1. Einleitung
Das Problem der effektiven Diagnostik und Therapie des unerfüllten Kinderwunsches stellt im klinischen und vor allem Praxisalltag eine relevante und häufige Herausforderung dar.
Wir möchten mit diesem Buch – unter Verzicht auf die ausführliche Beschreibung der zugrundeliegenden Studien – das aktuelle Wissen sowie die persönlichen Erfahrungen mit den resultierenden diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen darlegen und diese in übersichtlichen und praxisrelevanten Schemata zusammenfassen, welche den lesenden Kolleginnen und Kollegen bei allen Fragen zu diesem Thema eine schnelle Orientierung ermöglichen.
Wir hoffen, dass dieses Buch dadurch zu einer schnellen und pragmatischen Hilfe im Arbeitsalltag unserer Kolleginnen und Kollegen wird.
1.1 Einflussfaktoren auf die Fertilität
Der wichtigste Einflussfaktor auf die Fertilität ist das Alter der Frau, da dieses die Qualität einer Eizelle, also deren Wahrscheinlichkeit einer vorliegenden Aneuploidie bestimmt. Vor allem gesellschaftspolitische Veränderungen haben in den Industrienationen zu einer Verlagerung des Kinderwunschalters in spätere Lebensabschnitte geführt, woraus häufiger Probleme bei der Erfüllung des Kinderwunsches erwachsen können. Dies hat zur Folge, dass die Zeit der höchsten Fertilität zwischen dem 20.–30. Lebensjahr der Frau oft überschritten ist, aber neben dem resultierenden höheren biologischen Alter dann natürlich auch eine längere Expositionszeit gegenüber exogenen Einflüssen (Operationen, Infektionen etc.) vorliegt, welche wiederum eine Sterilität bedingen können.
1.2 Ursachen des unerfüllten Kinderwunsches
Von primärer Sterilität spricht man nach einjährigem unerfülltem Kinderwunsch bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr (GV) ohne
kontrazeptive Maßnahmen. Bei der sekundären Sterilität geht diesem Kinderwunsch bereits eine Schwangerschaft – unabhängig von deren Ausgang (Interruptio, Abort, extrauterine Gravidität, Geburt) – voraus. Man vermutet, dass etwa 15 % aller Paare ungewollt kinderlos bleiben. Die Ursachen für den unerfüllten Kinderwunsch können überaus komplex sein (Abb. 1.2.1). In etwa 50% der Fälle liegt eine weibliche, in etwa 30% eine männliche Ursache und in ca. 20 % eine Kombination beider vor.
Abb. 1.2.1: Mögliche Ursachen der weiblichen Sterilität.
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2. Sinnvolle individuelle Basisdiagnostik
2.1 Anamnese
Zur standardisierten Erfassung aller Daten ist die Erarbeitung eines Anamnesestammblattes sinnvoll, welches wenigstens die nachfolgenden Punkte enthalten sollte.
Erfassungsbogen
Im Ergebnis der Anamnese steht die Beantwortung der Frage nach individuellen Risikofaktoren eines Paares sowie der Abwägung von Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen der bekannten Sterilitätsursachen. Im Sinne einer effektiven Diagnostik gilt es, frühzeitig zu entscheiden, in welchem Umfang eine Basisdiagnostik bzw. die Ergänzung von Voruntersuchungen/-befunden erforderlich ist.
Ziel der initiierten Diagnostik ist es nicht mehr, bei jeder Patientin alle verfügbaren Untersuchungen inklusive Tubenabklärung durchzuführen, sondern Risikokollektive für bestimmte Probleme (Follikelreifungsstörung, tubarer Faktor etc.) zu selektieren, gezielt zu diagnostizieren bzw. bei niedrigen Risiken ggf. auch auf Teile der Diagnostik zu verzichten.
Störungen der Follikelreifung und/oder Lutealfunktion
Klinischer Ausdruck einer Follikelreifungsstörung sind in aller Regel Zyklusstörungen. Berichtet eine Patientin verlässlich über eine Eumenorrhoe (ca. 28 ± 3–4 d) ohne prämenstruelle oder sonstige Schmierblutungen, werden dadurch grundlegende endokrinologische Probleme, einhergehend mit einer fehlenden Ovulation bzw. insuffizienten Lutealfunktion als Ursache des unerfüllten Kinderwunsches, eher unwahrscheinlich.
Merke: Eine Eumenorrhoe ohne prämenstruelle Schmierblutungen schließt eine Follikelreifungsstörung bzw. insuffiziente Lutealfunktion mit hoher Wahrscheinlichkeit aus!
Tubare Risikofaktoren
Voroperationen des weiblichen Genitale (z. B. Zustand nach Tubargravidität, Kürettagen, Myomenukleation) sowie Infektionen (z. B. Adnexitiden, vor allem aufgrund einer Chlamydieninfektion) gehen mit einem erhöhten Risiko tubarer Pathologien einher. Vor allem mit Hilfe von Vorbefunden hinsichtlich einer Chlamydieninfektion (positive Chlamydienserologie als Ausdruck einer zurückliegenden Infektion) lassen sich bereits beim ersten Gespräch bzw. nach dem Vorliegen der Befunde Risikokollektive definieren. Die PCR im Zervikalsekret oder Urin erfasst nur die akute Infektion, welche natürlich ebenfalls bedeutsam ist, aber bei Erstvorstellung einer Kinderwunschpatientin meist nicht vorliegt. Hier interessiert uns vor allem, ob in den letzten Jahren eine derartige Infektion abgelaufen ist, worauf die positive Chlamydienserologie schließen lässt, die sich daher als Risikofaktor für Tubenerkrankungen etabliert hat.
2.2 Zyklusmonitoring
Ärztliche Möglichkeiten zur Zyklusüberwachung stellen die Vaginalsonographie sowie Hormonbestimmungen dar. Ob letztere –ergänzend zum Ultraschall – erforderlich sind (Östradiol (E2) und Luteinisierendes Hormon (LH) präovulatorisch, E2 und Progesteron etwa eine Woche postovulatorisch), muss dabei individuell entschieden werden (Abb. 2.2.1). Grundsätzlich erlauben die Beurteilung der Folllikelgröße sowie der Endometriumdicke und -struktur neben der Zyklusanamnese in aller Regel eine valide Beurteilung der Follikelreifung.
Generell gilt es, mit dem geringsten Aufwand eine effektive Aussage über die Dynamik der Follikelreifung und den Zeitpunkt der Ovulation zu treffen. Alternativ kommt auch die Kombination aus Sonographie und LH-Messung im Urin in Frage.
Bei Zyklusstörungen ist eine Follikelreifungsstörung bzw. Anovulation bereits primär wahrscheinlich. In diesen Fällen erscheint eine Zyklusüberwachung meist nicht erforderlich, da das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizierbar ist. Hier wäre nach erfolgter Basisdiagnostik (z. B. Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCOS) mit Oligomenorrhoe) eher z. B. eine sofortige ovarielle Stimulation zu überlegen.
Abb. 2.2.1: Sonographisches und hormonelles Zyklusmonitoring.
Merke:
- – selektierter Leitfollikel (Durchmesser > 10 mm) wächst etwa (1–)2 mm/Tag
- – Wahrscheinlichkeit einer befruchtungsfähigen Eizelle (Metaphase II) in einem Follikel mit einem Durchmesser von 13–15 mm ca. 30%, 16–18 mm ca. 60%, > 18 mm ca. 100%
- – spontane Ovulationsauslösung durch E2-Anstieg sowie endogenen LH-Peak bei einem Follikeldurchmesser von durchschnittlich etwa 20 mm (individuell aber überaus variabel!)
- – LH-Peak der Ovulation ca. 24 Stunden vorausgehend
- – Einschätzung der Suffizienz der Lutealfunktion durch die kombinierte Bestimmung von E2 und Progesteron im Serum etwa eine Woche postovulatorisch (E2 > 100 pg/ml, Progesteron > 8 ng/ml, keine prämenstruellen Schmierblutungen) in Kombination mit einem sonographisch darstellbaren, hoch aufgebauten (> 8–10 mm doppelte Endometriumsdicke) und homogenen Endometrium
- – Monitoring mittels Basaltemperatur (BT) > 3 Monate nicht sinnvoll
- – keine alleinige BT-Messung zum Monitoring im Rahmen der ovariellen Stimulation (Überstimulation!, Mehrlingsgravidität! mögliche antiöstrogene Effekte bei Clomifenstimulation!).
2.3 Effektive endokrinologische Basisdiagnostik
Bei der Vielzahl endokrinologischer Störungen, die zu einer Einschränkung der Fertilität führen können, stellt sich die Frage nach einem effektiven „Screening“. Bei vorhandenem Zyklus sollte eine sogenannte basale Diagnostik in der frühen Follikelphase (2.–5. Zyklustag) erfolgen. Diese Untersuchung sollte Marker der hypophysären, ovariellen, adrenalen und Schilddrüsenfunktion umfassen.
Die WHO hat die verschiedenen Ursachen der Ovarialinsuffizienz klassifiziert (Abb. 2.3.1).
Eine Diagnostik – ausge...