Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe
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Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe

Eine Handlungsanleitung

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Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe

Eine Handlungsanleitung

About this book

Diese praxisbezogene Handlungsanleitung richtet sich sowohl an den Mitarbeiter in der sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe als auch an den Anstellungsträger. Sie bietet ein konkretes Handlungskonzept, das eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Familienhelfer, Familie und Jugendamt ermöglicht und Wege zum Verstehen in Familie und Partnerschaft aufzeigt. Eine Fülle von Übungen, die mit den Familien gemeinsam durchgeführt werden können, erleichtern eine praxisnahe Umsetzung. Berichtsraster, Selbsthilfepläne und Übungen sind von vielen Familienhelfern in langen Jahren praktischer Arbeit erprobt und ausgewählt.

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Information

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Wo kann Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden?

1.1 Bei welchen Anstellungsträgern?

Als Anstellungsträger kommen aus unserer Sicht alle freien Träger der Jugendhilfe in Frage. Sie müssen die Gewähr für eine fachlich fundierte Familien- und Erziehungshilfe geben können. Dazu gehören:
  • eine seriöse Auswahl der Familien- und Erziehungshelfer in Bezug auf persönliche, lebenspraktische und fachliche Kompetenz;
  • eine qualifizierte Praxisanleitung und Fortbildung;
  • ein tragfähiges Konzept zur Arbeit mit den Familien.
Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämter sind nur bedingt als Anstellungsträger zu empfehlen. In der Familienhilfe sind vorwiegend Entwicklungsdefizite zu kompensieren, deren Ursache in der Regel in einem Mangel an sozialer Nähe und/oder sozialer Verantwortung in Familie und Gemeinwesen liegen. Der Familienhelfer muss sich auf eine Beziehung zur Familie einlassen, die in größerer Unabhängigkeit von einer Leistungs- und Eingriffsverwaltung besser herzustellen ist. Aufgrund der Gesamtverantwortung des öffentlichen Trägers muss jedoch eine enge Kooperation zwischen Familienhilfe und Ämtern bestehen.

1.2 Anstellungsformen und Rahmenbedingungen

Die Anstellungsform variiert von fest angestellten Kräften über Mitarbeiter mit geringfügiger Beschäftigung bis hin zu Honorarkräften. Für die Begleitung einer Familie sind im Durchschnitt je zehn Stunden wöchentliche Arbeitszeit pro Familie anzusetzen. Diese Zeit beinhaltet Vis-a-vis-Kontakte, Supervisionen, Teamsitzungen, Gespräche mit Kooperationspartnern, Zeiten für Verwaltungstätigkeiten und Fahrzeiten.
Ein Familienhelfer mit einer vollen Stelle begleitet in der Regel vier bis fünf Familien, mehr ist emotional und organisatorisch kaum zu bewältigen.
Geringfügig beschäftigt werden können Fachkräfte, die aus persönlichen Gründen nicht mehr als 10 Stunden in der Woche arbeiten möchten. Auch hat es sich für das anspruchsvolle Arbeitsfeld der sozialpädagogischen Familienhilfe als sinnvoll erwiesen, das Arbeitsvolumen allmählich zu steigern, so dass der Familienhelfer nach und nach die Begleitung weiterer Familien übernimmt.
In Familien mit psychischen Erkrankungen und einem besonderen Bedarf hat es sich als hilfreich herausgestellt, zwei Fachkräfte einzusetzen.
In Familien mit einem speziellen Unterstützungsbedarf kann eine Fachkraft mit einer besonderen Qualifikation zusätzlich auf Honorarbasis für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden.

1.3 In welchen Familien, bei welchen Jugendlichen?

Generelle Ausschluss-Kriterien für die Auswahl von Familien und Jugendlichen aufzustellen ist nicht sinnvoll. Zunächst hoffnungslos erscheinende Familien sind zum Ende einer Betreuungszeit oftmals die, in denen Eltern, Kinder und Jugendliche erstaunliche Entwicklungsschritte gemacht haben. Es gibt jedoch Familien und Jugendliche, die sich besonders für den Einsatz eines Familien- und Erziehungshelfers eignen und solche, bei denen der Einsatz weniger Aussicht auf Änderung verspricht. Besonders geeignet sind Familien, bei denen die Eltern oder der alleinerziehende Elternteil aufgrund von akuten Belastungen (zum Beispiel Trennung, Scheidung, Verlust der Arbeit, Krankheit) vorübergehend nicht in der Lage sind, die Erziehung der Kinder emotional zugewandt und in der für die positive Entwicklung der Kinder notwendigen Zuverlässigkeit zu leisten. In diesem Fall können Eltern aufgrund ihrer Belastungssituation mit den Aufgaben des Alltags und der gleichzeitig notwendigen Erziehung alleine überfordert sein. Hier kann der Familienhelfer sowohl auf der Eltern- als auch auf der Kindebene entlasten und dazu beitragen, dass den Eltern eine Neuorientierung gelingt.
Die Praxis zeigt jedoch, dass in den letzten Jahren zunehmend Familien begleitet werden, in denen die Eltern nicht nur durch zeitlich befristete Lebenskrisen belastet sind, sondern durch traumatisierende Ereignisse in ihrer eigenen Lebensgeschichte. Der Unterstützungsbedarf in diesen Familien geht über den oben beschriebenen hinaus. Die Begleitung im Rahmen der SPFH ist wesentlich intensiver, die Zeit länger und die Entwicklung abhängig davon, inwieweit die betroffenen Eltern bereit und in der Lage sind, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinander zu setzen und eine neue Struktur für ihr Leben zu finden.
Prinzipiell lohnt es sich, mit jeder Familie, die dazu bereit ist, Familienhilfe anzufangen. Im Verlauf der ersten drei Monate – wenn Familie und Familienhelfer sich kennenlernen, eine Vertrauensbasis entwickeln und die Ziele der Familie noch deutlicher werden – stellt sich meistens heraus, ob eine Familie tatsächlich bereit ist, sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen.
Bei Familien oder Jugendlichen mit einer starken Alkohol- oder Drogenproblematik ohne Bereitschaft zu einem vorausgehenden oder parallelen Entzug wird sich im Verlauf der ersten Monate herausstellen, dass eine Begleitung durch sozialpädagogische Familienhilfe nicht sinnvoll ist.
Auch Familien, bei denen sich im Verlauf der ersten Monate eine fehlende Bereitschaft zur Mitarbeit herausstellt, ist eine Unterstützung zu dem Zeitpunkt nicht möglich.
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Wer kann Familien- und Erziehungshilfe leisten?

„Es ist mit einem Humanismus, der nicht über sich selbst hinausweist, wie mit einer abgeschnittenen Blume, man weiß nicht, wie lange sie hält.“ (Golo Mann)

2.1 Anforderungen an die Qualifikation

2.1.1 Berufserfahrene Fachkräfte mit Zusatzqualifikation

(siehe Anhang 1 „Fortbildungsprogramm“)
Hierzu zählen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Pädagogen, Psychologen und Erzieher mit Erfahrung in der Familien- und Erziehungshilfe. Sie eignen sich bei hoher fachlicher und persönlicher Kompetenz für die Arbeit mit großen Familien, die eine komplexe Problematik aufweisen.

2.1.2 Fachkräfte ohne Zusatzqualifikationen bzw. Berufsanfänger

Diese Mitarbeiter eignen sich besonders für die Arbeit mit jüngeren Familien mit weniger Familienmitgliedern und einer weniger komplexen Problematik bzw. für die Begleitung von allein lebenden Jugendlichen, denen sie Identifikation und Orientierung bieten können. Sie bedürfen in besonderem Maße der intensiven fachlichen Anleitung. Berufsanfänger arbeiten erfahrungsgemäß auch sehr gut in ergänzender Funktion zu einem Familienhelfer im Rahmen von lebenspraktischer Hilfe, Freizeitgestaltung und familienorientierter Schülerhilfe (vgl. dazu Rothe, Familienorientierte Schülerhilfe, 1990).
Sie eignen sich für kreative Angebote in den Familien und für die Gestaltung von Gruppennachmittagen, die insbesondere der Förderung der Gruppenfähigkeit von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen dienen. Berufsanfänger können nicht alleine arbeiten, sie gehören in ein Familienhelferteam. Hier sollten sie aber mit ihrer häufig optimistischen und kreativen Haltung offene Aufnahme finden. Sie sind in der Regel engagiert, leisten gute Arbeit und sind im Gegensatz zu manch „alten Hasen“ sehr gut in der Lage, die verborgenen Fähigkeiten bei Familien und Jugendlichen unvoreingenommen wahrzunehmen und zu fördern.

2.1.3 Ehrenamtliche Fachkräfte

Ehrenamtliche Fachkräfte sind zumeist Frauen mit länger zurückliegender sozial-orientierter Ausbildung, die sich nach einer Phase der Kindererziehung wieder engagieren, aber nicht vollberuflich tätig sein wollen. Sie verfügen in der Regel über lebenspraktische Erfahrung aus der eigenen Familie und sind in der Lage, ihre früher erworbene fachliche Qualifikation bei entsprechender Fort- und Weiterbildung wieder zu aktivieren. Ehrenamtliche Fachkräfte können wie Berufsanfänger in ergänzender Funktion zu einem Familienhelfer eingesetzt werden. Falls sie die Zusatzqualifikation erwerben, sind sie wie „berufserfahrene Fachkräfte mit Zusatzqualifikation“ im gesamten Bereich der Familien- und Erziehungshilfe einsetzbar und können auch in ein Anstellungsverhältnis übernommen werden.

2.1.4 Ehrenamtliche Laienkräfte

Ehrenamtliche Laienkräfte sind in erster Linie Frauen ohne vorherige sozialorientierte Berufsausbildung, die sich nach der Phase der Kindererziehung sozial betätigen wollen. Ihr Aufgabenschwerpunkt liegt in ergänzenden Funktionen im Rahmen von sozialpädagogischer Lernhilfe, Freizeitgestaltung oder als Bezugsperson für ein Kind, das im Rahmen einer Großfamilie emotional zu kurz kommt. Ehrenamtliche Laienkräfte haben es oftmals schwer, sich in die für sie fremden Lebensbedingungen und Denkstrukturen vieler Familien hineinzuversetzen. Wer dazu bereit ist, ist eine wertvolle Ergänzung im Team der Berufserfahrenen und der Berufsanfänger. Unabdingbar für den Einsatz ehrenamtlicher Laienkräfte ist eine enge Kooperation mit dem zuständigen Familienhelfer und die Bereitschaft, sich über einen längeren Zeitraum für eine bestimmte Aufgabe zuverlässig zu engagieren.

2.2 Anforderungen an die Persönlichkeit

2.2.1 Beziehungsfähigkeit

Der Familienhelfer muss fähig und willens sein, eine Beziehung zur Familie oder zum Jugendlichen einzugehen. Er darf nicht in einer elitären Expertenposition verharren. Er muss sich auf eine Ebene mit der Familie stellen und ihr Anders-Sein im Grundsätzlichen akzeptieren. Das bedeutet auch, dass er sich über die Schwierigkeiten klar werden muss, die diese Andersartigkeit mit sich bringt. Er muss Alkoholproblematik, Schmutz, Lügen, Stehlen, Unzuverlässigkeit etc. als Teil einer sich aus dem Kampf ums Überleben ergebenden Strategie betrachten können. Er ist dazu da, sich auf eine vertrauensvolle Beziehung einzulassen, die es ermöglicht, die dominierende Frage „Was haben wir vom Leben zu erwarten?“ umzukehren in die Frage „Was erwartet das Leben von uns?“ (vgl. V.E. Frankl).
Das Leben erwartet von Eltern, den Kindern eine Zukunft zu geben, ihnen ein normgerechtes Verhalten vorzuleben, ihnen die Grundlage für eine Ausbildung zu ermöglichen, Vorbild zu sein in Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit etc. Diese erwarteten Verhaltensweisen stehen häufig im Gegensatz zu den tatsächlichen Verhaltensweisen der Eltern. Nur auf der Grundlage einer guten Beziehung kann der Familienhelfer vorsichtig unangemessenes Verhalten in Frage stellen. An den Fähigkeiten einzelner Familienmitglieder anknüpfend sind dann am ehesten durch die Erarbeitung eines Selbsthilfeplans Veränderungen möglich. In den Fällen, in denen Eltern zu einer Mitarbeit noch nicht in der Lage oder noch nicht gewillt sind, muss der Familienhelfer zumindest mit ihnen ein vorübergehendes „Stillhalteabkommen“ schließen. Gegen den aktiven Willen der Eltern ist Familienhilfe nicht sinnvoll. Dann sind für die Kinder Hilfen außerhalb des Elternhauses angezeigt.
Es muss ein Ziel des Familienhelfers sein, von der Familie auch als Person angenommen zu werden. Er darf aber nicht Teil des Familiensystems werden, weil er so die notwendige Öffnung der Familie nicht mehr bewirken kann. Er erkennt dann nicht mehr klar genug den Sog der Familie, der Kinder und Jugendliche häufig daran hindert, das unmittelbare vertraute Umfeld der Familie zu überschreiten und sich in Schule, Ausbildungsstelle und Vereinen frei zu bewegen. Der Familienhelfer ist Wegbegleiter in die oft als feindlich erlebte Außenwelt, in der unbekannte Kommunikationsregeln gelten, die Eltern, Kinder und Jugendliche ängstigen. Er vermittelt und hilft, Fluchttendenzen zu reduzieren, die regelmäßig dann entstehen, wenn die Familienmitglieder ihrer andersartigen Verhaltensweisen wegen auf Ablehnung stoßen.
Viele der Eltern trauen sich z.B. nicht mehr, an Schul- oder Konfirmanden-Elterntreffen teilzunehmen, weil sie dort ihrer anderen Sprache und ihres anderen Verhaltens wegen nicht geachtet und beachtet werden. Das Fernbleiben wird oft als Desinteresse ausgelegt. In Wirklichkeit steckt dahinter eine tiefsitzende Angst, abgelehnt zu werden. Sie wird von den Eltern auf die Kinder übertragen und ist häufig der Auslöser für aggressive Handlungen. Der Familienhelfer kann und muss durch eine gute, vertrauensvolle Beziehung zur Familie die Kluft überwinden helfen.

2.2.2 Vorbild und Identifikation: Lernen am Modell

„In der Erziehung hat man wenig zu tun, viel zu lassen, am meisten aber zu sein.“ (Sprichwort)
Der Familienhelfer, der es schafft, eine Beziehung zur Familie herzustellen, wird – ob er will oder nicht – zum Vorbild für die Kinder und Jugendlichen, zum Teil auch für die Eltern. Mit ihm identifizieren und an ihm orientieren sich besonders die Familienmitglieder, die ihn mögen. Familienhelfer, die neben ihrem Beruf wenig eigene Interessen haben, klammern sich oft an die Familien. Für sie ist die Gefahr, Teil des Systems zu werden, besonders groß. Die Familien aber brauchen eine Außenorientierung, um ihre in der Regel als negativ erlebte Isolation zu überwinden. Besonders Kinder und Jugendliche aus „unvollständigen“ Familien, bei denen ein Elternteil faktisch oder erzieherisch-emotional ausfällt, suchen häufig – beginnend mit der Vorpubertät – nach einem gleichgeschlechtlichen Identifikationspartner, an dessen Verhalten sie sich orientieren können. Sie kopieren sein Äußeres, sein Verhalten und seine Einstellung. Damit ist ein hoher Anspruch an den Familienhelfer gestellt.
„Erziehung ist Vorbild und Liebe, weiter nichts“ (Pestalozzi). Das gilt auch für die Familienhilfe. Für Eltern und besonders für Erzieher, die mit Kindern zusammenleben, ist die schwerste Aufgabe, die sich ihnen stellt, rund um die Uhr Vorbild zu sein. Eltern, die nach dem Motto zu erziehen versuchen: „Tu nicht das,...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Einführung
  7. 1 Wo kann Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden?
  8. 2 Wer kann Familien- und Erziehungshilfe leisten?
  9. 3 Wie kann Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden?
  10. 4 Das diagnostische Instrumentarium
  11. 5 Berichte und Reflexionsinstrumentarium
  12. 6 Das umfeldorientierte Modell: „Integration statt Isolation“
  13. Schlussgedanken
  14. Literaturverzeichnis
  15. Anhang