionen sowie das Üben von Sozialverhalten in kritischen Situationen (Kontaktaufnahme, Streitverhalten). Als Fördermethodik werden meistens Gruppendiskussionen, hypothetische Konfliktszenarien, Rollenspiele und konkrete Anleitungen eingesetzt. Häufig werden auch Hausaufgaben gestellt, um die Generalisierung der gelernten Fertigkeiten in den sozialen Alltag zu gewährleisten.
Die Wirksamkeit sozialer Trainingsprogramme konnte in den letzten drei Jahrzehnten in einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen mit qualitativ hochwertiger Methodik bestätigt werden (Beelmann & Lösel, 2006; 2007b, Beelmann et al., 1994; Lösel & Beelmann, 2003). So kamen etwa Lösel und Beelmann (2003) in einer Meta-Analyse von 135 Untersuchungen, die einen randomisierten Versuchsplan nutzten und explizit die Prävention von dissozialem Verhalten zum Ziel hatten, auf eine durchschnittliche Effektstärke von d = 0.39, was als kleiner bis moderater Effekt interpretiert werden kann. Bei dieser Erfolgsbilanz gilt es jedoch, verschiedene Einschränkungen zu berücksichtigen. So zeigt sich beispielsweise, dass die Wirkungen auf tatsächliches Problemverhalten (Aggression, Gewalt, Kriminalität) typischerweise geringer ausfallen als die Wirkungen auf spezifische soziale Fertigkeiten (z. B. soziale Problemlösekompetenzen in hypothetischen Konfliktszenarien), vor allem wenn die Problembelastung wie im Fall von universellen Präventionsstrategien bereits vor der Förderung relativ gering ist. Hinzu kommt, dass nicht alle sozialen Förderstrategien gleich wirksam sind. Besonders stabile Effekte sind zum Beispiel zu erwarten, wenn die Programme einen hohen Strukturierungsgrad aufweisen und sowohl konkrete Verhaltensübungen als auch sozialkognitive Verarbeitungsmuster systematisch erlernt und geübt werden (multimodale Programme). Zudem existieren Förderansätze, die ihre spezifische Wirkung auf aggressives Verhalten noch nachweisen müssen, oder deren Evaluationsergebnisse nicht durchweg positiv ausfallen, so dass positive Wirkungen bei sozialen Trainingsprogrammen keineswegs automatisch oder zwangsläufig auftreten. Dies schmälert jedoch nicht die Einschätzung, dass soziale Trainingsprogramme insgesamt zu den am besten untersuchten und erfolgreichsten Förderansätzen bei aggressiven und delinquenten Problemverhalten gehören.
Eine weitere Gruppe von Förderprogrammen, die sich empirisch in einer großen Anzahl unabhängiger Untersuchungen bewährt hat, setzt bei den Eltern als wichtige Sozialisationagenten an. Elterntrainingsprogramme zielen auf die Förderung des elterlichen Erziehungsverhaltens und damit auf einen ebenso wichtigen Risikofaktor für aggressives und delinquentes Problemverhalten (Beelmann, 2007a; Beelmann & Raabe, 2007). Auch diese Programme werden zumeist im Gruppenformat angeboten und beinhalten eine strukturierte Abfolge von Trainingssitzungen, die sich oft mit Übungen zu positiven Erziehungspraktiken (emotionale Unterstützung, Lob, aber auch kontrollierte Beaufsichtigung), der Vermittlung sozialer Regeln und dem Umgang mit Problemverhalten der Kinder (z. B. Grenzen setzen) befassen. Die Programme haben häufig einen psycho-edukativen Charakter und umfassen entsprechend methodisch vor allem Gruppendiskussionen und Rollenspiele, zum Teil werden auch filmische Demonstrationen (Videos) zur Vermittlung von Erziehungskompetenzen genutzt. Auch für diesen Programmansatz liegen unterschiedliche internationale und nationale Programme vor, zum Beispiel das Triple-P-Programm (Sanders, 1999; Kuschel & Hahlweg, 2005) oder das EFFEKT-Elterntraining (Beelmann, 2007b).
Zusammenfassende Wirksamkeitsschätzungen in Meta-Analysen zeigen, dass Elterntrainingsprogramme im Durchschnitt hohe Wirkungen und zum Teil höhere Effekte erzielen, als die genannten sozialen Trainingsprogramme für Kinder. So kamen wir in einer bislang unpublizierten Arbeit zu Effektschätzungen von d = 0.64 auf Basis von insgesamt 126 experimentellen Wirksamkeitsuntersuchungen. Diese Effekte werden allerdings – wie schon bei den Kindertrainings – vorwiegend in den direkt intendierten Zielvariablen (z. B. beim konkreten Erziehungsverhalten) erreicht und schlagen sich (zumindest kurzfristig) weniger stark bei aggressivem und delinquenten Problemverhalten der Kinder selbst nieder (Beelmann & Bogner, 2005; Lundahl et al., 2006). Außerdem lassen die Effekte mit der Zeit etwas nach, so dass möglicherweise Auffrischungsstunden sehr sinnvoll sind. Zudem stellt sich bei den Programmen nicht selten das Problem, dass Eltern aus Hochrisikofamilien und belasteten Kontexten (d.h. bei einer in vielerlei Hinsicht besonders bedürftigen Klientel) nur sehr schwer für eine Teilnahme zu gewinnen sind oder die Kurse oft abbrechen. Diese Probleme der Inanspruchnahme und Implementation von Elterntrainingsprogrammen sind bislang noch nicht befriedigend gelöst (Beelmann, 2007a). Zudem scheinen sehr intensive und unstrukturierte Elterntrainingsprogramme bei aggressiven und delinquenten Problemverhalten eher geringere Wirkungen zu zeigen (Beelmann & Bogner, 2005). Die beste Effekte sind dagegen von verhaltensorientierten Trainings zu erwarten, in denen den Eltern konkrete Kompetenzen speziell zum Umgang mit aggressiven Verhaltensweisen (z. B. konsistente, nicht-aggressive Grenzsetzung) vermittelt bekommen (Beelmann, 2007a).

2.2 Vermutlich effektive Ansätze

Zu den vermutlich oder potentiell effektiven Ansätzen können alle Verfahren und Programme gerechnet werden, für die einzelne Wirksamkeitsnachweise vorliegen oder für die in den bisherigen Evaluationen gemischte Resultate auftraten. Dazu gehören zunächst schulische Gewaltpräventionsprogramme, familienorientierte Frühinterventionen sowie entwicklungsorientierte Multimodalprogramme.
Schulische Gewaltpräventionskonzepte haben in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen, unter anderem weil in Schulen relativ günstige Umsetzungsbedingungen für Präventionsprogramme vorliegen (Beelmann, 2008b; Verbeck & Petermann, 1999). International große Aufmerksamkeit und Verbreitung hat zum Beispiel der Gewaltpräventionsansatz von Olweus (1996) erfahren. Ziel ist dabei die Gewährleistung einer möglichst einheitlichen und konsequenten Reaktion aller Beteiligten (Schüler, Lehrer, Eltern) auf unterschiedliche Formen von Gewalt im schulischen Kontext. Dazu sind drei Maßnahmenebenen (Schule, Klasse, Individuum) vorgesehen, auf denen jeweils verschiedene Aktivitäten realisiert werden sollen, zum Beispiel ein pädagogischer Tag zum Thema Schulgewalt (Schulebene), die Einführung von festen Klassenregeln und Handlungsanweisungen gegen Gewalt (Klassenebene) oder ernste Gespräche mit Tätern und Opfern (Individualebene).
Hinsichtlich der Wirkungen liegen für das Olweus-Programm jedoch gemischte Befunde vor (Limber, 2006). So konnten die guten Erfolge des Olweus-Programms in Norwegen in...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Sonderpädagogische Förderprogramme im Vergleich
  6. Unterricht
  7. Lernförderung
  8. Verhalten
  9. Kommunikation
  10. Therapieorientierte Ansätze
  11. Die Autorinnen und Autoren