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Ein Bräutigam fürs Leben
About this book
Mitte der 1970er entdeckte Natalia Ginzburg dieses literarische Kleinod von 1885 wieder, das mit schnörkelloser Raffinesse und feiner Ironie die lakonische Geschichte eines Entkommens erzählt: Nichts wünscht Denza sich sehnlicher als der ereignislosen Tristesse im Elternhaus zu entkommen. Im Piemont des 19. Jahrhunderts gibt es nur einen Weg: Heiraten. Und so verliebt sich Denza in einen Verehrer, den sie gar nicht kennt. Schon bevor sie ihm endlich begegnet, weiß sie, es ist Liebe. Wann wird er ihr endlich den ersehnten Antrag machen?
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Information

Eine eintönigere, ödere und freudlosere Jugend als meine kann man sich eigentlich kaum vorstellen. Denke ich nach all den Jahren daran zurück, lastet sofort wieder die triste Stille auf mir, die bei uns herrschte, eine Grabesstille, von nichts unterbrochen, in der ganzen langen Zeit nicht, die zwischen dem Wenigen, was sich in unserer Familie zutrug, verging.
An meine Mutter habe ich keine Erinnerung, sie war im ersten Jahr nach meiner Geburt gestorben. Zur Familie gehörten mein Vater, der Notar Pietro Dellara; eine Tante meines Vaters, ein altes Jüngferlein, klein und dürr wie ein Hering, die in der Küche schlief, wo sie ihr Bett hinter einen Paravent gestellt hatte und ihr Leben dahinter im Dunklen verbrachte; meine ältere Schwester Caterina, Titina genannt; und ich, die ich von meinem Patenonkel den unseligen Namen Gaudenzia geerbt hatte, von der Familie zu einem lächerlichen Denza verkürzt.
Ein Haus hatten wir … Himmel, was für ein Haus! Das Vorzimmer war von eindrucksvoller Größe, aber so hell, dass es blendete, und es war vollkommen leer. Nicht einmal seinen Hut konnte man dort irgendwo ablegen. Hier und da ein paar Kübel mit trockenen Erdresten und Stummeln vertrockneter Pflanzen, die eingegangen waren, weil sich niemand darum gekümmert hatte, sie zu gießen; bei Bedarf dienten sie manchmal dazu, die Tür zum Salon aufzuhalten.
Der geräumige Salon war quadratisch und hell – viel zu hell, vor den Fenstern gab es weder Gardinen noch Vorhänge oder anderen Lichtschutz. Möbliert war er mit einem Sofa, das mit dem Rücken zur großen Fensterwand stand, ferner mit vier Sesseln, die, zwei links, zwei rechts vom Sofa, an der Wand postiert waren, sowie acht Stühlen an den Seitenwänden, vier auf jeder Seite. In der Mitte des Raums stand ein runder Tisch, darauf ein wollener Läufer, und auf einer großen Rose in der Mitte des Läufers lag ein Handschuhkästchen, unter dessen gläsernem Deckel ein Paar weiße, ein wenig schmuddelige Handschuhe zu sehen waren. Das Kästchen war Vaters Hochzeitsgeschenk an seine Braut gewesen, meine arme Mutter hatte die Handschuhe am Tag ihrer Vermählung getragen. Rings um das Kästchen lagen ausgebreitet: zwei mit Serviettenringen bestickte Geschirrtücher mit der Aufschrift Buon appetito; ein mit einem seidenen Stiefmütterchen besticktes Zigarrenetui aus rotem Samt; ein dunkles, mit tiefblauem Satin ausgepolstertes Ledermäppchen, das stets offen stand, um den Blick auf die silberne Schale und das silberne Tellerchen freizugeben, die mein Patenonkel Gaudenzio meiner Mutter zu meiner Geburt geschenkt hatte.
Keiner dieser Gegenstände war jemals zu dem Zweck benutzt worden, der für ihn vorgesehen war, dafür waren sie meinem Vater viel zu kostbar, und so bewahrte er sie im Salon auf, dem Prunkzimmer des Hauses.
Hinter dem Salon lag Vaters Zimmer, das ein großes Ehebett ganz ausfüllte. Am Kopfende befanden sich zwei Weihwasserschalen aus ziseliertem Silber, die im Laufe der Zeit angelaufen und noch schöner geworden waren, zwei weitere Weihwasserschalen aus Porzellan, Engelsfiguren, deren erhobene Röckchen als Schale dienten, und schließlich ein fünftes Weihwasserschälchen aus versilbertem Kupfer, von dem sich jedoch alles Silber gelöst hatte; es war die einzige Schale, die tatsächlich Weihwasser enthielt. Darüber hingen unzählige Olivenzweige und Palmwedel sowie ein Bündel Osterkerzen, an denen man die Jahre hätte abzählen können, seit Vater seinen Hausstand gegründet hatte: Da gab es die fast schon heruntergebrannten Kerzen aus den allerersten Jahren, die nur der Baumwolldocht in ihrer Mitte noch zusammenhielt und an dem alte angeschwärzte Wachsstückchen baumelten wie Würste an der Schnur, dann die Kerzen, die bereits blätterten, bröckelten, sich bogen, unbeschädigte, aber schon schmuddelige Exemplare, deren Farben in allen Abstufungen von Braun bis Gelb verliefen, und schließlich die Kerze vom Vorjahr, unversehrt und fast noch weiß, verziert mit rosa und grünen Blümchen, dass es eine Augenfreude war.
Rechts vom Bett stand ein Schrein, in dem Vater argwöhnisch das Geld und die »Familienreliquien«, wie er sie nannte, hütete: fast schon verblasste Daguerreotypien, Hochzeitsporträts von ihm und meiner Mutter, das Häubchen, in dem wir getauft worden waren, ein Stapel vergilbter Blätter mit den Jugendgedichten meines Vaters und schließlich der Schmuck meiner Mutter.
Auf der anderen Seite des großen Bettes standen acht hohe Lehnstühle, nicht antik, nicht schön, schlicht alt, aufgereiht wie Soldaten. Wenn einer von ihnen sich auch nur einen Fingerbreit von der Wand entfernte oder sich um eine Spur seinem Nachbarn näherte, rückte Vater ihn unverzüglich wieder an seinen Platz und gab sich erst dann zufrieden, wenn er die Stühle hockenderweise wie bei einer Schießübung ins Visier genommen hatte und ganz sicher war, dass alle acht in tadelloser Reihe standen.
Hinter Vaters Zimmer lag die große Küche, in der die Tante sich mit dem Paravent ihren Schlafraum abgeteilt hatte und wo trotzdem noch bequem ein Arbeitstisch und ein größerer Esstisch aus Nussbaum Platz fanden.
In dem großen, breiten Zimmer hinter der Küche mit niedriger Decke und weiß gekalkten Wänden schliefen Titina und ich. Wir hatten einfache Betten aus Böcken und Brettern, mit einer großen Decke aus Maisblättern und einer Matratze. Am Kopfende gab es auch für uns eine Weihwasserschale, allerdings wie die Küchentiegel aus lasiertem Ton, sowie Heiligenbildchen, die man, um den Rahmen zu sparen, direkt auf die Wand geklebt hatte, und einen Rosenkranz aus Haselnüssen, mit einer Nuss für jedes Vaterunser, so dass der Kranz uns in Gedanken unzählige Male zur Völlerei verführte. Seine Rettung hatte er in den ersten Jahren seiner sakralen Würde, später dann seinem ranzigen Gestank zu verdanken.
Einen Garten, einen Hinterhof oder einen Balkon, wo man an die frische Luft gekonnt hätte, gab es nicht.
Dafür war mein Vater von einem unerschöpflichen Bewegungsdrang besessen. Gegen jede Krankheit, gegen alle Leiden im Leben ließ er nur zwei Heilmittel gelten, auf die er allerdings nichts kommen ließ: eine Kerze für die Madonna anzuzünden und sich zu bewegen.
Beides setzte er auch präventiv ein, als einfache Vorsorgemaßnahmen; selbst wenn uns keine Krankheit, kein Leid ins Haus kam, gingen wir jeden Freitag ein Licht anzünden, und was die Bewegung angeht, so tun mir beim Gedanken daran noch heute die Füße weh.
Himmel! Was waren das für Märsche auf den langen, geraden, im Winter weißverschneiten, im Sommer staubigweißen Landstraßen, die durch die weiten Ebenen zwischen den Wiesen und den Reisfeldern im Umland von Novara führten, weiter als das Auge reichte!
Wie ich schon erwähnte, war Vater Notar, aber die Mandanten rannten ihm nicht gerade die Kanzlei ein. Er beschäftigte einen jungen Referendar, und dessen Hilfe reichte aus, damit er alles allein erledigen konnte und ihm noch genügend Zeit für unsere ausgedehnten Märsche blieb.
Er hieß uns sehr früh am Morgen aufstehen, ließ uns gerade genug Zeit zum Anziehen, und auf ging es! Zu Hause blieb alles stehen und liegen, die Betten ungemacht, und dann ging es irgendeine Landstraße entlang, immer voran, ganz gleich welche, ganz ohne Ziel.
Es scherte ihn nicht, ob es schöne Orte waren, ihm lag nicht an Exkursionen ins Gebirge, und damit Punkt. Seine Leidenschaft beschränkte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, Stunde um Stunde um Stunde, nur um bei der Rückkehr feststellen zu können: »Wir haben viele Kilometer zurückgelegt!«
Wenn wir zurückkamen, waren wir müde und uns war nicht danach, uns abzurackern, um zu Hause Ordnung zu schaffen. Es gab ein Dienstmädchen, das morgens um acht Uhr kam und bis etwa zwei Uhr blieb. In dieser Zeit sollte sie aufräumen, auf den Markt gehen, aufdecken und den Tisch wieder abdecken.
Es wurde also alles etwas oberflächlich erledigt. Doch Vater war mit allem zufrieden, was man ihm vorsetzte, und Ordnung hieß für ihn, dass alle Möbel am richtigen Platz und die Stühle hübsch in Reihe standen. Solange wir nur ausreichend Bewegung bekamen, war ihm alles recht.
Er schickte uns noch nicht einmal zur Schule, die vielen Stunden im Sitzen, meinte er, wären mörderisch. Er selbst brachte uns von Zeit zu Zeit Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Und auf unseren Ausflügen sorgte er für unsere literarische Bildung.
Davon ging er jedenfalls aus, wenn er uns die Ilias, die Aeneis und Das befreite Jerusalem vortrug. Wenn er von Helden erzählte, die allein gegen ein Heer kämpften, die dem Feind Felsbrocken groß wie Berge entgegenschleuderten, die die erstaunlichsten und unwahrscheinlichsten Wagnisse überstanden, ging er vollkommen darin auf und gestikulierte viel. Am Ende seiner Erzählungen keuchte und schwitzte mein armer Vater, als hätte er selbst all diese Taten vollbracht.
Wir teilten seine Begeisterung ganz und gar nicht. Allem Reiz der Form beraubt, zwischen zwei Maisfeldern vorgetragen, kamen uns all diese Dinge absonderlich vor, und wir konnten nicht verstehen, wie sie zu unserer literarischen Bildung beitragen sollten. Wir vermengten sie mit den Schrullen, die uns die Tante an verregneten Abenden erzählte, und die einen gefielen uns nicht besser als die anderen.
Zwischen Mittag- und Abendessen wurde wieder gewandert, und wieder ging es eine Landstraße entlang, manchmal sogar die gleiche wie am Morgen.
Abends aßen wir die kalten Reste vom Mittagessen und anschließend ging es noch einmal hinaus, wir liefen ans andere Ende von Novara bis zum Palazzo del Mercato, einem rundum von schönen Bogengängen umgebenen Gebäude, und unter den hohen und großen Arkaden, wo alles verlassen lag und hallte, gingen wir spazieren, immer rings herum, bis davon ausgegangen werden konnte, dass wir eine zufriedenstellende Anzahl von Kilometern zurückgelegt hatten, um ruhigen Gewissens schlafen gehen zu können.
Wir waren mit diesem Regelwerk nicht unglücklich, und langweilen taten wir uns ganz bestimmt nicht. Doch waren wir eben auch nicht glücklich, und amüsieren taten wir uns ebenso wenig. Eher war uns alles gleichgültig, wir interessierten uns für nichts.
Im Herbst kamen ein paar entfernte Kusinen, jedenfalls nannten sie uns so, aus dem Internat, und bevor sie sich aufs Land verabschiedeten, brachte Vater uns zu ihnen. Ihr Salon war nicht viel besser als unserer, aber sie hielten sich ständig darin auf, sie hatten Blumen und die Möbel wurden benutzt, ganz anders, als wir es kannten.
Dort empfingen sie uns inmitten ihrer Stickarbeiten und ihrer Bücher; sie hießen uns herzlich und ungezwungen willkommen, streckten Vater die Hand hin und begrüßten ihn mit einem Schneid, der uns verblüffte: »Buongiorno, Dottore!«
Dann wandten sie sich mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit an uns: »Sollen wir spielen gehen, oder möchtet ihr lieber hierbleiben, um ein wenig zu plaudern?«
Beides schien uns gleichermaßen unvorstellbar. Wir hatten nie gespielt. Keiner hatte uns je Spielzeug oder eine Puppe geschenkt; zum Laufen oder Springen war bei uns zu Hause kein Platz. Unser Zeitvertreib waren die endlosen Spaziergänge. Und wenn es in Strömen regnete, meterhoch Schnee lag oder es sechsunddreißig Grad im Schatten waren, wenn also höhere Gewalt unsere Spaziergänge für einige Tage vereitelte, mussten wir die Zeit im Haus mit dem vielgerühmten Lesen, Schreiben und Rechnen verbringen.
Infolgedessen wussten wir weder, wie man spielte, noch, wie man plauderte. Auf die Frage der Kusinen Bonelli wechselten wir verlegene Blicke und schwiegen.
Darauf meinten sie: »Gut, bleiben wir hier und unterhalten uns ein bisschen.«
Die beiden stellten ein Schemelchen ans Fenster, zogen vier niedrige Sesselchen heran, setzten sich und forderten uns auf, es ihnen nachzutun und die Füße auf das Schemelchen zu legen, damit wir vier, wie sie sagten, »uns näher sein« konnten, so als wären wir ganz vertraut miteinander. Was uns betraf, so wussten wir einfach nie etwas zu sagen, vollkommen gleich, wie nah man sich war. Doch die beiden waren so hübsch und so reizend und wussten so viele Dinge zu erzählen, dass wir schon damit zufrieden waren, sie anzusehen und ihren Plaudereien zu lauschen, über das Internat, aus dem sie gerade kamen, und über ihren Aufenthalt auf dem Land, der noch bevorstand.
Kehrten sie dann ins Internat zurück, erwiderten sie unseren Besuch, und wenn es ihnen, was schwer genug war, gelang, uns zu Hause anzutreffen, empfingen wir sie hoheitsvoll in unserem Salon, sagten »macht es euch bequem, setzt euch« u...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Impressum
- Einführung
- Hauptteil
- Bisher bei uns erschienen