1 EinfĂŒhrung: Soziale Arbeit in interkultureller Orientierung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis
âWenn zwei dasselbe sagen, ist einer zuviel.â
Russisches Sprichwort
Professionelle Interkulturelle Soziale Arbeit1 will unter anderem ein Gegengewicht zur sozialen und ethnischen Segregation von Zuwanderern bilden, Migrationsrisiken abfedern, zur BewĂ€ltigung von Integrationsprozessen beitragen oder das âinterkulturelleâ Zusammenleben fördern. Um solche Ziele â im VerstĂ€ndnis einer âGerechtigkeitsprofessionâ â (vgl. Schrödter 2007) zu erreichen, bedarf es einer Sozialen Arbeit, die auf lebenswelt-hermeneutischen sensitiven ZugĂ€ngen beruht und auf der Basis von sozialrĂ€umlich orientierten Konzepten entwickelt wird. ProfessionalitĂ€t steht dabei fĂŒr die spezifische QualitĂ€t einer solchen sozialpĂ€dagogischen Handlungspraxis, die eine Erhöhung von Handlungsoptionen, ChancenvervielfĂ€ltigung und die Steigerung von Partizipations- und Zugangsmöglichkeiten auf Seiten der Adressaten Sozialer Arbeit zum Ziel hat. Hierzu zĂ€hlen Einflussnahmen auf die soziale Infrastruktur und Sicherung der Regelversorgung der Migranten, UnterstĂŒtzung von Migranteninitiativen, psychosoziale Beratung von Migranten und ihren Familien, sozialpĂ€dagogische Arbeit mit Ă€lteren Migranten, psychosoziale Beratung fĂŒr FlĂŒchtlinge, interkulturelle Jugendarbeit, Aufbau interkultureller Mediationsangebote zur Vermittlung im Falle ethnischkulturell begrĂŒndeter Konflikte, Antidiskriminierungsarbeit oder die interkulturelle Qualifizierung auf institutioneller wie personaler Ebene. Die ProfessionalitĂ€t interkulturellen sozialpĂ€dagogischen Handelns bewegt sich dabei im Spannungsfeld von âWissenâ, âKönnenâ und âReflexionâ, wodurch sie mit beruflichen Konzepten und Erfahrungen anderer Felder der Sozialen Arbeit vergleichbar ist.
Wenn in dem vorliegenden Band von Sozialer Arbeit in âinterkultureller Orientierungâ oder auch in âinterkultureller Perspektiveâ gesprochen wird, und nicht einfach von einer âinterkulturellen Sozialen Arbeitâ die Rede ist, so hat dies zwei GrĂŒnde: Zum einen wollen wir bereits im Titel verdeutlichen, dass es bei der sogenannten âInterkulturellen Sozialen Arbeitâ nicht allein um einen Teilbereich im Sinne ausgewiesener Arbeitsfelder handelt, sondern daneben und mit zunehmender Bedeutung um die BerĂŒcksichtigung âinterkulturellerâ Aspekte in nahezu allen Arbeitsfeldern und Konzepten Sozialer Arbeit im Sinne eines Querschnittsthemas. Zum anderen soll mit dieser perspektivisch offenen Formulierung deutlich werden, dass hier zwar bestehende theoretische Grundlagen, Konzepte und Praktiken Sozialer Arbeit im interkulturellen Feld zu beschreiben und zu rekonstruieren sind, darĂŒber hinaus freilich der Prozess interkultureller Qualifizierung im Kontext von Migrations- und Einwanderungstatsachen in der Bundesrepublik in vollem Gange und damit auf Zukunft gerichtet offen ist. So orientieren sich die folgenden Kapitel analytisch und empirisch gestĂŒtzt an realen Migrationsfolgen als Teil der sozialen Wirklichkeit. Im Sinne einer auch normativ vertretbaren Orientierung sollen dieselben auf Migrationen und ihren Folgeerscheinungen beruhenden Tatsachen jedoch auch als Teil menschlicher Praxis verstanden werden, also die Innenperspektive der an interkulturellen Auseinandersetzungen beteiligten Menschen berĂŒcksichtigen.
Soziale Arbeit in interkultureller Orientierung ist somit eingebunden in die verallgemeinerbare Bestimmung aller Sozialen Arbeit im Horizont gelingenden Lebens. Damit sind die Gegenstandsbereiche einer theoretischen Auseinandersetzung mit der interkulturellen Orientierung angesprochen: Zum einen Befunde aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, zum anderen hermeneutische, auf Erziehungswissenschaften, Philosophie oder Ethik verweisende ZugĂ€nge. SchlieĂlich muss der inzwischen auch alltagssprachlich verbreitete Slogan von der âInterkulturalitĂ€tâ als DiskursphĂ€nomen reflektiert werden (vgl. Hamburger 2008, S. 106 f.).
Wenn heute in den Medien, der bundesrepublikanischen Ăffentlichkeit, der Politik oder in Fachkreisen unterschiedlichster Berufe um Fragen gestritten wird, ob z. B. in Deutschland zu viele AuslĂ€nder leben oder zu wenige â v. a. FachkrĂ€fte â zuwandern, ob Muslime Moscheen bauen dĂŒrfen sollen, in welcher Anzahl sie zugelassen werden sollen, oder wie hoch sie geraten dĂŒrfen, ob Kinder von Einwanderern auf dem Schulhof sich in deutscher Sprache zu unterhalten haben, oder ihnen das nur im Unterricht auferlegt werden darf, ob Kinder auslĂ€ndischer Eltern zuviel muttersprachliche Sendungen fernsehen oder zu streng erzogen werden, ob Einwanderer einen EinbĂŒrgerungstest machen sollen und wie die Fragen zu lauten haben, ob eheliche Gewalt ein Scheidungsgrund ist und ob der Koran es MĂ€nnern erlaubt oder nicht erlaubt, ihre Frauen zu schlagen, ob das deutsche Schulsystem die Menschenrechte verletzt, weil es Bildungschancen nach sozialer Herkunft und damit auch nach migrationsbezogenem Hintergrund auswĂ€hlt, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund eher zu Gewalttaten neigen als andere usw. (vgl. Butterwegge 2006), so interessieren solche Streitpunkte hier nicht unmittelbar, sondern es sollen jene Fragen und spannungsreichen Dimensionen behandelt werden, die ihnen gewissermaĂen vorausgehen.
In Anspielung auf eine Begriffsbestimmung Sozialer Arbeit âals der Summe der Reaktionen auf die BewĂ€ltigungstatsacheâ in modernen Risikogesellschaften (vgl. Böhnisch 1997, S. 24, der dies wiederum in Anlehnung an eine Definition Siegfried Bernfelds von âErziehungâ als Summe der Reaktionen auf die Entwicklungstatsache getan hat) können wir hier von der Summe der Reaktionen auf die Migrationstatsache sprechen, die es â begrenzt auf das Feld der Sozialen Arbeit â zu bearbeiten gilt. So sollen Schnittstellen, Kreuzungen und BerĂŒhrungspunkte, die die Soziale Arbeit mit MigrationsrealitĂ€ten hat, ausgelotet und ausgeleuchtet werden.
Die vorliegende Publikation will die inzwischen komplexe und nahezu unĂŒbersichtliche Fachdebatte um eine immer wieder geforderte interkulturelle Ausrichtung Sozialer Arbeit auf aktuellem Stand zusammenfĂŒhren. Dabei werden theoretische Grundlagen der interkulturellen PĂ€dagogik, sozialwissenschaftliche Befunde und Problemstellungen aus der Praxis Sozialer Arbeit aufeinander bezogen.
Erfordernisse aus zwei Entwicklungen werden somit aufgegriffen:
- Die Durchdringung von Praxisfeldern Sozialer Arbeit mit Anliegen und Anforderungen, wie sie aus der Pluralisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und einer sich verstetigenden Einwanderungs- und MigrationsrealitÀt im Besonderen resultieren.
- Die aktuelle Entwicklung der Reform einschlĂ€giger StudiengĂ€nge und der Bedarf an Fort- und WeiterbildungsmaĂnahmen hinsichtlich interkultureller Qualifizierungen in sozialen und anderen Berufen.
Der Band will Theorie und Praxis einer interkulturell orientierten Sozialen Arbeit einleitend beschreiben, dabei die Kontroversen um verschiedene Konzepte diskutieren und vor dem Hintergrund gegenwÀrtiger Paradigmenwechsel in der Gestaltung des Sozialen Perspektiven beleuchten.
Damit kommt das Projekt einem Bedarf nach einer einfĂŒhrenden Orientierung fĂŒr all jene entgegen, die eine interkulturelle Qualifizierung ihrer beruflichen Praxis anstreben, sich jedoch nicht mit einem technisch-operativen VerstĂ€ndnis interkultureller Kompetenz begnĂŒgen, sondern ihr Handeln verstehensorientiert und analytisch begrĂŒnden wollen.
Dem professionellen Akteur Sozialer Arbeit werden sich dabei zuerst Fragen aufdrÀngen, die ihm praktisch folgenreich und relevant erscheinen:
Wo und wie handelt und bezieht sich die Soziale Arbeit heute auf Migration und Einwanderung? Woran liegt es, wenn Praktiker und Praktikerinnen der Sozialen Arbeit zwischen deutschen und auslĂ€ndischen Klient/innen unterscheiden und auf welche Weise treffen sie eigentlich Unterscheidungen mit welchen Wirkungen? Warum gibt es noch keine ausreichenden Strukturen und Praxen beruflich verantworteter institutionalisierter sozialer Hilfen, die dem Anspruch genĂŒgen können, niemanden auszugrenzen, und warum scheinen umgekehrt vorhandene Hilfen oft nicht in Anspruch genommen zu werden? Welche Deutungsmuster spielen in sozialen Interaktionen beruflichen Handelns immer wieder eine Rolle und wo liegen die Fallen des Fehlverstehens und der missglĂŒckten VerstĂ€ndigung in einer Profession, deren wichtigste Kompetenz oft auf Verstehen und VerstĂ€ndigungsfĂ€higkeiten beruht?
Die Diskussion um eine âinterkulturelle PĂ€dagogikâ hat im BemĂŒhen, solche und weitere Fragen besser beantworten zu können, die wissenschaftliche Reflexion der Sozialen Arbeit seit geraumer Zeit erreicht, und es wird deutlich, dass solche Fragen bereits theoretische Fragen sind. Wir gehen dabei davon aus, dass es nicht die Aufgabe der theoretischen Reflexion sein kann, Rezepte fĂŒr eine angemessene Praxis bereitzustellen, vielmehr kann sie die oft in Routinen festgefahrenen praktischen Handlungsformen und Strukturen, die ja immer auch schon theoriegeleitet erfolgen, kritisch spiegeln und eventuell Alternativen verfĂŒgbar halten.
Alles Handeln ist demnach auch dann theoriegeleitet, wenn es sich dessen nicht bewusst ist. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Angebot, das jeweilige Bezugswissen auszuweiten, so dass in den komplexen Situationen, in denen Sozialarbeiter meist situativ handeln und handeln mĂŒssen, der Anteil wĂ€hlbarer Optionen zunimmt.
Die interkulturelle Attribuierung Sozialer Arbeit entwickelte sich als Resonanz auf die Irritationen, die in einigen ihrer Arbeitsfelder durch das Auftauchen auslĂ€ndischer Klienten entstanden. Die zunĂ€chst âauslĂ€nderpĂ€dagogischâ ausgerichtete Theoriebildung machte es sich zur Aufgabe, einen sozialwissenschaftlichen Verstehenshorizont zu entwerfen, der eine sozialpĂ€dagogische Praxis begrĂŒnden sollte. Ihrem SelbstverstĂ€ndnis nach wollte sie den pĂ€dagogischen Umgang mit Migranten, der vor allem durch zunĂ€chst oft diffuse sozialarbeiterische und sozialpĂ€dagogische Hilfestellungen gekennzeichnet war, reflektieren, die Ursachen fĂŒr die Ăberforderung der SozialpĂ€dagogen analysieren und die Kompetenz der Mitarbeiter in Einrichtungen der Sozialen Arbeit erhöhen.
Als Resultat der migrationspolitischen Debatten wurde die Interdependenz pĂ€dagogischer Fragestellungen mit soziologischen, ökonomischen, juristischen oder kulturtheoretischen Aspekten offensichtlich. Nach der Abwendung von auslĂ€nderpĂ€dagogischen AnsĂ€tzen und der ihnen zugrundeliegenden Defizit-Hypothese, die ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum als theoretischer Bezugsrahmen einer kompensatorischen sozialpĂ€dagogischen Praxis gegenĂŒber dem auslĂ€ndischen Klientel diente, setzte sich im Zuge der Einsicht in die IrreversibilitĂ€t der Zuwanderung und ihre Auswirkungen auf die Aufnahmegesellschaft die âinterkulturelle Hypotheseâ in der PĂ€dagogik und in der Sozialen Arbeit durch. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung spiegelt sich in der seinerzeit von Hohmann (1983, S. 6) aufgeworfenen Frage nach Möglichkeiten einer VerĂ€nderung gegebener theoretischer wie praktischer AnsĂ€tze im pĂ€dagogischen und sozialpĂ€dagogischen Feld, um adĂ€quate Antworten auf die durch die Migration bestimmte gesellschaftliche Situation zu erhalten. Die EinfĂŒhrung des âKulturellenâ als zentrale Kategorie zur Beschreibung einer verĂ€nderten â multikulturellen â gesellschaftlichen RealitĂ€t fĂŒhrte zu einer neuen Aufgabenstellung fĂŒr die SozialpĂ€dagogik, da sie zwischen Vertretern unterschiedlicher kultureller Traditionen und ethnischer Gruppen vermittelnd intervenieren sollte. So wurde an sie die Forderung herangetragen, âverschiedene Kulturen aufeinander zu beziehen und sich nicht ⊠(auf) die bloĂe Steuerung und Kontrolle des Nebeneinanderâ (Porcher 1984, S. 37) zu beschrĂ€nken. Erhofft wurde, dass Interkulturelle SozialpĂ€dagogik zunĂ€chst âals Praxisidee entweder der EinĂŒbung in wechselseitige Toleranz gegenĂŒber der jeweils âfremden Kulturâ [dient] oder aber dem gegenseitigen Austausch mit der Erwartung kultureller Bereicherungâ (Czock 1993, S. 101).
Soziale Dienste und Institutionen stellen sich heute unter dem Einfluss fortdauernder Einwanderungs- und Migrationsprozesse in der Bundesrepublik den Fragen und Anforderungen einer interkulturellen Qualifizierung. Damit wird eine Entwicklung sichtbar, die im Rahmen von Handlungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit AnsprĂŒchen einer diskriminierungsfreien anerkennenden Praxis gegenĂŒber einer in sich höchst differenzierten Adressatengruppe gerecht werden will. Angesprochen sind hier im Grunde alle Felder und Praxisformen Sozialer Arbeit: Zum einen in Hinblick auf spezifische Arbeitsfelder etwa im Bereich der Asylarbeit, in Hinblick auf advokatorische Initiativen fĂŒr Menschen in irregulĂ€ren Lebenssituationen oder auf dem Feld spezifischer IntegrationsmaĂnahmen fĂŒr Migranten. Hier geht es um spezifische WissensbestĂ€nde und Qualifikationen wie in anderen Fachdiensten auch, zum Beispiel um Kenntnisse rechtlicher Rahmenbedingungen und ihrer möglichen sozialen Folgen im Bereich des Zuwanderungs- und Asylrechts, um Kenntnisse verschiedener Migrationsformen und Migrationsrisiken, um Lebenslagen, Integrations- und Wanderungsperspektiven angemessen deuten und in helfenden, fördernden oder prĂ€ventiven MaĂnahmen begleiten zu können. Zum anderen aber geht es vor allem um all jene sogenannten anderen Regeldienste, die sich darauf einzurichten haben, dass ihre Angebote in einem sozialen Umfeld wirksam greifen sollen, in dem mit Vorstellungen kultureller HomogenitĂ€t und mit Perspektiven kultureller Homogenisierung nicht mehr hinreichend operiert werden kann. Eine Gestaltung des Sozialen kommt heute ohne interkulturelle Orientierung nicht voran und nur eine interkulturell qualifizierte Soziale Arbeit kann beanspruchen, ein Teil jener Gestalt des Sozialen zu werden, in der die PluralitĂ€t moderner Einwanderungsgesellschaften angemessen sichtbar wird.
Interkulturelle Orientierungen in der Sozialen Arbeit können auf unterschiedliche Weise vollzogen, beobachtet, beschrieben, interpretiert, kritisiert oder analysiert werden:
- Als Antwort auf empirisch und analytisch feststellbare soziale Gegebenheiten in Migrations- bzw. Einwanderungsgesellschaften,
- als Konsequenzen aus Sichtweisen und Interpretationen in Diskursen, die sich um Begriffe wie âGleichheitâ, âPluralitĂ€tâ, âIntegrationâ, âFremdheitâ, âGlobalisierungâ, âVielfaltâ, âKampf der Kulturenâ, âInterkulturelles Zusammenlebenâ usw. ranken, oder
- als Reaktionen auf vorgÀngige Konzepte und Praxen sozialer Arbeit, die sich als unzureichend herausgestellt haben.
Wird in der ersten Kategorie das BemĂŒhen erkennbar, âInterkulturalitĂ€tâ auf dem Fundament sozialer Tatsachen zu begrĂŒnden, also etwa auf Daten und Analysen zu EinwanderungsrealitĂ€ten in der Bundesrepublik, zu Desintegrationsrisiken von Migranten und Migrantinnen im Bereich der Bildung, Arbeit, Reproduktion oder Aufenthaltsperspektive, so betrifft die zweite Kategorie die Art und Weise, wie ĂŒber Konsequenzen aus solchen Entwicklungen gedacht und geredet und nicht zuletzt wissenschaftlich geforscht und publiziert wird. Die dritte Kategorie schlieĂlich spricht eine Abfolge von Reaktionsweisen an, wie sie sich in Konzepten und Strukturen Sozialer Arbeit niedergeschlagen hat, die sich in ihrer Praxis mit Herausforderungen einer sich durch Migrationen und Einwanderungsprozesse kulturell und sozial pluralisierenden Entwicklung befassen musste.
Da die wissenschaftliche Reflexion der unterschiedlichen Praxisformen bis heute uneinheitlich in ihren ZugÀngen wie in ihrer disziplinÀren und normativen Ausrichtung ist, haben wir es mit durchaus unterschiedlichen Blickrichtungen im Spannungsfeld von Theorie und Praxis zu tun.
Dieses Buch will vor diesem Hintergrund Grundlagen zu einem interdisziplinĂ€r angelegten VerstĂ€ndnis interkultureller Fragestellungen in der Sozialen Arbeit vermitteln. Es ist somit kein Handbuch und beansprucht nicht, einfache Lösungen fĂŒr komplexe Probleme anzubieten, sondern GrĂŒnde und HintergrĂŒnde interkultureller Lebenswelten besser verstehen zu lernen. Gleichwohl werden normative Orientierungen zur Diskussion gestellt.
Die LektĂŒre soll Einblicke in zuweilen differenzierte, auch widersprĂŒchliche und komplexe wissenschaftliche Diskurse ermöglichen, die letztlich unverzichtbar erscheinen, um Handlungsoptionen in der Praxis auszurichten. Eigene Erfahrungen in der Lehre und Praxis zeigen uns, dass eine interkulturell kompetente Soziale Arbeit ohne einen solchen Reflexionsrahmen oft hilflos oder blind bleibt. Ein ausschlieĂlich analytischer Zugang in der Lehre indes, der die oft affektiven âUnterströmungenâ bei der Produktion und Rezeption interkulturell relevanten Wissens ĂŒbersieht, wird möglicherweise das Ziel verfehlen, gerade jene analytischen Kategorien fĂŒr sozialarbeiterisches Handeln fruchtbar zu machen. Werden Studierende zum Lehrbeginn von Seminarveranstaltungen zu Migration und interkulturellen Themen zu eigenen Sichtweisen und Vorerfahrungen befragt, ergibt sich im Ergebnis hĂ€ufig eine merkwĂŒrdige PolaritĂ€t: Migranten werden entweder als Opfer oder als (fundamentalistische) TĂ€ter gesehen, vor allem dort, wo der tatsĂ€chliche Kontakt kaum vorhanden ist2. Es scheint, als fĂŒhlten sich viele Zeitgenossen bei Themen, die sich um Migration, InterkulturalitĂ€t, Integration usw. drehen, immer schon als Experten oder aber hilf- und ahnungslos, was zeigt, wie sehr solche Themen Teil von Alltagsdiskursen geworden sind. Interkulturelle Qualifizierung hat auch damit zu tun, die Quelle solcher Bilder vom TĂ€ter- oder Opferdasein zu rekonstruieren, zu verstehen und ihre vermeintliche SelbstverstĂ€ndlichkeit auch zu dekonstruieren.
Daher haben wir3 versucht, theoretische Spannungsfelder und Grundmuster immer wieder in einen Bezug zu professionellen Problemstellungen zu stellen und mit Beispielen zu il...