1 Einleitung
Nationsvorstellungen und ihre Durchsetzung provozieren immer wieder gesellschaftliche Konflikte. Rivalisierende Interessensgruppen argumentieren nationalistisch im Versuch, eine Bevölkerung ânationalâ zu organisieren. Trotz Kenntnis negativer Beispiele sind Menschen fĂŒr nationalistische Ideologien empfĂ€nglich und stellen sich kluge Köpfe in deren Dienst. Die Herauslösung der Slowakei aus der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahr 1993 brachte lang unterdrĂŒckte Emotionen hoch und rief die Verlierer historischer nationaler KĂ€mpfe wieder auf den Plan. Intellektuelle Remigranten kehrten im hohen Alter in die alte Heimat zurĂŒck, publizierten BĂŒcher oder brachten ihre alten Ideen gar als PrĂ€sidentenberater in der Slowakei zur Geltung. Dort trafen sie noch immer auf einen fruchtbaren Boden, der auch im Kommunismus nicht ausgedörrt war. Sie waren die letzten ReprĂ€sentanten des slowakischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit und des 1939 folgenden autoritĂ€ren Regimes.
Am 28.Oktober 1918, als die Tschechoslowakische Republik gegrĂŒndet wurde, erhielten Slowaken erstmals eine staatliche ReprĂ€sentation. Slowakische Nationalisten nutzten die neue Freiheit und machten sich mit Eifer daran, eine slowakische Nation zu erschaffen. Dabei forderten sie den jungen Staat mit ihrem Beharren auf einer nationalen Autonomie heraus. Mit Hilfe der Ă€uĂeren UmstĂ€nde fĂŒhrten ihre AktivitĂ€ten 1939 schlieĂlich zur GrĂŒndung eines slowakischen Staates. Auch wenn dieser Staat 1945 abrupt beseitigt und durch ein neues Regime ersetzt wurde, etablierten sie dauerhaft und breit ein nationales slowakisches Denken.
Daraus ergibt sich die leitende Fragestellung fĂŒr die vorliegende historische Untersuchung: Mit Hilfe welcher kulturellen Praktiken und Techniken etablierte sich ein slowakischer Nationalismus? Wie dieser Nationalismus wirksam wurde, wird schwergewichtig fĂŒr die Zeit von 1918 bis 1939 und ausblickartig bis 1945 untersucht. Der Fragestellung liegt die Hypothese zugrunde, dass kulturelle Praktiken von Intellektuellen maĂgeblich zur Durchsetzung der Kategorie des Nationalen in der slowakischen Gesellschaft beitrugen. Ein weiterer Zugriff auf den Untersuchungsgegenstand besteht darin, den slowakischen Nationalismus fĂŒr sich zu betrachten. Das wird als legitim vorausgesetzt, weil der slowakische Nationalismus sich bis auf vereinzelte Ausnahmen auf die slowakische LandeshĂ€lfte beschrĂ€nkte. In der tschechischen LandeshĂ€lfte gab es wĂ€hrend dieser Zeit keinen
vergleichbaren beziehungsweise einen anders ausgerichteten Nationalismus. Die tschechische Nation stand nicht ernsthaft zur Diskussion, da die Tschechen zusammen mit Slowaken und Karpatho-Ukrainern den Deutschen im Lande zahlenmĂ€Ăig ĂŒberlegen waren. Sie hatten auch keine MĂŒhe, das tschechische SelbstverstĂ€ndnis in ein weiter gefasstes tschechoslowakisches zu integrieren, zumal sie die Bedingungen gegenĂŒber den schwĂ€cheren Partnern weitgehend bestimmten. Hingegen unternahmen slowakische nationalistische Aktivisten groĂe Anstrengungen zur Selbstvergewisserung und -behauptung.
Die Erste Tschechoslowakische Republik war mit ihrem Konzept von einem Einheitsstaat und einer zusammengesetzten Nation mit einer schweren Hypothek beladen. Doch machten das schwierige internationale Umfeld, die Gebiets- und BevölkerungsansprĂŒche von NachbarlĂ€ndern die Unnachgiebigkeit der Tschechen gegenĂŒber den politischen Forderungen der Slowaken ein StĂŒck weit verstĂ€ndlich. WĂ€hrend in den umliegenden zentraleuropĂ€ischen LĂ€ndern autoritĂ€re Regime an die Macht kamen, blieb die Tschechoslowakei als demokratischer Staat bis zum MĂŒnchner Abkommen 1938 intakt. Das war der verhĂ€ltnismĂ€Ăig guten wirtschaftlichen Ausgangslage in den Böhmischen LĂ€ndern zu verdanken sowie der stabilen parlamentarischen Demokratie, in die auch die nationalen Minderheiten eingebunden waren. Von Konflikten mit autoritĂ€ren Bewegungen und der nationalen Frage als Unruheherd wurde der Staat indes nicht verschont.
Damit der neu gegrĂŒndete Staat nach 1918 seine Bevölkerung real und symbolisch integrieren konnte, musste er sich nationalisieren. Das groĂe Projekt der Tschechoslowakisierung wurde aber nicht von allen Interessensgruppen gleichermaĂen mitgetragen. Vielmehr entstanden Konkurrenzprojekte, im Wesentlichen zwischen Tschechoslowakisten und slowakischen Nationalisten. Der tschechoslowakische Nationalismus war liberal und zielte auf Modernisierung und politische Partizipation ab, auch wenn er in einzelnen Punkten ebenfalls antiliberale Elemente aufwies. Der slowakische Nationalismus hingegen zeigte sich ĂŒberwiegend antiliberal und modernisierungsfeindlich und argumentierte dabei ethnisch-kulturell. Beide Nationalismen, sowohl der slowakische als auch der tschechoslowakische, zielten jedoch letztlich darauf ab, eine einheitliche kulturelle Nation zu schaffen.
AutoritĂ€re Ideen kamen in der Slowakei bereits in den frĂŒhen Zwanzigerjahren auf, blieben aber vorerst marginal. Erst um 1930, im Zuge der Weltwirtschaftskrise,
lieĂen sich breite Bevölkerungsschichten von rechtspopulistischen Ideen mobilisieren. Die Analysen der gesellschaftlichen Probleme und die LösungsvorschlĂ€ge von slowakischen Schriftstellern und Publizisten waren von den Entwicklungen und Ideen in den europĂ€ischen LĂ€ndern beeinflusst. Deshalb unterschieden sich deren autoritĂ€re AnsĂ€tze auch nicht wesentlich. Der resultierende antiliberale Nationalismus war weder die Folge kultureller Vorbestimmung noch reiner Nachahmung von Vorbildern autoritĂ€rer Regimes. Vielmehr sind die Ursachen des radikalen Nationalismus unter Slowaken in deren ablehnendem VerhĂ€ltnis zum eigenen Staat zu finden. Die oft unzimperliche Wahl der Mittel folgte allerdings dem autoritĂ€ren Diskurs, wie er sich im Verlauf der Zwischenkriegszeit in Zentraleuropa ausbreitete.
Meine Untersuchung des Nationalismus fokussiert nicht auf den Ă€uĂersten rechten Rand der Gesellschaft. Denn auch politisch weniger aktive Intellektuelle hatten Teil an einer nationalisierenden gesellschaftlichen Praxis, in der âKulturfĂ€higkeitâ ein wesentliches Attribut der Kategorie ânationalâ darstellte. Das erklĂ€rt auch die zentrale Rolle, die junge Intellektuelle aus publizistisch-literarischem Umfeld bei den NationalisierungsbemĂŒhungen spielen konnten. Die beabsichtigte Nationalisierung verlief nicht einheitlich, sondern bildete ein gewisses Spektrum ab, an dessen einem Rand sich extreme Positionen sammelten, die fĂŒr faschistische und nationalsozialistische Ideen anschlussfĂ€hig waren.
Slowakische Intellektuelle stellten sich nach 1918 die Aufgabe, eine eigenstĂ€ndige Nationalkultur zu schaffen. Sie sahen sich als Schöpfer einer Nationalkultur, auch wenn diese offiziell Teil der tschechoslowakischen Kultur zu sein hatte. Viele KĂŒnstler wandten sich nationalen Themen zu, selbst wenn sie ihre Arbeiten zuvor an der zivilisatorisch orientierten, internationalen Moderne ausgerichtet hatten. Das Feld der Kultur musste neu definiert werden. Der ungarische personelle und institutionelle Kontext fiel plötzlich weg, doch das alte SelbstverstĂ€ndnis wandelte sich nur allmĂ€hlich. Die tschechische Kultur, zu der sich nur ein Teil der slowakischen Intellektuellen hingezogen fĂŒhlte, wurde mit einem Mal dominant und zentraler Bezugspunkt. Die Umbruchssituation von 1918/1919, die Bildung des neuen, zentralistischen Staates und vor allem die de facto ungleiche Position der Slowaken entfachten einen partikularistischen slowakischen Nationalismus, in dem intellektuelle FĂŒhrer alternative Gesellschaftsmodelle entwarfen. AnfĂ€nglich setzte der Nationalismus kreative Prozesse in Gang, von denen Zeitschriften, Literatur, Film, Malerei und Bildhauerei profitierten. Die kulturellen und kĂŒnstlerischen AktivitĂ€ten bewegten sich dabei zwischen den Polen des Politischen und des Ăsthetischen. Angesichts der relativ groĂen Vielfalt handelte es sich bei den nationalistischen Kulturschaffenden nicht um eine einheitliche kulturelle Bewegung oder Gruppierung. Vielmehr ist hier von einer thematisch bestimmten Elitenbildung mit einem Netzwerkcharakter auszugehen. Nichtsdestoweniger hatten die
unterschiedlichen Manifestationen dieser neuen intellektuellen Elite im Kern eine gemeinsame Idee, und zwar die der Segregation, verstanden als die Absonderung von Menschengruppen unter der Kategoriebildung des âNationalenâ.
âSegregationâ als ein negativer Begriff wurde selten in offener Form propagiert, stattdessen in euphemistische Formeln gekleidet. Je programmatischer die Texte, desto repetitiver sind die nationalistischen Phrasen. An der OberflĂ€che solcher Texte lassen sich wenige Erkenntnisse gewinnen. In literarischen Texten hingegen werden komplexere Narrative entwickelt, in denen die kulturellen Quellen nationalistischer Vorstellungen umfassender entzifferbar sind.
Der Begriff der âintellektuellen Eliteâ wird in der vorliegenden Arbeit zum Erfassen der Akteure gewĂ€hlt. Das ist von Vorteil fĂŒr die Bestimmung einer Gruppe von Intellektuellen, die professionell in verschiedenen Feldern tĂ€tig war. Eine Elite wird vor allem durch ihren Status in der Ăffentlichkeit definiert, nicht aber durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten und einzigen gesellschaftlichen Feld. Zudem muss sie sich nicht genuin als politisch verstehen, kann durchaus aber Ziele verfolgen, die einer bestimmten politischen Richtung nahestehen. So verdanken etwa die kulturellen Produkte ihre Gestalt nicht allein politischen Zielen, sondern gleichzeitig einer eigenstĂ€ndigen symbolischen Praxis, die kĂŒnstlerische Kriterien oder sozialen Absichten folgt. BerĂŒcksichtigt werden in der vorliegenden Untersuchung Kulturschaffende, deren publizistische und literarische Werke ĂŒber die angestrebte Nationalisierung Auskunft geben, das heiĂt ĂŒber den Versuch, das gesellschaftliche Leben mit der nationalen Idee zu durchdringen und umzugestalten. Voraussetzung und Rahmen der Elitenbildung sind Organisationen wie Vereine und Parteien und deren Zeitschriften.
Schreibende Frauen gab es einige, darunter vereinzelte professionelle Journalistinnen. Doch waren sie nicht an der nationalen Elitenbildung beteiligt. Sie fanden weder Eingang in die nationalistischen Netzwerke, noch wurden sie politische FunktionstrĂ€gerinnen. Die MĂ€nner wiesen den Frauen indes bestimmte Rollen im Nationalismus zu, was die âNationâ als mĂ€nnliche Imagination in den fiktiven Texten spiegelt.
Dominant im slowakischen Nationalismus waren die Intellektuellen im Umfeld der Slowakischen Volkspartei sowie einzelne Personen der kleineren Slowakischen Nationalpartei. Die populistische und teilweise als völkisch zu charakterisierende Partei war zwar dominant, doch nicht allein bestimmend. Ein Teil der Intellektuellen, oft im Umfeld katholischer Organisationen, hielt die junge Nation innerhalb der Doppelnation fĂŒr gefĂ€hrdet und sah es als persönliche Pflicht an, sie zu stĂ€rken. Sie taten dies durch das Verfassen literarischer und publizistischer Texte oder öffentlicher Reden.
Der intellektuelle Nationalismus profitierte von der paradoxen Ungleichzeitigkeit der Nation: Sie war zugleich Legitimation und Ziel im Nationalismus. Somit
war sie wesentlich auf Symbolisierungen und deren Kommunikation angewiesen. Die Notwendigkeit einer Arbeit am Symbolischen erwies sich oft als Karrierechance fĂŒr junge Intellektuelle.
Methodisch folgt meine kulturhistorische Untersuchung einem soziologischen Praxisbegriff. Dem Praxisansatz zufolge ist eine âNationâ vor allem eine Kategorie, die in einer Gesellschaft als wesentliche Deutungsinstanz etabliert werden soll. Dabei stellt sich die Frage nach wichtigen Akteuren bei der Umsetzung. Im untersuchten Zeitraum und im abgesteckten politischen Raum richtet sich der Fokus auf Intellektuelle und Kulturschaffende, bei denen sich eine kulturelle und zugleich nationalistische Praxis nachweisen lĂ€sst. Bezogen auf die kulturelle TĂ€tigkeit vermeidet der Praxisbegriff einerseits eine essentialistische Definition von âKulturâ und erfasst andrerseits die zwei unterschiedlichen, in dieser Arbeit relevanten Dimensionen von âKulturâ. Es werden die literarischen und publizistischen Werke einer intellektuellen Elite untersucht, die Identifikations- und Deutungsangebote schaffen will. Die Werke dieser elitĂ€ren Kultur werden nach ihrem anthropologischen kulturellen Gehalt befragt, nach kulturellen Mustern, die sich darin teilweise unbewusst manifestieren. In erster Linie werden die Texte als Teil einer gesellschaftlichen Praxis gedeutet, die gleichzeitig mittendrin ist und dennoch immer auf der Suche nach reflektierender Distanz gegenĂŒber der Gesellschaft.
Einigen Raum nimmt die Darstellung der Geschichte slowakischer Ideen des Nationalen ein, wobei Divergenzen und Spannungen deutlich gemacht werden, so dass die Kontingenz und ArbitraritĂ€t der historischen Nationsvorstellungen zu Tage treten. UnumgĂ€nglich war es im Weiteren, den historischen Kontext, in dem die nationalistischen Akteure agierten, grĂŒndlich darzustellen. Der ethno-politisch motivierte, historische Nationalismus verlangt geradezu, die politischen VerhĂ€ltnisse des binationalen und multiethnischen Staatsgebildes mit seinen diversen Kulturen und Religionen genauer zu beleuchten. Erst vor diesem Hintergrund sind die Handlungsgrundlagen der Akteure und ihrer nationalistischen EntwĂŒrfe zu erkennen.
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Als Quellen dieser Arbeit dienen publizistische und literarische Texte, die mit dem Fokus auf der nationalistischen Praxis erstmalig zusammengestellt und untersucht werden. Doch ist der eigentliche Ausgangspunkt nicht ein bestimmter Quellenkorpus, sondern vielmehr eine nach sozialen Kriterien zusammengestellte Gruppe von jungen aufstrebenden Intellektuellen aus Ă€hnlichem Milieu und derselben Generation, die sich durch ihr nationalistisches Engagement in der Ăffentlichkeit hervortaten. Dieser biografisch-thematische Zugang erlaubt den Blick auf Akteure, die sich als bereits bekannte Persönlichkeiten in verschiedenen Ăffentlichkeitsbereichen profiliert hatten: in Politik, Journalismus und Literatur.
Der den Akteuren gemeinsame Weg vom journalistischen Schreiben bis zur Ăbernahme öffentlicher Funktionen ist als Teil einer historischen nationalistischen Praxis erkennbar und wird im biografischen Kapitel nachgezeichnet. So wie sich die kulturellen Institutionen ausdifferenzierten und etablierten, diversifizierten sich auch die WerdegĂ€nge der nationalistischen Intellektuellen. Oftmals stand gerade die Initiative einzelner nationalistischer Intellektueller hinter der GrĂŒndung und Profilierung von Presseorganen und Kulturinstitutionen. Wie diese Einrichtungen als Teil des slowakischen Nationsprojektes und in Opposition zum gesamtstaatlichen Nationalismus funktionierten, wird in einem eigenen Kapitel dargestellt.
Untersucht man die literarische Praxis der nationalistischen Intellektuellen im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Kontext, zeigt sich als vorrangiges Ziel, die Nation als GefĂŒhlsgemeinschaft in Analogie zur christlichen Glaubensgemeinschaft zu deuten. DafĂŒr grĂŒndeten sie ihre nationalistischen EntwĂŒrfe und Vorstellungen auf christlichen Mythen. Sie transformierten das christliche Narrativ und dessen Elemente wie Martyrium, Opfer, Auferstehung und Reinigung in nationale Narrative und sĂ€kularisierten diese dabei. Besonders eignete sich die fiktionale Literatur dafĂŒr, was detailliert an Romanen und Gedichtzyklen von exemplarischen Vertretern der jungen nationalistischen Elite herausgearbeitet wird. In der publizistischen Rhetorik mit ihren journalistischen Textsorten wurden mythische Verfahren weniger angewendet. Doch selbst in der institutionellen kulturellen Praxis lassen sich Spuren von Mythentransformationen nachweisen. Gewisse mythische Motive verbinden wie Rhizome diese drei untersuchten Praxisbereiche, die in eigenstĂ€ndigen Kapiteln dargestellt sind.
Die Praxis der kulturell tÀtigen Nationalisten changierte zwischen der SÀkularisierung von religiösen Inhalten und der Sakralisierung von nationalistischen Ideen. Religiöse Themen dominierten, weil katholische Theologen das Fundament des modernen slowakischen Nationalismus legten. Der Grad an SÀkularisierung des katholischen Glaubens zugunsten der Gestaltung und Durchsetzung einer nationalen Religion blieb unausgesprochen der Zankapfel zwischen den verschiedenen
Lagern, den gemĂ€Ăigten und den radikalen, den Ă€lteren und den jĂŒngeren Nationalisten.
Was war aber das Ziel der sĂ€kularisierenden und sakralisierenden kulturellen Praxis? In den Kategorien christlicher Moralvorstellungen wurde die Gestalt der idealen slowakischen Nation entworfen und verhandelt. Die starke Position der Schriftsteller im nationalistischen Diskurs rĂŒhrte nicht zuletzt vom grundsĂ€tzlich antistaatlichen, integralistischen Charakter des dominierenden slowakischen Nationalismus her. Mit ihren BeitrĂ€gen zu einem Nationalismus mit religiösen ZĂŒgen stellten sich die Intellektuellen - beabsichtigt oder nicht - in den Dienst der autonomistischen politischen Bewegung, die aus ihren totalitĂ€ren Absichten keinen Hehl machte.
2 Nationalismus und kulturelle Praxis
2.1 Forschung zum slowakischen Nationalismus
Zum Begriff âNationalismusâ
Der Begriff âNationalismusâ ist fĂŒr die wissenschaftliche Untersuchung nicht nur von den Konzepten âFaschismusâ und âNationalsozialismusâ abzugrenzen. Seine Semantik differiert auch aufgrund unterschiedlicher nationaler Vergangenheiten und Wissenschaftskulturen. Im Polnischen versteht sich unter dem Begriff Nationalismus ein National-Chauvinismus. Auch im Tschechischen wird darunter die PrioritĂ€t der eigenen nationalen Werte gegenĂŒber allen anderen Werten und Gruppen verstanden. Ăhnlich wie in Zentraleuropa ziehen einige westliche Philosophen wie Hannah Arendt und JĂŒrgen Habermas den Begriff Patriotismus dem Nationalismus sowie StaatsbĂŒrgerschaft dem âNationentumâ vor. Ein weniger belastetes VerhĂ€ltnis hingegen weist die Verwendung im englischen Sprachraum auf, in dem Nationalismusforschung in verschiedenen Disziplinen etabliert ist.
In der Slowakei wird der Begriff Nationalismus bis heute als eine Bezeichnung fĂŒr rechtsextreme Strömungen verwendet. Der Begriff âNationalismusâ war nach 1918 unter slowakischen Nationalisten im Gegensatz zur Verwendung bei den politischen Gegnern positiv besetzt. Davon ausgehend etablierte sich die bis heute in der Slowakei gebrĂ€uchliche Aufspaltung in ânĂĄrodovecâ und ânacionalistaâ. Beide AusdrĂŒcke stehen fĂŒr âNationalistâ. Allerdings ist der erste Ausdruck aus dem slowakischen Wort ânĂĄrodâ (Nation, Volk) gebildet und positiv konnotiert - das erlaubt auch die Ăbersetzung als âPatriotâ. Der zweite Ausdruck hingegen ist aus dem lateinischen Wort ânatioâ gebildet und trĂ€gt die negative Konnotation. Die slowakische Variante gilt fĂŒr die âgutenâ Nationalisten des 19. Jahrhunderts mit ihren emanzipatorischen Zielen. Die lateinische Variante hingegen steht retrospektiv fĂŒr rechte, antidemokratische KrĂ€fte und wird auf die Nationalisten nach 1918 bezogen, und zwar auf jene, die fĂŒr das Auseinanderbrechen der Ersten Republik verantwortlich gemacht werden.
In der historischen Forschung werden etwa die Hlinka-Garden unter diesem Schlagwort untersucht. Ein breiteres VerstĂ€ndnis wird in letzter Zeit wieder mit dem Begriff âslowakisches Denkenâ oder durch das zurĂŒckkehrende ânationale Bewusstseinâ abgedeckt, das vor allem in der Zwischenkriegszeit mit Blick auf die nationalen Erwecker des 19. Jahrhunderts angewandt wurde. Meines Erachtens ist der Begriff ânationales Bewusstseinâ bereits ein Ideologem, da er etwas Unbewusstes impliziert, das zu Bewusstsein gebracht werden muss. Abgelöst wurde die kognitive Kategorie âBewusstseinâ in jĂŒngerer Zeit vom Begriff âIdentitĂ€tâ, der ebenfalls problematisch ist, da er in der Gegenwart einer Politik von Interessengruppen dient und eine positiv-tendenziöse Konnotation trĂ€gt. Zudem wird âIdentitĂ€tâ hinsichtlich ihrer analytischen Aufgaben ĂŒberfrachtet. Der slowakische Ausdruck fĂŒr Patriotismus âvlastenectvoâ [Vaterlandsliebe] taucht zögerlich wieder au...