Tausend Tode und ein Leben
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Tausend Tode und ein Leben

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder - Ursachen, Folgen und Therapie

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Tausend Tode und ein Leben

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder - Ursachen, Folgen und Therapie

About this book

"Voller WĂŒrde, Humor und Klugheit ist dieses Buch geschrieben." So charakterisiert Prof. Luise Reddemann das Werk, das sich in drei Teile untergliedert. Im ersten Teil werden Zahlen, Daten und Fakten zusammengestellt und sinnvolle PrĂ€ventionsmöglichkeiten vorgestellt. Der zweite Teil erlĂ€utert, wie ein Trauma entsteht und welche langfristigen Folgen es haben kann. Die Autorin verknĂŒpft dabei aktuelle Forschungsergebnisse mit ihren eigenen Erfahrungen; komplexe ZusammenhĂ€nge werden so einleuchtend und nachvollziehbar erklĂ€rt. Der dritte Teil beschreibt die erfolgreiche Traumatherapie. Das Buch gibt Betroffenen Mut, Hoffnung und Expertise. Fachleute profitieren von dem authentischen Fallbeispiel.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2015
Print ISBN
9783170290761
eBook ISBN
9783170290785

Teil 1

Sexueller »Kindesmiss-Brauch« in Deutschland: Zahlen, Daten, Fakten

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder: Definition, Ursachen und Folgen

Als Betroffene bin ich wĂŒtend. Auf den TĂ€ter, auf diejenigen, die mich nicht geschĂŒtzt haben? Sicher auf die auch, immer noch. Aber jetzt – erwachsen, betroffen und vielleicht geheilt – jetzt bin ich wĂŒtend darĂŒber, wie wir alle als Gesellschaft mit dem Thema »Miss-Brauch« von Kindern umgehen. TĂ€glich, stĂŒndlich wird Kindern sexuelle Gewalt zugefĂŒgt. Organisiert und quasi öffentlich in den bei uns so beliebten Urlaubs-«Paradiesen«, privat und versteckt in Familien und Institutionen in Deutschland. Vor unserer HaustĂŒr, in unserer direkten Nachbarschaft. Was leisten wir heute, um die Kinder zu schĂŒtzen? Ratlos stehen wir da, ĂŒberzeugende Antworten gibt es kaum.
Die Familie soll einen RĂŒckzugsort bieten, das Private wird gesetzlich geschĂŒtzt. Das gehört zu den Grundlagen unserer Gesellschaft, auf dieses Privileg sind wir stolz. Doch alle Statistiken zeigen ein einhelliges Bild: die meisten Delikte sexualisierter Gewalt gibt es im Familien-, Verwandten- oder Bekanntenkreis. Ganz offensichtlich passt da etwas nicht zusammen. PrĂ€vention beginnt nicht bei den Kindern. Wir Erwachsene sind in der Pflicht.

Kinder haben ihre eigene SexualitÀt!

Kinder haben ein sexuelles Empfinden, sie reagieren auf Stimulanzen und sind neugierig bereit, ihren Körper und den von anderen Kindern zu erkunden. »Doktorspiele« unter Gleichaltrigen gehören dazu, auch wenn diese AktivitĂ€ten viele Erwachsene irritieren. Doch nur bei Kindern passen Erwartungs- und Erlebnishorizont zueinander. Diese Erkundungen sollten ohne Überwachung oder Kontrolle von Erwachsenen möglich sein, auch wenn dieser Ansatz ein Risiko beinhaltet. Auch unter nahezu Gleichaltrigen kann es zu Übergriffen oder GrenzĂŒberschreitungen kommen. Kinder, die sich bedrĂ€ngt fĂŒhlen, mĂŒssen Schutz bei Erwachsenen finden können. Allerdings gilt: hysterische Reaktionen oder Schuldzuweisungen sind belastend fĂŒr alle Beteiligten. Stigmatisierungen von »TĂ€tern« und »Opfern« haben weitreichende Folgen fĂŒr beide. Kinder sollen Lebenskompetenzen erlernen; dazu gehört, die eigenen Grenzen zu erkennen und die Grenzen der anderen zu beachten.
Worauf kommt es an? Unter anderem darauf, die sexuelle Entwicklung der eigenen Kinder nicht zu negieren. Wird das Thema in den Familien tabuisiert, dann kann ein Kind auch einen eventuellen »Miss-Brauch« nur schwer offenbaren. Dabei ist das so wichtig! Je eher ein betroffenes Kind Hilfestellungen erhĂ€lt, umso harmloser werden die Konsequenzen sein. Nicht jeder sexuelle Übergriff verursacht ein Trauma, nicht jeder Vorfall hat lebenslange Konsequenzen. Es ist die schwierige Aufgabe von Eltern und Erziehern, im richtigen Moment schĂŒtzend einzugreifen. Uns allen fĂ€llt es schwer, einen Maßstab fĂŒr die Beurteilung von »angemessen« und Â»ĂŒbergriffig« zu finden.
Deshalb mĂŒssen Eltern lernen, zwischen ihrem und dem Empfinden der Kinder zu trennen. Welche Ängste habe ich, was projiziere ich davon auf mein Kind. Wer ist beunruhigt? Steckt mein Kind in einem Dilemma, oder bietet die Situation eine Plattform fĂŒr meine alten KĂ€mpfe? Gerade in belastenden Situationen mĂŒssen wir daran denken: »Mein Kind ist ein eigenstĂ€ndiges Wesen. Mein Kind hat eine eigene Geschichte. Meine Erlebnisse, Verletzungen und Erfahrungen gehören zu mir. Mein Kind ist davon nicht betroffen. Es hat eigenen Erfahrungen gemacht, es hat eigenen Erlebnisse, eigene GefĂŒhle, eigene Strategien – und eigene Anschauungen.« Bei allem, was passieren kann: Kinder brauchen UnterstĂŒtzung, Trost und Hilfe, aber keine zusĂ€tzliche Aufregung.

Die öffentliche Wahrnehmung

Was denkt »die Öffentlichkeit« ĂŒber sexuellen »Kindes-miss-Brauch«? Was fĂŒr eine Frage, »KinderschĂ€nder« tun etwas Verwerfliches, darĂŒber muss man gar nicht diskutieren. Ach so? Fragen Sie einmal die Betroffenen. Fragen Sie mal die Initiatoren des Aufrufs: »Ich habe nicht angezeigt, weil  « In der Regel blĂ€st der Wind nicht den TĂ€tern ins Gesicht. Die Opfer haben die Beweislast, und sie machen immer wieder die Erfahrung, dass man ihnen nicht glaubt.
Schließlich ist es auch ein schwerwiegender Vorwurf, der, wenn er unberechtigt geĂ€ußert wird, Existenzen und Familien zerstört. Ist er jedoch berechtigt und wird nicht geĂ€ußert, dann gilt dasselbe, und zwar potenziert. Es bleibt nicht bei einem Einzelschicksal, TĂ€ter sind in der Regel mehrfach tĂ€tig. Werden sie nicht gestoppt, dann finden sie immer neue Opfer.
Die Justiz agiert zurĂŒckhaltend, der gesellschaftliche Meinungsbildungsprozess schreit nach Eskalation. Es geht darum, Schuldige an den Pranger zu stellen. Das hat so funktioniert, als 2010 ĂŒber die MissstĂ€nde in Heimen und Internaten berichtet wurde. Das funktioniert mit dem Ex-Bundestagsabgeordneten Edathy. Wohlgemerkt: Ich habe nichts dagegen, Schuldige zu bestrafen. Doch hilft der öffentliche Pranger? Leider zeigt die Erfahrung, dass nach dem ersten »shitstorm« alle wieder zur Tagesordnung ĂŒbergehen. An den Strukturen wird nichts verĂ€ndert. Eskalierende Meinungsbildungsprozesse sind wie das griechische Drama. Am Ende steht die Katharsis. Der Mensch hat sich so schön aufgeregt, belohnt wird er mit dem GefĂŒhl: »Alles ist gut.« Dieser Eindruck trĂŒgt. Das gilt fĂŒr die Berichterstattung ĂŒber BSE, die Vogelgrippe, fĂŒr Lebensmittelskandale – und das gilt uneingeschrĂ€nkt auch fĂŒr die Berichte ĂŒber sexuelle Gewalt gegen Kinder.
Den alltĂ€glich stattfindenden Horror blenden wir aus. Niemand stellt sich gern der Gewissheit, dass zumindest in unserem erweiterten Umfeld TĂ€ter und Opfer gibt. Die in den Familien, von Verwandten oder guten Freunden verletzten Kinder haben keine Lobby. Doch um Kinder sinnvoll zu schĂŒtzen, mĂŒssen wir auch das »Undenkbare« fĂŒr möglich halten. Ohne hysterisch zu werden, ohne Überreaktionen, ohne blinden Aktionismus.

Juristischer Begriff und die Grundlagen der Rechtsprechung

Vorsicht Trigger
Angst

ist das, was durch mich kriecht, unbestimmt und immer da.
Im Hinterkopf, im Bauch – als Kloß in der Kehle.
Angst ist das, was mich verschwimmen lÀsst.
Grenzenlos ins Unendliche.
Angst ist Knoten und Auflösung zugleich.
Sexualisierte Gewalt an Kindern ruft Traumata hervor. Die Sexualwissenschaftler (
arrow
Kap. PlĂ€doyer gegen PĂ€dosexualitĂ€t, S. 21) Ă€ußern sich eindeutig und unmissverstĂ€ndlich: Sexuelle Handlungen von Erwachsenen – oder Ă€lteren Jugendlichen – an Kindern sind immer Gewalt, auch wenn das Kind nicht geschlagen oder bedroht wird. Denn in der Regel wehren die Kinder sich nicht, die GrĂŒnde dazu sind vielfĂ€ltig (
arrow
Kap. Das Bindungs-Dilemma, S. 141). Das macht den sexuellen Angriff nicht weniger schlimm. Keine Gegenwehr bedeutet niemals EinverstÀndnis.
Vorsicht Trigger
Wenn ich jetzt hier sitze – erwachsen, in meinem privilegierten Haus, mit funktionierender Familie und abgesicherter Existenz – und ich horche in mich rein, dann ist es immer noch da. Eine große Welle ĂŒbergroßer Traurigkeit steigt auf. In meiner Blase meldet sich ein Brennen und Ziehen. Meine Atmung wird flacher, mein Hals tut mir weh. Ich halte die Luft an, der Kopf schmerzt. Der Kloß im Hals wird immer stĂ€rker, ich kann kaum noch atmen. Alle Glieder schmerzen, Arme und Beine sind bewegungsunfĂ€hig.
Da ist so großes Leid. Obwohl ich jetzt und hier in meinem gesicherten und guten Leben sitze. Horche ich in mich hinein, dann ist die Grenze zwischen Leben und Tod immer noch fließend. Ich könnte hier sitzen bleiben und einfach aufhören mit der Existenz.
In der Justiz gilt der § 176 des Strafgesetzbuches.i Der besagt: alle sexuellen Handlungen eines Erwachsenen (oder Jugendlichen) an, mit oder vor einem Kind unter 14 Jahren oder die Anleitung eines Kindes zu sexuellen Handlungen an sich oder anderen können mit Freiheitsstrafen von 3 Monaten bis zu 10 Jahren sanktioniert werden. Die Betonung liegt auf können. Zwar ist die Anzeigebereitschaft in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, doch durchschnittlich nur 32% der Angeklagten wurden in den letzten 20 Jahren auch verurteilt; Tendenz nicht steigend. Die GrĂŒnde fĂŒr diese Diskrepanz? Sie liegen vielleicht in den verkrusteten Strukturen, bezeugen vielleicht ein immer noch vorhandenes patriarchalisches Denken im Justizapparat. In nahezu jedem Verfahren lassen sich »Schwierigkeiten in der Beweislast« finden.
Richter, AnwĂ€lte und StaatsanwĂ€lte kennen sich mit Traumafolgen nur rudimentĂ€r aus. Dieser Umstand wird in den Justizverwaltungen intern bemĂ€ngelt, zu Weiterbildungen fehlt jedoch die Zeit (vgl. Bergmann 2011). Es gibt kein eindeutiges »sexual abuse syndrom«, das hat Folgen fĂŒr die juristische Praxis. Die Auswirkungen der erlebten sexuellen Gewalt sind individuell sehr unterschiedlich und können nicht zweifelsfrei bestimmten sexuellen Handlungen zugeordnet werden. Sofern akute physische Verletzungen nicht dokumentiert wurden, sind die Aussagen der Opfer die einzigen Hinweise.
Schwere Anschuldigungen können eine Karriere, ein Leben zerstören. Schwere Anschuldigungen, zu Unrecht vorgetragen, sind ein infames Mittel, um den Gegner heftig zu treffen. VergewaltigungsvorwĂŒrfe nach Beendigung einer Partnerschaft, Miss-BrauchsvorwĂŒrfe, um den Vater zu diffamieren: sicher wird es FĂ€lle geben, in denen die vermeintlichen »Opfer« die tatsĂ€chlichen TĂ€ter sind und so ihren persönlichen Rachefeldzug starten. Genau deshalb soll die Justiz fĂŒr AufklĂ€rung sorgen. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich jedoch daraus, dass sowohl die Laien als auch die Fachleute (und genau das ist so erschreckend!) zu einer Vorverurteilung neigen. Wenn Anzeige erstattet wird, dann geraten zunĂ€chst einmal die Anzeigenden in Verdacht. Opfer eines Gewaltverbrechens geworden zu sein, und dann die Erkenntnis, dass einem niemand glaubt: das ist nur schwer zu ertragen. Und es ist kein Einzelfall, das ist gut belegbar (vgl. u. a. #ichhabenichtangezeigt). Es gibt 1000 gute GrĂŒnde dafĂŒr, den Schritt zur Justiz nicht zu wagen. Und trotzdem ist dieser Schritt so wichtig. Warum? Weil wir mittlerweile wissen, dass TĂ€ter sich mehr als nur ein Opfer suchen. Weil sie ĂŒber Jahre, ĂŒber Jahrzehnte aktiv sein können. Und dabei die Entwicklung von vielen jungen Menschen in den Grundfesten erschĂŒttern können.
Ich kann leicht fĂŒr das Anzeigen votieren, mein TĂ€ter ist seit vielen Jahren tot. Ich kann ihn nicht mehr anzeigen. Ansonsten hĂ€tte ich gute Voraussetzungen: Ich lebe schon seit Jahrzehnten in einem anderen Bundesland, habe mich formal schon vor langer Zeit aus den familiĂ€ren ZusammenhĂ€ngen gelöst. Eine Anzeige wĂŒrde mein Alltagsleben nicht beeintrĂ€chtigen, meine sozialen Kontakte wĂŒrden nicht gestört. Das ist heute so: mehr als 40 Jahre, nachdem der Miss-Brauch das letzte Mal geschehen ist. Wie war das frĂŒher? Ich erinnere mich an entsetzliche Seelenqualen. Als Jugendliche habe ich die ersten Trigger erlebt: GerĂŒche verursachten Abscheu, Bilder poppten auf, Körpererinnerungen machten sich bemerkbar. Ich wusste zwar nicht genau, was passiert war. Aber ich wusste genau: da war etwas mit diesem Onkel. Und dann kam eine bittere Erkenntnis: seine Enkelin! Dieses MĂ€dchen, 7 Jahre jĂŒnger als ich, dieses MĂ€dchen hatte schon lange meine Stelle eingenommen.
Ja, ich wĂ€re in der Pflicht gewesen. Ich hĂ€tte etwas sagen mĂŒssen, fĂŒr AufklĂ€rung sorgen, dieses MĂ€dchen »retten« mĂŒssen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht darĂŒber reden. Aus eigener Kraft hĂ€tte und habe ich das damals nicht geschafft. Wobei ich die kleine Suse nicht nur verraten habe. Denn mir war plötzlich klar, dass es mit ihr schon lange so gegangen sein muss. Und ich habe mich daran erinnert, dass die Angst vor der Entdeckung durch andere Ă€hnlich qualvoll war wie der Miss-Brauch selbst. Ich habe gelitten, da war wirkliches Mit-Leid mit dem neuen Opfer. Aber ich habe nichts gesagt. Auch, um sie nicht zusĂ€tzlich zu verletzen.
Heute ist mir klar, dass vor mir zumindest seine eigene Tochter sein Opfer war. Und mir fallen noch zwei, drei, vier andere MĂ€dchen ein, die dazugehören könnten. Und wie viele kamen danach noch? Damals, in meiner jugendlichen grenzenlosen NaivitĂ€t, habe ich mir eingeredet, dass er dann ja schließlich zu alt fĂŒr »solche Sachen« geworden ist. Heute weiß ich, dass es keine Altersgrenzen gibt. Viele kleine Leben, die von ihm in vielen Bereichen zerstört worden sind. Und niemand hat ihn aufgehalten. Ich auch nicht. Mit dieser Schuld muss ich leben. (Therapietagebuch)
Die Anzeigepflicht ist ein heiß diskutiertes Thema. Es gibt gute Argumente, die dagegen sprechen. Das wichtigste: noch weniger Betroffene wĂŒrden den Schritt »Offenbarung« wagen, wenn polizeiliche oder juristische Konsequenzen die Folge wĂ€ren. Jetzt eine Anzeigepflicht einzufĂŒhren wĂŒrde bedeuten, das Pferd von hinten aufzuzĂ€umen. Momentan ist es noch so, dass die Unschuldsvermutung fĂŒr den Angeklagten gilt – und die Anklage unter Generalverdacht gestellt wird. Es gibt etliche Anwaltskanzleien, die sich auf die Verteidigung von SexualstraftĂ€tern spezialisiert haben. Die werben damit, dass 90% ihrer FĂ€lle schon wĂ€hrend des Ermittlungsverfahrens eingestellt werden. Das bedeutet: der Sachverhalt kommt nicht mal vor Gericht. Wenn doch, dann droht ein GlaubwĂŒrdigkeitsgutachten. Das bedeutet: Die Aussagen werden auf WidersprĂŒche untersucht und dann als unglaubwĂŒrdig deklassiert; im Anhang finden Sie dazu ein Informationsschreiben eines AnwaltsbĂŒros, dass sich auf die Abweisung von Anklagen wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder spezialisiert hatii. Liest man diese Seiten, dann wird eines ĂŒberdeutlich: In den Aussagen traumatisierter Menschen lassen sich mit Leichtigkeit genau die WidersprĂŒchlichkeiten finden, die laut der derzeit geltenden Auslegung auf nicht wahrheitsgemĂ€ĂŸe Aussagen hindeuten. Mit der ÜberprĂŒfung der GlaubwĂŒrdigkeit wird zudem eine Verleumdungsklage angekĂŒndigt. Diese AnwĂ€lte wissen: Angriff ist die beste Verteidigung.
Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt kann in letzter Konsequenz nicht auf der juristischen Ebene gewonnen werden. PrÀvention ist wichtiger als Sanktion! Aber wir wissen um die SchwÀchen unserer Rechtsprechung. Eine aufgeklÀrte und demokratische Gesellschaft sollte daran arbeiten, diese Fehlentwicklungen zu optimieren. Idealistisch gedacht, sicherlich. Aber ich bin nun einmal ein bedingungsloser Optimist 


TĂ€ter und ihre Charakteristiken

Wer kann TĂ€ter sein? Nahezu jeder - und jede. Bis vor einigen Jahren waren wir der festen Überzeugung, dass nur die MĂ€nner »missbrauchen« und die Opfer fast immer weiblich sind. Das stimmt so nicht. Auch Frauen sind TĂ€ter, zum einen dadurch, dass sie Beihilfe leisten. Aber es gibt auch aktive Miss-Braucherinnen. Wenn ich im Folgenden also von den TĂ€tern spreche, dann meine ich damit auch Frauen. Fakt ist: es gibt kein Ă€ußeres Merkmal, an dem Sie einen TĂ€ter erkennen können, nicht einmal das Geschlecht. Nichts. Nada. Niente.

PlÀdoyer gegen PÀdosexualitÀt

Die Sexualforscher gehen davon aus, dass 25 bis 50% der sexualisierten Gewalt an Kindern von pĂ€dophilen TĂ€tern begangen wird (vgl. Marshall 2005). Im Umkehrschluss bedeutet das: 75 bis 50% der TĂ€ter sind nicht pĂ€dophil! Die genaue Anzahl lĂ€sst sich nicht bestimmen, da zum einen die große Mehrzahl der TĂ€ter nicht angezeigt wird. Zum anderen: auch bei bekannt gewordenen FĂ€llen wird keine Diagnostik durchgefĂŒhrt.
Doch was versteht die Sexualwissenschaft unter PĂ€dophilie? Sie bezeichnet eine sexuelle PrĂ€ferenz fĂŒr kindliche Körper bis zur VorpubertĂ€t. Diese PrĂ€ferenz bildet sich in der Regel bis zum 16. Lebensjahr, spĂ€testens jedoch bis zum Ende der zweiten Lebensdekade heraus. Sexuelle PrĂ€ferenzen des Menschen sind nicht verĂ€nderbar. Das gilt fĂŒr die Homophilie genauso wie die PĂ€dophilie. Doch die beiden SexualprĂ€ferenzen unterscheiden sich grundlegend: HomosexualitĂ€t funktioniert in der Regel im gegenseit...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Geleitwort von Luise Reddemann
  5. Geleitwort von Gabriele Heyers
  6. Inhalt
  7. EinfĂŒhrung
  8. Teil 1: Sexueller »Kindesmiss-Brauch« in Deutschland: Zahlen, Daten, Fakten
  9. Teil 2: Trauma und TraumafolgeschÀdigungen
  10. Teil 3: Heilung ist möglich!
  11. Literaturverzeichnis
  12. Anhang
  13. Endnoten
  14. Index