Strukturgleichungsmodelle in den Sozialwissenschaften
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Strukturgleichungsmodelle in den Sozialwissenschaften

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Strukturgleichungsmodelle in den Sozialwissenschaften

About this book

Das Buch gibt eine EinfĂŒhrung in die methodologischen und statistischen Grundlagen von Strukturgleichungsmodellen und in deren Handhabung fĂŒr sozialwissenschaftliche Forschungsfragestellungen. Neben historischen Betrachtungen wird auf Basis verschiedener Erhebungsdesigns eine EinfĂŒhrung in die Pfadanalyse, in Messmodelle, in die konformatorische Faktorenanalyse bis zum allgemeinen Strukturgleichungsmodell vorgenommen. Neben der formalen Darstellung der einzelnen Modellvarianten steht die Erörterung anhand empirischer Beispiele im Vordergrund. Damit kann auch der statistisch weniger versierte Leser die Modellierungen nachvollziehen und auf seine eigenen Fragestellungen ĂŒbertragen. In den letzten Jahren hat sich in sozialwissenschaftlichen Anwendungsbereichen eine Reihe spezieller Modellierungen mit Strukturgleichungen etabliert. Hierzu gehören Wachstums- und Mischverteilungsmodelle, die in Form eines eigenen Kapitels in die zweite Auflage aufgenommen wurden. Um eine zur EDV-Umgebung des jeweiligen Nutzers passende Auswahl treffen zu können, werden zur VerfĂŒgung stehende Programme zur Berechnung von Strukturgleichungsmodellen mit ihren jeweiligen Aktualisierungen erörtert. WeiterfĂŒhrende Hinweise aus dem Internet werden an den jeweiligen Stellen angegeben. Die Literaturliste wurde fĂŒr die zweite Auflage umfassend ergĂ€nzt und aktualisiert.

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Information

1 Einleitung

Mit dem Begriff Strukturgleichungsmodelle wird nicht nur eine einzelne Technik, sondern eine ganze Gruppe von Modellen multivariater, statistischer Datenanalysen bezeichnet. Kovarianzstrukturanalyse oder Kovarianzstrukturmodelle sind alternative Begrifflichkeiten, die in der Literatur verwendet werden. Verschiedene charakteristische Eigenschaften können in der folgenden Systematisierung genannt werden:
  1. Strukturgleichungsmodelle werden nach Formulierung bestimmter inhaltlicher Hypothesen aufgestellt und ĂŒberprĂŒft. Hiermit wird der konfirmatorische Charakter dieser statistischen Modellbildung hervorgehoben: Das Modell stellt eine VerknĂŒpfung inhaltlicher Zusammenhangshypothesen dar, die anhand empirisch gewonnener Daten getestet werden. DemgegenĂŒber wĂŒrde ein aus den Daten generiertes Modell eine explorative Modellstrategie unterstĂŒtzen. Jöreskog und Sörbom (1993a) unterscheiden drei typische Situationen der ModellprĂŒfung:
    • Eine strikt konfirmatorische PrĂŒfung, wobei der Forscher einen einzelnen Modelltest vornimmt und die zugrunde liegenden Hypothesen entweder bestĂ€tigt oder verwirft.
    • Eine konfirmatorische PrĂŒfung von Modellen, bei der der Forscher mehrere alternative Hypothesen ĂŒberprĂŒft und sich fĂŒr ein zu akzeptierendes Modell entscheidet.
    • Eine modellgenerierte Anwendung, bei der der Forscher ein Anfangsmodell (sogenanntes initial model) spezifiziert und durch schrittweise Modellmodifikation eine AnnĂ€herung an die Datenstruktur erreicht.
    Die zuletzt genannte Strategie wird in der Praxis am hĂ€ufigsten durchgefĂŒhrt und verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll das Modell entwickelt werden, das am ehesten den theoretischen Überlegungen entspricht, zum anderen soll auch eine hohe statistische Korrespondenz zwischen dem Modell und den Daten gewĂ€hrleistet sein.
  2. Strukturgleichungsmodelle können explizit nach gemessenen (sogenannten manifesten) und nicht gemessenen (sogenannten latenten) Variablen unterscheiden und erlauben eine Differenzierung in ein Meß- und ein Strukturmodell. Die explizite Formulierung eines Meßmodells ermöglicht die BerĂŒcksichtigung unterschiedlicher MeßqualitĂ€ten der manifesten Variablen, vorausgesetzt die latenten Variablen werden ĂŒber mehr als eine gemessene Variable definiert. Das Meßmodell fĂŒhrt zu einer sogenannten minderungskorrigierten SchĂ€tzung der ZusammenhĂ€nge zwischen den latenten Variablen. Dies bedeutet, daß sich die KonstruktvaliditĂ€t der einzelnen Messungen explizit auf die Koeffizienten des Strukturmodells auswirkt. FĂŒr das klassische Pfadmodell wird kein Meßmodell formuliert. Die postulierten Beziehungen der manifesten Variablen werden geschĂ€tzt, ohne daß die KonstruktvaliditĂ€t der Messungen geprĂŒft wird. In der Regel werden dadurch die geschĂ€tzten Koeffizienten des klassischen Pfadmodells unterschĂ€tzt.
  3. Die meisten Strukturgleichungsmodelle basieren auf Befragungsdaten, die nicht experimentell erhoben werden. Werden experimentelle oder quasi-experimentelle Anordnungen vorgenommen, dann lassen sich ĂŒber Gruppenbildungen Differenzen der Modellparameter ermitteln. Dabei können Strukturgleichungsmodelle ĂŒber die LeistungsfĂ€higkeit der klassischen Varianzanalyse hinausgehen, weil eine Differenzierung in manifeste und latente Variablen dort nicht möglich ist.
  4. Mit Strukturgleichungsmodellen werden große DatensĂ€tze analysiert. Es ist relativ schwierig, eine einfache Antwort auf die Frage zu geben, wie hoch die MindestgrĂ¶ĂŸe der Stichprobe sein muß, um stabile ParameterschĂ€tzungen in Strukturgleichungsmodellen zu erhalten. Ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen der StichprobengrĂ¶ĂŸe und der ModellkomplexitĂ€t: Je mehr Parameter im Modell zu schĂ€tzen sind, desto grĂ¶ĂŸer muß die Datenbasis sein. Des weiteren werden bei SchĂ€tzverfahren, die höhere Momente berĂŒcksichtigen, grĂ¶ĂŸere Stichproben benötigt.
  5. Varianzen und Kovarianzen bilden in der Regel die Datengrundlage fĂŒr Strukturgleichungsmodelle. Damit werden zwei Ziele verbunden. Zum einen die UberprĂŒfung der ZusammenhĂ€nge zwischen den Variablen auf Grund der postulierten Hypothesen und zum anderen die ErklĂ€rung der Variationen in den abhĂ€ngigen Variablen. Werden ĂŒber Kovariaten (z. B. Geschlecht) Gruppen gebildet, dann können Unterschiede der Modellparameter zwischen den Gruppen ermittelt und getestet werden. Mittelwertdifferenzen können zwischen den latenten Variablen geschĂ€tzt werden, wenn neben den Varianzen und Kovarianzen auch der Mittelwertvektor der manifesten Variablen zur VerfĂŒgung steht.
  6. Viele statistische Techniken wie die Varianzanalyse, die multiple Regression oder die Faktorenanalyse sind spezielle Anwendungen von Strukturgleichungsmodellen. Schon vor lĂ€ngerer Zeit konnte festgestellt werden, daß die Varianzanalyse (ANO-VA) ein Spezialfall der multiplen Regression ist und beide Verfahren wiederum unter das allgemeine lineare Modell eingeordnet werden können. Zum allgemeinen linearen Modell gehören auch die multivariate Varianzanalyse (MANOVA) und die exploratorische Faktorenanalyse. Alle Varianten des allgemeinen linearen Modells sind in Strukturgleichungsmodelle ĂŒberfĂŒhrbar. Durch nicht-lineare Parameterrestriktionen können Produktterme in den linearen Gleichungen berĂŒcksichtigt werden. Dies fĂŒhrt beispielsweise zu sogenannten Interaktionsmodellen.
  7. Strukturgleichungsmodelle beschrĂ€nken sich nicht nur auf kontinuierliche Variablen. Kategoriale Variablen können in den Modellen gleichermaßen berĂŒcksichtigt werden. Multinomiale Regressionsmodelle können Teil eines komplexeren Strukturgleichungsmodells sein. Wenn latenten kategoriale Variablen berĂŒcksichtigt werden, so haben diese die Funktion, Subgruppen als latente Klassen zu identifizieren und damit Hinweise auf unbeobachtete HeterogenitĂ€t im Datenmaterial zu geben.
Mit dem Begriff Strukturgleichungsmodelle wird ein sehr breites Feld multivariater statistischer Datenanalysen angesprochen, dessen einzelne Facetten in einem Lehrbuch nicht alle abgedeckt werden können. Das vorliegende Lehrbuch konzentriert sich deswegen einerseits auf die Vermittlung fundamentaler Konzepte und andererseits auf die Erarbeitung von Techniken, die Hypothesentests mit unterschiedlichen Datendesigns erlauben.
 
Dieses Lehrbuch gliedert sich in acht Kapitel. In Kapitel 2 wird zunĂ€chst ein Überblick ĂŒber die Entwicklung der statistischen Modellbildung mit Strukturgleichungen gegeben. Hierzu gehört die generelle Vorgehensweise bei der Anwendung dieser Modelle, ihre methodischen Eigenschaften als auch die Frage, unter welchen Bedingungen den ermittelten Parametern eine kausale Bedeutung zukommt. Abschließend wird ein Überblick ĂŒber die methodischen Entwicklungen der letzten Jahre gegeben, die auch zu einer Differenzierung der einzelnen Modellarten gefĂŒhrt haben. Kapitel 3 differenziert die in der empirischen Sozialforschung bekannten Erhebungsdesigns (Querschnitt und LĂ€ngsschnitt) und erlĂ€utert, welche Arten von Strukturgleichungsmodellen mit welchen Daten in den nachfolgenden Kapiteln behandelt werden. Kapitel 4 geht auf grundlegende statistische Konzepte fĂŒr Strukturgleichungsmodelle ein. Hier werden zunĂ€chst das Meßniveau der Variablen behandelt und die gĂ€ngigen statistischen Zusammenhangsmaße. Die lineare Regressionsanalyse gilt gemeinhin als grundlegend fĂŒr die Modellbildung mit Strukturgleichungen, wĂ€hrend die klassische Testtheorie das mathematische Modell zur BerĂŒcksichtigung von Meßfehlern liefert. Beide AnsĂ€tze werden hier in ihren GrundzĂŒgen erörtert.
 
Die Kapitel 5, 6, 7, 8 und 9 behandeln die einzelnen Modellarten. Beispiele aus Querschnitt- und LĂ€ngsschnittuntersuchungen werden jeweils diskutiert, ebenso die gleichzeitige Analyse ĂŒber mehrere Untersuchungsgruppen (multiple Gruppenvergleiche). In Kapitel 5 geht es ausschließlich um Modelle mit gemessenen Variablen, die auch als Pfadmodelle bezeichnet werden. Die Differenzierung in gemessene (manifeste) und nicht gemessene (latente) Variablen erfolgt in Kapitel 6 ĂŒber die Erörterung der Meßmodelle, wobei an dieser Stelle auch eine ausfĂŒhrliche Diskussion der einzelnen SchĂ€tzverfahren sowie die damit verbundenen Statistiken der ModellprĂŒfung vorgenommen wird. Beide sind von grundsĂ€tzlicher Bedeutung fĂŒr alle in diesem Buch behandelten Modelle. In Kapitel 7 wird das Meßmodell zum konfirmatorischen Faktorenmodell erweitert, wĂ€hrend Kapitel 8 in den allgemeinen Strukturgleichungsansatz einfĂŒhrt. Hier wird das zuvor diskutierte konfirmatorische Faktorenmodell um ein Strukturmodell, das die Beziehung zwischen den latenten Variablen formalisiert, erweitert. Spezifische Aspekte der Modellbildung beim multiplen Gruppenvergleich, bei kategorialen Variablen und bei LĂ€ngsschnittdaten werden hier behandelt. Techniken zur BerĂŒcksichtigung von fehlenden Werten bei der Berechnung von Strukturgleichungsmodellen stehen hier ebenfalls im Vordergrund. In Kapitel 9 werden Wachstums- und Mischverteilungsmodelle erörtert, die mittlerweile durch die zunehmende Verbreitung von Paneldaten nicht nur in der methodischen und statistischen Grundlagenforschung, sondern auch in vielen inhaltlichen Anwendungen einen breiten Raum eingenommen haben.
 
In Kapitel 10 werden EDV-Programme zur Berechnung von Strukturgleichungsmodellen vorgestellt. Hierzu gehören auch Übersichten ĂŒber die Notation der Variablen, Parameter und Matrizen. Die zur Ersetzung fehlender Werte verwendeten Programme werden an dieser Stelle zusĂ€tzlich erlĂ€utert. Das Literatur- und Stichwortverzeichnis sollen die Handhabung dieses Lehrbuchs vereinfachen.

2 Die Entwicklung der statistischen Modellbildung mit Strukturgleichungen

2.1 EinfĂŒhrung

Die Verfahren, die eine statistische Modellbildung voraussetzen und unter dem Begriff Strukturgleichungsmodelle gefaßt werden, ermöglichen strengere Tests formalisierter Hypothesen als die ĂŒblichen Verfahren der bivariaten und multivariaten Statistik.2 Anwendungen sind besonders in den Wissenschaftsbereichen zu verzeichnen, die grĂ¶ĂŸere Datenmengen auf der Basis eines quasi-experimentellen oder nicht-experimentellen Designs produzieren. Stabile Ergebnisse aus statistischen Modellbildungen mit Strukturgleichungen sind dann gewĂ€hrleistet, wenn bestimmte Meß- und Verteilungsvoraussetzungen gemacht werden können und wenn, in AbhĂ€ngigkeit von der ModellgrĂ¶ĂŸe, die empirischen Informationen auf einer ausreichenden Anzahl von Untersuchungseinheiten basieren.

Die Verbreitung von Strukturgleichungsmodellen in den angewandten Sozialwissenschaften ist ohne ökonometrische und psychometrische Grundlagen kaum vorstellbar. Inhaltliche Spezifikationen von Beziehungen zwischen unabhĂ€ngigen und abhĂ€ngigen Variablen, wie sie aus der multiplen Regressionsanalyse bekannt sind, bilden den Ausgangspunkt (vgl. Kapitel 4). Jedes Regressionsmodell beinhaltet bekanntermaßen eine abhĂ€ngige Variable und mindestens eine unabhĂ€ngige Variable, deren VerhĂ€ltnis ĂŒber eine Regressionsgleichung formalisiert wird. Werden mehrere Regressionsmodelle miteinander verbunden, dann wird diese Art der Modellierung als Pfadanalyse bezeichnet (vgl. Kapitel 5). Diese weitergehende Modellierung ist erstmals von dem Genetiker Wright (1921, 1934) vorgenommen worden, der auch die AllgemeingĂŒltigkeit der Zerlegung von Produkt-Moment-Korrelationen in sogenannte Pfadkoeffizienten ĂŒber das Basistheorem der Pfadanalyse nachweisen konnte (vgl. O. D. Duncan, 1966, S. 5; Kenny, 1979, S. 28).3
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Abb. 2.1: Pfadmodell mit drei Variablen
FĂŒr ein Pfadmodell mit drei Variablen x1, x2 und x3 kann dieses Basistheorem leicht erlĂ€utert werden (vgl. Abbildung 2.1). Hierzu werden fĂŒr jede abhĂ€ngige Variable eine lineare Gleichung formuliert:
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(2.1)
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(2.2)
Sind ausreichende empirische Informationen (Korrelationskoeffizienten) vorhanden, dann lassen sich sich beispielsweise die Korrelationen zwischen x1 und x3 (r31), x2 und x (r) sowie in die entsprechenden Pfadkoeffizienten p21, p31 und p32 zerlegen:4
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(2.3)
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(2.4)
Beispielsweise wird aus Gleichung 2.3 ersichtlich, daß die Korrelation r nicht nur durch den direkten Effekt der Variablen x1 auf die Variable x3 (p31) bestimmt wird, sondern auch durch den indirekten Effekt ĂŒber die vermittelnde Variable x2. Dieser indirekte Effekt wird aus dem Produkt der Pfadkoeffizienten p21 und p32 gebildet. Diese Zerlegung ist allgemeingĂŒltig und unabhĂ€ngig von der ModellgrĂ¶ĂŸe.

Blalock (1961) gehört zu den ersten, der die Pfadanalyse in den Sozialwissenschaften thematisiert. Anwendungen insbesondere mit Variablen aus der Sozialstrukturanalyse finden sich bei O. D. Duncan und Hodge (1963), O. D. Duncan (1966) sowie ausfĂŒhrlich in dem Buch von Blau und Du...

Table of contents

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Die Entwicklung der statistischen Modellbildung mit Strukturgleichungen
  7. 3 Erhebungsdesigns, Daten und Modelle
  8. 4 Statistische Grundlagen fĂŒr Strukturgleichungsmodelle
  9. 5 Strukturgleichungsmodelle mitgemessenen Variablen
  10. 6 Meßmodelle
  11. 7 Die konfirmatorische Faktorenanalyse
  12. 8 Das allgemeine Strukturgleichungsmodell
  13. 9 Wachstums- und Mischverteilungsmodelle
  14. 10 EDV-Programme
  15. Literaturverzeichnis
  16. Index