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Sylvia Plath und Ted Hughes

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Sylvia Plath und Ted Hughes

About this book

Sylvia Plath und Ted Hughes verliebten sich 1956 und heirateten schon nach wenigen Monaten. Dass sie beide dichteten, war wesentlich fĂŒr die Anziehung zwischen ihnen. Beide waren ehrgeizig, getrieben zu ihrer Kunst - und von Herzen gewillt, sich gegenseitig zu fördern und zu fordern. Sechs Jahre lang. Bis Hughes mit einer anderen Frau ein Kind zeugte, und Plath, zermĂŒrbt von dem Balanceakt zwischen Muttersein und Schreiben, in Depressionen versank und sich schließlich im Februar 1963 mit 30 Jahren das Leben nahm.Diane Middlebrook fĂŒhrt die Geschichte des KĂŒnstlerpaares weit ĂŒber Sylvia Plaths Tod hinaus fort. Die letzten Kapitel widmet sie Ted Hughes, den die Bedeutung dieser großen Liebe und seiner Rolle als Sylvias Ehemann bis zu seinem Tod 1998 nicht losließ.Der Autorin gelingt das KunststĂŒck, die Beziehung der beiden ohne Fragen nach Schuld und ohne ­voyeuristische Details darzustellen. Klug und voller Umsicht arbeitet sie die Faszination wie die Nöte heraus, die ein Paar erlebt, wenn es sich im Geist so nahe ist und gleichzeitig Kunst, Alltag und Familien­leben zu bewĂ€ltigen hat.

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Information

Year
2014
eBook ISBN
9783942374590
Subtopic
Drama

1

KENNENLERNEN (1956)

Ted Hughes glaubte, das Schicksal hĂ€tte ihn zu Sylvia Plaths Ehemann bestimmt. In Birthday Letters schrieb er: »Dass uns das Sonnensystem an diesem Tag vermĂ€hlte«, und steckte die astrologischen Koordinaten sehr genau ab. Das Datum war Samstag, der 25. Februar 1956 im Tierkreiszeichen Fische; der Ort die UniversitĂ€t Cambridge, wo Hughes eineinhalb Jahre zuvor sein Studium abgeschlossen hatte. Unter der Woche wohnte er kostenlos in einer Londoner Wohnung und arbeitete in einem glanzvoll klingenden Job bei der Filmgesellschaft J. Arthur Rank als Redakteur fĂŒr eingesandte Filmmanuskripte. Die Wochenenden verbrachte er jedoch weiterhin in Cambridge und traf sich mit Freunden. Die meisten von ihnen waren Dichter, die noch an der UniversitĂ€t eingeschrieben waren, ehrgeizige, idealistische angehende KĂŒnstler, mit denen er in jenem Winter gemeinsam eine kleine Literaturzeitschrift herausgab, das St. Botolph’s Review. Einer der Autoren, ein Amerikaner namens Lucas Myers, wohnte in einem ehemaligen HĂŒhnerstall hinter dem Refektorium der Kirche St. Botolph’s, am Rande des Campus. Sein Wohnort gab der Zeitschrift den witzigen Namen – diese Dichter waren entschieden gegen alles Etablierte. Am Erscheinungstag boten ihre Freunde das St. Botolph’s Review an den Colleges in Cambridge feil und verbreiteten die Nachricht, dass die Veröffentlichung an diesem Abend mit einer Party in Falcon Yard gefeiert wĂŒrde. Sylvia Plath kaufte dem amerikanischen Vetter von einem der Dichter ein Exemplar ab, und er lud sie zu dieser Party ein.
Plath nahm die Einladung sofort an; auf eine solche Gelegenheit hatte sie gewartet. Sie studierte mit einem Fulbright-Stipendium fĂŒr zwei Jahre in Cambridge Literaturwissenschaft, nachdem sie am Smith College, einem angesehenen Frauen-College in Neu-England, ihr Examen abgelegt hatte. In den Vereinigten Staaten hatte sie bereits bescheidene Literaturpreise gewonnen, und ihre Texte erschienen in amerikanischen Zeitschriften wie Harper’s Magazine, Mademoiselle, The Nation und Atlantic Monthly. Als sie in Cambridge ankam, merkte sie schnell, wie eng vernetzt die literarische Welt in England war; selbst die bescheidensten studentischen Veröffentlichungen wurden von Londoner Verlegern, die ihrerseits oftmals ehemalige Cambridge-Studenten waren, nach neuen Talenten durchforstet. Im Januar waren zwei Gedichte von ihr in einer kleinen Zeitschrift namens Chequer abgedruckt worden – und nicht nur veröffentlicht, sondern zu ihrem Erstaunen auch verrissen worden, in einer kĂ€mpferischen kleinen Zeitung namens Broadsheet, die alle zwei Wochen per Hand von einigen St.-Botolph-Dichtern vervielfĂ€ltigt wurde. Formalisierte Verse, auf die Plath sich so hervorragend verstand, missfielen den MĂ€nnern, die Plaths Gedichte rezensiert hatten, prinzipiell, und was ihnen nicht gefiel, machten sie herunter. »Altbackene und eklektische KĂŒnstlichkeit«, waren die Worte des Rezensenten fĂŒr Plaths Stil, und er fĂŒgte noch hinzu: »Meine bessere HĂ€lfte sagt â€șBluff, Bluffâ€č, aber das will ich so nicht sagen; wer weiß, vielleicht ist sie ja hĂŒbsch?«
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Sylvia Plath, 1955
Die gehefteten Seiten von Broadsheet wurden von den Dichtern vor Ort begierig gelesen, und es krĂ€nkte Plath sehr, so schlecht behandelt zu werden. Erstmals war sie hier dem Machismo der englischen Literaturszene ausgeliefert. Am meisten machte ihr allerdings der kleine Refrain zu schaffen: »Bluff, Bluff«. Plath war sich ihrer eigenen UnzulĂ€nglichkeiten bewusst, und es war ihr nicht lieb, dass sie anderen auffielen. Die Diktion des Kritikers brachte sie auf eine Idee. Wollte er wissen, ob sie hĂŒbsch war? Er sollte sie kennenlernen. Sie zog rote Partyschuhe an und bĂ€ndigte ihren Pagenkopf mit einem roten Haarband. Dann ging sie mit ihrem Date fĂŒr den Abend in eine Bar, wo sie sich mit einigen GlĂ€sern Whiskey stĂ€rkte. Doch ehe sie sich betrank, hatte sie sich noch auf eine andere Art gestĂ€rkt: sie hatte einige Gedichte aus dem St. Botolph’s Review auswendig gelernt.
Die Party war schon voll im Gange, als Plath in Falcon Yard eintraf und mit ihren roten Schuhen die Treppen zur Women’s Union hochstieg, wo eine Jazzcombo auf das laute Stimmengewirr einhĂ€mmerte. Plath arbeitete sich durch die Menge, und man wurde auf sie aufmerksam. Umgehend machte sie den Rezensenten ausfindig, der sie eine Schwindlerin genannt hatte; er erwies sich als ein kleiner Kerl, »beĂ€ngstigend blass und voller Sommersprossen«, beim persönlichen Kennenlernen eher wenig beeindruckend – auch Plath beurteilte Dichter nach ihrem Aussehen. Sie klatschte MĂ€nner ab, mit denen sie tanzen wollte, und machte lauthals ihre SpĂ€ĂŸe mit ihnen. Am Ende des großen Saales fiel ihr ein gut aussehender Typ auf, von dem sich herausstellte, dass es Ted Hughes war, einer der beiden Dichter, deren Texte sie am Nachmittag auswendig gelernt hatte. Er merkte, wie sie ihn beobachtete, kam lĂ€ssig auf sie zu und blickte ihr in die Augen. Sie begann, gegen die Musik anzubrĂŒllen, und er merkte, dass sie Zeilen aus einem Gedicht von ihm rezitierte. Er brĂŒllte zurĂŒck: »GefĂ€llt’s dir?« Sie zogen sich in ein Zimmer nebenan zurĂŒck, wo sie in Ruhe reden konnten, und er schenkte ihr Brandy nach und entschuldigte sich knapp fĂŒr die schlechte Besprechung in Broadsheet, obwohl er insgeheim die Meinung des Rezensenten teilte. Sie lieferten sich ein paar Wortgefechte, Plath keck und aufgedreht. Er kĂŒsste sie heftig, und sie konterte – sie biss ihn in die Wange, bis es blutete. Er riss ihr das Haarband und die silbernen Ohrringe ab und ging hinaus.
Ted Hughes verließ die Party mit seiner damaligen Freundin. Noch wusste er nicht, dass das Sonnensystem ihn vermĂ€hlt hatte. Aber er trug einen Ehering in Form einer Bisswunde, und ein paar Wochen lang zeigte sich auf seiner Wange eine Narbe Ă€hnlich ihrer Narbe auf der rechten Wange unter dem Auge, ĂŒber die er in den bevorstehenden Monaten mehr erfahren sollte.
Hughes war an diesem Abend nicht auf der Suche nach einer Frau. Ganz im Gegenteil – er hatte keine Ahnung, wie es mit seinem Leben weitergehen sollte. Als er in Cambridge sein Studium abgeschlossen hatte, beschloss er eher spontan, sich um die Einwanderung in Australien zu bewerben, wo sein Ă€lterer Bruder Gerald sich niedergelassen hatte. Die australische Regierung gewĂ€hrte arbeitswilligen Briten eine freie Überfahrt; Hughes stellte sich ein Leben als JĂ€ger und Fischer vor, so wie Gerald es als eifriger Sportler fĂŒhrte. Aber Hughes verschob seine Bewerbung fĂŒr die gewĂ€hrte Frist von zwei Jahren – er hatte keine Eile. Im MĂ€rz 1955 – möglicherweise hatte er gerade keinen Job – schrieb er Gerald plötzlich, dass er »unverzĂŒglich« kĂ€me, aber dann verschob er doch alles wieder. Im Februar 1956 war seine Einwanderungsfrist fast verstrichen, und so reaktivierte Hughes die Bewerbung in der Hoffnung, dass die lange Warteliste ihm noch neun Monate in England lassen wĂŒrde. Dennoch war ihm klar, dass ihm jederzeit die Zuteilung einer Schiffspassage drohte, und ihn bedrĂ€ngte die Frage: Was wollte er ĂŒberhaupt in Australien tun? Als Lehrer arbeiten? Oder als Tagelöhner? Anderseits, wie lange konnte er noch das Leben von der Hand in den Mund ertragen, das er in London und Cambridge fĂŒhrte? Angesichts dieser entmutigenden Sorgen mögen die Schmeicheleien, mit denen Plath ihn bei der Party ĂŒberhĂ€ufte, besonders willkommen gewesen sein. Sie hatte aus dem St. Botolph’s Review ein Gedicht ausgesucht, das mĂ€nnliche Aggression glorifizierte. Es beginnt mit der Zeile: »When two men meet for the first time« /»Wenn zwei MĂ€nner sich zum ersten Mal begegnen«, und es fĂ€hrt fort mit der Beobachtung, dass einander fremde MĂ€nner sich bei der kleinsten Provokation wie Tiere angreifen, weil das Tier in ihnen immer noch lebendig ist:
Ihr Blut schießt
eh sie’s merken in ihre Nackenfedern
Plath hatte sich Hughes mit den letzten Worten des Gedichtes an den Hals geworfen: »Ich war’s, ich.« – Und Hughes hörte bei ihrer ersten Begegnung, wie Sylvia Plath seine Worte so wissend aussprach, als habe sie selbst sie geschrieben.
Sie hatte sie nicht geschrieben, aber sie kannte die HintergrĂŒnde: das Gedicht war geprĂ€gt von Sigmund Freud und D. H. Lawrence, die zu jener Zeit als wesentlich fĂŒr die literarische Bildung galten. Hughes hatte als Teenager begierig Lawrence gelesen, und dessen berĂŒchtigte Stilisierung von »Blutbewusstsein« scheint offen in dem Gedicht auf, das Plath sich ausgesucht hatte. Plath hatte dieselben BĂŒcher gelesen, und sie war derselben Verzauberung erlegen – die Anspielung auf Lawrence konnte ihr nicht entgehen. Der erste telegrafische Austausch zwischen Plath und Hughes an jenem Abend war eine Partyspielerei und eine SchlĂŒsselszene in sechs Silben: »Ich war’s, ich.« »GefĂ€llt’s dir?« Als er sie kĂŒsste und sie ihn biss, spielten sie eine archaische Szene, die aus einem Roman von Lawrence hĂ€tte stammen können.

»Ted Huge«

Ted Hughes hat an jenem Abend vielleicht nicht nach einer Frau Ausschau gehalten, aber Sylvia Plath hielt Ausschau nach einem Mann, und Ted Hughes entsprach genau ihren Kriterien. »Dieser große, dunkle, stattliche Kerl«, nannte sie ihn am nĂ€chsten Tag in ihrem Tagebuch, »der einzige, der groß genug war fĂŒr mich.« Er war eine auffallende Erscheinung, ĂŒber eins achtzig groß, und er war krĂ€ftig gebaut. Im Winter trug er gerne einen schweren braunen MilitĂ€rledermantel aus der Vorkriegszeit, durch den seine Schultern breit wirkten und der seiner schĂ€bigen Kleidung einen Hauch von Boheme verlieh.
Ungepflegtes Aussehen war zu jener Zeit in Cambridge völlig ungewöhnlich. Hughes war sich der sozialen Ängste, die durch auffĂ€llige Kleidung zum Ausdruck kam, durchaus bewusst: Jungs wie er versuchten durch exzentrische Aufmachung der GeringschĂ€tzung von Jungen von teuren Privatschulen etwas entgegenzusetzen. Karl Miller, ein Zeitgenosse von Hughes, erinnerte sich, dass die auffallendsten Studenten sich »in einer verrĂŒckten Übertreibung der Mode Ă  la Edward kleideten – Röhrenhosen aus Tweed, bestickte Westen mit Revers, zerknitterte Krawatten, hauchdĂŒnne flache Kappen«. Winters wie sommers trug Hughes dieselben unförmigen schwarzen Klamotten. Er kaufte den Cordstoff billig bei einer Fabrik, die einem wohlhabenden Mitglied seiner Familie mĂŒtterlicherseits in West Yorkshire gehörte, und er fĂ€rbte ihn selbst. Sein Kommilitone Glen Fallows meinte, er sĂ€he aus, »als wĂ€re er gerade nach einer stĂŒrmischen Nacht aus einem Fischkutter gestiegen«. Einer seiner Dichterfreunde, Philip Hobsbaum, war weniger wohlwollend: »Ted war widerlich. Er hatte stinkende alte Cordhosen und dicke Schuppen in seinem fettigen Haar.«
Hughes war eigentlich ziemlich schĂŒchtern und in Gesellschaft scheu, aber er verbarg seine Unsicherheit hinter seiner faszinierenden Art zu reden. Zur Unterhaltung ging er gern in die Kneipen von Cambridge, wo die Studenten sich mit Volksliedern die Zeit vertrieben. Hughes hatte eine krĂ€ftige Stimme, die klangvoll und unĂŒberhörbar war, und die Eigenheiten seines Heimatdialektes aus Yorkshire waren trotz seiner hervorragenden Bildung unĂŒberhörbar. In den Erinnerungen von Leuten, die ihn in seiner Jugend kannten, kursieren viele Anekdoten ĂŒber diese Stimme. Eine der besten Geschichten stammt von dem Amerikaner Ben Sonnenberg. Anfang der sechziger Jahre war er einmal mit Hughes im Hause des amerikanischen Dichters W. S. Merwin eingeladen. »Ich fĂŒhlte mich wie Hazlitt, der Coleridge zum ersten Mal trifft: seine WĂ€rme und Energie waren umwerfend«, schreibt Sonnenberg. »Ich fiel tatsĂ€chlich vom Stuhl. Als er mir vom Boden aufhalf, schrieb ich in mein Notizbuch, â€șhörte er nicht auf zu reden, und ich spĂŒrte das Vibrieren seiner Stimme durch seinen Arm.«â€č Die englische Schriftstellerin Emma Tennant erzĂ€hlt, wie Hughes 1976 bei einer quirligen Londoner Party reglos mittendrin saß und jedem, der zuhörte, ein weitschweifiges MĂ€rchen erzĂ€hlte; sie zerrte ihn zum Tanzen und unterbrach ihn lang genug, um eine AffĂ€re mit ihm anzuzetteln. Im Lauf der Jahre gab es viele Frauen, die ihn lang genug unterbrechen wollten, um mit ihm eine AffĂ€re anzuzetteln. Hughes sei »der grĂ¶ĂŸte VerfĂŒhrer von Cambridge« – hieß es, als Plath ihn kennenlernte, und sie hörte den Klatsch von dem Mann, der sie zu der Party begleitete.
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Ted Hughes, 1960
Aber schon ehe sie ein Auge auf ihn geworfen hatte, meinte Plath, sie hĂ€tte etwas Wichtiges ĂŒber ihn gelernt, indem sie seine Texte las, und da hatte sie Recht. Er hatte nur wenige Gedichte und Essays veröffentlicht, in ganz kleinen Zeitschriften, zumeist unter Pseudonym. Aber seit er sechzehn war, glaubte Hughes an seine Berufung zum Dichter, und zwar mit hohem Anspruch. Er wollte ein Dichter wie W. B. Yeats werden, mit dessen Werk er sich leidenschaftlich beschĂ€ftigt hatte, schon auf der Schule und auch wĂ€hrend seiner Jahre in Cambridge. Nach seiner Entdeckung von D. H. Lawrence wollte Hughes auch ein Dichter wie D. H. Lawrence werden; am Ende erfĂŒllte er sich beide WĂŒnsche auf höchst originelle Weise. 1956 war er noch dabei, seine Berufung zu finden – dieses GefĂŒhl, zu etwas berufen zu sein, war der Hintergrund fĂŒr seine Freundschaft mit jenen eher fanatischen jungen Studenten, deren Texte im St. Botolph’s Review erschienen.
Einer von ihnen war Daniel Weissbort, mit dem Hughes eine Zeitschrift fĂŒr LyrikĂŒbersetzungen grĂŒndete. Als sie sich kennenlernten, war Weissbort unbeholfen bemĂŒht, Dylan Thomas nachzuahmen. »Ich kam in dem Jahr nach Cambridge, nachdem Thomas gestorben war, und ich erinnere mich genau, dass ich schreiben wollte wie er. Und natĂŒrlich war die Vorstellung vom Dichter als einem wilden Bohemien sehr attraktiv, auch wenn ich eigentlich nicht wusste, was das alles bedeutete.« FĂŒr Hughes war der ideale wilde KĂŒnstler Beethoven – er sagte oft, das intellektuell NĂŒtzlichste in Cambridge sei fĂŒr ihn gewesen, dass er Beethoven hörte. Der Dichter Peter Redgrove erinnerte sich, wie er zum ersten Mal die Begeisterung von Hughes fĂŒr Beethoven mitbekam. »Ein merkwĂŒrdiges Geheule drang durch die TĂŒr, wie ich es noch nie gehört hatte – ich war damals nicht musikalisch. Ich klopfte an und trat ein. In dem hell erleuchteten Zimmer drehte sich auf einem Handgrammofon eine schwarze Scheibe: dies war also das Geheule. Erst war ich vollkommen verwirrt. Hughes’ physische PrĂ€senz besaß etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Sie hatte etwas sehr Bestimmendes – ich kannte sehr wenige Menschen, welche die FĂ€higkeit hatten, in ihrer Haltung eine Art Wissen zum Ausdruck zu bringen.« Hughes teilte Redgrove mit, dass sie Beethovens letztes Quartett hörten. »â€șEs ist, als wĂ€re die ganz Musik in die ersten Takte gedrĂ€ngt, die anschließend entwirrt werdenâ€č«, erklĂ€rte Hughes. »â€șGuck mal, dies ist der Komponist!â€č – Und er nahm eine stirnrunzelnde Gipsmaske von der Wand. â€șUnd so ist er gegangenâ€č – er wackelte mit diesem Gesicht auf mich in Brusthöhe zu. â€șSo groß war er, und so ist er gegangen.â€č« Genauso intensiv machte Hughes Sylvia Plath mit Beethoven bekannt, sobald sie gemeinsame Zeit verbrachten.
Doch insgesamt kommt die UniversitĂ€t Cambridge in dem Mythos, den Ted Hughes als etablierter Autor aus seinen eigenen Lebensdaten destillierte, schlecht weg. Cambridge war »eine fast tödliche Einrichtung, wenn man nicht entweder Wissenschaftler oder ein Gentleman werden wollte.« Hughes war nicht zum Gentleman geboren und wollte auch nicht Wissenschaftler werden – nur etwas GlĂŒck und besondere Überredung hatten ihn ĂŒberhaupt nach Cambridge gebracht. Das GlĂŒck hatte ihn als ElfjĂ€hrigen getroffen: nachdem er die VorprĂŒfung zu der hervorragenden Schule in Mexborough, jener Bergarbeiterstadt in South Yorkshire, wo er aufwuchs, nicht bestanden hatte, konnte seine Mutter den Direktor – einen Kunden im Tabakladen der Familie Hughes – dazu ĂŒberreden, ihren Sohn dennoch zur eigentlichen AufnahmeprĂŒfung zuzulassen. Die bestand er dann, indem er einen Aufsatz ĂŒber seinen Wunsch schrieb, WildhĂŒter zu werden. Acht Jahre spĂ€ter schnitt er schlecht bei der AufnahmeprĂŒfung fĂŒr das Pembroke College ab, aber sein Lehrer schickte dem Master von Pembroke ein BĂŒndel mit Gedichten von Hughes, und damit wurde er zugelassen – als Außenseiter.
Hughes war 1951 in Pembroke angekommen, nachdem er als Funkmechaniker bei der Royal Air Force seinen MilitĂ€rdienst absolviert hatte. In Fylingdales, einer Drei-Mann-Dienststelle im Moor von North York, hatte er so wenig zu tun, dass er lesen und die Zeit nutzen konnte, um seinen literarischen Geschmack zu schulen. Er versuchte es mit den Gedichten von Walt Whitman, konnte sich aber nicht in den Rhythmus einlesen, und auch mit Rilke probierte er es vergeblich. Selbst mit einer Sammlung zeitgenössischer Dichtung, die er mitgenommen hatte, kam er nicht zurecht. Was er dann las, waren die Bibel seiner Mutter und die Werke von Shakespeare. In Pembroke wollte er englische Literatur studieren und sich fĂŒr seinen Traumberuf als Dichter vorbereiten.
Allerdings war die UniversitÀtsausbildung eher dazu angetan, einen Literaturkritiker aus ihm zu machen. Der wichtigste Mann in der Literatur in Cambridge war zu dieser Zeit F. R. Leavis, der auf die Generation von Hughes einen nachhaltigen Einfluss ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. INHALT
  5. Vorwort
  6. Anmerkung der Herausgeberin
  7. Einleitung
  8. 1 Kennenlernen (1956)
  9. 2 Liebesleben (1956)
  10. 3 Seine Familie (1956)
  11. 4 Tauziehen (1956 – 1963)
  12. 5 GlĂŒck und Erfolg (1957 – 1963)
  13. 6 Ablösung (1962 bis 
)
  14. 7 Trennung (1962 – 1963)
  15. 8 Nachlasspflege (1963 – 1998)
  16. 9 Selbstheilung (1967 – 1998)
  17. 10 Die magischen Toten (1984 – 1998)
  18. CODA UnverhĂŒllt (1998 bis 
)
  19. Anmerkungen
  20. Bibliografie
  21. Bisher bei uns erschienen